Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 03. Sept. 2010 - 10 Ta 119/10
Gericht
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 10. Dezember 2009, Az.: 6 Ca 509/09, aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Die Parteien streiten vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen.
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Die Klägerin ist Fachärztin und betreibt im Evangelischen Krankenhaus Z-Stadt eine Praxis für plastische, ästhetische und Handchirurgie. Die Beklagte ist Dipl. Ökotrophologin und betreibt in A-Stadt eine Praxis für Ernährungs- und Entspannungstherapie. Die Beklagte war seit Anfang Januar 2009 für die Klägerin tätig und stellte ihr monatlich ein Honorar in Höhe von € 520,00 in Rechnung. Am 31.03.2009 zahlte ihr die Klägerin einen Vorschuss für die Zeit vom 01.04. bis zum 31.07.2009. Die Beklagte teilte der Klägerin mit undatiertem Schreiben am 22.04.2009 mit, dass sie ihre Tätigkeit „als freie Mitarbeiterin“ mit sofortiger Wirkung beende. Mit am 26.06.2009 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage verlangt die Klägerin die Rückzahlung des Vorschusses für die Monate Mai bis Juli 2009 in Höhe von € 1.560,00. In der Klageschrift führt sie aus, die Beklagte sei bei ihr „weisungsgebunden geringfügig beschäftigt“ gewesen.
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Die Klägerin ist nunmehr der Ansicht, zwischen ihr und der Beklagten habe kein Arbeitsverhältnis bestanden, während die Beklagte das Gegenteil behauptet.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.12.2009 (Bl. 40-43 d. A.) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Zweibrücken verwiesen. Gegen diesen Beschluss, der ihr 25.01.2010 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 27.01.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 27.05.2010 (Bl. 70-72 d. A.) nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist zulässig. Sie ist nach §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG an sich statthaft und wurde form- und fristgerecht (§ 48 Abs. 1 ArbGG, § 569 ZPO) eingelegt.
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Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben. Nach dem Sachvortrag der Parteien ist davon auszugehen, dass zwischen ihnen für die Dauer der Beschäftigung der Beklagten ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Klägerin macht vorliegend eine Forderung auf Rückzahlung eines unstreitig geleisteten Vorschusses geltend, die entweder auf zivilrechtliche oder auf arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann, die sich jedoch gegenseitig ausschließen (sog. aut-aut-Fall). Bei einem solchen Streitgegenstand muss das Gericht in seiner Rechtswegentscheidung prüfen, ob die Beklagte als Arbeitnehmerin oder wenigstens als arbeitnehmerähnliche Person für die Klägerin tätig war.
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Im vorliegenden Fall behauptet die Beklagte, sie sei als Arbeitnehmerin für die Klägerin tätig gewesen. Dagegen spricht nicht, dass die Beklagte der Klägerin monatlich Honorare in Rechnung gestellt und in ihrem Kündigungsschreiben ihre Tätigkeit als „freie Mitarbeiterin“ mit sofortiger Wirkung beendet hat. Die sozial- und steuerrechtliche Behandlung der Beklagten ist arbeitsrechtlich ohne Belang, weil für die Abgrenzung eines freien Mitarbeiterverhältnisses zu einem Arbeitsverhältnis primär auf die Umstände abzustellen ist, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht auf die Modalitäten der Bezahlung (BAG Urteil vom 14.03.2007 - 5 AZR 499/06 - Rn. 34 - EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 10, m.w.N.).
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Nicht nur die Beklagte, sondern auch die Klägerin ist im Übrigen selbst davon ausgegangen, dass die Arbeitsgerichte zuständig sind, denn sonst hätte sie dort nicht ihre Klage erhoben (zu diesem Aspekt: LAG Köln Beschluss vom 10.11.2006 - 10 Ta 371/06 - Rn. 5 - ArbuR 2007, 14). In der Klageschrift vom 25.06.2009 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich ausgeführt, dass die Beklagte „bei der Klägerin weisungsgebunden geringfügig beschäftigt“ gewesen sei.
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Auch der Inhalt der schriftlichen Stellungnahme der Klägerin persönlich vom 02.11.2009 sowie des Anwaltschriftsatzes vom 03.11.2009 spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Danach will die Klägerin „ursprünglich einmal geplant“ haben, die Beklagte „auf 400-Euro-Basis einzustellen“. „Dabei fällig werdende Sozialabgaben wären dann jedoch abgeführt worden.“ Sie habe der Beklagten „frei gestellt als freie Mitarbeiterin ein monatliches Honorar von € 520,00 zu erhalten und deshalb nicht angestellt zu sein“. Ihr damaliger Steuerberater habe darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in A-Stadt eine selbständige Praxis betreibe, für beide Parteien steuerlich günstiger sei, wenn die Zahlung eines monatlichen Bruttobetrages in Höhe von € 520,00 vereinbart werde. Diese Überlegungen sind arbeitsrechtlich für die Einordnung des Rechtsverhältnisses nicht ausschlaggebend. Ein materiell als Arbeitsverhältnis zu qualifizierendes Rechtsverhältnis wird nicht dadurch zu einem freien Mitarbeiterverhältnis, dass eine oder beide Parteien die mit einem Arbeitsverhältnis verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen zur Abführung von Steuern oder Sozialabgaben vermeiden wollen.
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Ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis („Minijob“), das nach dem Vortrag der Klägerin zunächst in Rede stand, ist ein Arbeitsverhältnis. Für 400-Euro-Minijobs zahlen Arbeitgeber Abgaben in Höhe von maximal 31,08 % des Verdienstes an die Minijob-Zentrale. Das sind ungefähr € 120,00 monatlich. Eine arbeitsgerichtliche Zuständigkeit scheitert nicht daran, dass die Klägerin die € 120,00 nicht an die Minijob-Zentrale abgeführt, sondern € 520,00 an die Beklagte gezahlt hat.
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Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie zu festen Arbeitszeiten - dienstags und freitags von 13.00 bis 18.00 Uhr - in der Praxis der Klägerin gearbeitet habe. Darüber hinaus habe sie mittwochs an den Teambesprechungen teilgenommen. Sie sei während der Sprechstunden dienstags und freitags von 13.00 bis 17.00 Uhr immer als Assistentin der Klägerin anwesend gewesen und habe Tätigkeiten einer Krankenschwester durchgeführt. Sie habe Fäden gezogen und Verbandwechsel vorgenommen. In der restlichen Zeit habe sie Sekretariatstätigkeiten verrichtet. So habe sie beispielsweise Tagungen organisiert, Einkäufe für die Praxis getätigt, sich um die Dekoration (Blumen) gekümmert und vertretungsweise den Telefondienst übernommen.
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Die Klägerin ist jedwede Erklärung dafür schuldig geblieben, für welche konkrete Gegenleistung in welchem konkreten zeitlichen Umfang sie monatlich eine Vergütung von € 520,00 an die Beklagte gezahlt hat, obwohl ihr dies mit Auflagenbeschluss vom 02.08.2010 im Beschwerdeverfahren aufgegeben worden ist. Sie hat in ihrem Schriftsatz vom 17.03.2010 vortragen lassen, dass die Beklagte
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in keiner Weise in ihren Praxisbetrieb fest eingebunden gewesen sei,
keine festen Arbeitszeiten gehabt, sondern ihre Arbeitszeiten mehr oder weniger frei bestimmt habe,
keinesfalls regelmäßig zu den Sprechstunden dienstag- und freitagnachmittags anwesend gewesen sei,
in keiner Weise die Tätigkeit einer Krankenschwester ausgeübt habe, auch nicht mit organisatorischen Dingen, insbesondere mit dem Telefondienst, oder mit Einkäufen für die Praxis befasst gewesen sei, das Feld der Ernährungs- und Entspannungsberatung völlig unabhängig vom Bereich der plastischen Chirurgie sei.
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Wenn die Klägerin im Schriftsatz vom 17.03.2010 ausführen lässt, die Beklagte habe „in keiner Weise“ ihren Weisungen unterlegen, steht dieser Vortrag im diametralen Gegensatz zum Inhalt der Klageschrift. Auch aus der Behauptung, „das Feld der Ernährungs- und Entspannungsberatung sei „völlig unabhängig“ vom Bereich der plastischen Chirurgie, kann die Klägerin nicht das Ergebnis herleiten, zwischen den Parteien habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Es bleibt auch im Schriftsatz vom 31.08.2010 völlig unklar, für welche Tätigkeit der Beklagten die Klägerin monatlich eine Vergütung von € 520,00 gezahlt hat. Für die lebensfremde Annahme, sie habe einer überflüssigen Mitarbeiterin monatlich € 520,00 gezahlt, hat die Klägerin keine Anhaltspunkte aufgezeigt.
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In ihrem Schriftsatz vom 31.08.2010 führt die Klägerin aus, sie habe der Beklagten in ihrer Praxis lediglich einen Raum zur Verfügung gestellt, um dort eine eigene Praxis für Ernährungsberatung zu betreiben. Ziel der Zusammenarbeit sei gewesen, der Beklagten Gelegenheit zu geben, eigene Patienten zu generieren und Patienten der Klägerin mit ernährungswissenschaftlichen Ratschlägen zu unterstützen. Soweit die Klägerin beklagt, dass die Beklagte Leistungen, welche die gezahlten € 520,00 Wert gewesen wären, zu keiner Zeit erbracht habe, geht es darum, ob die Beklagte ihre Leistungspflichten verletzt hat. Dies ist für die Frage der Rechtswegzuständigkeit irrelevant.
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Vor dem Hintergrund dieses Sach- und Streitstandes scheidet eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht aus.
III.
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Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die weiteren Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Partei zu tragen, der in der Hauptsache die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden.
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Annotations
(1) Für die Zulässigkeit des Rechtsweges und der Verfahrensart sowie für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes mit folgender Maßgabe entsprechend:
- 1.
Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die örtliche Zuständigkeit sind unanfechtbar. - 2.
Der Beschluß nach § 17a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes ergeht, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat, auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer.
(1a) Für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, 4a, 7, 8 und 10 sowie Abs. 2 ist auch das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Ist ein gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne des Satzes 1 nicht feststellbar, ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.
(2) Die Tarifvertragsparteien können im Tarifvertrag die Zuständigkeit eines an sich örtlich unzuständigen Arbeitsgerichts festlegen für
- 1.
bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus einem Arbeitsverhältnis und aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses, das sich nach einem Tarifvertrag bestimmt, - 2.
bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Verhältnis einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu den Arbeitnehmern oder Arbeitgebern.
(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Notfristen erhoben werden.
(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.
(3) Die Beschwerde kann auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn