Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17

bei uns veröffentlicht am13.09.2018

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Inhaftungnahme für Tabaksteuer.

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Nach den polizeilichen Ermittlungen hätten am 26.05.2014 zwei Zeugen beobachtet, wie der gesondert verfolgte A auf einem näher bezeichneten Parkplatz an der Autobahnabfahrt B an den Fahrer eines Kleintransporters Ford Transit, dessen Halterin die Mutter des Klägers ist, Zigaretten gegen eine größere Menge an Geldscheinen ausgetauscht habe. Noch am selben Tag sei die Anschrift der Halterin des Ford Transit aufgesucht worden. Dort sei der Kläger als Nutzer des Fahrzeugs festgestellt worden. Das Haus des Klägers sei anschließend mit seiner Einwilligung in Augenschein genommen worden. Keinen Zutritt habe er jedoch zu einem Heizungsraum seiner Mutter gewährt. Es sei nichts Relevantes festgestellt worden.

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Im Zuge der sich daran anschließenden steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger und den A ordnete das AG C auf Antrag der Staatsanwaltschaft C mit Beschluss vom 25.03.2015 die Überwachung der Telekommunikation des A an.

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Bei der Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 17.02.2016 wurden insgesamt elf Schachteln XXX mit weißrussischer Steuerbanderole gefunden. Bei der sich anschließenden Vernehmung des Klägers räumte dieser ein, von dem A XXX zum Preis von 25 € pro Stange für den Eigenverbrauch angekauft zu haben. Es sei ihm bekannt, dass der Ankauf von unversteuerten Zigaretten strafbar sei.

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Das Steuerstrafverfahren der Staatsanwaltschaft C gegen den Kläger (...) wegen des Verdachts der Steuerhehlerei vom 26.05.2014 wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 800 € gem. § 153a StPO eingestellt.

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Mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 15.06.2016 (xxx-1) setze der Beklagte Tabaksteuer in Höhe von 4.024,80 € fest. Im Rahmen der Überwachung der Telekommunikation des gesondert verfolgten A sei festgestellt worden, dass der Kläger in zwei Fällen unverzollte Zigaretten unbekannter Marken von dem A angekauft und im Besitz genommen habe. Im ersten Fall habe er am 12.04.2015 30 Stangen mit 6.000 Zigaretten unbekannter Marke um 11:29 Uhr bestellt und am selben Tag ab 15:44 Uhr in D/Gartenanlage in Besitz genommen. Im zweiten Fall habe er am 19.05.2015 100 Stangen mit 20.000 Zigaretten unbekannter Marken ab 13:59 Uhr in der X-Straße am ... in C in Besitz genommen.

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Bei seiner Vernehmung am 17.02.2016 habe er eingeräumt, Inhaber und Nutzer des Mobilfunkanschlusses mit der Rufnummer xxx zu sein, den A zu kennen und Zigaretten von ihm zu einem Preis von 25 € pro Stange für den Eigenbedarf angekauft zu haben. Außerdem sei ihm bekannt, dass der Ankauf unversteuerter Zigaretten strafbar sei.

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Die Tabaksteuer, die bisher nicht entrichtet worden sei, sei entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch das erstmals zu gewerblichen Zwecken im Besitz Halten entstanden. Schuldner der Steuer sei der unbekannte Dritte, der den Steuerentstehungstatbestand verwirklicht habe. Die hier in Rede stehenden 26.000 Zigaretten habe der Kläger mit Bereicherungsabsicht von dem A angekauft. Hierdurch habe er die Steuerstraftat einer gewerbsmäßigen Steuerhehlerei begangen, so dass er für von einem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer hafte. Da der Tabaksteuerschuldner nicht zu ermitteln sei, werde er als Haftungsschuldner in voller Höhe in Anspruch genommen. Eine Verschonung als Haftender komme wegen des hohen Verschuldensgrades nicht in Betracht. Hinsichtlich des Entschließungsermessens liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Das Auswahlermessen werde gegen weitere Haftungsschuldner ausgeübt werden, sofern diese bekannt werden würden.

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Für die Berechnung würde zu Gunsten des Klägers der für Zigaretten unbekannter Marke geringste Kleinverkaufspreis von 26 1/15 Cent/Stück zu Grunde gelegt.

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Mit Schreiben vom 27.06.2016 legte der Kläger Einspruch gegen den Bescheid ein. Er habe nur eingeräumt, für den Eigenbedarf Zigaretten angekauft zu haben. Er bestreite, die im Bescheid angegebene Menge Zigaretten angekauft zu haben. Auch habe er nicht gewerblich gehandelt. Die bei der Hausdurchsuchung aufgefundenen Zigaretten belegten, dass er Zigaretten nur für den Eigenbedarf angekauft habe. Im Übrigen müsse der A ebenfalls als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden.

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Mit Schreiben vom 28.11.2016 begründete der Kläger nach erfolgter Einsicht in die Ermittlungsakte seinen Einspruch weiter. Die Protokolle der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) stützten den Vorwurf nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, wie aus dem bloßen Nennen der Zahlen 30 und 100 eine Bestellung von 30 bzw. 100 Stangen abgeleitet werden könne. Es könne sich ohne weiteres auch um die Menge der einzelnen Zigaretten oder Schachteln gehandelt haben. Auch eine Abrechnung nach Kilo sei denkbar. Es seien lediglich die Anbahnungsgespräche mitgeschnitten worden. Anhaltspunkte für die tatsächliche Übergabe lägen nicht vor.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 01.06.2017 (xxx) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Tabaksteuer sei gemäß §§ 1 Satz 2, 17, 19 Abs. 1, 21 Abs. 1, 23 Abs. 1 TabStG mit dem Verbringen bzw. der Einfuhr in das Steuergebiet entstanden. Dass dieser Vorgang zu gewerblichen Zwecken erfolgt sei, sei schon aufgrund der Menge an Zigaretten widerleglich zu vermuten. Steuerschuldner sei insbesondere, wer an der Einfuhr beteiligt gewesen sei bzw. wer die Lieferung vornehme oder die Tabakwaren im Besitz halte, sowie der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe.

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Die TKÜ-Protokolle hätten zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Kläger die Zigaretten bei dem A bestellt und in Besitz genommen habe. Den Ankauf von Zigaretten habe er grundsätzlich eingeräumt. Bei der Mengenangabe "30" und "100" müsse es sich um Zigarettenstangen gehandelt haben. Dies belege die Tatsache, dass bei der Wohnungsdurchsuchung, die ein Jahr später stattgefunden habe, noch Reste der Ankäufe aufgefunden worden seien.

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Für die Inhaftungnahme sei es unerheblich, ob die Zigaretten zum Eigenbedarf erworben worden seien. Entscheidend sei die Gewerblichkeit lediglich beim Verbringer der Zigaretten. Die Bereicherungsabsicht i. S. d. § 374 AO liege vor. Denn selbst, wenn der Kläger die Zigaretten zum Eigenbedarf angekauft habe, habe er dies getan, um sich durch die Steuerersparnis im Vergleich zu versteuerten Zigaretten zu bereichern.

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Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Der Kläger sei gesamtschuldnerisch mit dem Verkäufer der Zigaretten in Anspruch genommen worden.

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Daher sei der Kläger gemäß § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Die Tabaksteuer sei zweifellos entstanden. Mangels Mitwirkung des Klägers oder aufgrund seiner Unkenntnis habe der Beförderungsweg der Zigaretten nicht ermittelt werden können. Es sei nicht aufklärbar, ob die Ware eingeführt oder verbracht worden sei. Die bislang nicht ermittelte Person des Einführers bzw. Verbringers habe eine Steuerhinterziehung begangen. Jede Person, die die Zigaretten im weiteren Verlauf im Besitz genommen habe und aufgrund der Gesamtumstände jedenfalls hätte wissen müssen, dass es sich um unverzollte und unversteuerte Zigarette handelte, habe sich der Steuerhehlerei strafbar gemacht.

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Mit der am 27.06.2017 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ihm werde vorgeworfen, am 26.05.2014 im Austausch gegen einen Bündel Geldscheine einen augenscheinlich mit Zigaretten befüllten Müllsack erhalten zu haben. Zehn Monate später seien bei der Durchsuchung seiner Wohnung elf Schachteln XXX gefunden worden. Dies lasse den Beklagten schließen, dass er im April 2015 30 Stangen und im Mai 2015 100 Stangen von dem A geordert und empfangen habe. Dieser Schluss sei falsch. Es gebe keine Beweise für diese Taten. Die Ortung seines Mobiltelefons allein belege keinesfalls, dass es zur Übergabe der Zigaretten gekommen sei. Es gebe keinen Erfahrungssatz, nach dem immer von Stangen gesprochen werde, wenn unverzollte und unversteuerte Zigaretten bestellt würden.

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Auch die Akte des angeblichen Lieferanten des Klägers enthalte keine Beweise für die dem Kläger vorgeworfenen Taten. Insbesondere habe der A am 19.05.2015 nicht 100 Stangen an den Kläger liefern können, da er - der A- von seinen Lieferanten keine ausreichende Menge erhalten habe.

19

Der Kläger habe stets nur XXX gekauft und geraucht.

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Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 15.06.2016 (xxx-1) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2017 (xxx) aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag. Ergänzend trägt er vor, dass es beim Handel mit unverzollten und unversteuerten Zigaretten üblich sei, bei fernmündlichen Gesprächen mit verdeckter Sprechweise zu agieren. Die Erfahrungswerte sowie die Gesamtumstände des Falls zeigten, dass im vorliegenden Fall 30 und 100 Stangen Zigaretten gehandelt worden seien. Außerdem habe der Kläger bei seiner Vernehmung eingeräumt, dass er Stangen zum Preis von 25 € erworben habe. Wenn er Zigaretten dagegen schachtelweise erworben hätte, hätte er den Preis für eine Schachtel genannt.

...

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 15.06.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

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Die Ermächtigungsgrundlage für den Haftungsbescheid ist § 71 AO. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat den Tatbestand des § 374 AO erfüllt (dazu 1.1). Dass er auch Schuldner der Tabaksteuer ist, für die er in Haftung genommen wird, steht seiner Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.3).

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1.1 Der Kläger hat sich im Hinblick auf 26.000 unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO strafbar gemacht. Danach wird insbesondere bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, ankauft, um sich zu bereichern. Nach § 96 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es muss also grundsätzlich davon überzeugt sein, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt wahr ist (Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO, Stand Oktober 2011, Rn. 64). Überzeugt ist das Gericht, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Seer, a. a. O., Rn. 66 m. w. N.).

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1.1.1 Nach diesen Maßstäben ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger am 12.04.2015 und am 19.05.2015 insgesamt 26.000 Zigaretten erworben hat. Dies ergibt sich aus den in sich stimmigen Niederschriften der abgehörten Telekommunikation des Klägers mit dem A. Im Einzelnen:
Am 12.04.2015 hat der Kläger 30 Stangen Zigaretten erworben. Nach dem dokumentierten Inhalt des Telefonats des Klägers mit dem A vom 12.04.2015, 11:29 Uhr, hat der Kläger auf dessen Frage, wie viele er haben wolle, "30" geantwortet und zu verstehen gegeben, dass er noch "Pulver" holen müsse. Daraufhin vereinbarten sie das "E" als Treffpunkt, und der Kläger erklärte dem A den Weg dorthin.

27

Am 19.05.2015 hat der Kläger 100 Stangen Zigaretten von dem A erworben. Nach dem dokumentierten Inhalt des Telefonats zwischen dem Kläger und dem A vom 11.05.2015, 18:23 Uhr, bestätigte der Kläger ihm, dass es "100" sein sollen. Nach einem weiteren Telefonat vom 16.05.2015, 11:36 Uhr, in dem sich beide für den kommenden Dienstag verabreden, erläutert der Kläger dem A in zwei Telefonaten vom Dienstag, den 19.05.2015, den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.

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Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in diesen Telefonaten 30 bzw. 100 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten bestellte. Es ist dem Senat aus zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen bekannt, dass bei derartigen Transaktionen eine codierte Sprache verwendet wird, weil die Beteiligten für den Fall Vorsorge tragen wollen, dass Telefonate abgehört werden.

29

Der Senat hat keinen Zweifel, dass sich die Zahlenangaben auf Zigarettenstangen bezogen. Es ist gerichtsbekannt, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten in der Regel stangenweise oder - bei größeren Bestellungen - auch in Kartons, die regelmäßig 50 Stangen enthalten, gehandelt werden. Im Übrigen hat der Kläger bei seiner Vernehmung am 17.02.2016 freiwillig den Preis pro Stange genannt, zu dem er von dem A Zigaretten angekauft hat. Dies belegt, dass er Zigaretten als Stangenware angekauft hat. Im Übrigen ist es auch bei der vom Kläger errechneten Gewinnspanne von 4 € pro Stange nicht rentabel, wegen eines Gewinns von 12 €, der bei 30 Schachteln (= drei Stangen) für den A abgefallen wäre, den mit einem konspirativen Treffen verbundenen Aufwand zu treiben.

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Auch wenn die Übergabe der bestellten Mengen nicht dokumentiert ist, hat der Senat keine Zweifel, dass es hierzu tatsächlich gekommen ist. Es sind nämlich drei weitere Telefonate vom 12.04.2015 in der Zeit zwischen 14:47 Uhr und 15:44 Uhr und vom 19.05.2015 zwischen dem Kläger und dem A dokumentiert, in denen der Kläger dem A den Weg in eine Gartenanlage bzw. zu seiner Arbeitsstelle beschreibt, wo es zur Übergabe der Zigaretten kommen soll. Wäre es im unmittelbaren Anschluss daran nicht zu Übergabe der Zigaretten gekommen, wäre dies in einem weiteren Telefonat thematisiert worden.

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Auch der Hinweis des Klägers, dass es rechnerisch nicht möglich sei, dass der Kläger am 19.05.2015 100 Stangen erworben haben könne, geht fehl. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen im Strafverfahren gegen A erwarb dieser am 15.05.2015 von einem "F" 150 Stangen Zigaretten, von denen er am selben Tag 114 Stangen weiterveräußerte. Rechnerisch blieben damit von dieser Lieferung 36 Stangen übrig. Zusammen mit den am 16.05.2015 von G gelieferten 200 Stangen hatte er damit rechnerisch bis zur hier in Rede stehenden Veräußerung am 19.05.2015 236 Stangen zur Verfügung. Nach den Feststellungen des Strafverfahrens veräußerte er jedoch in diesem Zeitraum 278 Stangen. Diese Fehlmenge bringt die Überzeugung des Senats, dass der Kläger am 19.05.2015 100 Stangen erworben hat, jedoch nicht ins Wanken. Die rechnerische Fehlmenge von 42 Stangen kann nämlich zahlreiche andere plausible Ursachen haben. So könnte es sein, dass der Kläger bei Lieferung der 150 Stangen am 15.05.2015 noch über gewisse Restbestände verfügte oder F bzw. G tatsächlich mehr Zigaretten an A geliefert haben, als im Ermittlungsverfahren ermittelt werden konnte.

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Da der Kläger keine glaubhaften Angaben zu von der Bestellung abweichenden Liefermengen gemacht hat, durfte der Senat auch gemäß § 162 Abs. 1 AO die Menge der übereigneten Zigaretten schätzen.

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1.1.2 Die Zigaretten sind Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, da die konspirative Weise, in der die Telefonate zwischen dem Kläger und dem A geführt worden sind, nur dann sinnvoll ist, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten handelt und weil die ausgehandelten Preise nur bei unversteuerter Ware plausibel sind.

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1.1.3 Der Kläger handelte mit Bereicherungsabsicht. Es ging ihm gerade darum, durch den Ankauf unversteuerter Zigaretten eigene Aufwendungen zu ersparen bzw. durch den Weiterverkauf der Zigaretten einen Gewinn zu erzielen.

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1.1.4 Der Kläger handelte auch vorsätzlich. Wie er selbst bei seiner Vernehmung am 17.02.2016 einräumte, war ihm bekannt, dass der Ankauf von unversteuerten Zigaretten strafbar ist.

36

1.1.5 Der Beklagte durfte die aus der Überwachung der Telekommunikation des A im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen den A und den Kläger gewonnenen Erkenntnisse gemäß § 393 Abs. 3 AO im Besteuerungsverfahren verwenden. Nach S. 1 dieser Vorschrift dürfen Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Dies gilt nach S. 2 der Vorschrift auch für Erkenntnisse, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Überwachung der Telekommunikation des A war rechtmäßig (dazu 1.1.5.1) und die Staatsanwaltschaft C durfte dem Beklagten Auskunft über den Inhalt des Strafverfahrens erteilen (dazu 1.1.5.2).

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1.1.5.1 Die Erkenntnisse über die hier in Rede stehenden Telefonate, deren Inhalt die Übergabe von insgesamt 130 Stangen Zigaretten am 12.04.2015 und 19.05.2015 betraf, hat die Staatsanwaltschaft C rechtmäßig erlangt. Die Überwachung der Telekommunikation des A erfolgte auf der Grundlage des Beschlusses des AG C vom 25.03.2015, der im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den A und den Kläger wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 AO) erging. Anlass für den Verdacht der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei - einer Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO - waren die Beobachtungen von zwei unbeteiligten Zeugen über den mutmaßlichen Austausch von in einem Müllsack befindlichen Zigarettenstangen zwischen dem Kläger und dem A am 26.05.2014.

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1.1.5.2 Auch die zusätzlichen Anforderungen des § 393 Abs. 3 S. 2 AO sind erfüllt. Zwar beruhen die Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des A nicht auf eigenen Ermittlungen des Zollfahndungsamtes H oder des Beklagten. Der Beschluss, mit dem die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation des A angeordnet wurde, erging nämlich auf Antrag der Staatsanwaltschaft C.

39

Die Staatsanwaltschaft C durfte dem Beklagten jedoch Auskunft über die Ergebnisse der Überwachung der Telekommunikation des A erteilen. Dies richtet sich nach § 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO (BFH, Beschluss vom 24.04.2013, VII B 202/12, juris, Rn. 8). Die Weitergabe der strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse an den Beklagten erfolgte zur Feststellung und Durchsetzung von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit einer Straftat gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i. V. m. § 116 AO in Gestalt eines Haftungsanspruchs wegen einer Steuerhehlerei (§ 71 AO).

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Auch die besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß § 477 Abs. 2 S. 2 StPO liegen vor. Danach dürfen die auf Grund einer Maßnahme, die nach der Strafprozessordnung nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig ist, erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen.

41

Unschädlich ist, dass die Erkenntnisse aus den TKÜ-Protokollen nicht - wie es der Wortlaut von § 477 Abs. 2 S. 2 StPO verlangt - zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet wurden. Die Vorschrift ist im vorliegenden Kontext nämlich so zu verstehen, dass die Ermittlungsergebnisse, die in einem Strafverfahren gewonnen wurden, dann in einem Besteuerungsverfahren verwendet werden dürfen, wenn der Steuererhebung Straftaten zugrunde liegen, wegen denen eine Telekommunikationsüberwachung hätte angeordnet werden dürfen. Anderenfalls liefe § 393 Abs. 3 AO, der der Verwertung der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem Strafverfahren gerade im Besteuerungsverfahren dienen soll, weitgehend leer (vgl. BFH, Beschluss vom 24.04.2013, VII B 202/12, juris, Rn. 8).

42

Die so verstandenen Voraussetzungen von § 477 Abs. 2 S. 2 StPO liegen vor. Es wurde bereits dargelegt, dass die Anordnung der Telefonüberwachung rechtmäßig erfolgt ist, weil auch gegenüber dem Kläger der Verdacht der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei im Raum stand (siehe oben 1.1.5.1). Darüber hinaus erfolgt die Besteuerung auch wegen einer Katalogtat (§ 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO), die eine Telefonüberwachung rechtfertigen würde. Es steht nämlich zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in zwei Fällen eine gewerbsmäßige Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO begangen hat. Gewerbsmäßig i. S. d. § 374 Abs. 2 AO handelt, wer in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung des Delikts eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, wobei schon eine einmalige Gesetzesverletzung ausreichen kann (Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 373 AO, Stand April 2018, Rn. 11 f. m. w. N.). Gewerbsmäßiges Handeln erfordert nicht, dass der Täter in Ausübung seines Berufes oder Gewerbes tätig wird oder dass der Täter die Hehlerei wie einen Beruf betreibt und aus den Einkünften seinen Lebensunterhalt bestreitet (Meyer, in Gosch, AO/FGO, § 374 AO 1977, Stand 141. Lieferung, Rn. 12.1). Bei verkehrsfähigen Waren genügt für die Annahme der Gewerbsmäßigkeit, wenn der Täter diese auf strafbare Weise erlangt, fortdauernd zur Deckung eigener Bedürfnisse verwendet und dadurch Einsparungen macht. Die Einsparung notwendiger Aufwendungen ist dabei stets ein von der Gewerbsmäßigkeit erfasster Vermögensvorteil. Bei Genussmitteln wie Zigaretten oder Kaffee liegt die erforderliche Einsparung jedoch nur dann vor, wenn der Täter sich diese Waren andernfalls auf dem legalen Markt zu einem höheren Preis verschafft und nicht etwa darauf verzichtet hätte (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.06.2002, 1 Ss 185/02 juris, Rn. 9).

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Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger beim Ankauf der Zigaretten am 12.04.2015 und am 19.05.2015 gewerbsmäßig handelte. Bei dem Ankauf vom 12.04.2015 ergibt sich die Gewerbsmäßigkeit daraus, dass der Kläger durch den Ankauf von unversteuerten und unverzollten Zigaretten erhebliche Einsparungen gemacht hat. Aufgrund des hohen Suchtpotenzials von Zigaretten hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der Kläger, wenn er ordnungsgemäß in den Verkehr gebrachte Zigaretten hätte erwerben müssen, auf den Konsum verzichtet hätte. Bei dem Ankauf vom 19.05.2015 ergibt sich die Gewerbsmäßigkeit aus der Menge der angekauften Zigaretten. Es ist ausgeschlossen, dass der Kläger eine derartige Menge ausschließlich für den Eigenverbrauch angekauft hat. Vielmehr ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass er diese Zigaretten mit Gewinn weiter verkaufen wollte.

44

1.2 Der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass er im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Zigaretten zugleich Steuerschuldner ist.

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1.2.1 Der Senat ist überzeugt, dass der Kläger - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht haben - im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Zigaretten Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist. Danach ist im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabakStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zur Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabakStG entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG an (so bereits FG Hamburg, Beschluss vom 18.11.2016, 4 V 142/16, juris Rn. 23; Beschluss vom 07.06.2017, 4 V 251/16, juris, Rn. 28). Ein solcher Besitzer bzw. Empfänger im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG war auch der Kläger, weil er nach den Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung die Zigaretten in Besitz genommen hat (siehe oben 1.1.1).

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1.2.2 § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist vorliegend auch anwendbar. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Zigaretten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar ergibt sich aus der im Senatsurteil vom 15.07.2015 (4 K 43/15, juris Rn. 29 f.) zitierten Studie, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten auf verschiedenen Wegen ins Bundesgebiet geschmuggelt werden. Auch hält der Senat den Umstand, dass Zigaretten osteuropäische Steuerzeichen tragen, allein nicht für ausreichend, von einer Verbringung über den Landweg auszugehen (FG Hamburg, Urteil vom 15.07.2015, 4 K 43/15, juris, Rn. 31).

47

Im vorliegenden Fall verdichten sich jedoch die Indizien dahingehend, dass der Senat eine Einfuhr der Waren auf dem See- oder Luftweg für ausgeschlossen hält. Weder aus der Sachakte noch aus den zahlreichen beigezogenen Strafakten ergibt sich ein Hinweis darauf, dass die Lieferanten des A (der wiederum den Kläger beliefert hat) Zigaretten direkt aus Drittstaaten erhalten hätten. Zwar hält der Senat die Einlassung des A in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, dass er die Zigaretten selbst mit dem PKW direkt aus Russland geholt habe, nicht für glaubhaft. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen A haben nämlich insgesamt 13 Ankäufe von dem gesondert verfolgten G (alias J) und einer als "F" bezeichneten Person ergeben. Aus den ebenfalls beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakten gegen den G und den K ergeben sich jedoch zahlreiche Bezüge nach Polen und in die Slowakei: Drei der Lieferanten des G, nämlich der K (alias L oder M), der N/O sowie der P verfügen über polnische Rufnummern (...). In einem Fall gibt der K (alias L) an, sich in Polen aufzuhalten (...). Bei dem P handelt sich vermutlich um einen namentlich identifizierten polnischen Staatsbürger (...). G kauft gestohlene Fahrräder an und veräußert sie unter anderem an eine polnische Tätergruppe (...). Der K reiste nach den Eintragungen in seinem ukrainischen Reisepass seit September 2013 regelmäßig über die Slowakei in die EU ein (...).

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Da sich diese Indizien nicht eindeutig den hier in Rede stehenden Zigarettenlieferungen zuordnen lassen, ist es entscheidend für die Überzeugung des Senats, dass die Zigaretten über die weißrussisch-polnische Grenze und von dort ins Steuergebiet verbracht worden sind, dass die Zigaretten aus der Zigarettenfabrik in Q (Weißrussland) stammen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Bei der Durchsuchung der Wohnung des A am 15.07.2015 wurden Zigaretten der Marken XXX und XXX-2 mit weißrussischer Steuerbanderole sichergestellt. Ausweislich der Mitteilung von R wurden diese Zigaretten im März 2015 in dem von R lizenzierten Werk in Q hergestellt.

49

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Klägers am 17.02.2016 wurden ebenfalls insgesamt elf Schachteln XXX mit weißrussischer Steuerbanderole gefunden und der Kläger hat bei seiner Vernehmung am 17.02.2016 ausgesagt, dass diese Zigaretten von A stammten. Nach seiner schriftsätzlichen Einlassung hat der Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum stets XXX gekauft. Vor diesem Hintergrund ist der Senat davon überzeugt, dass auch die hier in Rede stehenden Zigaretten aus Q stammen.

50

Dies führt den Senat zur Überzeugung, dass die Zigaretten auf dem Landweg über die weißrussisch-polnische Grenze transportiert wurden. Dies ergibt sich daraus, dass Q unweit dieser Grenze liegt und eine Verfrachtung der Ware über einen russischen Hafen oder auf dem Luftweg vor diesem Hintergrund aufgrund des ungleich höheren logistischen Aufwands ausgeschlossen erscheint. Auch ergibt sich - wie dargelegt - aus der Akte des Hauptlieferanten des A - G - kein Hinweis auf eine Einfuhr der Ware. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass die angekauften Zigaretten der Marke XXX aus einer anderen, unbekannten Quelle stammen. Zwar hat der A vereinzelt auch von einer Person namens "F", über den nichts bekannt ist, gekauft. Die letzte Lieferung vor der Veräußerung vom 19.05.2015 erhielt der A jedoch von dem G, von dem er 200 Stangen Zigaretten bezogen hat.

51

1.2.3 Der Umstand, dass der Kläger im Hinblick auf die genannten Zigaretten auch Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen. § 71 AO enthält nämlich kein negatives Tatbestandsmerkmal, nach dem der in Haftung Genommene kein Steuerschuldner sein darf. Der Senat hat hierzu im Beschluss vom 18.11.2016 (4 V 142/16, EFG 2017, 182, 183; siehe auch Beschluss vom 07.06.2017, 4 V 251/16, juris, Rn. 30) ausgeführt:
Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13).

52

Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

53

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:
Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO.

54

Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt.

55

Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO).

56

Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276).

57

In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.).

58

Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14).

59

Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei.

60

Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

61

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist.

62

Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt.

63

Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben.

64

An dieser Auffassung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesfinanzhofs im Beschluss vom 24.10.2017 (VII B 99/17, ZfZ 2018, 208) fest (siehe bereits Bender, Die Haftung des Hinterziehers und Hehlers für eigene (Tabak-)Steuerschulden gemäß § 71 AO, in Summersberger et al., Festschrift für Hans-Michael Wolffgang, 2018, S. 513, 526 f.; Bender, ZfZ 2018, 190, 196). In dem Beschluss vom 24.10.2017, in dem das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO ausdrücklich offen gelassen wird, hat der Bundesfinanzhof, seine Argumentation aus der beschriebenen Entscheidung vom 19.10.1976 (VII R 63/73) erläutert. In jener Entscheidung - so der Bundesfinanzhof im Jahre 2017 - habe er den Sinn und Zweck der 1934 vorgenommenen Änderung des §112 RAO darin erblickt, "die Finanzverwaltung von der vom RFH auferlegten Feststellungspflicht zu befreien", also der Pflicht, bei der Inanspruchnahme einer Person als Haftenden feststellen zu müssen, dass sie nicht Steuerschuldner sei.

65

Für diese Deutung der Entscheidung vom 19.10.1976 sieht der Senat in der Entscheidung selbst keine Anknüpfungspunkte, weil sie - wie oben dargelegt - lediglich die Entstehungsgeschichte von § 112 RAO 1934 referiert. Auch eine genaue Betrachtung des Urteils des Reichsfinanzhofs vom 25.01.1933 und des Wortlauts von § 112 RAO 1934 stützen die These, dass § 112 RAO 1934 das Exklusivitätsdogma unangetastet lassen und lediglich eine Feststellungslastregelung treffen wollte, nicht. Der Reichsfinanzhof hat nämlich ausdrücklich festgestellt: "Die Haftung nach § 112 AO. [in der Fassung von 1931] trifft den Hinterzieher oder Hehler nur, soweit er nicht Steuerschuldner ist." (RFHE 32, 276, 276; Hervorhebung hinzugefügt). Damit wird eine klare Aussage zum Tatbestand der Norm ("soweit er nicht Steuerschuldner ist") getroffen. Erst aus dieser (zutreffenden) Auslegung leitete er folgerichtig die Pflicht ab, festzustellen, dass ein in Anspruch Genommener nicht Steuerschuldner ist. Die 1934 herbeigeführte Änderung von § 112 RAO, nach der der Hehler/Hinterzieher haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Hervorhebung hinzugefügt), verändert nach seinem klaren Wortlaut den Tatbestand der Haftungsvorschrift. Für eine bloße Modifikation der Feststellungslast gibt es dagegen keine Anhaltspunkte.

66

Plausibel wird die Argumentation des Bundesfinanzhofs nur dann, wenn man davon ausgeht, dass die Exklusivität von Schuld und Haftung wie sie ursprünglich in §§ 97 und 111 RAO festgelegt wurde, nicht mehr verändert werden konnte - eben weil es sich um ein Dogma handelt. Auf dieses Verständnis weist die Feststellung des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil vom 19.10.1976 hin, dass die "bereits durch §§ 97 und 111 [RAO] geschaffene Rechtslage" durch "die erst nachträglich in die Reichsabgabenordnung eingefügte Vorschrift des § 112" nicht habe geändert werden sollen. Die durch zwei einfachgesetzliche Normen (§§ 97, 111 RAO) mit einem spezifischen Anwendungsbereich geschaffene Rechtslage kann jedoch eine Gesetzesänderung in einem anderen Bereich (Haftung des Hinterziehers gemäß § 112 RAO) nicht sperren. Ein solches Verständnis der Unabänderlichkeit bestimmter "Grundwertungen der AO und der darauf beruhenden Exklusivität von Steuerschuld und Haftung" (so BFH, Beschluss vom 24.10.2017, VII B 99/17, ZfZ 2018, 208, juris, Rn. 13) wäre nicht mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität vereinbar. Sie verlangen, dass spätere Gesetzgeber - innerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Grenzen - Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rn. 53).

67

Doch selbst wenn man - quod non - der Deutung des Bundesfinanzhofs folgen würde, und die 1934 vorgenommene Änderung von § 112 RAO als bloße Befreiung von der Feststellungslast interpretierte, würde dies nichts daran ändern, dass § 71 AO nach dessen Gesetzesbegründung (siehe oben) inhaltlich § 112 RAO 1934 entsprechen sollte. Ausgehend von dieser Prämisse müsste man § 71 AO so verstehen, dass bei der Inhaftungnahme nicht festgestellt werden müsste, dass der in Anspruch genommene nicht Steuerschuldner ist. In ihrer praktischen Auswirkung würde kein Unterschied zur hier vertretenen Auffassung bestehen: Die Finanzbehörden könnten nämlich Personen nach § 71 AO in Haftung nehmen, ohne feststellen zu müssen, dass diese Personen nicht Steuerschuldner sind.

68

1.3 Die Inanspruchnahme des Klägers ist ermessensfehlerfrei (§ 5 AO). Im Falle einer - wie hier - vorsätzlich begangenen Steuerstraftat ist das Auswahlermessen des Hauptzollamtes in der Weise vorgeprägt, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind, und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf (BFH, Urteil vom 02.12.2003, VII R 17/03, juris, Rn. 25). Soweit - wie hier - neben dem Kläger auch der A als weiterer Steuerstraftäter als Gesamtschuldner in Betracht kommt, hat der Beklagte sein Auswahlermessen dadurch ausgeübt, dass er diesen weiteren Gesamtschuldner in der Einspruchsentscheidung bezeichnet hat.

II.

69

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

70

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17

Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17

Referenzen - Gesetze

Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17 zitiert 35 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 100


(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an di

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 96


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung

Abgabenordnung - AO 1977 | § 169 Festsetzungsfrist


(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf d

Abgabenordnung - AO 1977 | § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel


(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,1.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,2.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer

Abgabenordnung - AO 1977 | § 162 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen


(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. (2) Zu schätzen ist insbesondere dann, we

Strafprozeßordnung - StPO | § 153a Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen


(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen u

Abgabenordnung - AO 1977 | § 191 Haftungsbescheide, Duldungsbescheide


(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 128


(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu

Abgabenordnung - AO 1977 | § 44 Gesamtschuldner


(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldn

Abgabenordnung - AO 1977 | § 5 Ermessen


Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 69 Haftung der Vertreter


Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt

Abgabenordnung - AO 1977 | § 71 Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers


Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese n

Abgabenordnung - AO 1977 | § 374 Steuerhehlerei


(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst s

Abgabenordnung - AO 1977 | § 235 Verzinsung von hinterzogenen Steuern


(1) Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Wird die Steuerhinterziehung dadurch begangen, dass ein anderer als der Steuerschuldner seine Verpflichtung, einbehaltene

Abgabenordnung - AO 1977 | § 97 Vorlage von Urkunden


(1) Die Beteiligten und andere Personen haben der Finanzbehörde auf Verlangen Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. Im Vorlageverlangen ist anzugeben, ob die Urkunden für die Besteuerung des

Abgabenordnung - AO 1977 | § 393 Verhältnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren


(1) Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch Zwangsmittel (§ 328

Abgabenordnung - AO 1977 | § 373 Gewerbsmäßiger, gewaltsamer und bandenmäßiger Schmuggel


(1) Wer gewerbsmäßig Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzieht oder gewerbsmäßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften Bannbruch begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist

Abgabenordnung - AO 1977 | § 116 Anzeige von Steuerstraftaten


(1) Gerichte und die Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung, die nicht Finanzbehörden sind, haben Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für

Abgabenordnung - AO 1977 | § 45 Gesamtrechtsnachfolge


(1) Bei Gesamtrechtsnachfolge gehen die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Dies gilt jedoch bei der Erbfolge nicht für Zwangsgelder. (2) Erben haben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schuld

Abgabenordnung - AO 1977 | § 219 Zahlungsaufforderung bei Haftungsbescheiden


Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussi

Abgabenordnung - AO 1977 | § 33 Steuerpflichtiger


(1) Steuerpflichtiger ist, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder

Strafprozeßordnung - StPO | § 477 Datenübermittlung von Amts wegen


(1) Von Amts wegen dürfen personenbezogene Daten aus Strafverfahren Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten für Zwecke der Strafverfolgung sowie den zuständigen Behörden und Gerichten für Zwecke der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten übermittelt

Strafprozeßordnung - StPO | § 474 Auskünfte und Akteneinsicht für Justizbehörden und andere öffentliche Stellen


(1) Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden erhalten Akteneinsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist. (2) Im Übrigen sind Auskünfte aus Akten an öffentliche Stellen zulässig, soweit 1. die Auskünfte zur Fest

Abgabenordnung - AO 1977 | § 70 Haftung des Vertretenen


(1) Wenn die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftend

Abgabenordnung - AO 1977 | § 111 Amtshilfepflicht


(1) Alle Gerichte und Behörden haben die zur Durchführung der Besteuerung erforderliche Amtshilfe zu leisten. § 102 bleibt unberührt. (2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn 1. Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe

Tabaksteuergesetz - TabStG 2009 | § 1 Steuergebiet, Steuergegenstand


(1) Tabakwaren, erhitzter Tabak, Wasserpfeifentabak und Substitute für Tabakwaren unterliegen im Steuergebiet der Tabaksteuer. Steuergebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland. Die T

Abgabenordnung - AO 1977 | § 112 Voraussetzungen und Grenzen der Amtshilfe


(1) Eine Finanzbehörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie 1. aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,2. aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienst

Referenzen - Urteile

Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Beschluss, 24. Okt. 2017 - VII B 99/17

bei uns veröffentlicht am 24.10.2017

Tenor Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 4 V 251/16 insoweit aufgehoben, als die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich Tabaksteue

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 07. Juni 2017 - 4 V 251/16

bei uns veröffentlicht am 07.06.2017

Tatbestand 1 I. Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer. 2 Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen die gesondert verfol

Finanzgericht Hamburg Beschluss, 18. Nov. 2016 - 4 V 142/16

bei uns veröffentlicht am 18.11.2016

Tatbestand I. 1 Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen. 2 Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesond

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 15. Dez. 2015 - 2 BvL 1/12

bei uns veröffentlicht am 15.12.2015

Tenor § 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645)

Finanzgericht Hamburg Urteil, 15. Juli 2015 - 4 K 43/15

bei uns veröffentlicht am 15.07.2015

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Tabaksteuer wegen des Besitzes von unverzollten und im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland (Steuergebiet) unversteuerten Zigaretten. 2 Im Rahmen einer in anderer Sache am 28.05.20

Bundesfinanzhof Urteil, 11. Nov. 2014 - VII R 44/11

bei uns veröffentlicht am 11.11.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011  4 K 30/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Bundesfinanzhof Beschluss, 24. Apr. 2013 - VII B 202/12

bei uns veröffentlicht am 24.04.2013

Tatbestand I. 1 Der im Streitfall vom Finanzgericht (FG) vernommene Zeuge S wurde im August 201
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 121/17.

Finanzgericht Hamburg Urteil, 13. Sept. 2018 - 4 K 122/17

bei uns veröffentlicht am 13.09.2018

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Zinsen auf Zoll. 2 Nach den polizeilichen Ermittlungen hätten am 26.05.2014 zwei Zeugen beobachtet, wie der gesondert verfolgte A auf einem näher bezeichneten Parkplatz an der Auto

Referenzen

(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,

1.
zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,
2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,
3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,
4.
Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,
5.
sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder
7.
an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
Zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen setzt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Frist, die in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 3, 5 und 7 höchstens sechs Monate, in den Fällen des Satzes 2 Nummer 4 und 6 höchstens ein Jahr beträgt. Die Staatsanwaltschaft kann Auflagen und Weisungen nachträglich aufheben und die Frist einmal für die Dauer von drei Monaten verlängern; mit Zustimmung des Beschuldigten kann sie auch Auflagen und Weisungen nachträglich auferlegen und ändern. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen nicht, so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet. § 153 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 6 entsprechend. § 246a Absatz 2 gilt entsprechend.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.

(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.

(4) § 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

(1) Tabakwaren, erhitzter Tabak, Wasserpfeifentabak und Substitute für Tabakwaren unterliegen im Steuergebiet der Tabaksteuer. Steuergebiet ist das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland. Die Tabaksteuer ist eine Verbrauchsteuer im Sinn der Abgabenordnung.

(2) Tabakwaren sind

1.
Zigarren oder Zigarillos: als solche zum Rauchen geeignete und auf Grund ihrer Eigenschaften und der normalen Verbrauchererwartungen ausschließlich dafür bestimmte, mit einem Deckblatt oder mit einem Deckblatt und einem Umblatt umhüllte Tabakstränge
a)
ganz aus natürlichem Tabak,
b)
mit einem äußeren Deckblatt aus natürlichem Tabak,
c)
gefüllt mit gerissenem Mischtabak, mit einem äußeren Deckblatt von normaler Zigarrenfarbe aus rekonstituiertem Tabak, das das Erzeugnis vollständig umhüllt, gegebenenfalls auch den Filter, nicht aber das Mundstück, wenn ihr Stückgewicht mindestens 2,3 Gramm und höchstens 10 Gramm und ihr Umfang auf mindestens einem Drittel ihrer Länge 34 Millimeter oder mehr beträgt;
2.
Zigaretten:
a)
Tabakstränge, die sich unmittelbar zum Rauchen eignen und nicht Zigarren oder Zigarillos nach Nummer 1 sind,
b)
Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werden, oder
c)
Tabakstränge, die durch einen einfachen nichtindustriellen Vorgang mit einem Zigarettenpapierblättchen umhüllt werden;
3.
Rauchtabak (Feinschnitt und Pfeifentabak): geschnittener oder anders zerkleinerter oder gesponnener oder in Platten gepresster Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

(2a) Erhitzter Tabak im Sinne dieses Gesetzes ist stückweise und einzeln portionierter Rauchtabak, der dazu geeignet ist, durch Inhalation eines in einer Vorrichtung erzeugten Aerosols oder Rauches konsumiert zu werden.

(2b) Wasserpfeifentabak im Sinne dieses Gesetzes sind Waren der Unterposition 2403 11 der Kombinierten Nomenklatur sowie Erzeugnisse für Wasserpfeifen, die keinen Tabak enthalten; Kombinierte Nomenklatur im Sinne dieses Gesetzes ist die Warennomenklatur nach Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256 vom 7.9.1987, S. 1), der durch die Durchführungsverordnung (EU) 2018/1602 (ABl. L 273 vom 31.10.2018, S. 1) geändert worden ist, in der am 1. Januar 2019 geltenden Fassung und der bis zu diesem Zeitpunkt zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 erlassenen Rechtsvorschriften.

(2c) Substitute für Tabakwaren im Sinne dieses Gesetzes sind andere Erzeugnisse als nach den Absätzen 2b und 8, die zum Konsum eines mittels eines Geräts erzeugten Aerosols oder Dampfes geeignet sind. Ausgenommen sind Erzeugnisse, die ausschließlich medizinischen Zwecken dienen und Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes sind.

(3) Stückgewicht nach Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c ist das Durchschnittsgewicht von 1 000 Stück ohne Filter und Mundstück im Zeitpunkt der Steuerentstehung.

(4) Tabakabfälle sind Rauchtabak, wenn sie zum Rauchen geeignet und für den Einzelverkauf aufgemacht sind sowie nicht Zigarren oder Zigarillos nach Absatz 2 Nummer 1 oder Zigaretten nach Absatz 2 Nummer 2 sind. Als Tabakabfälle im Sinn dieses Absatzes gelten Überreste von Tabakblättern sowie Nebenerzeugnisse, die bei der Verarbeitung von Tabak oder bei der Herstellung, Be- oder Verarbeitung von Tabakwaren anfallen.

(5) Rauchtabak ist Feinschnitt, wenn mehr als 25 Prozent des Gewichts der Tabakteile weniger als 1,5 Millimeter lang oder breit sind.

(6) Pfeifentabak gilt als Feinschnitt, wenn er dazu bestimmt ist, zur Selbstfertigung von Zigaretten verwendet zu werden.

(7) Als Zigarren oder Zigarillos gelten Erzeugnisse, die statt aus Tabak teilweise aus anderen Stoffen bestehen und die die sonstigen Voraussetzungen nach Absatz 2 Nummer 1 erfüllen.

(8) Als Zigaretten oder Rauchtabak gelten Erzeugnisse, die statt aus Tabak ganz oder teilweise aus anderen Stoffen bestehen und die sonstigen Voraussetzungen nach Absatz 2 Nummer 2 oder Nummer 3 erfüllen. Ausgenommen sind Erzeugnisse ganz aus anderen Stoffen als Tabak, die ausschließlich medizinischen Zwecken dienen und Arzneimittel im Sinn des Arzneimittelgesetzes in der jeweils geltenden Fassung sind.

(9) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Verfahrensvereinfachung sowie zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Einzelheiten zur Feststellung des Stückgewichts nach Absatz 3 festzulegen.

(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Absatz 6 und 7 gilt entsprechend.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Wird die Steuerhinterziehung dadurch begangen, dass ein anderer als der Steuerschuldner seine Verpflichtung, einbehaltene Steuern an die Finanzbehörde abzuführen oder Steuern zu Lasten eines anderen zu entrichten, nicht erfüllt, so ist dieser Zinsschuldner.

(2) Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, es sei denn, dass die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären. In diesem Fall ist der spätere Zeitpunkt maßgebend.

(3) Der Zinslauf endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern. Für eine Zeit, für die ein Säumniszuschlag verwirkt, die Zahlung gestundet oder die Vollziehung ausgesetzt ist, werden Zinsen nach dieser Vorschrift nicht erhoben. Wird der Steuerbescheid nach Ende des Zinslaufs aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin entstandenen Zinsen unberührt.

(4) Zinsen nach § 233a, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind anzurechnen.

(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Absatz 6 und 7 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

(1) Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch Zwangsmittel (§ 328) gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Dies gilt stets, soweit gegen ihn wegen einer solchen Tat das Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der Steuerpflichtige ist hierüber zu belehren, soweit dazu Anlass besteht.

(2) Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Dies gilt nicht für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5) besteht.

(3) Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Dies gilt auch für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf.

(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Absatz 6 und 7 gilt entsprechend.

(1) Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch Zwangsmittel (§ 328) gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Dies gilt stets, soweit gegen ihn wegen einer solchen Tat das Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der Steuerpflichtige ist hierüber zu belehren, soweit dazu Anlass besteht.

(2) Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Dies gilt nicht für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5) besteht.

(3) Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Dies gilt auch für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf.

(1) Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden erhalten Akteneinsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist.

(2) Im Übrigen sind Auskünfte aus Akten an öffentliche Stellen zulässig, soweit

1.
die Auskünfte zur Feststellung, Durchsetzung oder zur Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich sind,
2.
diesen Stellen in sonstigen Fällen auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürfen oder soweit nach einer Übermittlung von Amts wegen die Übermittlung weiterer personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist oder
3.
die Auskünfte zur Vorbereitung von Maßnahmen erforderlich sind, nach deren Erlass auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren an diese Stellen übermittelt werden dürfen.
Die Erteilung von Auskünften an die Nachrichtendienste richtet sich nach § 18 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, § 12 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, § 10 des MAD-Gesetzes und § 10 des BND-Gesetzes sowie den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften.

(3) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 kann Akteneinsicht gewährt werden, wenn die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde oder die Akteneinsicht begehrende Stelle unter Angabe von Gründen erklärt, dass die Erteilung einer Auskunft zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde.

(4) Unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 3 können amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigt werden.

(5) Akten, die noch in Papierform vorliegen, können in den Fällen der Absätze 1 und 3 zur Einsichtnahme übersandt werden.

(6) Landesgesetzliche Regelungen, die parlamentarischen Ausschüssen ein Recht auf Akteneinsicht einräumen, bleiben unberührt.

(1) Von Amts wegen dürfen personenbezogene Daten aus Strafverfahren Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten für Zwecke der Strafverfolgung sowie den zuständigen Behörden und Gerichten für Zwecke der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten übermittelt werden, soweit diese Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle hierfür erforderlich sind.

(2) Eine von Amts wegen erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren ist auch zulässig, wenn die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist für

1.
die Vollstreckung von Strafen oder von Maßnahmen im Sinne des § 11 Absatz 1 Nummer 8 des Strafgesetzbuches oder für die Vollstreckung oder Durchführung von Erziehungsmaßregeln oder von Zuchtmitteln im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
den Vollzug von freiheitsentziehenden Maßnahmen oder
3.
Entscheidungen in Strafsachen, insbesondere über die Strafaussetzung zur Bewährung oder deren Widerruf, oder in Bußgeld- oder Gnadensachen.

Tatbestand

I.

1

Der im Streitfall vom Finanzgericht (FG) vernommene Zeuge S wurde im August 2011 vom Amtsgericht (AG) wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt. Der Verurteilung lag (u.a.) der Verkauf von insgesamt 190 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August und September 2007 durch S an D zugrunde. Für die insoweit entstandene Abgabenschuld (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftenden gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung in Anspruch, dieser habe das Kaufgeschäft vermittelt und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei des § 374 Abs. 1 AO erfüllt.

2

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das FG den angefochtenen Steuerhaftungsbescheid auf. Eine Beteiligung des Klägers am Verkauf der Zigaretten habe sich nicht feststellen lassen. Zum einen habe das AG in dem Strafurteil lediglich den Verkauf der Zigaretten durch S an D, nicht jedoch eine Beteiligung des Klägers daran festgestellt. Zum anderen habe der Zeuge S zwar in seiner Vernehmung eingeräumt, zweimal unverzollte und unversteuerte Zigaretten an D verkauft zu haben, jedoch behauptet, der Kläger habe damit nichts zu tun gehabt. Die Protokolle über eine im Jahr 2007 durchgeführte Telefonüberwachung (TÜ-Protokolle), auf die das HZA seine Behauptung der Beteiligung des Klägers am Kaufgeschäft stütze, seien nicht verwertbar. § 100a der Strafprozessordnung (StPO) habe in seiner Fassung des Jahres 2007 (StPO a.F.), als für den Streitfall Erkenntnisse durch die Telefonüberwachung gewonnen worden seien, Steuerstraftaten der AO nicht erfasst. Einige dieser Strafvorschriften seien erst durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ... (TKÜNReglG) vom 21. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3198) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 in § 100a StPO eingefügt worden. Aus der durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150) in die AO aufgenommenen Vorschrift des § 393 Abs. 3 lasse sich nichts anderes herleiten, da diese rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse voraussetze und daher keine Erkenntnisse aus Zeiträumen erfasse, in denen für seinerzeit noch nicht in § 100a StPO aufgeführte Steuerstraftaten ein Verwertungsverbot bestanden habe.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Das HZA hält es für klärungsbedürftig, ob die Finanzbehörde vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 100a StPO gewonnene Ermittlungsergebnisse in noch nicht abgeschlossenen Besteuerungsverfahren verwenden dürfe. Nach Ansicht des HZA hat das FG diese Frage zu Unrecht verneint und deshalb die Protokolle über die Telefonüberwachung verfahrensfehlerhaft nicht als Beweismittel zugelassen.

Entscheidungsgründe

II.

4

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5

1. Die für den Streitfall maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren sind nicht klärungsbedürftig, sondern lassen sich anhand der Vorschriften der AO und der StPO sowie der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eindeutig beantworten.

6

Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf.

7

Die seitens der Beschwerde formulierte und für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob die Finanzbehörde Erkenntnisse, die sie [vor dem Inkrafttreten des TKÜNReglG und des JStG 2008] rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in noch nicht abgeschlossenen Fällen im Besteuerungsverfahren verwenden darf", stellt sich im Streitfall nicht, denn die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen, die das HZA im Streitfall als Beweismittel verwenden will, stammen nicht --wie es der 1. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO entspräche-- aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhen --wie sich aus dem angefochtenen FG-Urteil ergibt-- auf vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO a.F., denen nach den in der Akte befindlichen TÜ-Protokollen der Verdacht auf Bandendiebstahl zugrunde lag.

8

Gemäß der 2. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO dürfen daher die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen im Besteuerungsverfahren gegen den Kläger nur verwendet werden, soweit nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Wie auch das HZA in seiner Beschwerdebegründung ausführt, sind insoweit § 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO) sind zwar gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. § 116 AO grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß § 477 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 55. Aufl., § 477 Rz 1; Julius/Temming, Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 477 Rz 1).

9

Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der StPO hätte angeordnet werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die Auskunftserteilung im Streitfall bereits deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen nicht zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet werden sollen, denn § 393 Abs. 3 AO, der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem Strafverfahren dienen soll, liefe dann weitgehend leer.

10

Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen (Julius/ Temming, a.a.O., § 477 Rz 5). Daher könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogtaten beziehenden Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren Anforderungen. Insoweit ist zwar nach dem BGH-Urteil vom 27. November 2008  3 StR 342/08 (BGHSt 53, 64) auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a StPO in seiner derzeitigen Fassung und nicht in der im Jahr 2007 geltenden Fassung abzustellen. Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind jedoch Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO, also beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger besteht, ist weder seitens des HZA vorgetragen noch ersichtlich. Das HZA hat den Steuerhaftungsbescheid auf den Tatbestand der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO gestützt.

11

Für die Zulässigkeit einer Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken gemäß § 477 Abs. 2 Satz 3 StPO bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.

12

2. Aus alledem folgt, dass das FG im Streitfall die Verwertung der TÜ-Protokolle als Beweismittel zu Recht abgelehnt hat, das Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel.

(1) Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden erhalten Akteneinsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist.

(2) Im Übrigen sind Auskünfte aus Akten an öffentliche Stellen zulässig, soweit

1.
die Auskünfte zur Feststellung, Durchsetzung oder zur Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat erforderlich sind,
2.
diesen Stellen in sonstigen Fällen auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren übermittelt werden dürfen oder soweit nach einer Übermittlung von Amts wegen die Übermittlung weiterer personenbezogener Daten zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist oder
3.
die Auskünfte zur Vorbereitung von Maßnahmen erforderlich sind, nach deren Erlass auf Grund einer besonderen Vorschrift von Amts wegen personenbezogene Daten aus Strafverfahren an diese Stellen übermittelt werden dürfen.
Die Erteilung von Auskünften an die Nachrichtendienste richtet sich nach § 18 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, § 12 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, § 10 des MAD-Gesetzes und § 10 des BND-Gesetzes sowie den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften.

(3) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 kann Akteneinsicht gewährt werden, wenn die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde oder die Akteneinsicht begehrende Stelle unter Angabe von Gründen erklärt, dass die Erteilung einer Auskunft zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht ausreichen würde.

(4) Unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 3 können amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigt werden.

(5) Akten, die noch in Papierform vorliegen, können in den Fällen der Absätze 1 und 3 zur Einsichtnahme übersandt werden.

(6) Landesgesetzliche Regelungen, die parlamentarischen Ausschüssen ein Recht auf Akteneinsicht einräumen, bleiben unberührt.

(1) Gerichte und die Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung, die nicht Finanzbehörden sind, haben Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die auf eine Steuerstraftat schließen lassen, dem Bundeszentralamt für Steuern oder, soweit bekannt, den für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden mitzuteilen. Soweit die für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden nicht bereits erkennbar unmittelbar informiert worden sind, teilt das Bundeszentralamt für Steuern ihnen diese Tatsachen mit. Die für das Steuerstrafverfahren zuständigen Finanzbehörden, ausgenommen die Behörden der Bundeszollverwaltung, übermitteln die Mitteilung an das Bundeszentralamt für Steuern, soweit dieses nicht bereits erkennbar unmittelbar in Kenntnis gesetzt worden ist.

(2) § 105 Abs. 2 gilt entsprechend.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Von Amts wegen dürfen personenbezogene Daten aus Strafverfahren Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten für Zwecke der Strafverfolgung sowie den zuständigen Behörden und Gerichten für Zwecke der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten übermittelt werden, soweit diese Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle hierfür erforderlich sind.

(2) Eine von Amts wegen erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren ist auch zulässig, wenn die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist für

1.
die Vollstreckung von Strafen oder von Maßnahmen im Sinne des § 11 Absatz 1 Nummer 8 des Strafgesetzbuches oder für die Vollstreckung oder Durchführung von Erziehungsmaßregeln oder von Zuchtmitteln im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
den Vollzug von freiheitsentziehenden Maßnahmen oder
3.
Entscheidungen in Strafsachen, insbesondere über die Strafaussetzung zur Bewährung oder deren Widerruf, oder in Bußgeld- oder Gnadensachen.

(1) Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch Zwangsmittel (§ 328) gegen den Steuerpflichtigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Dies gilt stets, soweit gegen ihn wegen einer solchen Tat das Strafverfahren eingeleitet worden ist. Der Steuerpflichtige ist hierüber zu belehren, soweit dazu Anlass besteht.

(2) Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen diese Kenntnisse gegen ihn nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Dies gilt nicht für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5) besteht.

(3) Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden. Dies gilt auch für Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, soweit die Finanzbehörde diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung Auskunft an die Finanzbehörden erteilt werden darf.

Tatbestand

I.

1

Der im Streitfall vom Finanzgericht (FG) vernommene Zeuge S wurde im August 2011 vom Amtsgericht (AG) wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt. Der Verurteilung lag (u.a.) der Verkauf von insgesamt 190 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August und September 2007 durch S an D zugrunde. Für die insoweit entstandene Abgabenschuld (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftenden gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung in Anspruch, dieser habe das Kaufgeschäft vermittelt und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei des § 374 Abs. 1 AO erfüllt.

2

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das FG den angefochtenen Steuerhaftungsbescheid auf. Eine Beteiligung des Klägers am Verkauf der Zigaretten habe sich nicht feststellen lassen. Zum einen habe das AG in dem Strafurteil lediglich den Verkauf der Zigaretten durch S an D, nicht jedoch eine Beteiligung des Klägers daran festgestellt. Zum anderen habe der Zeuge S zwar in seiner Vernehmung eingeräumt, zweimal unverzollte und unversteuerte Zigaretten an D verkauft zu haben, jedoch behauptet, der Kläger habe damit nichts zu tun gehabt. Die Protokolle über eine im Jahr 2007 durchgeführte Telefonüberwachung (TÜ-Protokolle), auf die das HZA seine Behauptung der Beteiligung des Klägers am Kaufgeschäft stütze, seien nicht verwertbar. § 100a der Strafprozessordnung (StPO) habe in seiner Fassung des Jahres 2007 (StPO a.F.), als für den Streitfall Erkenntnisse durch die Telefonüberwachung gewonnen worden seien, Steuerstraftaten der AO nicht erfasst. Einige dieser Strafvorschriften seien erst durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ... (TKÜNReglG) vom 21. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3198) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 in § 100a StPO eingefügt worden. Aus der durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150) in die AO aufgenommenen Vorschrift des § 393 Abs. 3 lasse sich nichts anderes herleiten, da diese rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse voraussetze und daher keine Erkenntnisse aus Zeiträumen erfasse, in denen für seinerzeit noch nicht in § 100a StPO aufgeführte Steuerstraftaten ein Verwertungsverbot bestanden habe.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Das HZA hält es für klärungsbedürftig, ob die Finanzbehörde vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 100a StPO gewonnene Ermittlungsergebnisse in noch nicht abgeschlossenen Besteuerungsverfahren verwenden dürfe. Nach Ansicht des HZA hat das FG diese Frage zu Unrecht verneint und deshalb die Protokolle über die Telefonüberwachung verfahrensfehlerhaft nicht als Beweismittel zugelassen.

Entscheidungsgründe

II.

4

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5

1. Die für den Streitfall maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren sind nicht klärungsbedürftig, sondern lassen sich anhand der Vorschriften der AO und der StPO sowie der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eindeutig beantworten.

6

Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf.

7

Die seitens der Beschwerde formulierte und für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob die Finanzbehörde Erkenntnisse, die sie [vor dem Inkrafttreten des TKÜNReglG und des JStG 2008] rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in noch nicht abgeschlossenen Fällen im Besteuerungsverfahren verwenden darf", stellt sich im Streitfall nicht, denn die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen, die das HZA im Streitfall als Beweismittel verwenden will, stammen nicht --wie es der 1. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO entspräche-- aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhen --wie sich aus dem angefochtenen FG-Urteil ergibt-- auf vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO a.F., denen nach den in der Akte befindlichen TÜ-Protokollen der Verdacht auf Bandendiebstahl zugrunde lag.

8

Gemäß der 2. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO dürfen daher die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen im Besteuerungsverfahren gegen den Kläger nur verwendet werden, soweit nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Wie auch das HZA in seiner Beschwerdebegründung ausführt, sind insoweit § 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO) sind zwar gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. § 116 AO grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß § 477 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 55. Aufl., § 477 Rz 1; Julius/Temming, Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 477 Rz 1).

9

Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der StPO hätte angeordnet werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die Auskunftserteilung im Streitfall bereits deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen nicht zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet werden sollen, denn § 393 Abs. 3 AO, der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem Strafverfahren dienen soll, liefe dann weitgehend leer.

10

Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen (Julius/ Temming, a.a.O., § 477 Rz 5). Daher könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogtaten beziehenden Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren Anforderungen. Insoweit ist zwar nach dem BGH-Urteil vom 27. November 2008  3 StR 342/08 (BGHSt 53, 64) auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a StPO in seiner derzeitigen Fassung und nicht in der im Jahr 2007 geltenden Fassung abzustellen. Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind jedoch Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO, also beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger besteht, ist weder seitens des HZA vorgetragen noch ersichtlich. Das HZA hat den Steuerhaftungsbescheid auf den Tatbestand der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO gestützt.

11

Für die Zulässigkeit einer Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken gemäß § 477 Abs. 2 Satz 3 StPO bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.

12

2. Aus alledem folgt, dass das FG im Streitfall die Verwertung der TÜ-Protokolle als Beweismittel zu Recht abgelehnt hat, das Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel.

(1) Von Amts wegen dürfen personenbezogene Daten aus Strafverfahren Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten für Zwecke der Strafverfolgung sowie den zuständigen Behörden und Gerichten für Zwecke der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten übermittelt werden, soweit diese Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle hierfür erforderlich sind.

(2) Eine von Amts wegen erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten aus Strafverfahren ist auch zulässig, wenn die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist für

1.
die Vollstreckung von Strafen oder von Maßnahmen im Sinne des § 11 Absatz 1 Nummer 8 des Strafgesetzbuches oder für die Vollstreckung oder Durchführung von Erziehungsmaßregeln oder von Zuchtmitteln im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
den Vollzug von freiheitsentziehenden Maßnahmen oder
3.
Entscheidungen in Strafsachen, insbesondere über die Strafaussetzung zur Bewährung oder deren Widerruf, oder in Bußgeld- oder Gnadensachen.

(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Absatz 6 und 7 gilt entsprechend.

(1) Wer gewerbsmäßig Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben hinterzieht oder gewerbsmäßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften Bannbruch begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Ebenso wird bestraft, wer

1.
eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich führt,
2.
eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder des Bannbruchs verbunden hat, eine solche Tat begeht.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Abs. 6 Satz 1 und Abs. 7 gilt entsprechend.

(1) Wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union hinterzogen oder Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 begangen worden ist, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) § 370 Absatz 6 und 7 gilt entsprechend.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011  4 K 30/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde mit rechtskräftigem Urteil wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Strafgericht aus, der Kläger habe von einer Organisation, die unverzollte und unversteuerte Zigaretten geschmuggelt habe, mehrfach solche Zigaretten abgenommen, um sie weiterzuverkaufen. Mit Bescheid vom 28. Juli 2010 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) den Kläger gesamtschuldnerisch mit drei weiteren Schuldnern wegen Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch.

2

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Steueranspruch ergebe sich aus § 19 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) in der zur Tatzeit (Oktober 2008) geltenden Fassung. Im Streitfall seien Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens zu gewerblichen Zwecken aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Nach den im Strafurteil getroffenen Feststellungen, die sich das Gericht zu eigen mache, habe der Kläger wiederholt unverzollte und unversteuerte Zigaretten von einer Gruppe Schmuggler in der Absicht bezogen, diese weiterzuverkaufen und davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nachdem die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht worden seien, habe der Kläger sie als Empfänger in Besitz genommen, so dass er nach § 19 Satz 2 TabStG Steuerschuldner geworden sei.

3

Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG (RL 92/12/EWG) des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) seien als Steuerschuldner beim Verbringen oder Versenden einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische Steuergebiet alle Personen anzusehen, die Herrschaft über die Ware erlangten. Somit komme auch ein weiterer Empfänger im Steuergebiet, z.B. ein Zwischenhändler oder ein Abnehmer, als Steuerschuldner in Betracht. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Festlegung der Zollschuldner in Art. 202 und 203 des Zollkodex. Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG könne somit auch eine Person sein, die den Besitz an den Tabakwaren erst nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens bzw. Versendens erlange. Auf die Richtigkeit eines solchen Normverständnisses deute die Nachfolgevorschrift des § 19 TabStG, nämlich § 23 TabStG hin, nach der in Versandhandelsfällen neben dem Lieferer auch der Empfänger Steuerschuldner sei, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe. Der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der Empfänger nicht mehr sein könne, wer den Besitz an den Tabakwaren erst nach Beendigung der genannten Vorgänge erlange (Urteil vom 2. Februar 2010  1 StR 635/09, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 2010, 644), könne nicht gefolgt werden.

4

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, er habe die Zigaretten erst nach Beendigung des Verbringens über die Grenze erhalten. Die in § 19 Satz 2 TabStG festgelegte Steuerschuldnerschaft könne sich nicht auf Personen beziehen, die mit dem eigentlichen Einfuhrvorgang keinerlei Verbindung gehabt hätten. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine Beendigung anzunehmen, wenn die Tabakwaren in Sicherheit und "zur Ruhe gekommen" seien. Daher könne eine nachfolgende Besitzerlangung eine Steuerschuldnerschaft nach § 19 Satz 2 TabStG nicht mehr begründen. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c RL 92/12/EWG beziehe sich auf Fälle, in denen die Waren in einem anderen Mitgliedstaat bereits in Besitz genommen und danach in verschiedene Mitgliedstaaten "durchgereicht" worden seien.

5

Das HZA schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an. Zwar habe der Kläger die Zigaretten erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens in das Steuergebiet erlangt, doch hindere dies seine tabaksteuerrechtliche Inanspruchnahme nach § 19 TabStG nicht. Die richtlinienkonform auszulegende Vorschrift diene der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 92/12/EWG. Nach der Änderung des TabStG werde der Tatbestand nunmehr von § 23 TabStG erfasst. Danach werde Steuerschuldner aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbrachter oder versandter Zigaretten, wer die Tabakwaren in Besitz halte, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe. Die Argumentation des BGH werde durch die Neufassung widerlegt. § 19 TabStG müsse dahingehend verstanden werden, dass jeder Besitzer der Tabakwaren nach deren Verbringung in das Steuergebiet Steuerschuldner der in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) entstandenen Tabaksteuer werde.

6

Der erkennende Senat hat das Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 92/12/EWG unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 RL 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat (BFHE 240, 458, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2013, 138).

7

Auf diese Frage hat der EuGH mit Urteil vom 3. Juli 2014 C-165/13, ZfZ 2014, 253 Folgendes geantwortet:

8

"Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG... in Verbindung mit Art. 7 der Richtlinie 92/12 ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift es einem Mitgliedstaat erlaubt, eine Person, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens im Steuergebiet dieses Staates zu gewerblichen Zwecken verbrauchsteuerpflichtige Waren in Besitz hält, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, als Schuldner der Verbrauchsteuer zu bestimmen, selbst wenn diese Person nicht die erste Besitzerin der Waren im Bestimmungsland gewesen ist."

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG entschieden, dass der Kläger durch Inbesitznahme der entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der Tabaksteuer geworden ist.

10

1. Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt, entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet (§ 19 Satz 1 TabStG). Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat (§ 19 Satz 2 TabStG). Nach den Feststellungen des FG, gegen die die Revision keine Verfahrensrügen erhoben hat und die daher für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, sind die vom Kläger bezogenen Zigaretten außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht worden. Zudem waren im Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze an den Kleinverkaufspackungen keine deutschen Steuerzeichen angebracht, wie dies nach § 12 Abs. 1 TabStG erforderlich gewesen wäre. Außer Frage steht, dass die Zigaretten nicht dem ausschließlich privaten Konsum der an ihrem Verbringen Beteiligten dienen sollten. Vielmehr waren sie für den Weiterverkauf im Steuergebiet bestimmt. Für die zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten ist somit gemäß § 19 Satz 1 TabStG im Zeitpunkt ihres Grenzübertritts die Tabaksteuer entstanden.

11

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Kläger --neben den am eigentlichen Vorgang des Verbringens beteiligten Personen-- nach § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der im Steuergebiet entstandenen Tabaksteuer geworden, denn er ist als Empfänger der Zigaretten anzusehen, an denen er im Steuergebiet Besitz erlangt hat.

12

a) Eine Definition des Empfängerbegriffs ist den tabaksteuerrechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen. In seiner Entscheidung in NStZ 2010, 644 hat der BGH den Begriff des Empfängers dahingehend ausgelegt, dass eine Person nicht Empfänger sein kann, die den Besitz an den Tabakwaren erst erlangt hat, wenn der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang durch das "zur Ruhe kommen" der Zigaretten bereits beendet ist.

13

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Begriff des Empfängers in einem weiteren Wortverständnis dahin zu deuten, dass Empfänger auch derjenige sein kann, der in das Steuergebiet geschmuggelte Tabakwaren, die nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens bzw. Versendens nach Deutschland in hierfür bestimmten Verstecken gelagert worden sind, vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt, d.h. von diesem in Empfang nimmt, um sie im Steuergebiet an andere Personen zu veräußern. Denn als Empfänger kann nach allgemeinem Sprachgebrauch jede Person verstanden werden, an die etwas Bestimmtes (Warensendung, Nachrichten, Signale etc.) gerichtet ist bzw. der etwas Bestimmtes übermittelt wird. Nach dem Verständnis des BGH wäre selbst der Adressat einer Postsendung nicht als Empfänger anzusehen, dem aus einem im Steuergebiet angelegten Lager unversteuerte Zigaretten zum Weiterverkauf oder zur Verteilung an Zwischenhändler geliefert werden. Für eine solche einschränkende Deutung lässt sich dem Begriff des Empfängers nichts entnehmen. Zudem ist bei der Auslegung des in § 19 Satz 2 TabStG verwendeten Empfängerbegriffs zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit den in § 19 TabStG getroffenen Regelungen die Umsetzung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen --insbesondere der Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG-- beabsichtigte, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift geboten ist. Dem kann nicht --wie in der Literatur vertreten wird (Sackreuther/Allgayer, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2014, 235)-- entgegengehalten werden, § 19 TabStG sei nach seinem vermeintlich eindeutigen Wortlaut und der Systematik einer solchen richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich. Wie bereits dargelegt, lässt sich der Begriff des Empfängers unterschiedlich deuten. Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu und ist nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig einzustufen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 15. Februar 2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712; vom 8. September 2010 XI R 40/08, BFHE 231, 343, BStBl II 2011, 661, und vom 29. Juni 2011 XI R 15/10, BFHE 233, 470, BStBl II 2011, 839). Dabei ist eine richtlinienkonforme Auslegung auch zulasten des Steuerpflichtigen möglich (EuGH-Urteil vom 5. Juli 2007 C-321/05, Kofoed, Slg. 2007, I-5795, m.w.N.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 4 Rz 31).

14

b) In seiner Entscheidung hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf den Streitfall Art. 7 RL 92/12/EWG Anwendung findet und dass nach Art. 7 Abs. 3 RL 92/12/EWG die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sich die betreffenden Waren befinden, u.a. von der Person oder dem Wirtschaftbeteiligten geschuldet werden, bei der oder bei dem sie bereitgestellt werden, so dass jeder Besitzer der Waren Schuldner der Verbrauchsteuer ist. Daraus folgt, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben von einer Steuerschuldnerschaft des Klägers auszugehen ist, denn bei ihm sind nach Auffassung des EuGH die Zigaretten nach Art. 7 Abs. 2 RL 92/12/EWG mit der Folge bereitgestellt worden, dass er an ihnen zu gewerblichen Zwecken Besitz erlangt hat. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Zigaretten nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12/EWG zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden.

15

c) Für den Fall, dass unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung vorgefunden werden, hat der EuGH entschieden, dass der Besitz der betreffenden Ware eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr i.S. des Art. 6 Abs. 1 RL 92/12/EWG darstellt (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 C-325/99, van de Water, Slg. 2001, I-2729). Nach Auffassung des EuGH ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass der bloße Besitz einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware die Steuerschuldnerschaft begründet, wenn feststeht, dass die Ware noch nicht nach den geltenden gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Vorschriften versteuert worden ist. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf Art. 7 und Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG übertragen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass eine in ihrem Steuergebiet vorgefundene und aus einem anderen Mitgliedstaat stammende verbrauchsteuerpflichtige Ware, für die die Steuer zwar entstanden, jedoch noch nicht entrichtet worden ist, nicht unversteuert bleibt. Wie der Senat bereits entschieden hat, geht es dem Unionsrecht bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut eine Ware sich befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (Senatsurteil vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06, BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85).

16

d) In Bezug auf Art. 7 und Art. 9 RL 92/12/EWG hat der EuGH geurteilt, dass eine Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen, mit der die Eigenschaft als Schuldner der Verbrauchsteuer auf den ersten Besitzer der Waren begrenzt würde, im Widerspruch zum Zweck der RL 92/12/EWG stünde, denn sie würde die Erhebung der mit dem Überschreiten einer Grenze der Union verbundenen Verbrauchsteuern unsicherer machen. Diese Argumentation ist auf die Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG übertragbar. Aus den Ausführungen des EuGH lässt sich schließen, dass die Mitgliedstaaten keine nationale Regelung treffen dürfen, die es ausschließt, Personen als Schuldner der Verbrauchsteuer in Anspruch zu nehmen, die nicht die ersten Besitzer der Waren im Bestimmungsland gewesen sind (im Ergebnis so auch Rüsken in ZfZ 2014, 255, nach dem das EuGH-Urteil so zu verstehen sei, dass es das Unionsrecht gebiete, auch einen Zwischenhändler als Steuerschuldner anzusehen).

17

Zwar ist der vom EuGH gebildete Leitsatz in Bezug auf die Steuerschuldnerschaft von Personen, die nicht die ersten Besitzer der in das Bestimmungsland verbrachten Waren sind, offener formuliert als die entsprechenden Ausführungen in der Begründung des Urteils, doch entnimmt der erkennende Senat der Begründung eine hinreichende Antwort auf die Vorlagefrage in dem Sinne, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG geboten ist. Damit ist die Entscheidung des BGH in NStZ 2010, 644 zumindest aus verbrauchsteuerrechtlicher Sicht als überholt anzusehen. Anlass zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes besteht nicht.

18

Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG kann demnach --wie im Streitfall-- auch eine Person sein, die erst nach der Beendigung des Vorgangs des Verbringens aus einem anderen Mitgliedstaat im Steuergebiet Besitz an nicht mit deutschen Steuerzeichen versehenen Zigaretten erlangt hat. Da sich dieses Auslegungsergebnis lediglich auf die tabaksteuerrechtlichen Folgen der vom Kläger vorgenommenen Handlungen bezieht, ist mit einer solchen Deutung keine Entscheidung darüber getroffen, ob § 19 TabStG im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 374 AO aus strafrechtlicher Sicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes genügt.

19

3. Da der Kläger durch die Übernahme der unversteuerten Zigaretten im Steuergebiet Besitz an ihnen erlangt hat, ist er als Empfänger der Zigaretten anzusehen. Infolgedessen ist er gemäß § 19 Satz 2 TabStG Schuldner der zuvor entstandenen Tabaksteuer geworden. Das HZA hat ihn somit zu Recht als Steuerschuldner in Anspruch genommen, so dass die Revision keinen Erfolg haben kann.

20

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tatbestand

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen.

2

Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesondert verfolgten A kam der Verdacht auf, die Antragstellerin habe von diesem unversteuerte Zigaretten angekauft, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Lebenspartner allein bewohnt, wurden am 16.12.2015 in einem Abstellraum drei Stangen (600 Stück) Zigaretten der Marke "B", eine Stange Zigaretten der Marke "C", jeweils ohne Steuerbanderole, sowie vier Stangen (800 Stück) Zigaretten der Marke "D" mit ukrainischer Banderole sichergestellt. Weitere 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung und englischem Warnhinweis wurden im Wohnzimmerschrank aufgefunden.

3

Mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer (Registrierkennzeichen: XXX-1) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner Tabaksteuer in Höhe von ... € im Hinblick auf die bei der Durchsuchung am 16.12.2015 sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten fest. Da an den sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen angebracht gewesen seien, sei die Tabaksteuer entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Diese Zigaretten habe die Antragstellerin mit Bereicherungsabsicht bei dem gesondert verfolgten F angekauft. Hierdurch habe sie die Steuerstraftat der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei begangen. Daher hafte sie für die von dem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer. Da der Tabaksteuerschuldner nicht zu ermitteln sei, werde sie als Haftungsschuldnerin in voller Höhe in Anspruch genommen. Eine Verschonung als Haftende komme wegen des hohen Verschuldensgrades nicht in Betracht. Hinsichtlich des Entschließungsvermessens liege eine Ermessensreduzierung auf null vor. Das Auswahlermessen werde gegen weitere Haftungsschuldner ausgeübt werden, sofern diese bekannt werden würden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage sei der 16.12.2015 als der Tag, an dem die Steuerschuld festgestellt worden sei. Davon ausgehend werde für die Zigaretten der Mindeststeuersatz in Höhe von ... Cent pro Stück bzw. ... Cent pro Stück berechnet.

4

Mit Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen (Registrierkennzeichen: XXX-2) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner für die mit dem Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom selben Tag festgesetzten Betrag Hinterziehungszinsen in Höhe von ... € fest.

5

Mit Telefax vom 24.04.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die beiden Bescheide ein und beantragte "Vollstreckungsaussetzung". Es sei nicht nachgewiesen, dass die Zigaretten unter Umgehung der Zollvorschriften nach Deutschland verbracht worden seien. Die Zigaretten seien legal erworben worden.

6

Mit Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer ab. Es bestünden bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 361 Abs. 2 AO an der Haftung der Antragstellerin. Sie hafte nach § 71 AO für die verkürzte Tabaksteuer in festgesetzter Höhe, weil sie eine Steuerhehlerei nach § 374 AO begangen habe, indem sie sich die im Einzelnen bezeichneten Zigaretten verschafft habe, hinsichtlich derer Steuern hinterzogen worden seien. Die Tabaksteuer sei zuvor durch das Verbringen der unversteuerten Zigaretten bzw. durch deren Einfuhr entstanden. Es stehe fest, dass sich die Antragstellerin die bei ihr aufgefundenen Zigaretten verschafft habe. Sie habe auch spontan eingeräumt, die Zigaretten von Herrn F erworben zu haben. Nach den Ergebnissen der Telefonüberwachung sei die Antragstellerin auch als Kundin des illegalen Zigarettenhändlers A identifiziert worden. Einwände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides weckten, habe die Antragstellerin nicht vorgebracht.

7

Mit gleichlautendem Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner auch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids zu den Hinterziehungszinsen ab.

8

Mit Telefax vom 07.06.2016 hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen beantragt. Ihr werde rechtswidrig unterstellt, dass sie eingeräumt habe, die Zigaretten bei Herrn F gekauft zu haben. Sie habe sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Tatsächlich stammten die Zigaretten aus mehrfachen Besuchen ihrer Familie in Polen. Mit Herrn F habe sie schon lange keinen Kontakt mehr.

9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 06.04.2016 und des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 auszusetzen.

10

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

11

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

12

Mit Urteil vom ... 2016 (.../...) hat das Amtsgericht G die Antragstellerin wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt; das Urteil ist nicht rechtskräftig.

13

Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr. ... und ...), die Ermittlungsakte des Zollfahndungsamtes H (StRL ...) sowie die Akte der Staatsanwaltschaft G (.../...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

14

Die gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.

15

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

16

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, siehe nur Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris, Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris, Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris, Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; siehe Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

17

1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Die Antragstellerin dürfte den Tatbestand des § 374 AO erfüllt haben (dazu 1.1). Dass sie im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.3).

18

1.1 Die Antragstellerin hat sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.12.2015 in ihrem Wohnhaus sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 AO strafbar gemacht. Danach wird bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, gewerbsmäßig ankauft. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuer hinterzogen worden ist. Die Antragstellerin hat diese Zigaretten gewerbsmäßig angekauft. Dies hat das Amtsgericht G in seinem Urteil vom ... 2016 (.../...) festgestellt. Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils macht sich der Senat zu Eigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urt. v. 10.01.1978, VII R 106/74, BFHE 124, 305, juris Rn. 12; Urt. v. 26.04.1988, VII R 124/85, BFHE 153, 463, juris Rn. 13; Beschl. v. 25.02.1992, VII B 125/91, BFH/NV 1993, 4, juris Rn. 14; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 18; Beschl. v. 13.01.2005, VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936, juris Rn. 8; Beschl. v. 29.01.2007, V B 160/06, V B 161V B 161/06, juris Rn. 10; Beschl. v. 02.07.2008, VII B 242/07, juris Rn. 8; Beschl. v. 30.07.2009, VIII B 214/07, juris Rn. 7; Beschl. vom 24.05.2013, VII B 155/12, juris Rn. 7; Beschl. v. 24.09.2013, XI B 75/12, juris Rn. 13) ist dies den Finanzgerichten erlaubt, wenn und soweit sie zu der Überzeugung gelangen, dass die strafgerichtlichen Feststellungen zutreffen, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können. Dies gilt auch für nicht rechtskräftige Urteile (Seer in Tipke/Kruse, 138. EL Okt. 2014, § 81 FGO Rn. 28 m. w. N.).

19

Nach Aktenlage ist der Senat davon überzeugt, dass das Urteil des AG G hinsichtlich des Ausspruchs, dass sich die Antragstellerin der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2, Abs. 1 AO) strafbar gemacht hat, zutreffend ist. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Auswertung der vorliegenden TÜ-Protokolle die Antragstellerin bei dem gesondert verfolgten A in sieben näher bezeichneten Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marken "C", "B", "D" und "E" bestellt und erhalten habe. Die Überprüfung des Mobiltelefons, das die Antragstellerin bei der Hausdurchsuchung bei sich geführt habe, habe ergeben, dass die dort gespeicherten Telefonnummern diejenigen der gesondert verfolgten A und F gewesen seien. Auch wenn dieses Telefon auf ihre Tochter J registriert sei, sei es ausschließlich von der Antragstellerin genutzt worden. Hinsichtlich des Falles Nr. 8 stehe aufgrund der Anzahl der aufgefundenen Zigaretten fest, dass die Antragstellerin gewerbsmäßig gehandelt habe. Diese lebensnahen Feststellungen hat das Amtsgericht unter Einbeziehung der aussagekräftigen TÜ-Protokolle und der Vernehmung der für die Telefonüberwachung und die Hausdurchsuchung zuständigen Ermittlungsbeamten getroffen. In Anbetracht der insgesamt zwischen dem 03.03.2015 und dem 11.05.2015 angekauften 46.400 Zigaretten ist die Behauptung der Antragstellerin, dass die bei ihr sichergestellten Zigaretten für den Eigenbedarf erworben worden seien, auch dann nicht glaubhaft, wenn man davon ausgeht, dass sie und ihr Lebenspartner starke Raucher sind.

20

Die Antragstellerin hat diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten und auch keine Beweisanträge gestellt. Ihr Vortrag beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass sie die sichergestellten Zigaretten bei mehreren, im Einzelnen nicht näher bezeichneten Familienbesuchen in Polen erworben und im Rahmen der zulässigen Freimengen ins Steuergebiet verbracht habe. Dieser Vortrag ist schon nicht hinreichend substantiiert, weil im Einzelnen nicht dargelegt ist, wann, wo und durch wen welche Zigaretten in Polen erworben wurden. Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags spricht darüber hinaus, dass es sich bei den 16 Stangen und drei Schachteln Zigaretten der Marke E nach Auskunft des Herstellers um Fälschungen handelt und Zigaretten derselben Marke und derselben Chargennummer bei dem Lieferanten der Antragstellerin, dem gesondert verfolgten A, gefunden wurden (Bl. ... der Strafakte).

21

1.2 Der Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftungsschuldnerin nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass sie im Hinblick auf die 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung (im Folgenden: Duty-Free-Zigaretten), für die ... € Tabaksteuer angefallen sind, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldnerin ist.

22

1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten Steuerschuldnerin gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabakStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabakStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabakStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabakStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.

23

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG an, weil die Fassungen keine wesentlichen Unterschiede enthalten (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111, 111). Eine solche Besitzerin im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG war auch die Antragstellerin, weil die Zigaretten in ihrem Herrschaftsbereich aufgefunden wurden.

24

§ 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist vorliegend auch anwendbar. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass die Duty-Free-Zigaretten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen oder Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar ergibt sich aus der im Senatsurteil vom 15.07.2015 (4 K 43/15, juris Rn. 29 f.) zitierten Studie, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten auf verschiedenen Wegen ins Bundesgebiet geschmuggelt werden. Vorliegend verdichten sich jedoch im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten die Indizien, die ihre Verbringung überwiegend wahrscheinlich machen. So wurden nach dem Vermerk des ZFA H bei dem mutmaßlichen Lieferanten der Antragstellerin, dem A, polnische Lieferanten von Schmuggelware beobachtet (Bl. ... der Strafakte). Für die Verbringung der (gefälschten) Duty-Free-Ware spricht auch die abgehörte Aussage des A in dem Telefonat mit der Antragstellerin vom 28.04.2015 (Bl. ... der Strafakte), nach dem Duty-Free-Ware "einzeln rüber geschafft" werde. Weiter führt der A aus: "Da ist einer, die sammeln für den und dann bringen die das Einzeln am Körper rüber. Der hat da 20 Mann laufen die jeden Tag über die Grenze machen und ihm stangenweise das Zeug bringen". Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft. Es ist auch nachvollziehbar, dass im Rahmen der Strukturen organisierter Kriminalität versucht wird, auf diesem Wege das Entdeckungsrisiko zu streuen. Wenn Personen einzelne Stangen am Körper über die Grenze tragen, kann es sich nur um eine Landgrenze der Bundesrepublik handeln, so dass die Zigaretten über die deutsch-polnische oder deutsch-tschechische Grenze verbracht worden sein müssen. Dass es sich nach Aussage des A in demselben Telefonat um Waren der "englische[n] Schiene" handele, steht hierzu nicht im Widerspruch. Damit nimmt er nämlich Bezug auf die englische Beschriftung der Ware. Im Übrigen hat die Herstellerfirma festgestellt, dass die Zigaretten mit Duty-Free-Kennzeichnung gefälscht wurden und daher in einem beliebigen anderen Land als Großbritannien hergestellt worden sein können.

25

1.2.2 Der Umstand, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten auch Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

26

Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13). Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

27

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

28

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO. Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt. Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO). Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276). In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.). Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14). Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei. Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

29

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist. Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt. Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben.

30

1.3 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.

31

2. Gemessen an den oben genannten Maßstäben ist auch der Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AO). Nach dem oben Dargelegten hat die Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die hier geltend gemachten Tabaksteuern hinterzogen. Diese Hinterziehung erfolgte auch zu ihrem Vorteil, weil sie die Zigaretten nur deshalb gewinnbringend weiter verkaufen konnte, weil weder ihr Lieferant noch sie Tabaksteuer abgeführt haben. Die Zinsen wurden der Höhe nach gemäß § 238 Abs. 1, Abs. 2 AO zutreffend berechnet.

32

3. Die Vollziehung hätte für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Hierzu ist weder etwas vorgetragen noch sonst aus der Akte ersichtlich.

III.

33

Die Kosten des Verfahrens fallen der Antragstellerin zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

34

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

Tatbestand

1

I.

Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer.

2

Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen die gesondert verfolgten A und B wurden am 16.02.2016 aufgrund richterlicher Anordnung die Kellerräume des vom Antragsteller betriebenen Hotels "C" in der X-Straße in ... D durchsucht. Hierbei wurden in einem Kellerraum insgesamt 275.560 Stück Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aufgefunden und sichergestellt. Davon trugen 22.860 Zigaretten keine, 800 Zigaretten tschechische und 60 Zigaretten polnische Steuerzeichen. Die übrigen Zigaretten trugen ukrainische Steuerzeichen.

3

Im Hinblick auf diese Zigaretten setzte der Antragsgegner mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 14.09.2016 (XXX) Tabaksteuer in Höhe von 43.019,87 € fest. Da sie keine deutschen Steuerzeichen trügen, sei die Tabaksteuer nicht entrichtet. Die Tabaksteuer sei entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Schuldner der Steuer sei der unbekannte Dritte, der den Steuerentstehungstatbestand verwirklicht habe. Der Antragsteller habe durch den Schlüssel, den er bei der Durchsuchung bei sich getragen habe, Zugang zu dem Kellerraum gehabt, in dem die Zigaretten aufgefunden worden seien. Außerdem seien dort Gegenstände, die für einen Hotelbetrieb nötig seien, sowie weitere geschäftliche und persönliche Unterlagen des Antragstellers gelagert gewesen. Der Antragsteller habe daher die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten. Außerdem habe er hierdurch Steuerhehlerei begangen oder an einer solchen Tat teilgenommen, so dass er für die von einem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer hafte. Sofern weitere Steuer- oder Haftungsschuldner bekannt würden, werde der Antragsgegner das Auswahlermessen auch gegenüber diesen Personen ausüben.

4

Für 274.700 Zigaretten - die sichergestellte Menge abzüglich der 860 Zigaretten mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen - setzte der Antragsgegner auf derselben tatsächlichen Grundlage mit Abgabenbescheid über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016 (YYY) Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 11.026,94 € fest. Der Antragsteller sei - neben der Person, die die Waren ins Steuergebiet verbracht habe - gemäß § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich Zollkodex Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, weil er die Zigaretten erworben oder im Besitz gehabt habe, obwohl er zumindest hätte wissen müssen, dass sie vorschriftswidrig verbracht worden seien. Fremdbesitz reiche insoweit aus.

5

Mit zwei im Übrigen gleichlautenden Schreiben vom 28.09.2016 legte der Antragsteller Einspruch gegen die Bescheide ein und beantragte jeweils die Aussetzung der Vollziehung. Er habe den Tatbestand des § 374 Abs. 1 AO nicht verwirklicht, weil er weder Einführer noch Verbringer oder Lieferant der Zigaretten sei. Er habe die Zigaretten nicht zum Weiterverkauf erworben oder zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten.

6

Er sei Inhaber eines Hotels, das unter der Woche hauptsächlich von Monteuren besucht werde. Erst ab 18:00 Uhr kümmere er sich um seinen Hotelbetrieb. Tagsüber gehe er einer anderen Tätigkeit nach. Er habe an den vermutlichen Steuerschuldner, einen serbischen Staatsbürger, ein Zimmer vermietet und ihm auf seine Bitte eine kurzzeitige Unterstellmöglichkeit für seine Waren zur Verfügung gestellt. Dies habe er getan, weil dieser ihm aus einem finanziellen Engpass geholfen habe. Den Kellerraum nutze er - der Kläger - nicht täglich. Zwar habe er beim Betreten des Kellerraums gesehen, was der Serbe dort untergestellt habe, und ihm seien Bedenken gekommen. Er habe jedoch Angst vor dieser Person gehabt und darauf gehofft, dass er die Ware entfernen würde. Verfügungsgewalt über die Zigaretten habe er keine gehabt.

7

Die Telefonüberwachung habe keinen revisionssicheren Beweis dafür erbracht, dass er - der Antragsteller - den gesondert verfolgten A nach der Hausdurchsuchung angerufen habe. Er sei auch bei der vorangegangenen Observation nicht in Erscheinung getreten.

8

Mit Bescheid vom 10.11.2016 (RBL-1) lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer ab, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf der Grundlage der Feststellungen des Steuerstrafverfahrens, die sich der Antragsgegner zu eigen mache, nicht bestünden. Aufgrund der Menge, der verschiedenen Marken und der Auffindesituation der Zigaretten sei davon auszugehen, dass der Antragsteller sie zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten habe. Die hehlerische Handlung könne im Verschaffen, Absetzen oder der Absatzhilfe liegen. Hierzu gehöre auch das Zur-Verfügung-Stellen eines Zwischenlagers. Aufgrund der Gesamtumstände sei nicht feststellbar, ob der Antragsteller an der Einfuhr beteiligt gewesen sei bzw. auf welchem Transportweg die Zigaretten ins Steuergebiet gelangt seien. Gründe für eine Aussetzung der Vollziehung wegen einer unbilligen Härte seien nicht ersichtlich.

9

Mit Bescheid vom 10.11.2016 (RBL-2) lehnte der Antragsgegner gemäß Art. 45 UZK auch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer ab, weil begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf der Grundlage der Feststellungen des Steuerstrafverfahrens, die sich der Antragsgegner zu eigen mache, nicht bestünden. Weil er über die Schlüsselgewalt und die tatsächliche Sachherrschaft über den Inhalt des Kellerraums verfügt habe, sei er Besitzer der Zigaretten, die zuvor von Unbekannten in das EU-Zollgebiet verbracht worden seien. Als solcher sei er Steuerschuldner gemäß Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK. Anhaltspunkte für einen unersetzbaren Schaden im Falle der Vollziehung des Bescheids seien nicht ersichtlich.

10

Am 08.11.2016 hat der Antragsteller beim Finanzgericht E, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 08.12.2016 (...) an den erkennenden Senat verwiesen hat, die gerichtliche Aussetzung der beiden Bescheide beantragt. Er beruft sich auf seinen vorgerichtlichen Vortrag sowie den Vortrag vom 15.06.2016 gegenüber der Staatsanwaltschaft F im Verfahren .... In dem Wandsafe, der sich in dem Raum befinde, in dem die Zigaretten sichergestellt worden seien, bewahre er die an jedem Freitag vereinnahmten Übernachtungsentgelte auf. Die Menge der Zigaretten, für die Steuern gefordert würden, weiche von der Menge ab, die im Durchsuchungsprotokoll vermerkt sei.

11

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 14.09.2016 und des Steuerbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016 auszusetzen.

12

Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.

13

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag. Es treffe zu, dass die Anzahl der Zigaretten, die in den Bescheiden genannt seien, nicht identisch sei mit der im Sicherstellungsverzeichnis genannten Menge. In den Bescheiden habe man die Zigarettenmenge zugrunde gelegt, die ausweislich des Vermerks zum Mehr- bzw. Fehlmengen vom 01.03.2016 bei Einlieferung in der Nebenzollzahlstelle des HZA F festgestellt worden sei.

14

Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr.-1 und -2) sowie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft F vom 17.10.2016 (...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

II.

Der gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer hat in der Sache keinen Erfolg. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

16

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

17

1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 14.09.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet Derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Der Antragsteller hat überwiegend wahrscheinlich jedenfalls an einer Steuerhehlerei teilgenommen (dazu 1.1). Dass er im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Der Höhe nach ist der Bescheid nicht zu beanstanden (dazu 1.3). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.4).

18

1.1 Der Antragsteller hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.02.2016 sichergestellten Zigaretten jedenfalls eine Beihilfe zur Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO i. V. m. § 27 Abs. 1 StGB geleistet. Nach § 374 Abs. 1 AO wird als Steuerhehler bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern. Nach § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Diese Voraussetzungen sind voraussichtlich erfüllt.

19

Eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat liegt überwiegend wahrscheinlich vor. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuern hinterzogen worden sind. Der als Haupttäter gesondert verfolgte A hat sich diese Zigaretten mit Bereicherungsabsicht verschafft. Ansonsten hätte er sie nicht beim Antragsteller einlagern können. Es kann dahinstehen, ob der A zugleich auch an diesen Zigaretten eine Steuerhinterziehung begangen hat. In diesem Fall würde die Steuerhehlerei lediglich auf Konkurrenzebene als mitbestrafte Nachtat hinter der Steuerhinterziehung zurücktreten (Beckemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 225. EL Nov. 2013, § 374 AO Rn. 71). Als rechtswidrige Haupttat, zu der Beihilfe geleistet werden kann, bliebe sie bestehen.

20

Zu dieser Haupttat hat der Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Beihilfe geleistet. Der Senat geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Eine derartige Handlung kann zwar keine Tathandlung im Sinne von § 374 AO sein, kommt jedoch als Beihilfehandlung in Betracht (Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 51. EL Nov. 2014, § 374 AO Rn. 51, 73 m. w. N.). Eine physische Beihilfe liegt bei jeder Bewirkungshandlung vor, die der Verwirklichung der Haupttat dient (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 27 Rn. 10). Der Senat hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller dem mutmaßlichen Haupttäter A den Kellerraum leih- oder mietweise überlassen hat. Dies hat der Antragsteller selbst eingeräumt. Er habe sich hierzu überreden lassen, weil er dem A Geld schulde. Durch das Zurverfügungstellen eines auf den ersten Blick unverdächtigen Verstecks hat der Antragsteller die Steuerhehlerei des A unterstützt.

21

Der Senat hält es auch für überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller Vorsatz im Hinblick auf die Haupttat sowie seine Beihilfehandlung hatte. Während der Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft F mit Schreiben vom 15.06.2016 (S. 4) noch angab, keine Kenntnis vom Inhalt der Kartons und der Müllsäcke, die der A in seinem Hotel eingelagert hatte, zu haben, räumt er in der Einspruchsbegründung vom 28.09.2016 (S. 2) ein, dass er beim Betreten des Kellerraums mitbekommen habe, was der serbische Gast dort abgestellt habe. Damit gibt er zu, Kenntnis von den unversteuerten und unverzollten Zigaretten erhalten zu haben. In Anbetracht der Menge der Zigaretten und ihres Lagerorts muss bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass er somit wusste, dass der A mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten Handel trieb und er durch das Bereitstellen eines Lagers diese Tätigkeit unterstützte.

22

Da es für das Erfüllen des Tatbestands von § 71 AO ausreicht, dass der Antragsteller den Kellerraum in Kenntnis vom Inhalt der Ware zur Verfügung gestellt hat, kann dahinstehen, ob es der Antragsteller war, der den A über die Durchsuchung in seinem Hotel telefonisch informierte, und unter welchen Umständen er dem gesondert verfolgten B beim Abtransport der Kartons geholfen hat.

23

1.2 Der Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass er jedenfalls für Tabaksteuer in Höhe von 135,78 €, die auf 800 Zigaretten "M-1" mit tschechischen Steuerbanderolen (126,05 €) und 60 Zigaretten "M-2" mit polnischen Steuerbanderolen (9,73 €) entfallen, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldner ist.

24

1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf diese Zigaretten Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

25

1.2.1.1 § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist vorliegend anwendbar, weil die Tabak-steuer gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG durch Verbringen der Ware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat und dem erstmaligen Inbesitzhalten zu gewerblichen Zwecken entstanden ist. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass jedenfalls die 60 Zigaretten "M-2" mit polnischen Steuerbanderolen und die 800 Zigaretten "M-1" mit tschechischen Steuerbanderolen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen bzw. Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Anders ist nämlich nicht zu erklären, dass diese Zigaretten die Steuerbanderolen dieser Länder tragen.

26

1.2.1.2 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller Besitzer bzw. Empfänger im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist.

27

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.

28

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG an (siehe bereits FG Hamburg, Beschl. v. 18.11.2016, 4 V 142/16, EFG 2017, 182 = juris Rn. 23), weil zwischen dem Wortlaut dieser Norm und § 19 S. 2 TabStG 1993 keine wesentlichen Unterschiede bestehen (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111).

29

Ein Besitzer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG war auch der Antragsteller. Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft, die von einem Besitzwillen getragen ist (BFH, Urt. v. 20.01.1998, VII R 57/97, juris, Rn. 12; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 14 m. w. N.). Ausreichend ist der Mitbesitz (BFH, Urt. v. 06.10.1988, VII R 20/98, juris Rn. 16; FG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2003, 4 K 1963/02, juris Rn. 52; FG Bremen, Urt. v. 29.02.2016, 4 K 51/14, juris Rn. 38). Dieser setzt voraus, dass mehrere Personen eine bewegliche Sache in der Weise besitzen, dass jeder die ganze Sache besitzt und dabei durch den gleichen Besitz der anderen beschränkt ist (Palandt/Bassenge, 74. Aufl. 2015, § 866 BGB, Rn. 1). Zwar ist typischerweise der Hotelinhaber bei vermieteten Hotelzimmern nur mittelbare Besitzer (Zeising, ZMR 2009, 578, 580 [re. Sp.]). Vorliegend liegt jedoch eine atypische Situation vor. Der Antragsteller hat dem A nämlich kein Hotelzimmer vermietet, sondern einen Lagerraum lediglich zur Mitbenutzung überlassen. Nach seinem eigenen Vortrag hatte der A noch nicht einmal einen eigenen Schlüssel bei sich, sondern dieser wurde in einer Schublade im Hotel gelagert. Ferner hatte der Antragsteller einen Schlüssel zu diesem Lagerraum an seinem Schlüsselbund. Er benötigte auch unabhängig von dem A Zugang zu dem Raum, weil er dort Gegenstände gelagert hatte, die er zumindest wöchentlich benötigte. Außerdem befand sich dort ein Wandsafe, in dem er seine Einnahmen verwahrte. In einer solchen Situation, in der offen ein Schlüssel zurückgehalten und der Raum lediglich zur gleichberechtigten Mitbenutzung überlassenen wird, haben beide Zugangsberechtigte Mitbesitz an den dort lagernden Gegenständen (Zeising, ZMR 2009, 578, 580 [li. Sp.] unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 10.01.1979, VIII ZR 302/77, NJW 1979, 715 = juris Rn. 11).

30

1.2.2 Der Umstand, dass der Antragsteller im Hinblick auf die genannten 860 Zigaretten auch Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen. § 71 AO enthält nämlich kein negatives Tatbestandsmerkmal, nachdem der In Haftung Genommene kein Steuerschuldner sein darf. Der Senat hat hierzu im Beschluss vom 18.11.2016 (4 V 142/16, EFG 2017, 182, 183) ausgeführt:

31

"Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13).

32

Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

33

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

34

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO.

35

Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt.

36

Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO).

37

Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276).

38

In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.).

39

Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14).

40

Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei.

41

Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

42

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist.

43

Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt.

44

Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben."

45

An dieser Auffassung hält der Senat weiterhin fest.

46

1.3 Die Höhe der festgesetzten Tabaksteuer ist nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, warum die Mengenangaben der einzelnen Zigarettensorten im Haftungsbescheid von denen im Sicherstellungsverzeichnis abweichen. Sie stimmen vielmehr mit denen überein, die beim Nachzählen der sichergestellten Zigaretten bei der Nebenzollzahlstelle des HZA F festgestellt wurden. Der Antragsteller ist dieser nachvollziehbaren Begründung nicht weiter entgegengetreten.

47

Für die Berechnung der Höhe der Tabaksteuer wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Anlage zum Haftungsbescheid (Bl. 23 der Akte) verwiesen.

48

1.4 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.

49

2. Dafür, dass dem Antragsteller durch die Vollziehung des Bescheids eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte droht, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

50

III.

Der gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids über Einfuhrumsatzsteuer hat in der Sache keinen Erfolg.

51

Die materiellen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrumsatzsteuerbescheids, auf den gemäß § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG die Vorschriften für Zölle sinngemäß gelten, folgen auch im finanzgerichtlichen Verfahren aus Art. 45 UZK (hinsichtlich der Festsetzung von Zoll bereits FG Hamburg, Beschl. v. 12.04.2017, 4 V 16/17, S. 8 BA). Nach Art. 45 Abs. 2 UZK setzen die Zollbehörden die Vollziehung einer Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt ist, ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Zwar benennt die Vorschrift als Adressaten lediglich die Zollbehörden. Sie ist jedoch auch von den Gerichten als materieller Entscheidungsmaßstab anzuwenden. Aufgrund der Verweisung in § 69 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 FGO auf § 69 Abs. 2 S. 2 ff. FGO beschränken sich die gerichtlichen Befugnisse nämlich auf dasjenige, was die Zollbehörden selbst anordnen können. Werden die Befugnisse der Zollbehörden nach §§ 361 Abs. 2 AO, 69 Abs. 2 FGO durch unionsrechtliche Regelungen überlagert, muss dies auch für das gerichtliche Verfahren gelten (st. Rspr. des BFH zu Art. 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK), vgl. Urt. v. 19.04.2011, VII B 234/10, BFH/NV 2011, 1202; zu Art. 45 UZK vgl. Schoenfeld in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 8. EL Sept. 2016, Art. 45 UZK Rn. 34).

52

Art. 45 UZK ist zeitlich anwendbar. Verfahrensrechtliche Vorschriften, zu denen auch Art. 45 UZK gehört, sind nämlich auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts anhängigen Rechtsstreitigkeiten anzuwenden (EuG, Urt. v. 10.05.2001, verb. Rs. T-186, 187, 190-192, 210, 211, 216-218, 279, 280, 293/97 und T-147/99, Rn. 35; EuG, Urt. v. 09.06.1998, T-10, 11/97, Rn. 18 f. [bestätigt durch EuGH, Urt. v. 09.12.1999, C-299/98]). Damit ist nach dem 01.05.2016 über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 45 UZK zu entscheiden, auch wenn bei Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer am 16.02.2016 - dem Tag der Sicherstellung - der UZK noch nicht in Kraft war (so bereits zur Anwendbarkeit von Art. 244 ZK: BFH, Beschl. v. 11.07.2000, VII B 41/00, BFH/NV 2000, 1512 = juris Rn. 9; s. a. FG Hamburg, Beschl. v. 12.04.2017, 4 V 16/17, S. 8 BA).

53

1. Gemessen an diesem Maßstab bestehen keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016.

54

1.1 Ermächtigungsgrundlage für die Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuer ist § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i. V. m. Art. 202 Abs. 1 S. 1 Buchst. a), 214 Abs. 2 und 215 Abs. 1 ZK. Nach § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Art. 202 ZK ist zeitlich anwendbar, weil es sich - genau wie bei Art. 79 UZK - um eine materiellrechtliche Vorschrift handelt. Derartige Normen sind grundsätzlich nur auf Sachverhalte anzuwenden, die sich während ihrer Gültigkeit zugetragen haben (EuGH, Urt. v. 12.11.1981 verb. Rs. 212-217/80, Rn. 9 f. - Salumi). Bei Entstehung der Steuer am 16.02.2016 galt noch der Zollkodex. Da die Art. 214 und 215 ZK den Art. 202 ZK ergänzen, teilen sie hinsichtlich der Anwendbarkeit dessen Schicksal.

55

1.2 Die Einfuhrumsatzsteuer ist gemäß Art. 202, 214 Abs. 2, 215 Abs. 1 ZK am 16.02.2016 in der Bundesrepublik Deutschland entstanden.

56

Nach Art. 202 Abs. 1 S. 1 Buchst. a) ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das EU-Zollgebiet verbracht wird. Vorschriftswidrig ist jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38-41 ZK (Art. 202 Abs. 1 S. 2 ZK); Zu diesen Verpflichtungen gehört insbesondere die Gestellungspflicht (Art. 40 ZK). Die sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften ergibt, dass die Einfuhrumsatzsteuer mit der vorschriftswidrigen Verbringung ins Steuergebiet entsteht.

57

Da die sichergestellten Zigaretten überwiegend ukrainische Steuerbanderolen trugen, müssen sie sich vor der Sicherstellung außerhalb der Europäischen Union befunden haben und von dort ins Steuergebiet verbracht worden sein, ohne dass die Ware gestellt worden wäre. Dabei ist es für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer unerheblich, ob sie direkt aus einem Drittland oder über das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats ins deutsche Steuergebiet gelangt sind. Durch den illegalen Transport durch einen anderen EU-Mitgliedstaat wären die Zigaretten nämlich nicht zu Waren des freien Verkehrs geworden.

58

Auch die insgesamt 22.860 Zigaretten ohne Steuerbanderolen wurden überwiegend wahrscheinlich nicht innerhalb der EU hergestellt. Bei den 10.600 Stück Zigaretten der Marke "M-3" weist der Markenname auf die weißrussische Herkunft. Vor diesem Hintergrund hält der Senat es auch für überwiegend wahrscheinlich dass die übrigen 12.260 Zigaretten der Marken "M-4", "M-5" und "M-6" ohne Steuerbanderole nicht in der Europäischen Union hergestellt worden, zumal "M-5" im Internet unter http://... (aufgerufen am 07.06.2017) als "Made in Belarus" angeboten werden.

59

Da der Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld nicht ermittelbar ist, ist der Zeitpunkt der Sicherstellung - hier der 16.02.2016 - für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage maßgeblich (Art. 214 Abs. 2 ZK).

60

Entstanden ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld - mangels Bestimmbarkeit des Ortes der Zollschuldentstehung nach Art. 215 Abs. 1, 1. Anstrich ZK - an dem Ort, an dem die Zollbehörden feststellen, dass eine Zollschuld entstanden ist (Art. 215 Abs. 1, 2. Anstrich ZK). Dies ist hier das vom Antragsteller betriebene Hotel.

61

1.3 Der Antragsteller ist Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer. Schuldner sind gemäß Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war.

62

Wie oben (II.1.2.1.2) dargestellt, war der Antragsteller bei Sicherstellung Mitbesitzer der Zigaretten. Er hätte außerdem zumindest vernünftigerweise wissen müssen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbracht worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass ein Großteil des Kaufpreises für legal gehandelte Zigaretten auf die hierauf im Steuergebiet erhobenen Abgaben entfallen. Der Antragsteller hatte auch Kenntnis davon, dass die Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen trugen. Selbst wenn er sie sich bei seinen Besuchen in dem Kellerraum nicht näher angeschaut haben sollte, muss ihm klar gewesen sein, dass die Lagerung von ca. 1.300 Stangen Zigaretten dort nur dann Sinn ergibt, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten handelt.

63

1.4 Die Einfuhrumsatzsteuer ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Für die Bemessungsgrundlage wird zunächst auf den Zollwert zurückgegriffen (§ 11 Abs. 1 UStG). Hier hat der Antragsgegner einen Stückpreis von 3,50 ct gemäß Art. 31 Abs. 1 ZK zu Grunde gelegt. Hinzuzurechnen sind gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG die bei Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer entstandenen Zölle und Verbrauchsteuern, soweit Letztere unbedingt entstanden sind. Zu Recht hat der Antragsgegner für die Zwecke der Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer die mit Bescheid vom 14.09.2016 festgesetzte Tabaksteuer um die Tabaksteuer ermäßigt, die auf die 860 Zigaretten mit polnischen oder tschechischen Steuerzeichen entfallen, da für diese Zigaretten keine Einfuhrumsatzsteuer geltend gemacht wird. Für die Einzelheiten wird auf die insoweit zutreffende Berechnung im Bescheid verwiesen.

64

2. Dafür, dass dem Antragsteller durch die Vollziehung des Bescheids ein unersetzbarer Schaden droht, ist nichts vorgetragen oder aus der Akte ersichtlich.

65

IV.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsteller zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

66

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Tabaksteuer wegen des Besitzes von unverzollten und im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland (Steuergebiet) unversteuerten Zigaretten.

2

Im Rahmen einer in anderer Sache am 28.05.2010 durchgeführten polizeilichen Durchsuchung des Hauses, das der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Sohn bewohnt, wurden ausweislich des Durchsuchungsprotokolls nebst Bildanlage insgesamt 8.520 Stück (39 Stangen à 200 Zigaretten und 36 Schachteln à 20 Zigaretten) unverzollte und im Steuergebiet unversteuerte Zigaretten mit ukrainischen Steuerbanderolen (im Folgenden: Zigaretten) aufgefunden. Im Einzelnen befanden sich im Bettkasten des Schlafzimmers 39 Stangen (18 Stangen der Marke "A" und 21 Stangen der Marke "B") sowie in der Küche 36 Schachteln der Marke "A".

3

Zunächst wurde der Kläger mit Steuer- und Zinsbescheid vom 31.01.2011 (XXX-1) zur Zahlung von Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer nebst Zinsen in Höhe insgesamt 1.928,53 € herangezogen. Nachdem der Beklagte diesen Bescheid aufgehoben hatte, setzte er neben einem gesonderten Steuer- und Zinsbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer vom 23.02.2011, der Gegenstand des Verfahrens 4 K 109/15 ist, mit einem Steuer- und Zinsbescheid vom selben Tag (XXX-2) Tabaksteuer nebst Zinsen in Höhe von 1.249,26 € fest. Für die 4.320 Zigaretten der Marke "A" wurde eine Mindeststeuer von 14,02 ct/Stk. (605,66 €) und für die 4.200 Zigaretten der Marke "B" eine Mindeststeuer von 13.81 ct/Stk. (592,60 €), also insgesamt 1.198,26 €, festgesetzt. Hinzu kämen Zinsen in Höhe von 51,- €. Der Kläger sei Steuerschuldner, weil er im Steuergebiet die tatsächliche Sachherrschaft über die Zigaretten und damit den Besitz erlangt habe.

4

Mit Schreiben vom 17.03.2011 legte der Kläger Einspruch gegen den Steuer- und Zinsbescheid über Tabaksteuer vom 23.02.2011 ein, den er wie folgt begründete: Er habe nicht gewusst, dass sich in seinem Haus unverzollte und unversteuerte Tabakwaren befunden hätten. Er könne auch keine Angaben dazu machen, wie diese Waren in seinen Haushalt gelangt seien. Es sei möglich, dass seine Ehefrau, die selbst starke Raucherin sei, die Tabakwaren von Dritten erhalten habe, wobei nicht unterstellt werden könne, dass ihr hätte bekannt sein müssen, dass es sich um unverzollte und unversteuerte Zigaretten gehandelt habe. Genauso könne sein Sohn die Zigaretten in seinem Wohnhaus deponiert haben. Auch weitere Familienangehörige und Freunde der Familie würden im Haus ein- und ausgehen.

5

§ 23 Abs. 1 S. 2 TabStG verlange, dass die Ware zu gewerblichen Zwecken im Besitz gehalten werde. Wer Tabakwaren ausschließlich zum Eigenbedarf besitze, sei kein Steuerschuldner. Auch wenn die gefundene Menge über die übliche, für den Eigenbedarf angeschaffte Menge hinausgehe, sei zu berücksichtigen, dass es sich bei ihm sowie seiner Familie und seinen Freunden um dem Nikotin verfallene Süchtige handele.

6

Als mittelloser Empfänger von Leistungen nach dem SGB II würde er - der Kläger - nicht danach fragen, wo die Zigaretten herkämen, die ihm angeboten würden. Er bestreite, überhaupt in der Lage zu sein, den Unterschied zwischen einer deutschen und einer ukrainischen Steuerbanderole zu erkennen. Er - der Kläger - stehe auch nicht seiner Ehefrau bei der Hausarbeit zur Verfügung. Er gehe vielmehr seinen Hobbys nach. Er habe daher auch nicht durch Zufall von den Tabakwaren, die sich verborgen im Schlafzimmer und in der Küche befunden hätten, Kenntnis erhalten.

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 25.07.2012 (XXX-3) - zugestellt am 31.07.2012 - wies der Beklagte den Einspruch zurück. Die Zigaretten seien auf bislang unbekanntem Weg aus einem Drittland in die EU geschmuggelt und anschließend zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden. Da dies unversteuert erfolgt sei, sei die Tabaksteuer nach § 23 TabStG entstanden. Nach hiesigen Erfahrungen sei es sicher, dass die Zigaretten mit der Absicht des Weiterverkaufs ins Steuergebiet verbracht worden seien. Der Kläger sei als Besitzer Tabaksteuerschuldner gemäß § 23 S. 2 TabStG geworden. Die unversteuerten Zigaretten hätten sich bis zu ihrer Sicherstellung in seiner Wohnung und damit in seinem Herrschaftsbereich befunden, so dass er zumindest einen generellen Besitzwillen an ihnen gehabt habe. Eine Beteiligung an der Verbringung sei nicht nötig. Nicht erforderlich sei, dass der Besitz auch zu gewerblichen Zwecken erfolgt sei. Fundort und Menge der vorgefundenen Zigaretten schlössen es aus, dass die Zigaretten ohne Wissen des Klägers in seiner Wohnung platziert worden seien. Seine Ehefrau könne nicht Alleinbesitzerin der Zigaretten gewesen sein, da die Zigaretten im direkten räumlichen Zusammenhang zu anderen persönlichen Gegenständen, die ihm zuzuordnen seien, insbesondere Armbrust, Rohrbombe und Revolver, gefunden worden seien. Es sei eine Schutzbehauptung, dass er nicht in der Lage sei, ukrainische von deutschen Steuerzeichen zu unterscheiden.

8

Der Kläger sei auch Zinsschuldner, weil hinterzogene Steuern nach § 235 AO vom Eintritt der Steuerverkürzung an zu verzinsen seien.

9

Am 30.08.2012 hat der Kläger Klage erhoben. Er verweist auf seinen vorgerichtlichen Vortrag. Es sei vorrangig zu klären, ob ihm die Zigaretten überhaupt zugeordnet werden könnten.

10

Der Kläger beantragt,
den Steuer- und Zinsbescheid über Tabaksteuer (XXX-2) vom 23.02.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 25.07.2012 (XXX-3) aufzuheben.

11

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

12

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.11.2014 (VII R 44/11), wegen dessen das Verfahren zum Ruhen gebracht worden sei, sei unmittelbar nicht anwendbar, da es sich auf § 19 TabStG in der bis zum 31.03.2010 geltenden Fassung beziehe. Allerdings bestärke die Entscheidung die hiesige Auffassung, dass auch im neuen Tabaksteuergesetz grundsätzlich jeder Besitzer von unversteuerter Tabakware Tabaksteuerschuldner sei. Es gebe auch keine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), da sich das Urteil des BFH lediglich auf die tabaksteuerrechtlichen, nicht jedoch auf die strafrechtlichen Folgen des Zigarettenschmuggels beziehe.

13

Es sei hinreichend belegt, dass die Zigaretten auf dem Landweg über die östlichen EU-Mitgliedstaaten ins Steuergebiet verbracht worden seien. Daher sei der Kläger Steuerschuldner gemäß § 23 TabStG. Ein solcher Transportweg entspreche nicht nur hiesigen Erfahrungen in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle. Er sei auch in der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 09.06.2011,1 StR 21/11, juris, Rn. 6) als übliche Route des Zigarettenschmuggels anerkannt. Ein Transport auf dem See- oder Luftweg sei entweder zu teuer oder wegen des außerordentlich hohen Entdeckungsrisikos unwahrscheinlich. Daher sei "mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit" bewiesen, dass die Zigaretten über einen anderen EU-Mitgliedstaat eingeführt worden seien.

14

Der Kläger sei auch Steuerschuldner im Sinne von § 21 TabStG. Zwar erfasse der Wortlaut dieser Vorschrift den Besitz nicht ausdrücklich. Nach der EU-Verbrauchsteuersystemrichtlinie und der Rechtsprechung des BFH müsse jedoch jeder Besitzer Steuerschuldner sein. § 21 TabStG sei daher entsprechend auszulegen.

15

Bei der Entscheidung haben eine Steuerstrafakte des Beklagten (...), ein Auszug aus der Akte der Staatsanwaltschaft C ..., die Strafakte der Staatsanwaltschaft Magdeburg C ... sowie zwei Einspruchshefte vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

I. Die zulässige Anfechtungsklage gegen den Steuer- und Zinsbescheid über Tabaksteuer vom 23.02.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.07.2012 (XXX-3) ist begründet. Der Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger - da er Adressat dieses belastenden Verwaltungsaktes ist - in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

17

Die Erhebung der Tabaksteuer richtet sich nach dem Tabaksteuergesetz in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15.07.2009 (BGBl. I 2009, 1870; im Folgenden: TabStG), da dieses Gesetz am 01.04.2010 in Kraft getreten ist (Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes) und die Tabakwaren, um die es hier geht, danach - nämlich am 28.05.2010 - sichergestellt wurden. Bei Anwendung dieser Vorschriften ist die Tabaksteuer zwar entstanden (dazu 1.). Der Kläger ist jedoch nicht Steuerschuldner (dazu 2.). Eine Umdeutung des Steuer- und Zinsbescheides in einen Haftungsbescheid ist nicht möglich (dazu 3.). Folglich können auch keine Zinsen geltend gemacht werden (dazu 4.).

18

1. Die geltend gemachte Tabaksteuer ist entweder nach § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG (Verbringung) oder nach § 21 Abs. 1 TabStG (Einfuhr) entstanden.

19

Nach § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren entgegen § 17 Abs. 1 TabStG - d. h. ohne deutsche Steuerzeichen - aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt werden und erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden. Der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr steht gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. d) der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. EU L 9/12; im Folgenden: Systemrichtlinie) die Einfuhr, d. h. der Eingang verbrauchsteuerpflichtiger Waren ins Unionsgebiet außerhalb eines zollrechtlichen Nichterhebungsverfahrens (Art. 4 Nr. 8 Systemrichtlinie), gleich.

20

Nach § 21 Abs. 1 S. 1 TabStG entsteht die Steuer zum Zeitpunkt der Überführung der Tabakwaren in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr, es sei denn, die Tabakwaren werden unmittelbar am Ort der Einfuhr in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt. Einfuhr ist der Eingang von Tabakwaren aus Drittländern oder Drittgebieten in das Steuergebiet, es sei denn, die Tabakwaren befinden sich beim Eingang in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG).

21

Die Voraussetzungen einer der beiden Steuerentstehungstatbestände liegen vor. Die Zigaretten wurden entweder verbracht oder eingeführt (dazu 1.1). Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der alternativ in Betracht kommenden § 23 Abs. 1 S. 1 (dazu 1.2) und § 21 Abs. 1 S. 1 TabStG (dazu 1.3) sind jeweils erfüllt.

22

1.1 Auch wenn der genaue Reiseweg der Tabakwaren (dazu siehe unten 2.2) nicht nachweisbar ist, so steht fest, dass die beim Kläger sichergestellten Zigaretten entweder direkt (Einfuhr) oder über einen anderen EU-Mitgliedstaat (Verbringung) ins Steuergebiet transportiert wurden. Dies ergibt sich daraus, dass sie ukrainische Steuerbanderolen tragen und sich daher vor dem Transport in das Steuergebiet in der Ukraine befunden haben müssen.

23

1.2 Falls die Zigaretten über einen anderen EU-Mitgliedstaat ins Steuergebiet gelangt sein sollten, wäre die Tabaksteuer gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG entstanden. Dass die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens in das Steuergebiet verbracht wurden, ergibt sich daraus, dass der Kläger diese Zigaretten, da er sie nicht selbst dorthin transportiert hat, angekauft haben muss. Sie müssen daher zu gewerblichen Zwecken angeboten worden sein.

24

1.3 Falls die Zigaretten unmittelbar aus einem Drittland oder -gebiet, also über den Luft- oder Seeweg, in das Steuergebiet gelangt sein sollten, wäre die Steuer gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 TabStG entstanden. Sie entsteht dann mit der physischen Ankunft der Ware im Steuergebiet (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 TabStG). Dafür, dass die Ware sich beim Eingang in das Steuergebiet in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befunden hat, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

25

2.Der Kläger ist jedoch nicht Steuerschuldner. Für die Steuerschuldnerschaft stellen § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG und § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG unterschiedliche Voraussetzungen auf. Der Kläger wäre nur dann Steuerschuldner, wenn er alternativ die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllte (vgl. in diesem Sinne bereits FG Hamburg, Urteil vom 15.07.2014, 4 K 183/13, juris; Beschluss vom 09.01.2015, 4 V 138/14, n. v.). Dies ist nicht der Fall. Er erfüllt nicht die in § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG genannten Anforderungen an die Person des Steuerschuldners (dazu 2.1). Nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG kann er nicht Steuerschuldner sein, weil die Verbringung der Zigaretten nicht nachgewiesen ist (dazu 2.2). Seine Steuerschuldnerschaft lässt sich auch nicht auf andere Weise begründen: Der die Einfuhr erfassende § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG kann nicht analog auf den Besitzer von Tabakwaren angewandt werden (dazu 2.3). Genauso wenig ist der auf in die Union verbrachte Tabakwaren anwendbare § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG einer analogen Anwendung auf die Einfuhr von Tabakwaren zugänglich (dazu 2.4).

26

2.1 Der Kläger ist nicht Steuerschuldner gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG. Dabei kann offenbleiben, ob die Norm anwendbar ist, d. h. die Ware eingeführt wurde. Der Kläger erfüllt nämlich nicht die dort genannten Anforderungen an die Person des Steuerschuldners. Steuerschuldner sind danach nur die Person, die nach den Zollvorschriften verpflichtet ist, die Tabakwaren anzumelden oder in deren Namen die Tabakwaren angemeldet werden (Nr. 1), sowie jede andere Person, die an einer unrechtmäßigen Einfuhr beteiligt ist (Nr. 2). Der Kläger hat die Tabakwaren nicht zur Einfuhr angemeldet. Es ist auch keine Einfuhr bekannt, die in seinem Namen erfolgt wäre. Genauso wenig ist ersichtlich, dass er an der unrechtmäßigen Einfuhr der Waren beteiligt war. Die Zigaretten wurden vielmehr zufällig in dem westlich von C gelegenen Wohnort des Klägers gefunden. Wie genau sie dorthin gelangt sind, ist unbekannt.

27

2.2 Der Kläger ist auch nicht Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG. Danach ist Steuerschuldner, wer die Lieferung vornimmt oder die Tabakwaren in Besitz hält und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger Besitzer oder Empfänger im Sinne dieser Vorschrift ist. Der Beklagte, der insoweit beweisbelastet ist (FG Hamburg, Urt. v. 15.07.2014, 4 K 183/13, juris, Rn. 14), hat nicht nachgewiesen, dass § 23 TabStG auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.

28

Wie sich aus der systematischen Stellung der Norm im Abschnitt 4 des Tabaksteuergesetzes, der sich mit der Beförderung und Besteuerung von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten befasst und auf den Abschnitt 3 folgt, der die Einfuhr aus Drittländern regelt, ergibt, ist sie nur anwendbar auf Tabakwaren, die über einen anderen Mitgliedstaat ins Steuergebiet gelangt sind, d. h. ins Steuergebiet verbracht wurden. Nach § 96 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es muss also grundsätzlich davon überzeugt sein, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt wahr ist (Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 127. EL, Oktober 2011, § 96 FGO, Rn. 64). Überzeugt ist das Gericht, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Seer, a.a.O., Rn. 66 m. w. N., auch mit Bezug auf das vom Beklagten angeführte Anastasia-Urteil [BGHZ 53, 245, 256]).

29

An diesem Maßstab gemessen, ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die beim Kläger sichergestellten Zigaretten ins Steuergebiet verbracht wurden. Hierfür mag eine gewisse Lebenswahrscheinlichkeit sprechen. Gleichwohl ist es, wenn auch weniger wahrscheinlich, so doch nicht unmöglich, dass die Tabakwaren auf dem Luft- oder Seeweg direkt ins Steuergebiet importiert wurden (so bereits FG Hamburg, Urt. v. 15.07.2014, 4 K 183/13, juris, Rn. 15 f.; siehe auch Beschl. v. 09.01.2015 V 138/14, S. 10 f. BA; Beschl. v. 20.02.2015, 4 V 192/14, S. 13 f.). Eine Stellungnahme der EU-Kommission bestätigt die vielfältigen Transportwege, auf denen geschmuggelte Zigaretten ins Zollgebiet der Union gelangen (Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Verstärkung der Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und anderer Formen des illegalen Handels mit Tabakerzeugnissen - Eine umfassende EU-Strategie, COM/2013/0324 final v. 06.06.2013, S. 9):

30

"Die Vorgehensweisen der Schmuggler sind sehr verschieden. Waren kommen in Schiffscontainern, in straßentauglichen Fahrzeugen (Lastwagen, Kleinbusse, Pkw), in kleinen Schiffen über das Meer oder über Flüsse, per Eisenbahn oder als Luftfracht oder per Post an."

31

Dass die beim Kläger beschlagnahmten Zigaretten ukrainische Steuermarken tragen, ist ebenfalls kein Beleg dafür, dass sie auf dem Landweg - also über einen anderen EU-Mitgliedstaat - aus der Ukraine ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar wurden an den EU-Ostgrenzen in 2014 mehr als 14,6 Mio. Zigaretten sichergestellt (FRONTEX, Eastern European Borders Annual Risk Analysis 2015, S. 25). Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass ein Lufttransport zu teuer wäre, ist es jedoch keine nur theoretische Möglichkeit, dass die Zigaretten aus der Ukraine über die russischen Ostseehäfen D oder E, sei es mit einer LKW-Fähre oder einem Feeder-Schiff, direkt ins Steuergebiet transportiert wurden. Von diesen Häfen aus gibt es regelmäßige Fährverbindungen nach ..., ... oder ... (...). Daneben können alle deutschen Seehäfen aus Russland von Feeder-Schiffen angesteuert werden. So betreiben beispielsweise die Reedereien ... und ... regelmäßige Containerdienste zwischen D, ... und ... sowie zwischen E und ... (...). Ein solcher Reiseweg ließe sich zwanglos dadurch erklären, dass die Personen, die in der Ukraine mit den sichergestellten Zigaretten gehandelt haben, Kontakte nach Russland pflegen. Das vom Beklagten angeführte hohe Entdeckungsrisiko bei der im Vergleich zu Landgrenzen intensiveren Überwachung in Häfen hält Schmuggler nicht von der illegalen Verbringung über Seehäfen ab. Wie eine Auswertung der Beschlagnahmeorte ergibt, wurde in der EU die weit überwiegende Anzahl von Zigaretten (ca. 1,8 Mrd.) in Seehäfen sichergestellt (siehe die Mitteilung der Kommission, a. a. O., S. 10 [Abb. 2]).

32

Weitere Anhaltspunkte für den konkreten Reiseweg der sichergestellten Zigaretten sind nicht ersichtlich. Es ist nicht aufklärbar, von wem der Kläger die Zigaretten bezogen hat. Es sind keine Kontakte des Klägers nach Polen oder Tschechien bekannt. Sein Heimatort in F liegt auch nicht in der Nähe zur Grenze zu einem dieser EU-Mitgliedstaaten.

33

Für eine Reduzierung des Beweismaßes gibt es keinen Grund. Der Kläger hat keine Beweise vereitelt. Er hat sich lediglich nicht zur Herkunft der Zigaretten geäußert. Zwar kann sich eine Reduzierung des Beweismaßes auch aus der Verletzung von steuerlichen Mitwirkungspflichten ableiten (siehe BFH, Urt. v. 15.02.1989, X R 16/86, juris, Rn. 14; Seer, a. a. O., Rn. 71 m. w. N.). Der Steuerpflichtige ist grundsätzlich gehalten, seine steuerlichen Erklärungspflichten zu erfüllen, ohne Rücksicht darauf, ob er hierdurch eigene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten aufdeckt (BVerfG, Beschl. v. 13.05.2009, 2 BvL 19/08 juris, Rn. 77). Auf der Grundlage des unstreitigen und erwiesenen Sachverhalts bestehen jedoch keine Erklärungspflichten des Klägers. Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung in § 23 Abs. 1 S. 3 TabStG setzt - genau wie die Steuerschuldnerschaft nach Satz 2 dieser Vorschrift - voraus, dass die Tabakwaren verbracht wurden. Die Verletzung der Erklärungspflicht kann daher nicht zur Erleichterung des Beweises für eine Tatsache herangezogen werden, die ihrerseits Voraussetzung für das Bestehen dieser Pflicht ist. Auch das Bestehen einer Erklärungspflicht nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TabStG ist nicht erwiesen, da es keine Anhaltspunkte für das Mitwirken des Klägers an der Einfuhr der Zigaretten gibt (siehe oben 2.1).

34

Aus § 162 AO i. V. m. § 96 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO ergibt sich ebenfalls keine Reduzierung des Beweismaßes. Die hier zu beweisende Tatsache - die Verbringung der Zigaretten - ist keine Bemessungsgrundlage (§ 3 TabStG), so dass § 162 AO nicht anwendbar ist.

35

Es ist auch kein strukturelles Beweisproblem der Zollverwaltung erkennbar, das ein Absehen vom Vollbeweis oder eine Darlegungslast des in Anspruch Genommenen rechtfertigen könnte (zum sachtypischen Beweisnotstand Seer, a. a. O., Rn. 74 m. w. N.). Zum einen gibt es durchaus Fälle, in denen die Umstände des Einzelfalles Hinweise auf den Transportweg der Zigaretten liefern. Zum anderen hat die Zollverwaltung die Möglichkeit, einen Haftungsbescheid zu erlassen, um so die Steuer geltend zu machen; von dieser Möglichkeit macht der Beklagte nunmehr auch in anderen Fällen Gebrauch.

36

Auch der vom Beklagten ins Feld geführte Beschluss des BGH vom 09.06.2011 (1 StR 21/11, juris, Rn. 5 f.) führt zu keiner anderen Einschätzung. Der Senat versteht die Ausführungen des BGH dahin gehend, dass sie sich ausgehend von dem Begriff der Einfuhrabgaben in § 374 Abs. 1 AO und dem danach in strafrechtlicher Hinsicht vorauszusetzenden Einfuhrvorgang mit der Frage der regelmäßig anzunehmenden Einfuhr von Zigaretten bestimmter nichteuropäischer Marken in das EU-Zollgebiet in Abgrenzung zur Herstellung derartiger Zigaretten innerhalb der EU, nicht jedoch mit der Abgrenzung zwischen Einfuhr und Verbringung auseinandersetzen.

37

Sollte der BGH (Rn. 6 des Beschlusses) indes der Auffassung sein, dass allein der Umstand, dass es sich um Zigaretten der Marke "Jin Ling" handele, darauf schließen lasse, dass diese ins Steuergebiet verbracht - und gerade nicht eingeführt - worden sein müssten, würde der Senat dieser Auffassung nicht beitreten. Zwar werden Zigaretten der Marke "Jin Ling" nur in Russland und Moldawien hergestellt und nicht legal in der Union gehandelt (https://de.wikipedia.org/ wiki/Jin_Ling). Der Ort der Herstellung in Russland bzw. Moldawien oder - wie im vorliegenden Fall - die ukrainische Herkunft der Steuerbanderolen lassen- wie oben dargelegt - für sich betrachtet nicht auf einen bestimmten Reiseweg schließen.

38

Auch das dem Beschluss des BGH zugrundeliegende Urteil des LG Bochum vom 15.01.2010 (6 KLs 6 Js 93/08 - 18/09, abrufbar unter www.justiz.nrw.de) veranlasst den Senat nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Nach Meinung des LG Bochum sei es "allgemein bekannt" sowie auch von einem Zeugen dargelegt, dass illegale Zigaretten in der Regel aus Ländern der früheren Sowjetunion über Osteuropa ins Bundesgebiet gebracht würden (Rn. 129 des Urteils). In dieser Pauschalität vermag sich der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen dieser Einschätzung indes nicht anzuschließen. Die Aussage des LG Bochum ist auch deshalb nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil diesem Urteil ein in wesentlichen Punkten anderer Sachverhalt zugrunde lag. Der Angeklagte in jenem Verfahren war nämlich ein Deutsch-Pole, der nach den Feststellungen des Urteils Kontakte zu Personen in Polen hatte, die in großem Umfang mit illegalen Zigaretten handelten (Rn. 29 des Urteils). Bei dieser Sachlage mag es durchaus naheliegen, von einer Verbringung über Polen auszugehen.

39

2.3 Die Steuerschuldnerschaft des Klägers kann nicht im Wege einer analogen Anwendung von § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG auf den Besitzer begründet werden. Der Senat hält eine analoge Anwendung zulasten des Steuerbürgers für unzulässig (dazu 2.3.1). Selbst wenn sie nicht von vornherein ausgeschlossen wäre, wären die Voraussetzungen einer Analogie nicht erfüllt (dazu 2.3.2).

40

2.3.1 Da die Anwendung von § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG auf den Besitzer von Tabakwaren die Grenzen der zulässigen Wortlautauslegung sprengen würde, könnte sie nur im Wege der Analogie erfolgen. Eine analoge Anwendung einer Norm zulasten des Steuerbürgers hält der Senat jedoch auch dann für unzulässig, wenn es um die praktische Durchsetzung einer EU-Richtlinie geht, die unvollständig in mitgliedstaatliches Recht umgesetzt worden ist (so auch: BFH, Urt. v. 15.02.2012,  XI R 24/09, juris, Rn. 19; EuGH-Vorlage v. 11.12.2013, XI R 38/12, juris, Rn. 81 [Die richtlinienkonforme Auslegung zulasten des Steuerbürgers finde im Wortlaut ihre Grenze]; daran anschließend FG Kassel, Urt. v. 07.04.2014, 6 K 430/10, juris, Rn. 46; siehe auch Urt. v. 08.10.1991,V R 95/89, juris, Rn. 22; Urt. v. 19.05.1993, V R 110/88, juris, Rn. 32 [danach gehe das gegenüber einer EU-Richtlinie günstigere nationale Recht der Richtlinie vor]).

41

2.3.2 Selbst wenn eine analoge Anwendung von § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG nicht von vornherein ausgeschlossen wäre, läge keine analogiefähige Regelungslücke vor. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 21.02. 2013, V R 27/11, juris, Rn. 29; Urt. v. 11.02.2010, V R 38/08, juris, Rn. 21) liegt eine Regelungslücke vor, wenn
"eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d. h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist ("rechtspolitische Fehler"), reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes."

42

Nach diesen Grundsätzen ist § 21 Abs. 2 TabStG zwar lückenhaft (dazu 2.3.2.1). Es handelt sich jedoch nicht um eine unbewusste Regelungslücke (dazu 2.3.2.2).

43

2.3.2.1 § 21 TabStG ist gemessen an seinem Zweck unvollständig. Der Zweck des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15.07.2009 ist die Umsetzung der Systemrichtlinie (BR-Drs. 169/09, S. 1). Mit § 21 TabStG "werden die Art. 3 Abs. 1 und 4, Art. 7 und 8 der neuen Systemrichtlinie für die Fälle der Einfuhr umgesetzt" (BR-Drs. 169/09, Seite 143; Hervorhebung durch den Senat). Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. b) der Systemrichtlinie stellt auch der Besitz verbrauchsteuerpflichtiger Waren, wenn keine Verbrauchsteuer erhoben wurde, eine Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr dar. Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b) der Systemrichtlinie ist bei einem Besitz im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b) der Systemrichtlinie "jede Person, die im Besitz der verbrauchsteuerpflichtigen Ware ist, oder jeder andere am Besitz dieser Waren beteiligte Person" Steuerschuldner. Dies verdeutlicht, dass jede Art von Besitz verbrauchsteuerpflichtiger Waren, für die keine Verbrauchsteuern erhoben wurden, zur Entstehung der Steuer führen und jeder Besitzer Steuerschuldner sein soll. Steuerschuldner müsste daher auch in dem Fall, in dem die verbrauchsteuerpflichtige Ware eingeführt wird, jeder Besitzer sein. Insoweit wurde die Systemrichtlinie unvollständig umgesetzt, da auch an anderer Stelle im Tabaksteuergesetz nicht an den unrechtmäßigen Besitz als steuerschuldnerschaftsbegründendes Merkmal angeknüpft wird.

44

2.3.2.2 Eine Ergänzung von § 21 TabStG dahin gehend, dass die Norm auch für den Besitzer gelten soll, widerspräche jedoch der vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände. Nach der Gesetzesbegründung hat sich der Gesetzgeber (BR-Drs. 169/09, S. 143) bewusst dafür entschieden, den in § 21 S. 1 TabStG 1992 in der Fassung von Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes vom 09.12.2006 (BGBl. I 2830) enthaltenen Verweis auf die Zollvorschriften, insbesondere hinsichtlich der Person des Steuerschuldners, aufzugeben. Nach dem seinerzeit in Bezug genommenen Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK ist insbesondere die Person Zollschuldner, die die Ware im Besitz gehabt hat, obwohl sie im Zeitpunkt des Erhalts der Ware hätte wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig Zollgebiet verbracht worden war. Damit hat sich der Gesetzgeber bei § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG bewusst gegen eine Steuerschuldnerschaft des Besitzers entschieden. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die verschiedenen Steuerschuldnertatbestände in Art. 8 der Systemrichtlinie übersehen hat. Er hat nämlich in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf diese Norm hingewiesen (BR-Drs. 169/09, S. 143). Würde das Gericht nunmehr im Wege einer analogen Anwendung den rein objektiven, an den bloßen Besitz anknüpfenden Steuerschuldnertatbestand in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b) Systemrichtlinie in § 21 Abs. 2 S. 1 TabStG hineinlesen, würde es den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers konterkarieren, eine an den Besitz anknüpfende Steuerschuldnerschaft - wie sie in Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK vorgesehen ist - abzuschaffen.

45

2.4 Die Steuerschuldnerschaft des Klägers kann auch nicht im Wege einer analogen Anwendung von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG, nach der der Besitzer Schuldner der Tabaksteuer ist, auf die Einfuhr begründet werden. Neben den grundsätzlichen Bedenken gegen eine Analogie zulasten des Steuerbürgers (siehe oben 2.3.1) dürfte schon keine Lücke vorliegen. Mit § 23 TabStG wird nämlich Art. 33 der Systemrichtlinie implementiert (DR-Drucksache 169/09, S. 144). Diese Norm befasst sich ausweislich ihrer Überschrift mit dem "Warenbesitz in einem anderen Mitgliedstaat" und wurde in § 23 TabStG vollständig umgesetzt.

46

Selbst wenn man die Lücke - wie oben (2.3.2.1) - darin sehen will, dass Art. 7 Abs. 2 b) und Art. 8 Abs. 1 b) der Systemrichtlinie unvollständig umgesetzt wurden, stünde der Analogie entgegen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung der Zweck von § 23 TabStG gerade darin bestand, Art. 33 der Systemrichtlinie - also nicht die Art. 7 und 8 der Systemrichtlinie - umzusetzen.

47

3. Eine Umdeutung des angefochtenen Steuerbescheids in einen Haftungsbescheid gemäß §§ 71, 191 Abs. 1 AO kommt nicht in Betracht. Steuer- und Haftungsbescheide stellen völlig unterschiedliche Maßnahmen dar, die gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen. Selbst wenn man eine solche Umdeutung annehmen wollte, wäre der Bescheid wegen Ermessensausfalls rechtswidrig, weil der Beklagte das ihm gemäß § 191 Abs. 1 AO eröffnete Ermessen nicht ausgeübt hätte (so schon: FG Hamburg, Urt. v. 15.07.2014, 4 K 183/13, juris, Rn. 18; daran anschließend: Beschl. v. 09.01.2015 V 138/14, S. 10 f. BA; Beschl. v. 20.02.2015, 4 V 192/14, S. 14 BA).

48

4. Der Kläger schuldet keine Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. Da seine Tabaksteuerschuldnerschaft nach den vorstehenden Ausführungen nicht nachgewiesen ist, sind die Tabaksteuern jedenfalls nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden, so dass er insoweit nicht Zinsschuldner nach § 235 Abs. 1 S. 2 AO ist.

II.

49

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 151 Abs. 3, 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

Tatbestand

I.

1

Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen.

2

Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den gesondert verfolgten A kam der Verdacht auf, die Antragstellerin habe von diesem unversteuerte Zigaretten angekauft, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnung, die sie mit ihrem Lebenspartner allein bewohnt, wurden am 16.12.2015 in einem Abstellraum drei Stangen (600 Stück) Zigaretten der Marke "B", eine Stange Zigaretten der Marke "C", jeweils ohne Steuerbanderole, sowie vier Stangen (800 Stück) Zigaretten der Marke "D" mit ukrainischer Banderole sichergestellt. Weitere 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung und englischem Warnhinweis wurden im Wohnzimmerschrank aufgefunden.

3

Mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer (Registrierkennzeichen: XXX-1) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner Tabaksteuer in Höhe von ... € im Hinblick auf die bei der Durchsuchung am 16.12.2015 sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten fest. Da an den sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen angebracht gewesen seien, sei die Tabaksteuer entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Diese Zigaretten habe die Antragstellerin mit Bereicherungsabsicht bei dem gesondert verfolgten F angekauft. Hierdurch habe sie die Steuerstraftat der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei begangen. Daher hafte sie für die von dem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer. Da der Tabaksteuerschuldner nicht zu ermitteln sei, werde sie als Haftungsschuldnerin in voller Höhe in Anspruch genommen. Eine Verschonung als Haftende komme wegen des hohen Verschuldensgrades nicht in Betracht. Hinsichtlich des Entschließungsvermessens liege eine Ermessensreduzierung auf null vor. Das Auswahlermessen werde gegen weitere Haftungsschuldner ausgeübt werden, sofern diese bekannt werden würden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage sei der 16.12.2015 als der Tag, an dem die Steuerschuld festgestellt worden sei. Davon ausgehend werde für die Zigaretten der Mindeststeuersatz in Höhe von ... Cent pro Stück bzw. ... Cent pro Stück berechnet.

4

Mit Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen (Registrierkennzeichen: XXX-2) vom 06.04.2016 setzte der Antragsgegner für die mit dem Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom selben Tag festgesetzten Betrag Hinterziehungszinsen in Höhe von ... € fest.

5

Mit Telefax vom 24.04.2016 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die beiden Bescheide ein und beantragte "Vollstreckungsaussetzung". Es sei nicht nachgewiesen, dass die Zigaretten unter Umgehung der Zollvorschriften nach Deutschland verbracht worden seien. Die Zigaretten seien legal erworben worden.

6

Mit Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer ab. Es bestünden bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 361 Abs. 2 AO an der Haftung der Antragstellerin. Sie hafte nach § 71 AO für die verkürzte Tabaksteuer in festgesetzter Höhe, weil sie eine Steuerhehlerei nach § 374 AO begangen habe, indem sie sich die im Einzelnen bezeichneten Zigaretten verschafft habe, hinsichtlich derer Steuern hinterzogen worden seien. Die Tabaksteuer sei zuvor durch das Verbringen der unversteuerten Zigaretten bzw. durch deren Einfuhr entstanden. Es stehe fest, dass sich die Antragstellerin die bei ihr aufgefundenen Zigaretten verschafft habe. Sie habe auch spontan eingeräumt, die Zigaretten von Herrn F erworben zu haben. Nach den Ergebnissen der Telefonüberwachung sei die Antragstellerin auch als Kundin des illegalen Zigarettenhändlers A identifiziert worden. Einwände, die ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides weckten, habe die Antragstellerin nicht vorgebracht.

7

Mit gleichlautendem Bescheid vom 11.05.2016 lehnte der Antragsgegner auch die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids zu den Hinterziehungszinsen ab.

8

Mit Telefax vom 07.06.2016 hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen beantragt. Ihr werde rechtswidrig unterstellt, dass sie eingeräumt habe, die Zigaretten bei Herrn F gekauft zu haben. Sie habe sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Tatsächlich stammten die Zigaretten aus mehrfachen Besuchen ihrer Familie in Polen. Mit Herrn F habe sie schon lange keinen Kontakt mehr.

9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 06.04.2016 und des Haftungsbescheids über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 auszusetzen.

10

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

11

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

12

Mit Urteil vom ... 2016 (.../...) hat das Amtsgericht G die Antragstellerin wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt; das Urteil ist nicht rechtskräftig.

13

Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr. ... und ...), die Ermittlungsakte des Zollfahndungsamtes H (StRL ...) sowie die Akte der Staatsanwaltschaft G (.../...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

14

Die gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.

15

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

16

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, siehe nur Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris, Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris, Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris, Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; siehe Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

17

1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Die Antragstellerin dürfte den Tatbestand des § 374 AO erfüllt haben (dazu 1.1). Dass sie im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.3).

18

1.1 Die Antragstellerin hat sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.12.2015 in ihrem Wohnhaus sichergestellten 4.860 unversteuerten Zigaretten der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1, Abs. 2 AO strafbar gemacht. Danach wird bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, gewerbsmäßig ankauft. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuer hinterzogen worden ist. Die Antragstellerin hat diese Zigaretten gewerbsmäßig angekauft. Dies hat das Amtsgericht G in seinem Urteil vom ... 2016 (.../...) festgestellt. Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils macht sich der Senat zu Eigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urt. v. 10.01.1978, VII R 106/74, BFHE 124, 305, juris Rn. 12; Urt. v. 26.04.1988, VII R 124/85, BFHE 153, 463, juris Rn. 13; Beschl. v. 25.02.1992, VII B 125/91, BFH/NV 1993, 4, juris Rn. 14; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 18; Beschl. v. 13.01.2005, VII B 261/04, BFH/NV 2005, 936, juris Rn. 8; Beschl. v. 29.01.2007, V B 160/06, V B 161V B 161/06, juris Rn. 10; Beschl. v. 02.07.2008, VII B 242/07, juris Rn. 8; Beschl. v. 30.07.2009, VIII B 214/07, juris Rn. 7; Beschl. vom 24.05.2013, VII B 155/12, juris Rn. 7; Beschl. v. 24.09.2013, XI B 75/12, juris Rn. 13) ist dies den Finanzgerichten erlaubt, wenn und soweit sie zu der Überzeugung gelangen, dass die strafgerichtlichen Feststellungen zutreffen, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt werden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können. Dies gilt auch für nicht rechtskräftige Urteile (Seer in Tipke/Kruse, 138. EL Okt. 2014, § 81 FGO Rn. 28 m. w. N.).

19

Nach Aktenlage ist der Senat davon überzeugt, dass das Urteil des AG G hinsichtlich des Ausspruchs, dass sich die Antragstellerin der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2, Abs. 1 AO) strafbar gemacht hat, zutreffend ist. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Auswertung der vorliegenden TÜ-Protokolle die Antragstellerin bei dem gesondert verfolgten A in sieben näher bezeichneten Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marken "C", "B", "D" und "E" bestellt und erhalten habe. Die Überprüfung des Mobiltelefons, das die Antragstellerin bei der Hausdurchsuchung bei sich geführt habe, habe ergeben, dass die dort gespeicherten Telefonnummern diejenigen der gesondert verfolgten A und F gewesen seien. Auch wenn dieses Telefon auf ihre Tochter J registriert sei, sei es ausschließlich von der Antragstellerin genutzt worden. Hinsichtlich des Falles Nr. 8 stehe aufgrund der Anzahl der aufgefundenen Zigaretten fest, dass die Antragstellerin gewerbsmäßig gehandelt habe. Diese lebensnahen Feststellungen hat das Amtsgericht unter Einbeziehung der aussagekräftigen TÜ-Protokolle und der Vernehmung der für die Telefonüberwachung und die Hausdurchsuchung zuständigen Ermittlungsbeamten getroffen. In Anbetracht der insgesamt zwischen dem 03.03.2015 und dem 11.05.2015 angekauften 46.400 Zigaretten ist die Behauptung der Antragstellerin, dass die bei ihr sichergestellten Zigaretten für den Eigenbedarf erworben worden seien, auch dann nicht glaubhaft, wenn man davon ausgeht, dass sie und ihr Lebenspartner starke Raucher sind.

20

Die Antragstellerin hat diese Feststellungen nicht substantiiert bestritten und auch keine Beweisanträge gestellt. Ihr Vortrag beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass sie die sichergestellten Zigaretten bei mehreren, im Einzelnen nicht näher bezeichneten Familienbesuchen in Polen erworben und im Rahmen der zulässigen Freimengen ins Steuergebiet verbracht habe. Dieser Vortrag ist schon nicht hinreichend substantiiert, weil im Einzelnen nicht dargelegt ist, wann, wo und durch wen welche Zigaretten in Polen erworben wurden. Gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags spricht darüber hinaus, dass es sich bei den 16 Stangen und drei Schachteln Zigaretten der Marke E nach Auskunft des Herstellers um Fälschungen handelt und Zigaretten derselben Marke und derselben Chargennummer bei dem Lieferanten der Antragstellerin, dem gesondert verfolgten A, gefunden wurden (Bl. ... der Strafakte).

21

1.2 Der Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftungsschuldnerin nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass sie im Hinblick auf die 16 Stangen und drei Schachteln (3.260 Stück) Zigaretten der Marke "E" mit Duty-Free-Kennzeichnung (im Folgenden: Duty-Free-Zigaretten), für die ... € Tabaksteuer angefallen sind, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldnerin ist.

22

1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten Steuerschuldnerin gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabakStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabakStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabakStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabakStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.

23

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG an, weil die Fassungen keine wesentlichen Unterschiede enthalten (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111, 111). Eine solche Besitzerin im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG war auch die Antragstellerin, weil die Zigaretten in ihrem Herrschaftsbereich aufgefunden wurden.

24

§ 23 Abs. 1 S. 2 TabakStG ist vorliegend auch anwendbar. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass die Duty-Free-Zigaretten aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen oder Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Zwar ergibt sich aus der im Senatsurteil vom 15.07.2015 (4 K 43/15, juris Rn. 29 f.) zitierten Studie, dass unverzollte und unversteuerte Zigaretten auf verschiedenen Wegen ins Bundesgebiet geschmuggelt werden. Vorliegend verdichten sich jedoch im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten die Indizien, die ihre Verbringung überwiegend wahrscheinlich machen. So wurden nach dem Vermerk des ZFA H bei dem mutmaßlichen Lieferanten der Antragstellerin, dem A, polnische Lieferanten von Schmuggelware beobachtet (Bl. ... der Strafakte). Für die Verbringung der (gefälschten) Duty-Free-Ware spricht auch die abgehörte Aussage des A in dem Telefonat mit der Antragstellerin vom 28.04.2015 (Bl. ... der Strafakte), nach dem Duty-Free-Ware "einzeln rüber geschafft" werde. Weiter führt der A aus: "Da ist einer, die sammeln für den und dann bringen die das Einzeln am Körper rüber. Der hat da 20 Mann laufen die jeden Tag über die Grenze machen und ihm stangenweise das Zeug bringen". Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft. Es ist auch nachvollziehbar, dass im Rahmen der Strukturen organisierter Kriminalität versucht wird, auf diesem Wege das Entdeckungsrisiko zu streuen. Wenn Personen einzelne Stangen am Körper über die Grenze tragen, kann es sich nur um eine Landgrenze der Bundesrepublik handeln, so dass die Zigaretten über die deutsch-polnische oder deutsch-tschechische Grenze verbracht worden sein müssen. Dass es sich nach Aussage des A in demselben Telefonat um Waren der "englische[n] Schiene" handele, steht hierzu nicht im Widerspruch. Damit nimmt er nämlich Bezug auf die englische Beschriftung der Ware. Im Übrigen hat die Herstellerfirma festgestellt, dass die Zigaretten mit Duty-Free-Kennzeichnung gefälscht wurden und daher in einem beliebigen anderen Land als Großbritannien hergestellt worden sein können.

25

1.2.2 Der Umstand, dass die Antragstellerin im Hinblick auf die Duty-Free-Zigaretten auch Steuerschuldnerin ist, steht ihrer Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

26

Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13). Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

27

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

28

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO. Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt. Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO). Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276). In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.). Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14). Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei. Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

29

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist. Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt. Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben.

30

1.3 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.

31

2. Gemessen an den oben genannten Maßstäben ist auch der Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 06.04.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 S. 2 AO). Nach dem oben Dargelegten hat die Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die hier geltend gemachten Tabaksteuern hinterzogen. Diese Hinterziehung erfolgte auch zu ihrem Vorteil, weil sie die Zigaretten nur deshalb gewinnbringend weiter verkaufen konnte, weil weder ihr Lieferant noch sie Tabaksteuer abgeführt haben. Die Zinsen wurden der Höhe nach gemäß § 238 Abs. 1, Abs. 2 AO zutreffend berechnet.

32

3. Die Vollziehung hätte für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Hierzu ist weder etwas vorgetragen noch sonst aus der Akte ersichtlich.

III.

33

Die Kosten des Verfahrens fallen der Antragstellerin zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

34

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

Tatbestand

1

I.

Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer sowie eines Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer.

2

Im Zuge von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen die gesondert verfolgten A und B wurden am 16.02.2016 aufgrund richterlicher Anordnung die Kellerräume des vom Antragsteller betriebenen Hotels "C" in der X-Straße in ... D durchsucht. Hierbei wurden in einem Kellerraum insgesamt 275.560 Stück Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aufgefunden und sichergestellt. Davon trugen 22.860 Zigaretten keine, 800 Zigaretten tschechische und 60 Zigaretten polnische Steuerzeichen. Die übrigen Zigaretten trugen ukrainische Steuerzeichen.

3

Im Hinblick auf diese Zigaretten setzte der Antragsgegner mit Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 14.09.2016 (XXX) Tabaksteuer in Höhe von 43.019,87 € fest. Da sie keine deutschen Steuerzeichen trügen, sei die Tabaksteuer nicht entrichtet. Die Tabaksteuer sei entweder durch Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch den erstmals zu gewerblichen Zwecken gehaltenen Besitz entstanden. Schuldner der Steuer sei der unbekannte Dritte, der den Steuerentstehungstatbestand verwirklicht habe. Der Antragsteller habe durch den Schlüssel, den er bei der Durchsuchung bei sich getragen habe, Zugang zu dem Kellerraum gehabt, in dem die Zigaretten aufgefunden worden seien. Außerdem seien dort Gegenstände, die für einen Hotelbetrieb nötig seien, sowie weitere geschäftliche und persönliche Unterlagen des Antragstellers gelagert gewesen. Der Antragsteller habe daher die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten. Außerdem habe er hierdurch Steuerhehlerei begangen oder an einer solchen Tat teilgenommen, so dass er für die von einem unbekannten Steuerschuldner hinterzogene Tabaksteuer hafte. Sofern weitere Steuer- oder Haftungsschuldner bekannt würden, werde der Antragsgegner das Auswahlermessen auch gegenüber diesen Personen ausüben.

4

Für 274.700 Zigaretten - die sichergestellte Menge abzüglich der 860 Zigaretten mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen - setzte der Antragsgegner auf derselben tatsächlichen Grundlage mit Abgabenbescheid über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016 (YYY) Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 11.026,94 € fest. Der Antragsteller sei - neben der Person, die die Waren ins Steuergebiet verbracht habe - gemäß § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich Zollkodex Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, weil er die Zigaretten erworben oder im Besitz gehabt habe, obwohl er zumindest hätte wissen müssen, dass sie vorschriftswidrig verbracht worden seien. Fremdbesitz reiche insoweit aus.

5

Mit zwei im Übrigen gleichlautenden Schreiben vom 28.09.2016 legte der Antragsteller Einspruch gegen die Bescheide ein und beantragte jeweils die Aussetzung der Vollziehung. Er habe den Tatbestand des § 374 Abs. 1 AO nicht verwirklicht, weil er weder Einführer noch Verbringer oder Lieferant der Zigaretten sei. Er habe die Zigaretten nicht zum Weiterverkauf erworben oder zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten.

6

Er sei Inhaber eines Hotels, das unter der Woche hauptsächlich von Monteuren besucht werde. Erst ab 18:00 Uhr kümmere er sich um seinen Hotelbetrieb. Tagsüber gehe er einer anderen Tätigkeit nach. Er habe an den vermutlichen Steuerschuldner, einen serbischen Staatsbürger, ein Zimmer vermietet und ihm auf seine Bitte eine kurzzeitige Unterstellmöglichkeit für seine Waren zur Verfügung gestellt. Dies habe er getan, weil dieser ihm aus einem finanziellen Engpass geholfen habe. Den Kellerraum nutze er - der Kläger - nicht täglich. Zwar habe er beim Betreten des Kellerraums gesehen, was der Serbe dort untergestellt habe, und ihm seien Bedenken gekommen. Er habe jedoch Angst vor dieser Person gehabt und darauf gehofft, dass er die Ware entfernen würde. Verfügungsgewalt über die Zigaretten habe er keine gehabt.

7

Die Telefonüberwachung habe keinen revisionssicheren Beweis dafür erbracht, dass er - der Antragsteller - den gesondert verfolgten A nach der Hausdurchsuchung angerufen habe. Er sei auch bei der vorangegangenen Observation nicht in Erscheinung getreten.

8

Mit Bescheid vom 10.11.2016 (RBL-1) lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer ab, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf der Grundlage der Feststellungen des Steuerstrafverfahrens, die sich der Antragsgegner zu eigen mache, nicht bestünden. Aufgrund der Menge, der verschiedenen Marken und der Auffindesituation der Zigaretten sei davon auszugehen, dass der Antragsteller sie zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten habe. Die hehlerische Handlung könne im Verschaffen, Absetzen oder der Absatzhilfe liegen. Hierzu gehöre auch das Zur-Verfügung-Stellen eines Zwischenlagers. Aufgrund der Gesamtumstände sei nicht feststellbar, ob der Antragsteller an der Einfuhr beteiligt gewesen sei bzw. auf welchem Transportweg die Zigaretten ins Steuergebiet gelangt seien. Gründe für eine Aussetzung der Vollziehung wegen einer unbilligen Härte seien nicht ersichtlich.

9

Mit Bescheid vom 10.11.2016 (RBL-2) lehnte der Antragsgegner gemäß Art. 45 UZK auch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer ab, weil begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids auf der Grundlage der Feststellungen des Steuerstrafverfahrens, die sich der Antragsgegner zu eigen mache, nicht bestünden. Weil er über die Schlüsselgewalt und die tatsächliche Sachherrschaft über den Inhalt des Kellerraums verfügt habe, sei er Besitzer der Zigaretten, die zuvor von Unbekannten in das EU-Zollgebiet verbracht worden seien. Als solcher sei er Steuerschuldner gemäß Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK. Anhaltspunkte für einen unersetzbaren Schaden im Falle der Vollziehung des Bescheids seien nicht ersichtlich.

10

Am 08.11.2016 hat der Antragsteller beim Finanzgericht E, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 08.12.2016 (...) an den erkennenden Senat verwiesen hat, die gerichtliche Aussetzung der beiden Bescheide beantragt. Er beruft sich auf seinen vorgerichtlichen Vortrag sowie den Vortrag vom 15.06.2016 gegenüber der Staatsanwaltschaft F im Verfahren .... In dem Wandsafe, der sich in dem Raum befinde, in dem die Zigaretten sichergestellt worden seien, bewahre er die an jedem Freitag vereinnahmten Übernachtungsentgelte auf. Die Menge der Zigaretten, für die Steuern gefordert würden, weiche von der Menge ab, die im Durchsuchungsprotokoll vermerkt sei.

11

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 14.09.2016 und des Steuerbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016 auszusetzen.

12

Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.

13

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag. Es treffe zu, dass die Anzahl der Zigaretten, die in den Bescheiden genannt seien, nicht identisch sei mit der im Sicherstellungsverzeichnis genannten Menge. In den Bescheiden habe man die Zigarettenmenge zugrunde gelegt, die ausweislich des Vermerks zum Mehr- bzw. Fehlmengen vom 01.03.2016 bei Einlieferung in der Nebenzollzahlstelle des HZA F festgestellt worden sei.

14

Bei der Entscheidung haben die Einspruchshefte des Antragsgegners (RBL-Nr.-1 und -2) sowie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft F vom 17.10.2016 (...) vorgelegen. Auf sie wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

II.

Der gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer hat in der Sache keinen Erfolg. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Nach § 69 Abs. 2 S. 2 FGO soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

16

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

17

1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 14.09.2016 voraussichtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen von § 71 AO sind voraussichtlich erfüllt. Danach haftet Derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen (§ 235 AO). Der Antragsteller hat überwiegend wahrscheinlich jedenfalls an einer Steuerhehlerei teilgenommen (dazu 1.1). Dass er im Hinblick auf manche der Zigaretten, für die Tabaksteuer geltend gemacht wird, auch voraussichtlich Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaftungnahme nicht entgegen (dazu 1.2). Der Höhe nach ist der Bescheid nicht zu beanstanden (dazu 1.3). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.4).

18

1.1 Der Antragsteller hat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die am 16.02.2016 sichergestellten Zigaretten jedenfalls eine Beihilfe zur Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO i. V. m. § 27 Abs. 1 StGB geleistet. Nach § 374 Abs. 1 AO wird als Steuerhehler bestraft, wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern. Nach § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Diese Voraussetzungen sind voraussichtlich erfüllt.

19

Eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat liegt überwiegend wahrscheinlich vor. Da die sichergestellten Zigaretten keine deutschen Steuerbanderolen trugen, steht fest, dass diesbezüglich Tabaksteuern hinterzogen worden sind. Der als Haupttäter gesondert verfolgte A hat sich diese Zigaretten mit Bereicherungsabsicht verschafft. Ansonsten hätte er sie nicht beim Antragsteller einlagern können. Es kann dahinstehen, ob der A zugleich auch an diesen Zigaretten eine Steuerhinterziehung begangen hat. In diesem Fall würde die Steuerhehlerei lediglich auf Konkurrenzebene als mitbestrafte Nachtat hinter der Steuerhinterziehung zurücktreten (Beckemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 225. EL Nov. 2013, § 374 AO Rn. 71). Als rechtswidrige Haupttat, zu der Beihilfe geleistet werden kann, bliebe sie bestehen.

20

Zu dieser Haupttat hat der Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Beihilfe geleistet. Der Senat geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Antragsteller jedenfalls Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Eine derartige Handlung kann zwar keine Tathandlung im Sinne von § 374 AO sein, kommt jedoch als Beihilfehandlung in Betracht (Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 51. EL Nov. 2014, § 374 AO Rn. 51, 73 m. w. N.). Eine physische Beihilfe liegt bei jeder Bewirkungshandlung vor, die der Verwirklichung der Haupttat dient (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 27 Rn. 10). Der Senat hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller dem mutmaßlichen Haupttäter A den Kellerraum leih- oder mietweise überlassen hat. Dies hat der Antragsteller selbst eingeräumt. Er habe sich hierzu überreden lassen, weil er dem A Geld schulde. Durch das Zurverfügungstellen eines auf den ersten Blick unverdächtigen Verstecks hat der Antragsteller die Steuerhehlerei des A unterstützt.

21

Der Senat hält es auch für überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller Vorsatz im Hinblick auf die Haupttat sowie seine Beihilfehandlung hatte. Während der Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft F mit Schreiben vom 15.06.2016 (S. 4) noch angab, keine Kenntnis vom Inhalt der Kartons und der Müllsäcke, die der A in seinem Hotel eingelagert hatte, zu haben, räumt er in der Einspruchsbegründung vom 28.09.2016 (S. 2) ein, dass er beim Betreten des Kellerraums mitbekommen habe, was der serbische Gast dort abgestellt habe. Damit gibt er zu, Kenntnis von den unversteuerten und unverzollten Zigaretten erhalten zu haben. In Anbetracht der Menge der Zigaretten und ihres Lagerorts muss bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass er somit wusste, dass der A mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten Handel trieb und er durch das Bereitstellen eines Lagers diese Tätigkeit unterstützte.

22

Da es für das Erfüllen des Tatbestands von § 71 AO ausreicht, dass der Antragsteller den Kellerraum in Kenntnis vom Inhalt der Ware zur Verfügung gestellt hat, kann dahinstehen, ob es der Antragsteller war, der den A über die Durchsuchung in seinem Hotel telefonisch informierte, und unter welchen Umständen er dem gesondert verfolgten B beim Abtransport der Kartons geholfen hat.

23

1.2 Der Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner nach § 71 AO steht nicht entgegen, dass er jedenfalls für Tabaksteuer in Höhe von 135,78 €, die auf 800 Zigaretten "M-1" mit tschechischen Steuerbanderolen (126,05 €) und 60 Zigaretten "M-2" mit polnischen Steuerbanderolen (9,73 €) entfallen, zugleich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Steuerschuldner ist.

24

1.2.1 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller - neben den unbekannt gebliebenen Personen, die die Ware verbracht oder eingeführt haben - im Hinblick auf diese Zigaretten Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist. Danach ist - anders als bei der Einfuhr über einen Drittstaat, bei dem gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TabStG nur derjenige die Steuer schuldet, der an der Einfuhr beteiligt ist - im Falle der Verbringung der Schmuggelware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat Steuerschuldner auch derjenige, der die Tabakwaren in Besitz hält, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

25

1.2.1.1 § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist vorliegend anwendbar, weil die Tabak-steuer gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG durch Verbringen der Ware aus einem anderen EU-Mitgliedstaat und dem erstmaligen Inbesitzhalten zu gewerblichen Zwecken entstanden ist. Der Senat hält es nach Aktenlage nämlich für überwiegend wahrscheinlich, dass jedenfalls die 60 Zigaretten "M-2" mit polnischen Steuerbanderolen und die 800 Zigaretten "M-1" mit tschechischen Steuerbanderolen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, nämlich Polen bzw. Tschechien, ins Steuergebiet verbracht wurden. Anders ist nämlich nicht zu erklären, dass diese Zigaretten die Steuerbanderolen dieser Länder tragen.

26

1.2.1.2 Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller Besitzer bzw. Empfänger im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG ist.

27

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.11.2014 (VII R 44/11, ZfZ 2015, 108) zu § 19 S. 2 TabStG 1993 - der Vorgängervorschrift von § 23 Abs. 1 TabStG - entschieden, dass Empfänger der Tabakwaren auch derjenige sein kann, der sie vom eigentlichen Verbringer oder Versender übernimmt (Rn. 13 des Urteils). Zwar sei der Wortlaut von § 19 S. 2 TabStG 1993 insoweit mehrdeutig. Er müsse jedoch im Lichte von Art. 7 und 9 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass Empfänger auch diejenige Person sein könne, die nach dem eigentlichen Verbringungsvorgang Besitz an den Waren erlange.

28

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat für § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG an (siehe bereits FG Hamburg, Beschl. v. 18.11.2016, 4 V 142/16, EFG 2017, 182 = juris Rn. 23), weil zwischen dem Wortlaut dieser Norm und § 19 S. 2 TabStG 1993 keine wesentlichen Unterschiede bestehen (BR-Drs. 169/09 v. 20.02.2009, S. 144: "[§ 23] Absatz 1 entspricht im Wesentlichen der bisherigen Regelung"; so auch Weidemann, ZfZ 2015, 111).

29

Ein Besitzer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG war auch der Antragsteller. Besitz ist die tatsächliche Sachherrschaft, die von einem Besitzwillen getragen ist (BFH, Urt. v. 20.01.1998, VII R 57/97, juris, Rn. 12; Urt. v. 02.12.2003, VII R 17/03, juris Rn. 14 m. w. N.). Ausreichend ist der Mitbesitz (BFH, Urt. v. 06.10.1988, VII R 20/98, juris Rn. 16; FG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2003, 4 K 1963/02, juris Rn. 52; FG Bremen, Urt. v. 29.02.2016, 4 K 51/14, juris Rn. 38). Dieser setzt voraus, dass mehrere Personen eine bewegliche Sache in der Weise besitzen, dass jeder die ganze Sache besitzt und dabei durch den gleichen Besitz der anderen beschränkt ist (Palandt/Bassenge, 74. Aufl. 2015, § 866 BGB, Rn. 1). Zwar ist typischerweise der Hotelinhaber bei vermieteten Hotelzimmern nur mittelbare Besitzer (Zeising, ZMR 2009, 578, 580 [re. Sp.]). Vorliegend liegt jedoch eine atypische Situation vor. Der Antragsteller hat dem A nämlich kein Hotelzimmer vermietet, sondern einen Lagerraum lediglich zur Mitbenutzung überlassen. Nach seinem eigenen Vortrag hatte der A noch nicht einmal einen eigenen Schlüssel bei sich, sondern dieser wurde in einer Schublade im Hotel gelagert. Ferner hatte der Antragsteller einen Schlüssel zu diesem Lagerraum an seinem Schlüsselbund. Er benötigte auch unabhängig von dem A Zugang zu dem Raum, weil er dort Gegenstände gelagert hatte, die er zumindest wöchentlich benötigte. Außerdem befand sich dort ein Wandsafe, in dem er seine Einnahmen verwahrte. In einer solchen Situation, in der offen ein Schlüssel zurückgehalten und der Raum lediglich zur gleichberechtigten Mitbenutzung überlassenen wird, haben beide Zugangsberechtigte Mitbesitz an den dort lagernden Gegenständen (Zeising, ZMR 2009, 578, 580 [li. Sp.] unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 10.01.1979, VIII ZR 302/77, NJW 1979, 715 = juris Rn. 11).

30

1.2.2 Der Umstand, dass der Antragsteller im Hinblick auf die genannten 860 Zigaretten auch Steuerschuldner ist, steht seiner Inhaftungnahme nach § 71 AO nicht entgegen. § 71 AO enthält nämlich kein negatives Tatbestandsmerkmal, nachdem der In Haftung Genommene kein Steuerschuldner sein darf. Der Senat hat hierzu im Beschluss vom 18.11.2016 (4 V 142/16, EFG 2017, 182, 183) ausgeführt:

31

"Zwar bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs "haften" im Sinne der Abgabenordnung das Einstehen für eine fremde Schuld. Daher sei es ausgeschlossen, dass jemand für eine eigene Schuld hafte (BFH, Urt. v. 12.05.1970, VII R 34/68, BStBl II 1970, 606, BFHE 99, 178, 180 = juris Rn. 10, zu § 111 RAO; Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, BFHE 120, 329, 332 f. = juris Rn. 13 f., zu § 111 RAO; Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, BFHE 149, 505, 506 = juris Rn. 6; Urt. v. 14.12.1988, VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549, 550 = juris Rn. 10; BFH, Beschl. v. 11.07.2001, VII R 29/99, HFR 2002, 277, juris Rn. 11; im Anschluss hieran BFH, Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, BFHE 212, 398, 404 = juris Rn. 27; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.11.1951, II z 148/51 U, BFHE 56, 39, 42 = juris Rn. 11, zu § 111 AO). Zur Begründung der Exklusivität von Schuld und Haftung in der Abgabenordnung wird neben dem Postulat einer begrifflichen Unvereinbarkeit von Schuld und Haftung (BFH, Urt. v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris Rn. 6; Urt. v. 07.03.2006, X R 8/05, juris Rn. 27) darauf abgestellt, dass in § 97 Abs. 2 RAO die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, die nach § 97 Abs. 1 RAO nur die Steuerschuldner waren, nur sinngemäß auf die Haftenden für anwendbar erklärt wurden und nach § 149 RAO ein Haftungsbescheid grundsätzlich nicht mehr ergehen durfte, wenn die Steuerschuld verjährt war. Hierin komme nicht nur zum Ausdruck, dass primär der Steuerschuldner herangezogen werden solle und dass die Haftung nur eine Hilfsfunktion ausübe, sondern auch, dass nur derjenige haften könne, der nicht selbst Steuerschuldner sei (BFH, Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13).

32

Die überwiegende Literatur hat sich dieser Ansicht auch im Hinblick auf § 71 AO angeschlossen (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 233. EL Juni 2015, § 71 AO Rn. 4; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, 124. EL, § 71 AO, Rn. 7; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7 vor § 69 AO Rn. 11; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, 142. EL Okt. 2015, § 33 AO Rn. 5; Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 46 f.; a. A. Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 1990, S. 9, 96 m. w. N.). Für § 71 AO würde das Dogma der Exklusivität von Schuld und Haftung bedeuten, dass die Vorschrift um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal (so ausdrücklich Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) "und der Haftende kein Steuerschuldner ist" ergänzt werden müsse.

33

Der Senat teilt diese Auffassung im Hinblick auf § 71 AO nicht. Die vom Bundesfinanzhof erstmals zu § 111 Abs. 1 RAO entwickelte Begründung für die Exklusivität von Schuld und Haftung ist unter der Geltung der heutigen Abgabenordnung nicht auf § 71 AO übertragbar. § 71 AO ist folglich nicht um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen. Weder begriffliche noch gesetzessystematische oder historische Argumente machen eine derartige Ergänzung des Wortlauts erforderlich. Die Genese von § 71 AO sowie ihrer Vorgängervorschriften sprechen vielmehr eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf dieses zusätzliche Merkmal verzichtet hat. Im Einzelnen:

34

Zunächst ist es begrifflich keineswegs zwingend, dass sich Schuld und Haftung gegenseitig ausschließen. Die Wörter "Schuld" und "Haftung" allein legen dies gerade nicht nahe. Begrifflich schließen sie sich nur dann aus, wenn Schuld und Haftung als exklusive Rechtsinstitute definiert werden. Ebenso gut lässt sich Haftung auch als Eigenhaftung definieren (so ausdrücklich Mösbauer, a. a. O., S. 9 und S. 96; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, 1978, S. 17). Die Abgabenordnung definiert den ihr zugrundeliegenden Haftungsbegriff nicht. § 191 Abs. 1 AO bestimmt lediglich den Begriff "Haftungsschuldner" als diejenige Person, die "kraft Gesetzes für eine Steuer haftet". Die Vorschrift verweist damit auf den Inhalt der Haftungstatbestände (§§ 69-76 AO), ohne diese inhaltlich näher zu konkretisieren. Im Übrigen verwendet die Abgabenordnung die Begriffe Schuld und Haftung nicht konsistent. Neben der genannten Legaldefinition des Haftungsschuldners als Haftender i. S. d. §§ 69 ff. AO spricht § 45 Abs. 2 S. 1 AO von der "Haftung" der Erben, meint aber deren bürgerlich-rechtliche Schuld. § 45 Abs. 2 S. 2 AO wiederum verweist mit den Vorschriften über eine "steuerrechtliche Haftung der Erben" wiederum auf die §§ 69 ff. AO.

35

Darüber hinaus ist das vom Bundesfinanzhof zur Begründung für sein Postulat angeführte Verhältnis zwischen Steuerschuld und Haftung, das in § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO zum Ausdruck kam (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13), mittlerweile dogmatisch umgestaltet worden. In § 33 Abs. 1 AO werden Steuerschuldner und Haftende gleichberechtigt und -verpflichtet als Steuerpflichtige benannt. Sie werden damit abgabenrechtlich gleichgestellt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, vor § 69 AO Rn. 12; Olgemöller, Haftung für Zollschulden, ZfZ 2006, 74, 77 m. w. N.) und konsequenterweise in § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt.

36

Selbst wenn mit dem Bundesfinanzhof (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 13) die Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung gegenüber der Steuerschuldnerschaft (§§ 191 Abs. 5 S. 1, § 219 S. 1 AO) Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte Exklusivität von Schuld und Haftung wären, könnten sie - anders als bei § 111 RAO, auf den sich das genannte Urteil des Bundesfinanzhofs bezog - für die hier in Rede stehende Haftung nach § 71 AO nicht fruchtbar gemacht werden. Die Haftung des Steuerhehlers ist nämlich weder akzessorisch (§ 191 Abs. 5 S. 2 AO) noch subsidiär (§ 219 S. 2 AO).

37

Weiter belegt die Entwicklung der Wortlaute der Vorgängervorschriften von § 71 AO, dass der Abgabenordnung für den hier in Rede stehenden Bereich der Steuerhaftung des deliktisch Handelnden nicht die ungeschriebene Vorstellung zugrunde lag, dass eine Person nicht auch für eine eigene Schuld haften könne. Im Einzelnen: Unmittelbarer Vorläufer von § 71 AO war der im Jahre 1929 in die RAO 1919 eingefügte § 92a AO (Art. VII Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes v. 22.12.1929, RGBl. 1929 I 234, 238), der unverändert als § 112 in die Reichsabgabenordnung 1931 RAO (RGBl. 1931 I 161, 177) übernommen wurde. Die Vorschrift enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung die Voraussetzung, dass der Steuerhinterzieher oder Steuerhehler nur haftet, "soweit er nicht Steuerschuldner ist". Sie geht auf die Studie von Goetzeler (Die Steuerhinterziehung als Rechtsgrundlage für die steuerliche Pflicht des Hinterziehers, VJSchrStuFR 1928, 197) zurück, der die Steuerdeliktsobligation nicht als Steuerschuld-, sondern als Haftungstatbestand begriff (a. a. O., insbes. S. 241 ff., 259 ff.). Zweck der Vorschrift war es, den Steuerhinterzieher, der nicht bereits Steuerschuldner ist, neben dem Steuerschuldner in Anspruch nehmen zu können (Reinhardt, Haftung bei Steuerhinterziehung (§ 112 AO), DStZ 1936, 597, 597). Die Vorschrift des § 112 RAO ging also nach ihrem klaren Wortlaut von einer Exklusivität von Schuld und Haftung aus. Konsequenterweise verlangte der Reichsfinanzhof, dass für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs aus § 112 RAO grundsätzlich die Feststellung erforderlich sei, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei (Urt. v. 25.01.1933, IV A 70/32, RFHE 32, 276).

38

In Reaktion auf dieses Urteil wurde § 112 RAO jedoch im Jahre 1934 dahingehend geändert, dass der in Anspruch Genommene haftet, "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" (Abschnitt II Nr. 10 des Steueranpassungsgesetzes v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 925, 932). Der Gesetzgeber wollte die Finanzbehörden hierdurch von der Notwendigkeit entbinden, die Feststellung treffen zu müssen, dass der in Haftung Genommene nicht Steuerschuldner ist. Dieser Arbeitsaufwand sei fachlich nicht gerechtfertigt, weil es für den in Anspruch Genommenen unerheblich sei, ob er als Steuerschuldner oder Haftender verpflichtet werde (Reinhardt, a. a. O., 598). Für die Inhaftungnahme einer Person war es nach dieser Gesetzesänderung damit unschädlich, dass sie auch Steuerschuldnerin war. Die hierin zum Ausdruck kommende Koexistenz von Schuld und Haftung bei der Heranziehung des Steuerhinterziehers entsprach der seit 1931 vertretenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Reichsgerichts zu einer Vorgängervorschrift von § 92a bzw. 112 RAO, dem § 135 Vereins-Zollgesetz (VZG, Text bei Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 1991, S. 43). Nach § 135 S. 2 VZG musste der Steuerhehler die hinterzogenen Abgaben entrichten, und zwar unabhängig davon, ob er Steuerschuldner i. S. v. § 13 VZG war (RFH, Urt. v. 02.03.1931, IV A 217/31, RFHE 30, 227, 229 f.).

39

Aus der Änderung des Wortlauts von § 112 RAO im Jahr 1934 wurde in der Literatur zurecht gefolgert, dass damit das Postulat des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei, überholt sei (von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, RAO/FGO, 77. EL Juni 1974, Rn. 1; so i. E. auch noch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 1961, § 112 RAO; die Gesetzesänderung ignorierend dagegen: Kühn, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1950, § 112 Rn. 2). Auch der Bundesfinanzhof erwähnt die durch die Entscheidung des Reichsfinanzhofs ausgelöste Änderung des § 112 RAO, erläutert jedoch nicht, warum die eindeutig gegen eine Exklusivität von Schuld und Haftung sprechende Formulierung ("auch wenn er nicht Steuerschuldner ist") "nur dem Scheine" nach auf der Vorstellung der Koexistenz von Schuld und Haftung beruhen solle (Urt. v. 19.10.1976, VII R 63/73, juris Rn. 14).

40

Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Fassung von § 71 AO gegen die Exklusivität von Schuld und Haftung bei dieser Norm. § 112 RAO i. d. F. von 1934 blieb bis zur Ablösung durch § 71 AO unverändert. In den gleichlautenden Entwürfen der Abgabenordnung 1974 wurde - unter Erweiterung auf die Teilnehmer an der Steuerstraftat - dessen Inhalt in § 71 AO übernommen (BT-Drs. VI/1982, S. 29; 7/79, S. 30), wobei der Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" weggelassen wurde. In der Begründung der Abgabenordnung 1974 heißt es lediglich: "Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 112 AO" (BT-Drs. VI/1982, S. 120). Die Auslassung des genannten Zusatzes wird in der Begründung nicht erwähnt. Dass der Entwurf von § 71 AO einerseits betont, dass die Vorschrift dem bisherigen § 112 RAO entspreche, die Auslassung des hier in Rede stehenden Einschubs dagegen nicht erwähnt, kann nur so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine Änderung handeln sollte, die den materiellen Gehalt der Norm nicht verändert. Damit sollte das Verhältnis von Schuld und Haftung bei § 71 AO so beibehalten werden, wie es bereits in § 112 AO ausgestaltet war. Der Wortlaut von § 112 RAO i. d. F. von 1934, wonach der in Anspruch Genommene haftet, auch wenn er nicht Steuerschuldner ist, kann jedoch nur so verstanden werden, dass gerade keine Exklusivität von Schuld und Haftung besteht. Die Umformulierung des hier in Rede stehenden Einschubs war - wie dargelegt - gerade eine Reaktion auf die Forderung des Reichsfinanzhofs, dass festgestellt werden müsse, dass der Haftende nicht Steuerschuldner sei.

41

Hätte man das Exklusivitätsdogma in § 71 AO positivieren und damit zur ursprünglichen Fassung von § 112 RAO zurückkehren wollen, hätte dies in der Gesetzesbegründung zur Abgabenordnung 1974 Anklang finden müssen. Dass dies gerade nicht gewollt war, ergibt sich aus einem Vergleich mit der Gesetzesbegründung zu § 70 AO. Dort wurde nämlich - in Ergänzung der Vorgängervorschrift des § 111 Abs. 1 RAO - aufgenommen, dass nur diejenigen Vertretenen haften könnten, "soweit sie nicht Steuerschuldner sind". Zur Begründung (BT-Drs. VI/1982, S. 119) wird ausdrücklich Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12.05.1970 (VII R 34/68, BStBl. II 1970, 606), in der er für § 111 RAO - in Abkehr von einer früheren Entscheidung aus dem Jahr 1951 (siehe oben) - gestützt auf § 97 Abs. 2 AO die Exklusivitätsthese von Schuld und Haftung aufgestellt hatte. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert hat. Dies erfolgte allerdings in Bezug auf die Vorschrift, zu der sich auch die Entscheidungen verhalten, nämlich § 111 RAO bzw. § 70 AO, nicht jedoch zu § 71 AO. "Kurios" (so Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL Mai 2015, § 71 AO Rn. 7) ist der Umstand, dass § 70 AO sich - anders als § 111 RAO - mit dem Verhältnis von Schuld und Haftung auseinandersetzt, während § 71 AO dies - anders als § 112 RAO - nicht tut, nur dann, wenn man von einem ungeschriebenen Exklusivitätsdogma von Schuld und Haftung ausgeht. Löst man sich jedoch von diesem Vorverständnis, stellt sich die Neufassung von §§ 70 f. AO als planvolle Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dar.

42

Auch wenn der Befund zutreffen mag, dass sich nach der "Systematik der Abgabenordnung" (so Rüsken in Klein, AO, 13. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1) oder "dem Steuerrecht" (so Koch in AO 1977, 2. Aufl. 1979, § 71 Rn. 3; ähnlich Bax, a. a. O., S. 28 m. w. N.; siehe schon Arens, Zum Begriff der Haftung im geltenden Steuerrecht, VJSchrStuFR 1927, 567, 574 u. 647; Goetzeler, a. a. O., 236) Schuld und Haftung ausschließen, man also nur für eine fremde Schuld haften kann, handelt es sich hierbei nicht um ein Dogma, sondern einen Grundsatz, der sich aus der Analyse des einfachen Rechts ergeben hat. Dies impliziert, dass Durchbrechungen möglich sind (siehe bereits Goetzeler, a. a. O., 236). Die vorigen Ausführungen zeigen, dass im Falle von § 71 AO eine solche Ausnahme gemacht wurde. Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung - die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld - nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde - wie im vorliegenden Fall - bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist.

43

Die nach der hier vertretenen Lesart von § 71 AO gegenüber anderen Haftungsvorschriften vereinfachte Inanspruchnahme des Haftenden fügt sich nahtlos ein in eine Reihe von Vorschriften, die die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers gegenüber anderen Steuerpflichtigen erleichtern. Neben den bereits erwähnten §§ 191 Abs. 5 S. 2 und 219 S. 2 AO wird durch § 169 Abs. 1 S. 2 AO die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Steuer auf zehn Jahre ausgedehnt. Die Sperrwirkung für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, die auf eine Außenprüfung zurückgehen, gilt nicht im Falle einer Steuerhinterziehung (§ 173 Abs. 2 AO). Außerdem ist mit § 235 AO eine Verzinsungspflicht für hinterzogene Steuern niedergelegt.

44

Schließlich findet sich auch an anderer Stelle im Steuerrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Exklusivität von Schuld und Haftung. In § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz (BGBl. 1996 I 22) wird die Grenze zwischen Schuld und Haftung vollständig aufgehoben, indem der Haftende sowohl durch Steuer- als auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann. Die Frage, ob der Steuerschuldner auch als Haftender (durch Haftungsbescheid) in Anspruch genommen werden darf, kann vor diesem Hintergrund nicht kategorial beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Frage der steuerpolitischen Wertung, wie weit die Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung reichen sollen und welcher begründungsmäßige Aufwand hierfür erforderlich ist. Die Antwort hierauf hat der Gesetzgeber über die Zeit unterschiedlich und nuanciert für verschiedene Haftungstatbestände gegeben."

45

An dieser Auffassung hält der Senat weiterhin fest.

46

1.3 Die Höhe der festgesetzten Tabaksteuer ist nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, warum die Mengenangaben der einzelnen Zigarettensorten im Haftungsbescheid von denen im Sicherstellungsverzeichnis abweichen. Sie stimmen vielmehr mit denen überein, die beim Nachzählen der sichergestellten Zigaretten bei der Nebenzollzahlstelle des HZA F festgestellt wurden. Der Antragsteller ist dieser nachvollziehbaren Begründung nicht weiter entgegengetreten.

47

Für die Berechnung der Höhe der Tabaksteuer wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Anlage zum Haftungsbescheid (Bl. 23 der Akte) verwiesen.

48

1.4 Das dem Antragsgegner gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat in der Weise vorgeprägt ist, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. Nach dieser ständigen Rechtsprechung gilt die Vorprägung des Ermessens uneingeschränkt und ausnahmslos, so dass auch die Höhe des Haftungsanspruchs erfasst wird (BFH, Beschl. v. 14.02.2006, VII B 119/05, juris Rn. 8 m. w. N.). Vorliegend hat der Antragsgegner erkannt, dass ihm Ermessen zusteht und er dies entsprechend den genannten Grundsätzen ausüben darf.

49

2. Dafür, dass dem Antragsteller durch die Vollziehung des Bescheids eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte droht, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.

50

III.

Der gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids über Einfuhrumsatzsteuer hat in der Sache keinen Erfolg.

51

Die materiellen Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung eines Einfuhrumsatzsteuerbescheids, auf den gemäß § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG die Vorschriften für Zölle sinngemäß gelten, folgen auch im finanzgerichtlichen Verfahren aus Art. 45 UZK (hinsichtlich der Festsetzung von Zoll bereits FG Hamburg, Beschl. v. 12.04.2017, 4 V 16/17, S. 8 BA). Nach Art. 45 Abs. 2 UZK setzen die Zollbehörden die Vollziehung einer Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt ist, ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte. Zwar benennt die Vorschrift als Adressaten lediglich die Zollbehörden. Sie ist jedoch auch von den Gerichten als materieller Entscheidungsmaßstab anzuwenden. Aufgrund der Verweisung in § 69 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 FGO auf § 69 Abs. 2 S. 2 ff. FGO beschränken sich die gerichtlichen Befugnisse nämlich auf dasjenige, was die Zollbehörden selbst anordnen können. Werden die Befugnisse der Zollbehörden nach §§ 361 Abs. 2 AO, 69 Abs. 2 FGO durch unionsrechtliche Regelungen überlagert, muss dies auch für das gerichtliche Verfahren gelten (st. Rspr. des BFH zu Art. 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK), vgl. Urt. v. 19.04.2011, VII B 234/10, BFH/NV 2011, 1202; zu Art. 45 UZK vgl. Schoenfeld in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 8. EL Sept. 2016, Art. 45 UZK Rn. 34).

52

Art. 45 UZK ist zeitlich anwendbar. Verfahrensrechtliche Vorschriften, zu denen auch Art. 45 UZK gehört, sind nämlich auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts anhängigen Rechtsstreitigkeiten anzuwenden (EuG, Urt. v. 10.05.2001, verb. Rs. T-186, 187, 190-192, 210, 211, 216-218, 279, 280, 293/97 und T-147/99, Rn. 35; EuG, Urt. v. 09.06.1998, T-10, 11/97, Rn. 18 f. [bestätigt durch EuGH, Urt. v. 09.12.1999, C-299/98]). Damit ist nach dem 01.05.2016 über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 45 UZK zu entscheiden, auch wenn bei Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer am 16.02.2016 - dem Tag der Sicherstellung - der UZK noch nicht in Kraft war (so bereits zur Anwendbarkeit von Art. 244 ZK: BFH, Beschl. v. 11.07.2000, VII B 41/00, BFH/NV 2000, 1512 = juris Rn. 9; s. a. FG Hamburg, Beschl. v. 12.04.2017, 4 V 16/17, S. 8 BA).

53

1. Gemessen an diesem Maßstab bestehen keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14.09.2016.

54

1.1 Ermächtigungsgrundlage für die Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuer ist § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i. V. m. Art. 202 Abs. 1 S. 1 Buchst. a), 214 Abs. 2 und 215 Abs. 1 ZK. Nach § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Art. 202 ZK ist zeitlich anwendbar, weil es sich - genau wie bei Art. 79 UZK - um eine materiellrechtliche Vorschrift handelt. Derartige Normen sind grundsätzlich nur auf Sachverhalte anzuwenden, die sich während ihrer Gültigkeit zugetragen haben (EuGH, Urt. v. 12.11.1981 verb. Rs. 212-217/80, Rn. 9 f. - Salumi). Bei Entstehung der Steuer am 16.02.2016 galt noch der Zollkodex. Da die Art. 214 und 215 ZK den Art. 202 ZK ergänzen, teilen sie hinsichtlich der Anwendbarkeit dessen Schicksal.

55

1.2 Die Einfuhrumsatzsteuer ist gemäß Art. 202, 214 Abs. 2, 215 Abs. 1 ZK am 16.02.2016 in der Bundesrepublik Deutschland entstanden.

56

Nach Art. 202 Abs. 1 S. 1 Buchst. a) ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das EU-Zollgebiet verbracht wird. Vorschriftswidrig ist jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38-41 ZK (Art. 202 Abs. 1 S. 2 ZK); Zu diesen Verpflichtungen gehört insbesondere die Gestellungspflicht (Art. 40 ZK). Die sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften ergibt, dass die Einfuhrumsatzsteuer mit der vorschriftswidrigen Verbringung ins Steuergebiet entsteht.

57

Da die sichergestellten Zigaretten überwiegend ukrainische Steuerbanderolen trugen, müssen sie sich vor der Sicherstellung außerhalb der Europäischen Union befunden haben und von dort ins Steuergebiet verbracht worden sein, ohne dass die Ware gestellt worden wäre. Dabei ist es für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer unerheblich, ob sie direkt aus einem Drittland oder über das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats ins deutsche Steuergebiet gelangt sind. Durch den illegalen Transport durch einen anderen EU-Mitgliedstaat wären die Zigaretten nämlich nicht zu Waren des freien Verkehrs geworden.

58

Auch die insgesamt 22.860 Zigaretten ohne Steuerbanderolen wurden überwiegend wahrscheinlich nicht innerhalb der EU hergestellt. Bei den 10.600 Stück Zigaretten der Marke "M-3" weist der Markenname auf die weißrussische Herkunft. Vor diesem Hintergrund hält der Senat es auch für überwiegend wahrscheinlich dass die übrigen 12.260 Zigaretten der Marken "M-4", "M-5" und "M-6" ohne Steuerbanderole nicht in der Europäischen Union hergestellt worden, zumal "M-5" im Internet unter http://... (aufgerufen am 07.06.2017) als "Made in Belarus" angeboten werden.

59

Da der Zeitpunkt der Entstehung der Zollschuld nicht ermittelbar ist, ist der Zeitpunkt der Sicherstellung - hier der 16.02.2016 - für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage maßgeblich (Art. 214 Abs. 2 ZK).

60

Entstanden ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld - mangels Bestimmbarkeit des Ortes der Zollschuldentstehung nach Art. 215 Abs. 1, 1. Anstrich ZK - an dem Ort, an dem die Zollbehörden feststellen, dass eine Zollschuld entstanden ist (Art. 215 Abs. 1, 2. Anstrich ZK). Dies ist hier das vom Antragsteller betriebene Hotel.

61

1.3 Der Antragsteller ist Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer. Schuldner sind gemäß Art. 202 Abs. 3, 3. Anstrich ZK die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war.

62

Wie oben (II.1.2.1.2) dargestellt, war der Antragsteller bei Sicherstellung Mitbesitzer der Zigaretten. Er hätte außerdem zumindest vernünftigerweise wissen müssen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbracht worden sind. Es ist allgemein bekannt, dass ein Großteil des Kaufpreises für legal gehandelte Zigaretten auf die hierauf im Steuergebiet erhobenen Abgaben entfallen. Der Antragsteller hatte auch Kenntnis davon, dass die Zigaretten keine deutschen Steuerzeichen trugen. Selbst wenn er sie sich bei seinen Besuchen in dem Kellerraum nicht näher angeschaut haben sollte, muss ihm klar gewesen sein, dass die Lagerung von ca. 1.300 Stangen Zigaretten dort nur dann Sinn ergibt, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten handelt.

63

1.4 Die Einfuhrumsatzsteuer ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Für die Bemessungsgrundlage wird zunächst auf den Zollwert zurückgegriffen (§ 11 Abs. 1 UStG). Hier hat der Antragsgegner einen Stückpreis von 3,50 ct gemäß Art. 31 Abs. 1 ZK zu Grunde gelegt. Hinzuzurechnen sind gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG die bei Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer entstandenen Zölle und Verbrauchsteuern, soweit Letztere unbedingt entstanden sind. Zu Recht hat der Antragsgegner für die Zwecke der Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer die mit Bescheid vom 14.09.2016 festgesetzte Tabaksteuer um die Tabaksteuer ermäßigt, die auf die 860 Zigaretten mit polnischen oder tschechischen Steuerzeichen entfallen, da für diese Zigaretten keine Einfuhrumsatzsteuer geltend gemacht wird. Für die Einzelheiten wird auf die insoweit zutreffende Berechnung im Bescheid verwiesen.

64

2. Dafür, dass dem Antragsteller durch die Vollziehung des Bescheids ein unersetzbarer Schaden droht, ist nichts vorgetragen oder aus der Akte ersichtlich.

65

IV.

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsteller zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

66

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

(1) Alle Gerichte und Behörden haben die zur Durchführung der Besteuerung erforderliche Amtshilfe zu leisten. § 102 bleibt unberührt.

(2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn

1.
Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten,
2.
die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgabe obliegen.

(3) Schuldenverwaltungen, Kreditinstitute sowie Betriebe gewerblicher Art der Körperschaften des öffentlichen Rechts fallen nicht unter diese Vorschrift.

(4) Auf dem Gebiet der Zollverwaltung erstreckt sich die Amtshilfepflicht auch auf diejenigen dem öffentlichen Verkehr oder dem öffentlichen Warenumschlag dienenden Unternehmen, die das Bundesministerium der Finanzen als Zollhilfsorgane besonders bestellt hat, und auf die Bediensteten dieser Unternehmen.

(5) Die §§ 105 und 106 sind entsprechend anzuwenden.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

(1) Steuerpflichtiger ist, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat.

(2) Steuerpflichtiger ist nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.

(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.

(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.

(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,

1.
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
2.
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.

(1) Bei Gesamtrechtsnachfolge gehen die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Dies gilt jedoch bei der Erbfolge nicht für Zwangsgelder.

(2) Erben haben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen. Vorschriften, durch die eine steuerrechtliche Haftung der Erben begründet wird, bleiben unberührt.

(1) Steuerpflichtiger ist, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat.

(2) Steuerpflichtiger ist nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- und Betriebsräumen zu gestatten hat.

Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.

(2) Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Schuldner. Das Gleiche gilt für die Aufrechnung und für eine geleistete Sicherheit. Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Die Vorschriften der §§ 268 bis 280 über die Beschränkung der Vollstreckung in den Fällen der Zusammenveranlagung bleiben unberührt.

(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.

(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.

(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.

(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,

1.
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
2.
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.

(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.

(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.

(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,

1.
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
2.
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.

Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf ein Haftungsschuldner auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat oder gesetzlich verpflichtet war, Steuern einzubehalten und abzuführen oder zu Lasten eines anderen zu entrichten.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Eine Finanzbehörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie

1.
aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
2.
aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
3.
zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann,
4.
zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden,
5.
die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde.

(2) Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist.

(3) Die ersuchte Behörde braucht Hilfe nicht zu leisten, wenn

1.
eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann,
2.
sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte,
3.
sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Finanzbehörde durch den Umfang der Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

(4) Die ersuchte Behörde darf die Hilfe nicht deshalb verweigern, weil sie das Ersuchen aus anderen als den in Absatz 3 genannten Gründen oder weil sie die mit der Amtshilfe zu verwirklichende Maßnahme für unzweckmäßig hält.

(5) Hält die ersuchte Behörde sich zur Hilfe nicht für verpflichtet, so teilt sie der ersuchenden Finanzbehörde ihre Auffassung mit. Besteht diese auf der Amtshilfe, so entscheidet über die Verpflichtung zur Amtshilfe die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder, sofern eine solche nicht besteht, die für die ersuchte Behörde fachlich zuständige Aufsichtsbehörde.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Eine Finanzbehörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie

1.
aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
2.
aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
3.
zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann,
4.
zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden,
5.
die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde.

(2) Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist.

(3) Die ersuchte Behörde braucht Hilfe nicht zu leisten, wenn

1.
eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann,
2.
sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte,
3.
sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Finanzbehörde durch den Umfang der Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

(4) Die ersuchte Behörde darf die Hilfe nicht deshalb verweigern, weil sie das Ersuchen aus anderen als den in Absatz 3 genannten Gründen oder weil sie die mit der Amtshilfe zu verwirklichende Maßnahme für unzweckmäßig hält.

(5) Hält die ersuchte Behörde sich zur Hilfe nicht für verpflichtet, so teilt sie der ersuchenden Finanzbehörde ihre Auffassung mit. Besteht diese auf der Amtshilfe, so entscheidet über die Verpflichtung zur Amtshilfe die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder, sofern eine solche nicht besteht, die für die ersuchte Behörde fachlich zuständige Aufsichtsbehörde.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Eine Finanzbehörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie

1.
aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
2.
aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
3.
zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann,
4.
zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden,
5.
die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde.

(2) Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist.

(3) Die ersuchte Behörde braucht Hilfe nicht zu leisten, wenn

1.
eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann,
2.
sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte,
3.
sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Finanzbehörde durch den Umfang der Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

(4) Die ersuchte Behörde darf die Hilfe nicht deshalb verweigern, weil sie das Ersuchen aus anderen als den in Absatz 3 genannten Gründen oder weil sie die mit der Amtshilfe zu verwirklichende Maßnahme für unzweckmäßig hält.

(5) Hält die ersuchte Behörde sich zur Hilfe nicht für verpflichtet, so teilt sie der ersuchenden Finanzbehörde ihre Auffassung mit. Besteht diese auf der Amtshilfe, so entscheidet über die Verpflichtung zur Amtshilfe die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder, sofern eine solche nicht besteht, die für die ersuchte Behörde fachlich zuständige Aufsichtsbehörde.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Wenn die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden, so haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile.

(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen, wenn diese aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Das Gleiche gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben.

(1) Die Beteiligten und andere Personen haben der Finanzbehörde auf Verlangen Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. Im Vorlageverlangen ist anzugeben, ob die Urkunden für die Besteuerung des zur Vorlage Aufgeforderten oder für die Besteuerung anderer Personen benötigt werden. § 93 Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(2) Die Finanzbehörde kann die Vorlage der in Absatz 1 genannten Urkunden an Amtsstelle verlangen oder sie bei dem Vorlagepflichtigen einsehen, wenn dieser einverstanden ist oder die Urkunden für eine Vorlage an Amtsstelle ungeeignet sind. § 147 Abs. 5 gilt entsprechend.

(1) Wenn die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden, so haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile.

(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen, wenn diese aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Das Gleiche gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Wenn die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden, so haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile.

(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen, wenn diese aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Das Gleiche gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.

(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.

(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.

(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,

1.
soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann,
2.
soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die Steuer erlassen worden ist.
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.

(1) Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für die Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129. Die Frist ist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist

1.
der Steuerbescheid oder im Fall des § 122a die elektronische Benachrichtigung den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder
2.
bei öffentlicher Zustellung nach § 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes die Benachrichtigung bekannt gemacht oder veröffentlicht wird.

(2) Die Festsetzungsfrist beträgt:

1.
ein Jahrfür Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen,
2.
vier Jahrefür Steuern und Steuervergütungen, die keine Steuern oder Steuervergütungen im Sinne der Nummer 1 oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Artikel 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind.
Die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, deren er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Wird die Steuerhinterziehung dadurch begangen, dass ein anderer als der Steuerschuldner seine Verpflichtung, einbehaltene Steuern an die Finanzbehörde abzuführen oder Steuern zu Lasten eines anderen zu entrichten, nicht erfüllt, so ist dieser Zinsschuldner.

(2) Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils, es sei denn, dass die hinterzogenen Beträge ohne die Steuerhinterziehung erst später fällig geworden wären. In diesem Fall ist der spätere Zeitpunkt maßgebend.

(3) Der Zinslauf endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern. Für eine Zeit, für die ein Säumniszuschlag verwirkt, die Zahlung gestundet oder die Vollziehung ausgesetzt ist, werden Zinsen nach dieser Vorschrift nicht erhoben. Wird der Steuerbescheid nach Ende des Zinslaufs aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin entstandenen Zinsen unberührt.

(4) Zinsen nach § 233a, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind anzurechnen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 4 V 251/16 insoweit aufgehoben, als die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € abgelehnt worden ist; zugleich wird in Höhe dieses Betrags die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 ausgesetzt.

Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Im Zuge steuerstrafrechtlicher Ermittlungen gegen die gesondert verfolgten S und G wurden am 16. Februar 2016 aufgrund richterlicher Anordnung die Kellerräume des vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) betriebenen Hotels durchsucht. Hierbei wurden in einem Kellerraum insgesamt 275 560 Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen gefunden und sichergestellt. Davon trugen 22 860 Zigaretten keine, 800 Zigaretten tschechische und 60 Zigaretten polnische Steuerzeichen. Die übrigen Zigaretten trugen ukrainische oder keine Steuerzeichen. Für die sichergestellten Zigaretten setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) mit Haftungsbescheid vom 14. September 2016 Tabaksteuer in Höhe von 43.019,87 € fest. Mit Ausnahme der mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten wurde mit Abgabenbescheid vom selben Tag Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 11.026,94 € festgesetzt. Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller jeweils Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das HZA mit Bescheiden vom 10. November 2016 ablehnte. Daraufhin hat der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die gerichtliche AdV der Bescheide beantragt. Beide Anträge hat das FG abgelehnt.

2

Hinsichtlich des auf § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheids führte das FG aus, der Antragsteller habe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Beihilfe zur Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs geleistet. Der Haupttäter S habe sich die unversteuerten Zigaretten mit Bereicherungsabsicht verschafft. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt habe, worin eine Beihilfehandlung liege. Für überwiegend wahrscheinlich halte es der Senat, dass der Antragsteller S den Kellerraum leih- oder mietweise überlassen und im Hinblick auf die Haupttat sowie seine Beihilfehandlung mit Vorsatz gehandelt habe. In der Einspruchsbegründung habe er eingeräumt, dass er beim Betreten des Kellerraums mitbekommen habe, was dort abgestellt worden sei. Für die Tatbestandserfüllung des § 71 AO reiche es aus, dass der Antragsteller den Kellerraum in Kenntnis vom Inhalt der Ware zur Verfügung gestellt habe. In Bezug auf die mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten sei der Antragsteller aufgrund seiner Besitzerlangung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit selbst Steuerschuldner geworden.

3

Der Umstand, dass der Antragsteller im Hinblick auf die mit Steuerzeichen versehenen 860 Zigaretten Schuldner der Tabaksteuer sei, stehe seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

4

Auch in Bezug auf den Bescheid über Einfuhrumsatzsteuer könne eine AdV nach Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK), der nach dem Inkrafttreten des UZK am 1. Mai 2016 als verfahrensrechtliche Vorschrift auf den Streitfall Anwendung finde, nicht gewährt werden. Für die Zigaretten sei eine Einfuhrabgabenschuld nach den Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Zollkodex (ZK) am 16. Februar 2016, dem Tag der Durchsuchung der Hotelräume und der Sicherstellung der Zigaretten, entstanden. Da die sichergestellten Zigaretten überwiegend mit ukrainischen Steuerbanderolen versehen gewesen seien, müssten sie sich vor der Sicherstellung außerhalb des Zollgebiets der Europäischen Union befunden haben und von dort ohne Gestellung in das Steuergebiet verbracht worden sein. Dies gelte auch für die ohne Steuerbanderolen vorgefundenen Zigaretten, bei denen der Markenname auf eine weißrussische Herkunft weise. Der Antragsteller sei bei Sicherstellung Mitbesitzer der Zigaretten gewesen. Er hätte zudem vernünftigerweise wissen müssen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbracht worden seien. Selbst wenn er die Zigaretten bei seinen Besuchen im Kellerraum nicht näher angeschaut haben sollte, hätte ihm klar gewesen sein müssen, dass die Lagerung von ca. 1 300 Stangen Zigaretten dort nur einen Sinn gehabt haben konnte, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten gehandelt habe. Die Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer sei nicht zu beanstanden.

5

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, S habe zu keiner Zeit im Hotel genächtigt und einen Schlüssel gehabt; auch hätten keinerlei geschäftliche Beziehungen zu S bestanden. Bei dem serbischen Staatsbürger, dem er den Kellerraum zur Verfügung gestellt habe, habe es sich um einen Herrn P gehandelt. Der Bitte um Überlassung einer Abstellmöglichkeit habe er, der Antragsteller, nur entsprochen, weil P ihm vor längerer Zeit aus einer finanziellen Verlegenheit geholfen habe. Erst am Tag der Sicherstellung der Zigaretten habe er zu Gesicht bekommen, was P im Keller untergestellt habe. Nach dem Verbringen der Ware in den Raum sei dieser verschlossen worden und P habe den Schlüssel mitgenommen. Es habe kein Anlass bestanden, den Raum vor dessen Rückkehr zu betreten. Aus den Ermittlungsakten ergäben sich keine Anhaltspunkte für seine Schuld. Er habe die sichergestellten Zigaretten, an denen er keinen Besitz bzw. keine Verfügungsgewalt erlangt habe, weder gekauft oder sich oder einem Dritten sonst verschafft noch geholfen, diese abzusetzen. Zudem habe er keine Bereicherungsabsicht gehabt. Entsprechende Nachweise habe das FG nicht erbracht, vielmehr sei es lediglich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen. Den Akten sei zu entnehmen, dass die namentlich bekannten und gesondert als Steuerschuldner verfolgten S und P observiert worden seien. Somit seien die Personen bekannt, die als Steuerschuldner vorrangig in Anspruch genommen werden müssten.

6

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es schließt sich im Wesentlichen der Begründung des FG an. Entgegen der Auffassung des FG, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass die Zigaretten aus der Ukraine stammten, sei darauf abzustellen, dass der Antragsteller den Nachweis nicht geführt habe, dass die Zigaretten Unionswaren seien. Einer möglichen Argumentation, dass die Finanzbehörde nachzuweisen habe, dass es sich bei den zur Zigarettenherstellung verwendeten Vormaterialien um Nicht-Unionswaren gehandelt habe, könne nicht gefolgt werden. Eine solche Beweislast sei unbillig. Im Besteuerungsverfahren obliege der Nachweis in Bezug auf den zollrechtlichen Status einer Ware dem jeweiligen Abgabenschuldner. Dies werde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist nur teilweise begründet, im Übrigen ist sie zurückzuweisen.

8

Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 in Bezug auf die vom HZA geltend gemachte Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € ernstliche Zweifel bestehen, so dass insoweit die AdV gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO geboten ist. Eine darüber hinausgehende Aussetzung kommt nicht in Betracht, weil sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig erweisen.

9

1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschluss vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH-Urteil vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).

10

2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats rechtlichen Bedenken, dass das FG eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Antragstellers nach § 71 AO für möglich hält, obwohl nach den Ermittlungsergebnissen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser in Hinblick auf 860 Zigaretten nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG Tabaksteuer schuldet, weil er Besitz an den unversteuerten Zigaretten erlangt hat. Dies ist anzunehmen, weil der Antragsteller den Kellerraum nur zur Mitbenutzung überlassen hat und es nach den Gesamtumständen, insbesondere aufgrund der in dem Kellerraum gelagerten anderen Gegenstände, naheliegt, dass er nicht nur seltenen Zugang zu dem Raum gehabt hat (vgl. die Ausführungen unter 4.). Hinsichtlich der Erfüllung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 TabStG teilt der Senat die Auffassung des FG.

11

a) Wie der beschließende Senat zu § 111 der Reichsabgabenordnung (RAO) entschieden hat, kann ein Steuerpflichtiger, der eine Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat, für diese Abgabe nicht zugleich aufgrund des § 111 Abs. 1 RAO haften (Senatsurteil vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255). In späteren Entscheidungen hat der BFH diese Ansicht bestätigt (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2001 VII R 29/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 277; Senatsurteile vom 14. Dezember 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549; vom 15. April 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167). Wie das FG zu Recht ausführt, hat sich die überwiegende Literatur dieser Ansicht angeschlossen (Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 71 Rz 7; Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 71 AO Rz 7; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 71 AO Rz 7; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 71 Rz 1; Schwarz in Schwarz/ Pahlke, AO/FGO, § 71 AO Rz 4). Dabei wird vertreten, dass der Ausschluss der Steuerschuldnerschaft als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 71 AO anzusehen sei, denn niemand könne nach der Systematik der AO für eigene Steuerschulden haften (Klein/Rüsken, a.a.O., § 71 Rz 1).

12

b) Dieser Ansicht ist das FG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Haftungsnorm und der in § 33 Abs. 1 AO angeordneten Gleichberechtigung und abgabenrechtlichen Gleichstellung von Steuerschuldner und Haftendem ausdrücklich entgegengetreten. Sofern es aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift den Schluss zieht, dass die Änderung des § 112 RAO im Jahr 1934, mit der die Einschränkung "soweit er nicht Steuerschuldner ist" durch den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" ersetzt wurde, darauf hinweist, dass es der Gesetzgeber für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme einer Person fortan für unschädlich gehalten habe, dass diese auch Steuerschuldnerin war, setzt es sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats. Dieser hatte in seinem Urteil in BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255 ausgeführt, die in § 112 RAO gewählte Ausdrucksweise beruhe nur dem Schein nach auf der Vorstellung, der Steuerschuldner könne zugleich auch Haftender sein. In Wirklichkeit sei die Ausdrucksweise lediglich eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs --RFH-- (Urteil vom 25. Januar 1933 IV A 70/32, RFHE 32, 276), der in Bezug auf die Fassung des § 112 RAO 1931 die Feststellung gefordert habe, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei. Den Sinn und Zweck der 1934 herbeigeführten Rechtsänderung hat der Senat somit lediglich darin erblickt, die Finanzverwaltung von der vom RFH auferlegten Feststellungspflicht zu befreien. Im Übrigen hat der Senat darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die erst nachträglich eingefügte Vorschrift des § 112 RAO die bereits durch die §§ 97 und 111 RAO geschaffene Rechtslage (d.h. die Exklusivität von Steuer- und Haftungsschuld) hat ändern wollen.

13

c) In Bezug auf die Entstehungsgeschichte des § 71 AO ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" nicht in die Haftungsvorschrift übernommen und zugleich darauf hingewiesen hat, die Vorschrift entspreche dem bisherigen § 112 RAO (BTDrucks VI/1982, S. 120). Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber § 112 RAO 1934 so verstanden hat wie der Senat, wäre die Unterlassung folgerichtig. Ein Widerspruch ergibt sich dann aus der Formulierung des in § 70 AO normierten Haftungstatbestands, der den genannten Zusatz enthält. Nach den dargestellten Grundwertungen der AO und der darauf beruhenden Exklusivität von Steuerschuld und Haftung könnte sich der in § 70 AO normierte Zusatz nach dieser Betrachtung lediglich als überflüssige Klarstellung erweisen, ohne jedoch zwingend einen Umkehrschluss auf den in § 71 AO normierten Haftungstatbestand zuzulassen.

14

3. Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass im Streitfall nach summarischer Prüfung Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtsfrage bestehen, ob das HZA den Antragsteller mit entsprechendem Haftungsbescheid nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen konnte, obwohl er nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Steuerschuldner angesehen werden kann. Im Rahmen der im AdV-Verfahren ausreichenden summarischen Überprüfung der Entscheidung des FG hält es der beschließende Senat nicht für geboten, über die aufgeworfenen Rechtsfragen abschließend zu entscheiden. Jedenfalls begründet die von der Rechtsansicht des FG abweichende Rechtsauffassung des Senats und des überwiegenden Schrifttums erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, so dass dessen Vollziehung in dem bereits genannten Umfang auszusetzen ist.

15

4. Soweit der Antragsteller nach § 71 AO wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, begegnet der Haftungsbescheid nach summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist ein Nachweis der Tatbestandserfüllung im summarischen AdV-Verfahren nicht erforderlich, vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn das Gericht von Tatsachen ausgeht, die nach seiner Ansicht überwiegend wahrscheinlich sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1974  2 BvR 32/74, BVerfGE 38, 35, und Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 823, m.w.N.). Dem Schlussbericht des Zollfahndungsamts (ZFA) A vom 6. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller einer von ihm als Serben bezeichneten Person einen neben dem Heizungskeller des Hotels liegenden Abstellraum zur Verfügung gestellt hat, für den er auch einen Schlüssel an seinem Schlüsselbund trug. Darüber hinaus ergab die Auswertung der Ergebnisse einer Telefonüberwachungsmaßnahme, dass zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller mit S in Verbindung stand und diesen von der Durchsuchungsmaßnahme und der Sicherstellung der Zigaretten in Kenntnis setzte. Aufgrund der Gespräche und Textnachrichten sowie der Art und Weise der Gesprächsführung und der Stimme kam das ZFA zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gemeinsam mit S an der Beschaffung, Lagerung und dem Verkauf unversteuerter Zigaretten beteiligt gewesen ist. Durch die bloße Behauptung des Antragstellers, S nicht zu kennen und mit ihm in keiner geschäftlichen Beziehung gestanden zu haben, wird das Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen nicht schlüssig widerlegt. Auch die Behauptung, der Kellerraum sei zusammen mit dem Schlüssel einem serbischen Staatsbürger überlassen und im Zeitraum vom 14. bis zum 17. Februar 2016 nicht betreten worden, spricht nicht gegen die Annahme, der Antragsteller habe von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis gehabt. Vielmehr besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller im Rahmen des Hotelbetriebs den Raum auch selbst benutzt und hierzu betreten hat, zumal in ihm auch Getränke, Kochgeschirr, Gaststättenutensilien und persönliche Sachen des Antragstellers sowie in einem Tresor persönliche Unterlagen und eine Kellnerbörse mit Geld lagerten. In der Beschwerdebegründung gibt der Antragsteller selbst zu, den Raum genutzt zu haben. In Anbetracht dieses Befundes scheint es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller erst anlässlich der Durchsuchung von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis erlangt hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren vom 15. Juni 2016 es als zutreffend bezeichnet hat, geholfen zu haben, verschlossene und unhandliche Kartons aus dem überlassenen Kellerraum zu einem Fahrzeug zu tragen. Bei lebensnaher Betrachtung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller wusste, dass S oder eine andere Person mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten handelte. Hierzu hat der Antragsteller durch die Überlassung und Mitbenutzung eines zum Hotel gehörenden Lagerraums Beihilfe geleistet und damit den Tatbestand des § 71 AO erfüllt.

16

5. Hinsichtlich des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14. September 2016 bestehen ebenfalls keine begründeten Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Die sichergestellten Zigaretten trugen überwiegend ukrainische Steuerbanderolen, so dass von der Herkunft aus einem Drittland auszugehen ist. Dies trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die übrigen Zigaretten zu, bei denen die Markennamen auf eine weißrussische Herkunft hindeuten. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 ZK am Tag der Sicherstellung der illegal eingeführten Zigaretten im Steuergebiet entstanden ist. Wie bereits dargelegt, hätte der Antragsteller zumindest wissen müssen, dass es sich bei den in großen Mengen --nämlich in 25 bis 30 Müllsäcken-- eingelagerten Zigaretten um unversteuerte Zigaretten gehandelt hat. Jedenfalls deuten die dem Antragsteller zugeordneten Telefongespräche mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass er dies wusste. Im Rahmen der summarischen Überprüfung des Eingangsabgabenbescheids begegnen die Schlussfolgerungen des FG jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

17

6. In Hinblick auf Tabaksteuer, die für die mit tschechischen und polnischen Steuerbanderolen versehenen Zigaretten entstanden ist, ist der angefochtene Beschluss des FG aufzuheben und die beantragte AdV zu gewähren. Zwar kann die AdV nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 FGO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, doch scheint eine solche im Streitfall aufgrund der verhältnismäßig geringen Abgabenschuld in Höhe von 135,78 € nicht angebracht, weshalb von einer solchen abgesehen werden kann. Eine mögliche Zurückverweisung an das FG (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, und Birkenfeld in HHSp, § 69 AO Rz 995) kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht.

18

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Eine Finanzbehörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie

1.
aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
2.
aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann,
3.
zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann,
4.
zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden,
5.
die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde.

(2) Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist.

(3) Die ersuchte Behörde braucht Hilfe nicht zu leisten, wenn

1.
eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann,
2.
sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte,
3.
sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Finanzbehörde durch den Umfang der Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

(4) Die ersuchte Behörde darf die Hilfe nicht deshalb verweigern, weil sie das Ersuchen aus anderen als den in Absatz 3 genannten Gründen oder weil sie die mit der Amtshilfe zu verwirklichende Maßnahme für unzweckmäßig hält.

(5) Hält die ersuchte Behörde sich zur Hilfe nicht für verpflichtet, so teilt sie der ersuchenden Finanzbehörde ihre Auffassung mit. Besteht diese auf der Amtshilfe, so entscheidet über die Verpflichtung zur Amtshilfe die gemeinsame fachlich zuständige Aufsichtsbehörde oder, sofern eine solche nicht besteht, die für die ersuchte Behörde fachlich zuständige Aufsichtsbehörde.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 7. Juni 2017 4 V 251/16 insoweit aufgehoben, als die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € abgelehnt worden ist; zugleich wird in Höhe dieses Betrags die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 ausgesetzt.

Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Im Zuge steuerstrafrechtlicher Ermittlungen gegen die gesondert verfolgten S und G wurden am 16. Februar 2016 aufgrund richterlicher Anordnung die Kellerräume des vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) betriebenen Hotels durchsucht. Hierbei wurden in einem Kellerraum insgesamt 275 560 Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen gefunden und sichergestellt. Davon trugen 22 860 Zigaretten keine, 800 Zigaretten tschechische und 60 Zigaretten polnische Steuerzeichen. Die übrigen Zigaretten trugen ukrainische oder keine Steuerzeichen. Für die sichergestellten Zigaretten setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) mit Haftungsbescheid vom 14. September 2016 Tabaksteuer in Höhe von 43.019,87 € fest. Mit Ausnahme der mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten wurde mit Abgabenbescheid vom selben Tag Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 11.026,94 € festgesetzt. Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller jeweils Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das HZA mit Bescheiden vom 10. November 2016 ablehnte. Daraufhin hat der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die gerichtliche AdV der Bescheide beantragt. Beide Anträge hat das FG abgelehnt.

2

Hinsichtlich des auf § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheids führte das FG aus, der Antragsteller habe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Beihilfe zur Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO i.V.m. § 27 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs geleistet. Der Haupttäter S habe sich die unversteuerten Zigaretten mit Bereicherungsabsicht verschafft. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller Lagermöglichkeiten zur Verfügung gestellt habe, worin eine Beihilfehandlung liege. Für überwiegend wahrscheinlich halte es der Senat, dass der Antragsteller S den Kellerraum leih- oder mietweise überlassen und im Hinblick auf die Haupttat sowie seine Beihilfehandlung mit Vorsatz gehandelt habe. In der Einspruchsbegründung habe er eingeräumt, dass er beim Betreten des Kellerraums mitbekommen habe, was dort abgestellt worden sei. Für die Tatbestandserfüllung des § 71 AO reiche es aus, dass der Antragsteller den Kellerraum in Kenntnis vom Inhalt der Ware zur Verfügung gestellt habe. In Bezug auf die mit tschechischen und polnischen Steuerzeichen versehenen Zigaretten sei der Antragsteller aufgrund seiner Besitzerlangung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit selbst Steuerschuldner geworden.

3

Der Umstand, dass der Antragsteller im Hinblick auf die mit Steuerzeichen versehenen 860 Zigaretten Schuldner der Tabaksteuer sei, stehe seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 71 AO nicht entgegen.

4

Auch in Bezug auf den Bescheid über Einfuhrumsatzsteuer könne eine AdV nach Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK), der nach dem Inkrafttreten des UZK am 1. Mai 2016 als verfahrensrechtliche Vorschrift auf den Streitfall Anwendung finde, nicht gewährt werden. Für die Zigaretten sei eine Einfuhrabgabenschuld nach den Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Zollkodex (ZK) am 16. Februar 2016, dem Tag der Durchsuchung der Hotelräume und der Sicherstellung der Zigaretten, entstanden. Da die sichergestellten Zigaretten überwiegend mit ukrainischen Steuerbanderolen versehen gewesen seien, müssten sie sich vor der Sicherstellung außerhalb des Zollgebiets der Europäischen Union befunden haben und von dort ohne Gestellung in das Steuergebiet verbracht worden sein. Dies gelte auch für die ohne Steuerbanderolen vorgefundenen Zigaretten, bei denen der Markenname auf eine weißrussische Herkunft weise. Der Antragsteller sei bei Sicherstellung Mitbesitzer der Zigaretten gewesen. Er hätte zudem vernünftigerweise wissen müssen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbracht worden seien. Selbst wenn er die Zigaretten bei seinen Besuchen im Kellerraum nicht näher angeschaut haben sollte, hätte ihm klar gewesen sein müssen, dass die Lagerung von ca. 1 300 Stangen Zigaretten dort nur einen Sinn gehabt haben konnte, wenn es sich um unversteuerte Zigaretten gehandelt habe. Die Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer sei nicht zu beanstanden.

5

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, S habe zu keiner Zeit im Hotel genächtigt und einen Schlüssel gehabt; auch hätten keinerlei geschäftliche Beziehungen zu S bestanden. Bei dem serbischen Staatsbürger, dem er den Kellerraum zur Verfügung gestellt habe, habe es sich um einen Herrn P gehandelt. Der Bitte um Überlassung einer Abstellmöglichkeit habe er, der Antragsteller, nur entsprochen, weil P ihm vor längerer Zeit aus einer finanziellen Verlegenheit geholfen habe. Erst am Tag der Sicherstellung der Zigaretten habe er zu Gesicht bekommen, was P im Keller untergestellt habe. Nach dem Verbringen der Ware in den Raum sei dieser verschlossen worden und P habe den Schlüssel mitgenommen. Es habe kein Anlass bestanden, den Raum vor dessen Rückkehr zu betreten. Aus den Ermittlungsakten ergäben sich keine Anhaltspunkte für seine Schuld. Er habe die sichergestellten Zigaretten, an denen er keinen Besitz bzw. keine Verfügungsgewalt erlangt habe, weder gekauft oder sich oder einem Dritten sonst verschafft noch geholfen, diese abzusetzen. Zudem habe er keine Bereicherungsabsicht gehabt. Entsprechende Nachweise habe das FG nicht erbracht, vielmehr sei es lediglich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgegangen. Den Akten sei zu entnehmen, dass die namentlich bekannten und gesondert als Steuerschuldner verfolgten S und P observiert worden seien. Somit seien die Personen bekannt, die als Steuerschuldner vorrangig in Anspruch genommen werden müssten.

6

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es schließt sich im Wesentlichen der Begründung des FG an. Entgegen der Auffassung des FG, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass die Zigaretten aus der Ukraine stammten, sei darauf abzustellen, dass der Antragsteller den Nachweis nicht geführt habe, dass die Zigaretten Unionswaren seien. Einer möglichen Argumentation, dass die Finanzbehörde nachzuweisen habe, dass es sich bei den zur Zigarettenherstellung verwendeten Vormaterialien um Nicht-Unionswaren gehandelt habe, könne nicht gefolgt werden. Eine solche Beweislast sei unbillig. Im Besteuerungsverfahren obliege der Nachweis in Bezug auf den zollrechtlichen Status einer Ware dem jeweiligen Abgabenschuldner. Dies werde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist nur teilweise begründet, im Übrigen ist sie zurückzuweisen.

8

Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 14. September 2016 in Bezug auf die vom HZA geltend gemachte Tabaksteuer in Höhe von 135,78 € ernstliche Zweifel bestehen, so dass insoweit die AdV gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO geboten ist. Eine darüber hinausgehende Aussetzung kommt nicht in Betracht, weil sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig erweisen.

9

1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschluss vom 15. Juli 1998 I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH-Urteil vom 10. November 1994 IV R 44/94, BFHE 176, 303, BStBl II 1995, 814, m.w.N.).

10

2. Im Streitfall begegnet es nach Auffassung des beschließenden Senats rechtlichen Bedenken, dass das FG eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Antragstellers nach § 71 AO für möglich hält, obwohl nach den Ermittlungsergebnissen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass dieser in Hinblick auf 860 Zigaretten nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG Tabaksteuer schuldet, weil er Besitz an den unversteuerten Zigaretten erlangt hat. Dies ist anzunehmen, weil der Antragsteller den Kellerraum nur zur Mitbenutzung überlassen hat und es nach den Gesamtumständen, insbesondere aufgrund der in dem Kellerraum gelagerten anderen Gegenstände, naheliegt, dass er nicht nur seltenen Zugang zu dem Raum gehabt hat (vgl. die Ausführungen unter 4.). Hinsichtlich der Erfüllung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 TabStG teilt der Senat die Auffassung des FG.

11

a) Wie der beschließende Senat zu § 111 der Reichsabgabenordnung (RAO) entschieden hat, kann ein Steuerpflichtiger, der eine Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat, für diese Abgabe nicht zugleich aufgrund des § 111 Abs. 1 RAO haften (Senatsurteil vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255). In späteren Entscheidungen hat der BFH diese Ansicht bestätigt (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2001 VII R 29/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 277; Senatsurteile vom 14. Dezember 1988 VII R 107/86, BFH/NV 1989, 549; vom 15. April 1987 VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167). Wie das FG zu Recht ausführt, hat sich die überwiegende Literatur dieser Ansicht angeschlossen (Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 71 Rz 7; Loose in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 71 AO Rz 7; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 71 AO Rz 7; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 71 Rz 1; Schwarz in Schwarz/ Pahlke, AO/FGO, § 71 AO Rz 4). Dabei wird vertreten, dass der Ausschluss der Steuerschuldnerschaft als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 71 AO anzusehen sei, denn niemand könne nach der Systematik der AO für eigene Steuerschulden haften (Klein/Rüsken, a.a.O., § 71 Rz 1).

12

b) Dieser Ansicht ist das FG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Haftungsnorm und der in § 33 Abs. 1 AO angeordneten Gleichberechtigung und abgabenrechtlichen Gleichstellung von Steuerschuldner und Haftendem ausdrücklich entgegengetreten. Sofern es aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift den Schluss zieht, dass die Änderung des § 112 RAO im Jahr 1934, mit der die Einschränkung "soweit er nicht Steuerschuldner ist" durch den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" ersetzt wurde, darauf hinweist, dass es der Gesetzgeber für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme einer Person fortan für unschädlich gehalten habe, dass diese auch Steuerschuldnerin war, setzt es sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats. Dieser hatte in seinem Urteil in BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255 ausgeführt, die in § 112 RAO gewählte Ausdrucksweise beruhe nur dem Schein nach auf der Vorstellung, der Steuerschuldner könne zugleich auch Haftender sein. In Wirklichkeit sei die Ausdrucksweise lediglich eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs --RFH-- (Urteil vom 25. Januar 1933 IV A 70/32, RFHE 32, 276), der in Bezug auf die Fassung des § 112 RAO 1931 die Feststellung gefordert habe, dass der in Anspruch Genommene nicht Steuerschuldner sei. Den Sinn und Zweck der 1934 herbeigeführten Rechtsänderung hat der Senat somit lediglich darin erblickt, die Finanzverwaltung von der vom RFH auferlegten Feststellungspflicht zu befreien. Im Übrigen hat der Senat darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die erst nachträglich eingefügte Vorschrift des § 112 RAO die bereits durch die §§ 97 und 111 RAO geschaffene Rechtslage (d.h. die Exklusivität von Steuer- und Haftungsschuld) hat ändern wollen.

13

c) In Bezug auf die Entstehungsgeschichte des § 71 AO ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Zusatz "auch wenn er nicht Steuerschuldner ist" nicht in die Haftungsvorschrift übernommen und zugleich darauf hingewiesen hat, die Vorschrift entspreche dem bisherigen § 112 RAO (BTDrucks VI/1982, S. 120). Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber § 112 RAO 1934 so verstanden hat wie der Senat, wäre die Unterlassung folgerichtig. Ein Widerspruch ergibt sich dann aus der Formulierung des in § 70 AO normierten Haftungstatbestands, der den genannten Zusatz enthält. Nach den dargestellten Grundwertungen der AO und der darauf beruhenden Exklusivität von Steuerschuld und Haftung könnte sich der in § 70 AO normierte Zusatz nach dieser Betrachtung lediglich als überflüssige Klarstellung erweisen, ohne jedoch zwingend einen Umkehrschluss auf den in § 71 AO normierten Haftungstatbestand zuzulassen.

14

3. Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass im Streitfall nach summarischer Prüfung Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtsfrage bestehen, ob das HZA den Antragsteller mit entsprechendem Haftungsbescheid nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen konnte, obwohl er nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Steuerschuldner angesehen werden kann. Im Rahmen der im AdV-Verfahren ausreichenden summarischen Überprüfung der Entscheidung des FG hält es der beschließende Senat nicht für geboten, über die aufgeworfenen Rechtsfragen abschließend zu entscheiden. Jedenfalls begründet die von der Rechtsansicht des FG abweichende Rechtsauffassung des Senats und des überwiegenden Schrifttums erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, so dass dessen Vollziehung in dem bereits genannten Umfang auszusetzen ist.

15

4. Soweit der Antragsteller nach § 71 AO wegen Beihilfe zur Steuerhehlerei als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, begegnet der Haftungsbescheid nach summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist ein Nachweis der Tatbestandserfüllung im summarischen AdV-Verfahren nicht erforderlich, vielmehr ist es als ausreichend zu erachten, wenn das Gericht von Tatsachen ausgeht, die nach seiner Ansicht überwiegend wahrscheinlich sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1974  2 BvR 32/74, BVerfGE 38, 35, und Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 823, m.w.N.). Dem Schlussbericht des Zollfahndungsamts (ZFA) A vom 6. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller einer von ihm als Serben bezeichneten Person einen neben dem Heizungskeller des Hotels liegenden Abstellraum zur Verfügung gestellt hat, für den er auch einen Schlüssel an seinem Schlüsselbund trug. Darüber hinaus ergab die Auswertung der Ergebnisse einer Telefonüberwachungsmaßnahme, dass zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller mit S in Verbindung stand und diesen von der Durchsuchungsmaßnahme und der Sicherstellung der Zigaretten in Kenntnis setzte. Aufgrund der Gespräche und Textnachrichten sowie der Art und Weise der Gesprächsführung und der Stimme kam das ZFA zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gemeinsam mit S an der Beschaffung, Lagerung und dem Verkauf unversteuerter Zigaretten beteiligt gewesen ist. Durch die bloße Behauptung des Antragstellers, S nicht zu kennen und mit ihm in keiner geschäftlichen Beziehung gestanden zu haben, wird das Ergebnis der Überwachungsmaßnahmen nicht schlüssig widerlegt. Auch die Behauptung, der Kellerraum sei zusammen mit dem Schlüssel einem serbischen Staatsbürger überlassen und im Zeitraum vom 14. bis zum 17. Februar 2016 nicht betreten worden, spricht nicht gegen die Annahme, der Antragsteller habe von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis gehabt. Vielmehr besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller im Rahmen des Hotelbetriebs den Raum auch selbst benutzt und hierzu betreten hat, zumal in ihm auch Getränke, Kochgeschirr, Gaststättenutensilien und persönliche Sachen des Antragstellers sowie in einem Tresor persönliche Unterlagen und eine Kellnerbörse mit Geld lagerten. In der Beschwerdebegründung gibt der Antragsteller selbst zu, den Raum genutzt zu haben. In Anbetracht dieses Befundes scheint es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller erst anlässlich der Durchsuchung von den eingelagerten Zigaretten Kenntnis erlangt hat. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren vom 15. Juni 2016 es als zutreffend bezeichnet hat, geholfen zu haben, verschlossene und unhandliche Kartons aus dem überlassenen Kellerraum zu einem Fahrzeug zu tragen. Bei lebensnaher Betrachtung ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller wusste, dass S oder eine andere Person mit unversteuerten und unverzollten Zigaretten handelte. Hierzu hat der Antragsteller durch die Überlassung und Mitbenutzung eines zum Hotel gehörenden Lagerraums Beihilfe geleistet und damit den Tatbestand des § 71 AO erfüllt.

16

5. Hinsichtlich des Abgabenbescheids über Einfuhrumsatzsteuer vom 14. September 2016 bestehen ebenfalls keine begründeten Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Die sichergestellten Zigaretten trugen überwiegend ukrainische Steuerbanderolen, so dass von der Herkunft aus einem Drittland auszugehen ist. Dies trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die übrigen Zigaretten zu, bei denen die Markennamen auf eine weißrussische Herkunft hindeuten. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 202, 214 Abs. 2, Art. 215 Abs. 1 ZK am Tag der Sicherstellung der illegal eingeführten Zigaretten im Steuergebiet entstanden ist. Wie bereits dargelegt, hätte der Antragsteller zumindest wissen müssen, dass es sich bei den in großen Mengen --nämlich in 25 bis 30 Müllsäcken-- eingelagerten Zigaretten um unversteuerte Zigaretten gehandelt hat. Jedenfalls deuten die dem Antragsteller zugeordneten Telefongespräche mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass er dies wusste. Im Rahmen der summarischen Überprüfung des Eingangsabgabenbescheids begegnen die Schlussfolgerungen des FG jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

17

6. In Hinblick auf Tabaksteuer, die für die mit tschechischen und polnischen Steuerbanderolen versehenen Zigaretten entstanden ist, ist der angefochtene Beschluss des FG aufzuheben und die beantragte AdV zu gewähren. Zwar kann die AdV nach § 69 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 FGO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, doch scheint eine solche im Streitfall aufgrund der verhältnismäßig geringen Abgabenschuld in Höhe von 135,78 € nicht angebracht, weshalb von einer solchen abgesehen werden kann. Eine mögliche Zurückverweisung an das FG (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, und Birkenfeld in HHSp, § 69 AO Rz 995) kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht.

18

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

§ 50d Absatz 8 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstößt, weil er für Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit eine von den Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abweichende Besteuerung erlaubt.

A.

I.

2

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer (alle) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Entsprechend diesen Regelungen werden alle aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte natürlicher Personen, die in Deutschland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unabhängig vom Ort ihrer Erzielung nach deutschem Recht besteuert (sog. Welteinkommensprinzip).

3

Mit Abkommen vom 16. April 1985 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867, im Folgenden abgekürzt als DBA-Türkei 1985) unter anderem Folgendes vereinbart:

Art. 15 DBA-Türkei 1985 (Unselbständige Arbeit)

(1) Vorbehaltlich der Artikel 16, 18, 19 und 20 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass die Arbeit im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.

(2) - (3) … .

Art. 23 DBA-Türkei 1985 (Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat)

(1) Bei in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen wird die Doppelbesteuerung wie folgt vermieden:

a) Vorbehaltlich des Buchstabens b werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Republik Türkei sowie die in der Republik Türkei gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei besteuert werden können oder nur dort besteuert werden können; die Bundesrepublik Deutschland kann jedoch bei der Festsetzung des Steuersatzes für die nicht so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte die Einkünfte und Vermögenswerte berücksichtigen, die nach den vorstehenden Artikeln in der Republik Türkei berücksichtigt werden können. […]

b) - d) … .

4

Der Bundestag hat diesem Abkommen mit der Türkei mit Gesetz vom 27. November 1989 zugestimmt (BGBl II S. 866).

5

Nach den Regelungen in Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Türkei 1985 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, in Abweichung vom Welteinkommensprinzip der § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 EStG von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Sie dürfen nicht für die Bemessung der Einkommensteuer nach deutschem Recht herangezogen werden. Lediglich bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte dürfen sie berücksichtigt werden.

6

§ 50d EStG in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) regelt nach seiner amtlichen Überschrift "Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen". Sein Absatz 8 lautet:

Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit zu ändern. § 175 Absatz 1 Satz 2 der Abgabenordnung ist entsprechend anzuwenden.

7

§ 50d Abs. 8 EStG knüpft damit die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer an den Nachweis, dass der Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die von ihm festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren folgendermaßen begründet (BRDrucks 630/03, S. 66):

"[§ 50d Abs. 8] Satz 1 macht die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) gebotene Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von dem Nachweis abhängig, dass der Tätigkeitsstaat auf die Besteuerung dieser Einkünfte verzichtet hat oder dass die in diesem Staat festgesetzte Steuer entrichtet wurde. Damit soll verhindert werden, dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, z.B. weil dann keine Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Steuerpflichtigen mehr bestehen. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, die Steuerbefreiung aufgrund DBA von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Vgl. hierzu die Ausführungen des BFH im Urteil vom 20. März 2002, I R 38/00, BStBl. II S. 819. Sind die Einkünfte der deutschen Besteuerung unterworfen worden, so ist nach Satz 2 der Steuerbescheid zu ändern, sobald der Steuerpflichtige den in Satz 1 geforderten Nachweis erbringt. Dadurch wird sichergestellt, dass das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats geschützt ist und die Gefahr einer sonst eintretenden Doppelbesteuerung vermieden wird. Nach Satz 3 ist § 175 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend anzuwenden. Danach beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Nachweis nach Satz 1 geführt wird. Der Steuerpflichtige hat damit ausreichend Zeit, die dem Abkommen entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen."

8

§ 50d Abs. 8 EStG war für den Veranlagungszeitraum 2004 erstmals anzuwenden.

9

Das DBA-Türkei 1985 wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt. Am 1. August 2012 ist das Abkommen vom 19. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl II 2012 S. 527), dem der Bundestag mit Gesetz vom 24. Mai 2012 (BGBl II S. 526) zugestimmt hat, in Kraft getreten.

II.

10

1. Im Ausgangsverfahren wenden sich die Kläger, gemeinsam veranlagte Eheleute, gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004, in dem der Ehemann teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Die Kläger beantragten, die in der Türkei erzielten Einkünfte entsprechend den Regelungen des DBA-Türkei 1985 steuerfrei zu belassen. Da sie jedoch nicht entsprechend § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachgewiesen hatten, dass die in der Türkei erzielten Einkommensbestandteile dort versteuert worden waren oder die Türkei auf die Besteuerung verzichtet hatte, behandelte das Finanzamt den gesamten Bruttoarbeitslohn als steuerpflichtig. Die Klage zum Finanzgericht blieb erfolglos.

11

2. Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 hat der Bundesfinanzhof das daraufhin von den Klägern eingeleitete Revisionsverfahren ausgesetzt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

12

Zur Begründung der Vorlage trägt der Bundesfinanzhof vor, dass die Revision im Fall der Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG zurückzuweisen wäre. Nach seiner Auffassung verstößt die Vorschrift jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG. Mit Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens habe sich Deutschland seines Besteuerungsrechts für in der Türkei erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit begeben. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückfallen lasse, verstoße daher gegen bindendes Völkervertragsrecht und laufe der in Art. 25 GG enthaltenen Wertentscheidung des Grundgesetzes für den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Die Kläger des Ausgangsverfahrens würden dadurch in ihrem Grundrecht auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt (a). Zudem widerspreche die Regelung dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG (b).

13

a) § 50d Abs. 8 EStG weiche von der im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarten Verteilung des Besteuerungsrechts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ab, da sich beide Staaten hinsichtlich der Besteuerung von Arbeitseinkünften völkerrechtlich auf das Quellenprinzip und die Freistellungsmethode geeinigt hätten und diese Vereinbarung vorbehaltlos in nationales Recht überführt worden sei. Das Abkommen enthalte zudem weder eine Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) noch einen Nachweisvorbehalt für die Besteuerung im anderen Vertragsstaat. In diesem Zusammenhang könne auch dahinstehen, ob bilaterale Abkommen - wie der Bundesfinanzhof in früheren Entscheidungen angenommen habe - unter einem allgemeinen Umgehungsvorbehalt stünden, der durch nationales Recht konkretisiert werden könne. Denn bei § 50d Abs. 8 EStG handele es sich jedenfalls nicht um einen der Ausfüllung eines solchen Umgehungsvorbehalts dienenden Tatbestand zur Abwehr von Abkommensmissbräuchen, also von Maßnahmen, die darauf abzielten, sich in gestaltungsmissbräuchlicher Weise in die Inanspruchnahme von Vorteilen eines bilateralen Abkommens einzukaufen.

14

Der vorlegende Senat wolle der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die im unilateralen "Bruch" des völkervertraglich Vereinbarten - dem so genannten Treaty Overriding - keinen verfassungsrelevanten Vorgang sähen, im Einklang mit Teilen der Literatur sowie der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr folgen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Görgülü- (BVerfGE 111, 307) und im Alteigentümer-Beschluss (BVerfGE 112, 1) sowie in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt, die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen in den Rang eines Bundesgesetzes überführt worden sei. Es habe sich im Görgülü-Beschluss dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen vorlägen, von denen das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Abweichung abhängig mache. Darauf aufbauend ergebe sich aus dem Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung aller Staatsorgane, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen - durch das Rechtsstaatsgebot in Art. 20 Abs. 3 GG - in die Pflicht genommen werde, Völkervertragsrecht zu beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sei vorrangig und wirke für den Gesetzgeber als materiell-rechtliche Sperre, die ihm die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand in dem Maße nehme, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frage in der Entscheidung zum Reichskonkordat (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>) noch anders beantwortet. Aus dem Alteigentümer-Beschluss ergebe sich jedoch, dass Abweichungen von völkervertraglichen Vereinbarungen einer besonderen Rechtfertigung bedürften, deren Voraussetzungen eng seien. Rechtfertigungsgrund sei die Beachtung der Menschenwürde und der Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht habe damit methodisch den Weg zu einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) gewiesen. Für den Ausgleich der hier widerstreitenden Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie komme es entscheidend darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem Vertragsbruch ein milderes Mittel zur Verfügung stehe.

15

Im vorliegenden Fall sei eine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Völkerrecht nicht zu erkennen. Zwar orientiere sich § 50d Abs. 8 EStG am Leistungsfähigkeitsprinzip, verhindere eine sogenannte Keinmalbesteuerung und stelle eine gleichheitsgerechte Besteuerung (wieder) her, indem es dem Steuerpflichtigen den Vorteil, dass seine im Ausland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dort unbesteuert blieben, wieder nehme und ihn im Ergebnis mit anderen Steuerpflichtigen gleichbehandele, die entsprechende Einkünfte im Inland erzielten. Dem Gesetzgeber sei es jedoch nicht in erster Linie um die Verhinderung einer sogenannten Keinmalbesteuerung gegangen, sondern - ausweislich der Gesetzesbegründung - um die Förderung der Steuerehrlichkeit. Da die so erhobenen Steuern aber nicht an den anderen Staat weitergeleitet würden, sei § 50d Abs. 8 EStG wohl von fiskalischen Überlegungen geleitet. Diese seien ebenso wenig wie mangelnde Steuerehrlichkeit ein rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Freistellungsmethode. Unabhängig davon sei die Möglichkeit der Keinmalbesteuerung für die Freistellungsmethode kennzeichnend, so dass es systemfremd wäre, daraus einen Rechtfertigungsgrund für den einseitig angeordneten Besteuerungsrückfall abzuleiten. Eine Rechtfertigung der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) ergebe sich auch nicht daraus, dass Deutschland gezwungen gewesen sei, mittels § 50d Abs. 8 EStG schnell auf einen besonderen Missstand oder einen besonders kurzfristig zutage tretenden Steuerausfall bei im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu reagieren. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte mit der Kündigung des Abkommens - wie mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geschehen - ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden.

16

b) § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil er den Steuerpflichtigen mit im Ausland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, der den Nachweis gemäß § 50d Abs. 8 EStG erbringe, anders behandle als den Steuerpflichtigen, dem dieser Nachweis nicht gelinge. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liege auch darin, dass das Nachweiserfordernis allein Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffe, nicht dagegen solche mit anderen Einkünften.

17

3. Zu dem Vorlagebeschluss haben namens der Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen sowie alle Senate des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen.

18

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unbegründet. Die nachträgliche Abweichung von einer durch Vertragsgesetz innerstaatlich in Geltung gesetzten völkerrechtlichen Vereinbarung sei nicht verfassungswidrig. Nach dem sich klar im Wortlaut des Grundgesetzes widerspiegelnden Modell sei zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) und völkervertragsrechtlichen Bindungen (Art. 59 Abs. 2 GG) zu unterscheiden. Daraus ergebe sich für Völkervertragsrecht eindeutig der Rang einfachen Rechts, weshalb der demokratisch legitimierte Gesetzgeber durch leges posteriores wirksam von völkervertraglichen Vorgaben abweichen könne. Die abstrakte Berufung auf den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit sei nicht geeignet, Rechtsfolgen zu begründen, die Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG widersprächen. Unabhängig davon verstoße § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auch in den Fällen, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen keinesubject-to-tax-Klausel enthalte, schon deshalb nicht gegen Völkervertragsrecht, weil er lediglich einen allgemeinen, ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt, unter dem alle Doppelbesteuerungsabkommen stünden, konkretisiere. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der geforderte Nachweis diene der Missbrauchsverhinderung und sei insofern sachlich geboten. Die Beschränkung auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sei dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gerade hier besonderen Handlungsbedarf erkannt habe, weil nichtselbständige Tätigkeiten, beispielsweise von Piloten, Berufskraftfahrern oder Seeleuten, für die Steuerbehörden erheblich schwerer zu erfassen seien als selbständige oder unternehmerische Tätigkeiten.

19

Die Senate des Bundesverwaltungsgerichts teilen überwiegend die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Vorrangregelung für völkerrechtliche Verträge enthalte, diese innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hätten und der Gesetzgeber daher von ihnen abweichen dürfe. Weder die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes noch das Rechtsstaatsgebot nivellierten die differenzierten Regelungen über die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen gemäß Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.

III.

20

Der Senat hat dem Bundesfinanzhof Gelegenheit gegeben, den Vorlagebeschluss zu ergänzen. Dem ist der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 10. Juni 2015 nachgekommen.

B.

21

Die Vorlage ist zulässig.

I.

22

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht entlasten soll (vgl. BVerfGE 37, 328 <333 f.>; 65, 265 <277>), muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 79, 240 <243>; 105, 61 <67>; 121, 108 <117>; 133, 1 <11>; 135, 1 <10 f., Rn. 28>; 136, 127 <142, Rn. 44>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (vgl. BVerfGE 22, 175 <177>), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f., 193>; 88, 187 <194>; 105, 61 <67>; 129, 186 <203>; 133, 1 <11, Rn. 35>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

23

Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <23>). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 136, 127 <142, Rn. 45; 145 ff., Rn. 53 ff.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 19. November 2014 - 2 BvL 2/13 -, LKV 2015, S. 23 <24>).

II.

24

Die Vorlage genügt diesen Anforderungen.

25

Der Bundesfinanzhof legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG und die dafür maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar dar und setzt sich jedenfalls im Hinblick auf die aus der angenommenen Völkerrechtswidrigkeit abgeleitete Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG hinreichend mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinander (1.). Ob auch die Ausführungen zur Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann deshalb dahinstehen (2.).

26

1.a) Aus der Begründung der Vorlage ergibt sich, dass der Bundesfinanzhof von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter anderem wegen seines Widerspruchs zu den Regelungen des DBA-Türkei 1985 überzeugt ist. In diesem Zusammenhang geht er - wie geboten (vgl. BVerfGE 136, 127 <145 ff., Rn. 53 ff.>) - auch auf die beiden in seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung vertretenen Ansätze zur Verfassungsmäßigkeit von abkommensüberschreibenden Gesetzen ein. Er erläutert ausführlich, aus welchen Gründen nach seiner jetzigen Überzeugung die von ihm bislang angenommene Befugnis des nationalen Gesetzgebers, ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag durch ein hiervon abweichendes Gesetz ändern oder aufheben zu können (vgl. BFHE 175, 351 <352>; 178, 59 <61 f.>; 198, 514 <521>; BFH, Beschluss vom 28. November 2001 - I B 169/00 -, juris, Rn. 10 f.), nicht besteht. Auch setzt er sich damit auseinander, dass er in früheren Entscheidungen einen ungeschriebenen allgemeinen Umgehungsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen anerkannt hat, so dass sich bei einer einen derartigen Vorbehalt konkretisierenden Regelung die Frage ihrer Völkerrechts- und damit auch ihrer dadurch bedingten Verfassungswidrigkeit nicht stellt (vgl. BFHE 198, 514 <518>; 210, 117 <121 f.>; 220, 244 <246>; 220, 392 <395>). Er bringt dabei nachvollziehbar zum Ausdruck, dass und weshalb die Wertungen dieser (bisherigen) Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalten § 50d Abs. 8 EStG nicht beträfen und auch nicht auf diese Regelung übertragen werden könnten. Zudem legt er schlüssig dar, weshalb die vorgelegte Norm nach seiner Auffassung als Abkommensüberschreibung (Treaty Override) anzusehen ist.

27

b) Auch die Erläuterung der für seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG maßgeblichen Erwägungen genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Der Bundesfinanzhof benennt insoweit den seiner Ansicht nach maßgeblichen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab - Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG - und legt seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG jedenfalls unter dem Aspekt der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG nachvollziehbar dar.

28

aa) Unter dem Blickwinkel der Völkerrechtswidrigkeit bezieht sich der Bundesfinanzhof zur Begründung der Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG auf jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 307; 112, 1; 128, 326) zum Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht. Unter Einbeziehung vor allem steuerrechtlicher Fachliteratur erläutert er, dass und in welchem Umfang der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip die Befugnisse des Gesetzgebers seiner Auffassung nach beschränken.

29

Die Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird in Auseinandersetzung mit dessen Rechtsprechung begründet (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>; BVerfGK 4, 184 <196>). Auch soweit der Bundesfinanzhof den in Bezug genommenen jüngeren Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnimmt, dass völkerrechtswidrige Gesetze regelmäßig nichtig sind, genügt die Vorlage - entgegen insoweit geäußerten Zweifeln (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <230>; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 ff.>) - den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt vom vorlegenden Gericht lediglich die Darlegung, aus welchen Erwägungen es eine Norm für verfassungswidrig "hält", und stellt insofern ausschließlich auf dessen Rechtsansicht ab; ob diese zutrifft oder nicht, entscheidet das Bundesverfassungsgericht in der Sachprüfung oder - bei offensichtlich unzutreffender Rechtsauffassung - im vereinfachten Verfahren nach § 24 BVerfGG (vgl. Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80 Rn. 244 ). Die vom Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf die jüngere Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertretene Auffassung, dass abkommensüberschreibende Gesetze regelmäßig verfassungswidrig sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend. Sie entspricht einer in der Literatur vertretenen (vgl. Gosch, IStR 2008, S. 413 <418 ff.>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 137 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 ff.; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, JZ 1997, S. 161 ff.; ders., in: Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 193 ff., 205; Weigell, IStR 2009, S. 636 <637 ff.>) Ansicht.

30

bb) Dass sich der Bundesfinanzhof bei der Darlegung der Verfassungswidrigkeit von Abkommensüberschreibungen nicht mit einer Kammerentscheidung vom 22. Dezember 2006 (BVerfGK 10, 116) auseinandergesetzt hat, in der die 1. Kammer des Zweiten Senats unter Bezugnahme auf eine Passage des Alteigentümer-Beschlusses (BVerfGE 112, 1 <25>) ausgeführt hat, dass eine verfassungsunmittelbare Pflicht der staatlichen Organe zur Berücksichtigung des Völkerrechts nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen sei, sondern nur, soweit dies dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG sowie in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche (vgl. BVerfGK 10, 116 <124>), steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt zwar eine Darstellung der aus Sicht des vorlegenden Gerichts für die Verfassungswidrigkeit der Norm sprechenden Erwägungen und in diesem Zusammenhang auch eine Auseinandersetzung mit der die Vorlagefrage betreffenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden. In der Sache hat die 1. Kammer zudem lediglich die Alteigentümer-Entscheidung wiedergegeben, die der Bundesfinanzhof in seine Argumentation einbezogen hat.

31

2. Da die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG mit Blick auf den Gesichtspunkt der möglichen Völkerrechtswidrigkeit den Anforderungen von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügen, kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof auch die von ihm angenommene Gleichheitswidrigkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausreichend begründet hat. Ist eine Richtervorlage zumindest unter einem Gesichtspunkt zulässig, hat das Bundesverfassungsgericht die vorgelegte Norm unter allen in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BVerfGE 26, 44 <58>; 90, 145 <168>; 120, 125 <144>; 126, 77 <98>; 133, 1 <12, Rn. 41>), unabhängig davon, ob sie im Vorlagebeschluss angesprochen worden sind oder nicht (vgl. BVerfGE 90, 145 <168>).

C.

32

Die Vorlage ist unbegründet. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist weder aufgrund seines (möglichen) Widerspruchs zu völkerrechtlichen Verträgen (I.) noch wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (II.) verfassungswidrig.

I.

33

1. In der Ordnung des Grundgesetzes haben völkerrechtliche Verträge in der Regel den Rang einfacher Bundesgesetze. Sie können daher durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (a-c). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (d) noch aus dem Rechtsstaatsprinzip (e).

34

a) Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden durch das Grundgesetz bestimmt, das das Verhältnis von internationalem und nationalem Recht an verschiedenen Stellen regelt. So bekennt es sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Diese unveräußerlichen Rechte liegen ihm voraus und sind selbst der Disposition des Verfassungsgebers entzogen (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27>; 128, 326 <369>). In Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG ermöglicht das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Hoheitsrechte auf die Europäische Union, andere zwischenstaatliche und grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen und dem von diesen Organisationen gesetzten Recht einen Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht einzuräumen (vgl. BVerfGE 37, 271 <280>; 73, 339 <374 f.>), in Art. 24 Abs. 2 GG, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und in eine entsprechende Beschränkung der Hoheitsrechte einzuwilligen (vgl. BVerfGE 90, 286 <345 ff.>). In Art. 25 GG bestimmt es, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind und den Gesetzen vorgehen (vgl. BVerfGE 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>). Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließlich bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.

35

Aus der Existenz dieser Öffnungsklauseln ergibt sich, dass das Grundgesetz nicht nur über die Wirksamkeit, sondern auch über den Rang von internationalem Recht innerhalb der nationalen Rechtsordnung entscheidet. In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung insofern auch über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen. Sie kann dabei grundsätzlich auch dem staatlichen Recht Vorrang einräumen.

36

Hängen Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht innerhalb der deutschen Rechtsordnung von den Vorgaben des Grundgesetzes ab, so können sie durch die Verfassung auch begrenzt werden, mit der Folge, dass es zu einem Auseinanderfallen von innerstaatlich wirksamem Recht und völkerrechtlichen Verpflichtungen kommen kann.

37

b) Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG) (aa), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes (bb).

38

aa) Art. 25 Satz 1 GG verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben gemäß Art. 25 Satz 2 GG innerhalb der nationalen Rechtsordnung einen Rang über den (einfachen) Gesetzen, aber unterhalb der Verfassung (2). Völkerrechtliche Verträge nehmen in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teil (3).

39

(1) Art. 25 Satz 1 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. Er verschafft den allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar, das heißt, ohne dass ein sonstiger (einfachrechtlicher) Rechtsakt hinzukommen müsste, Wirksamkeit innerhalb der deutschen Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>).

40

(2) Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor. Er räumt diesen Regeln damit Vorrang vor den Gesetzen ein. Ein Gesetz, das mit einer allgemeinen Regel des Völkerrechts kollidiert, verstößt daher gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 23, 288 <300>; 31, 145 <177>; 112, 1 <21 f.>).

41

Gleichzeitig ist Art. 25 GG jedoch dahingehend zu verstehen, dass er - dem Wortlaut von Satz 2 entsprechend - den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Rang oberhalb der (einfachen) Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einräumt (Zwischenrang) (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 37, 271 <279>; 111, 307 <318>; 112, 1 <24, 26>; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 42 ; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 11; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 55). Dies korrespondiert mit Art. 100 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung zuweist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist, nicht jedoch die Prüfung, ob das Grundgesetz mit dem (vorrangigen) Völkerrecht vereinbar ist.

42

(3) Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 f., 34 f.>; 23, 288 <317>; 31, 145 <177>; 94, 315 <328>; 95, 96 <129>; 96, 68 <86>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134>), das heißt diejenigen Normen des Völkerrechts, die unabhängig von vertraglicher Zustimmung für alle oder doch die meisten Staaten gelten (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 1 ; vgl. auch BVerfGE 15, 25 <34>; 16, 27 <33>; 118, 124 <164 ff.>). Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen daher grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil (vgl. BVerfGE 6, 309 <363>; 31, 145 <178>; 117, 141 <149>; 118, 124 <134 f.>). Anders als andere Rechtsordnungen - etwa die französische (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, 2. Aufl. 1989, S. 113 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 51; Oellers-Frahm, in: Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, S. 865 <868 f.>) oder die luxemburgische (vgl. Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 204) - sieht das Grundgesetz einen generellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge vor dem einfachen Gesetzesrecht nicht vor.

43

bb) Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erlangen völkerrechtliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erst durch das dort vorgesehene Zustimmungsgesetz innerstaatliche Wirksamkeit (1). Sie haben den Rang einfacher Bundesgesetze (2). Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Grundsatz pacta sunt servanda (3) noch - auch nicht für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - aus § 2 Abs. 1 AO (4).

44

(1) Der Zustimmungsvorbehalt gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hat unterschiedliche Funktionen. Er dient - neben der Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) - der Ermöglichung einer rechtzeitigen und damit effektiven Kontrolle der Exekutive durch die Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Verbindlichkeit eines Vertrags (vgl. BVerfGE 90, 286 <357>; 118, 244 <258>; 131, 152 <195 f.>). Zudem sichert er den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, da aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hervorgeht, dass die in einem völkerrechtlichen Vertrag enthaltenen Regelungen nur unter der Voraussetzung Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen, abändern oder aufheben können, dass ihnen der Gesetzgeber zugestimmt hat (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 65 ff.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 26). Im Interesse der Funktionsfähigkeit völkerrechtlicher Beziehungen soll der Zustimmungsvorbehalt darüber hinaus verhindern, dass (wichtige) Verträge mit auswärtigen Staaten geschlossen werden, die später - mangels notwendiger Billigung durch den Gesetzgeber - nicht erfüllt werden können (Zweck der Vollzugssicherung) (vgl. BVerfGE 1, 372 <389 f.>; 118, 244 <258>). Damit dient der Zustimmungsvorbehalt zugleich der Wahrung der Entscheidungsfreiheit der Legislative, denn er verhindert, dass das Parlament durch völkerrechtliche Verpflichtungen, die innerstaatlich ein gesetzgeberisches Tätigwerden verlangen, präjudiziert wird (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21).

45

(2) Aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zudem, dass völkerrechtlichen Verträgen, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel - insbesondere Art. 23 bis Art. 25 GG - fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes zukommt und sie insofern keinen Übergesetzes- oder gar Verfassungsrang besitzen (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>).

46

Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt nicht nur die Methodik, durch die völkervertragliche Regelungen in der nationalen Rechtsordnung wirksam werden, sondern auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht innerhalb der nationalen Rechtsordnung zukommt. Das (einfache) Gesetz kann - ohne eine dahingehende grundgesetzliche Ermächtigung - dem völkervertraglich Vereinbarten keinen höheren Rang verleihen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht stets betont, dass der Rechtsanwendungsbefehl im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einem völkerrechtlichen Vertrag innerhalb der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen einräumt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>).

47

(3) Aus dem Grundsatz pacta sunt servanda, der seinerseits eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 92), ergibt sich nichts anderes. Der Grundsatz beschreibt zwar eine besondere (völkerrechtliche) Pflichtenstellung des Staates gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, sagt jedoch nichts über die innerstaatliche Geltung und den Rang völkerrechtlicher Verträge (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 9 ). Er bewirkt insbesondere nicht, dass alle Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG werden (vgl. BVerfGE 31, 145 <178>; vgl. auch BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. August 1983 - 2 BvR 1193/83 -, NVwZ 1984, S. 165 <165>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, VIZ 2001, S. 114 <114>).

48

(4) An diesem Ergebnis vermag § 2 Abs. 1 AO - auch für völkerrechtliche Verträge über die Besteuerung - nichts zu ändern (vgl. Lehner, IStR 2012, S. 389 <400>). Nach dieser Vorschrift gehen zwar Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. Da es sich bei § 2 AO um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, kann er den von ihm geregelten völkerrechtlichen Verträgen keinen höheren Rang in der Normenhierarchie vermitteln (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2226>). Allenfalls könnte er die Subsidiarität der nationalen Steuergesetze gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen und anderen völkerrechtlichen Verträgen im Steuerrecht anordnen.

49

c) Haben völkerrechtliche Verträge den Rang (einfacher) Bundesgesetze, können sie entsprechend dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden (aa). Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schließt dies nicht aus (bb). Auch aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass eine solche Verdrängung an besondere Voraussetzungen gebunden wäre (cc). Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen (dd).

50

aa) Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex-posterior-Grundsatzes wird abbedungen. Sind die Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirksam und kommt ihnen dabei der Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes zu, so können auch sie durch ein späteres, gegenläufiges Bundesgesetz im Umfang des Widerspruchs außer Kraft gesetzt werden (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 118 f.; a.A. Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>).

51

bb) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schränkt die Geltung deslex-posterior-Grundsatzes für völkerrechtliche Verträge nicht ein. Da der Gesetzgeber einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig nur insgesamt zustimmen oder nicht zustimmen kann (vgl. BVerfGE 90, 286 <358>), wird zwar mitunter angenommen, dass Zustimmungsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag derart untrennbar miteinander verbunden seien, dass das Zustimmungsgesetz - abgesehen von seiner Aufhebung im Ganzen - durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegen inhaltliche Abänderungen geschützt sei (vgl. Wohlschlegel, FR 1993, S. 48 <49>) oder sich der Gesetzgeber von einem völkerrechtlichen Vertrag nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht lösen könne (vgl. Vöneky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XI, 3. Aufl. 2013, § 236 Rn. 33).

52

Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen.

53

Sie widerspricht insbesondere dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität. Demokratie ist Herrschaft auf Zeit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 79). Dies impliziert, dass spätere Gesetzgeber - entsprechend dem durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes - innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren, weil dadurch politische Auffassungen auf Dauer festgeschrieben würden (vgl. Hofmann, DVBl. 2013, S. 215 <219>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184 ; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>). Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG soll einem innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zudem ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau vermitteln (vgl. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 21), nicht dieses absenken. Es soll die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 59 Abs. 2 Rn. 37; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 65; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 59 Rn. 33; Streinz, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 59 Rn. 21). Dem widerspräche es, aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen (vgl. Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 261).

54

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er - innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen - durchaus ändern und neu gestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen (vgl. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 173). Würde der Gesetzgeber seine Normsetzungsbefugnis in dem Umfang verlieren, in dem er in der Form eines Bundesgesetzes völkerrechtliche Vereinbarungen gebilligt hat, führte dies im Ergebnis zu einer Art. 20 Abs. 3 GG widersprechenden Bindung (vgl. Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>).

55

Auch ist der Gesetzgeber nicht für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Bestünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten (vgl. BVerfGE 68, 1 <83, 85 f.>). Wenn aber das Demokratieprinzip eine dauerhafte Bindung des Gesetzgebers an Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber verbietet und ihm gleichzeitig die Befugnis fehlt, völkerrechtliche Verträge, mit deren Inhalt er nicht mehr einverstanden ist, zu beenden, muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.

56

Schließlich hat das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag für die Beteiligten am Rechtsverkehr ebenso wenig wie ein sonstiges innerstaatliches Gesetz eine Garantiefunktion dahingehend, dass kein abweichendes Gesetz erlassen wird (vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 212 ff.; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <289>).

57

cc) Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass völkervertragliche Regelungen nicht durch spätere, ihnen widersprechende (Bundes-)Gesetze verdrängt werden können.

58

So hat der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur C-Waffen-Stationierung ausgeführt, dass der Verfassung schwerlich unterlegt werden könne, dass sie es der Bundesrepublik Deutschland verwehre, sich völkerrechtswidrig zu verhalten (vgl. BVerfGE 77, 170 <233 f.>; vgl. auch BVerfGE 68, 1 <107>). In der Entscheidung zur Unschuldsvermutung hat er zwar festgestellt, dass Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands auszulegen und anzuwenden seien, selbst wenn sie zeitlich später wirksam geworden seien als ein völkerrechtlicher Vertrag, da nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Pflichten ermöglichen wolle (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>). Daher sei davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber grundsätzlich nicht in Widerspruch zu völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands setzen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 515; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <488>); er ist dazu jedoch in der Lage (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>).

59

Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 518; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 25 Rn. 4a; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Rauschning, in: Bonner Kommentar, GG, Bd. 9, Art. 59 Rn. 109 ff. ; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <848>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, in: ders./Lehner, DBA, 5. Aufl. 2008, Einl. Rn. 205; ders., IStR 2005, S. 29 <30>; Weigell, IStR 2009, S. 636 <639 f.>) hat das Bundesverfassungsgericht auch im Görgülü-Beschluss (BVerfGE 111, 307) nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe. Zwar hat der Senat dort festgehalten, dass es dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht widerspreche, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht ausnahmsweise nicht beachte, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>). Er hat zudem festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz eine Pflicht der zuständigen Stellen zur Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte begründe und dass diese die entsprechenden Texte und Judikate zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen müssten (vgl. BVerfGE 111, 307 <324>). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit einem völkerrechtlichen Vertrag regelmäßig zu dessen Verfassungswidrigkeit führt. Der Görgülü-Beschluss verhält sich zu den Folgen eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen Völker(vertrags)recht nicht, sondern betrifft ausschließlich die Rechtsfolgen einer unzureichenden Beachtung von Völkerrecht durch die Fachgerichte (vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

60

dd) Das Völkerrecht verbietet die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte grundsätzlich nicht (1); unbeachtlich ist ein Verstoß gegen Völkerrecht gleichwohl nicht (2).

61

(1) Das Völkerrecht schließt die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht aus. Allgemeine Regeln des Völkerrechts zur innerstaatlichen Erfüllung von Vertragspflichten existieren nicht (vgl. BVerfGE 73, 339 <375>; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <322>; 123, 267 <398>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384, Rn. 26>; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 704; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 2000, S. 64; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>). Das Völkerrecht überlässt es vielmehr den Staaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Regelungen genügen (so in Bezug auf die EMRK jedenfalls BVerfGE 111, 307 <316> m.w.N.; 128, 326 <370>). Zwar fordert es von den Staaten die Erfüllung der zwischen ihnen geschlossenen Verträge nach Treu und Glauben (Art. 26 WVRK). Es schließt allerdings nur aus, dass ein Staat unter Berufung auf innerstaatliches Recht die Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht auf völkerrechtlicher Ebene rechtfertigen kann (Art. 27 Satz 1 WVRK).

62

Insoweit überlässt es das Völkerrecht den Staaten, die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer Kollision zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einem Gesetz nach den entsprechenden Rang- und Kollisionsregeln des nationalen Rechts zu regeln und dem nationalen Recht den Vorrang einzuräumen (vgl. Kunig, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl. 2013, 2. Abschnitt, Rn. 30; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183 ). Innerstaatliche Regelungen betreffen andere Rechtsverhältnisse als die völkerrechtlichen Vorschriften, zu denen sie im Widerspruch stehen.

63

(2) Auch wenn das Völkerrecht die innerstaatliche Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht ausschließt, ist der damit verbundene Verstoß nicht unbeachtlich. Verletzt ein Staat seine Pflichten aus einem völkerrechtlichen Vertrag, haben der oder die Vertragspartner verschiedene Möglichkeiten, auf den Vertragsbruch zu reagieren. Bei weniger gravierenden Vertragsverletzungen kommen regelmäßig nur ein Recht zur ordentlichen Kündigung (Art. 56 WVRK), ein Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustands oder - subsidiär - eine Schadensersatzforderung in Betracht (vgl. Art. 34 ff. der ILC, Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 370 mit Fn. 82, Rn. 371 ff. mit Fn. 86). Bei erheblichen Verletzungen (material breach) kann der andere Teil berechtigt sein, den Vertrag unabhängig von der Vereinbarung eines Kündigungsrechts zu beenden oder ihn zu suspendieren (Art. 60 Abs. 1 WVRK; vgl. Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 371). Eine erhebliche Verletzung liegt gemäß Art. 60 Abs. 3 WVRK bei Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder -zwecks wesentlichen Bestimmung vor (vgl. Art. 2b i.V.m. Art. 12 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 ).

64

d) Die Verfassungswidrigkeit völkerrechtswidriger Gesetze lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen (a.A. Vogel, JZ 1997, S. 161 <165 ff.>; Becker, NVwZ 2005, S. 289 <291>; Richter, in: Giegerich , Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <846>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>). Der Grundsatz hat zwar Verfassungsrang (aa), beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Er dient vielmehr vor allem als Auslegungshilfe (bb). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann insbesondere die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen und ihre Systematik nicht unterlaufen (cc).

65

aa) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit hat Verfassungsrang. Er ergibt sich aus einer Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Vorschriften, die das Verhältnis Deutschlands zur internationalen Staatengemeinschaft zum Gegenstand haben (vgl. Herdegen, Völkerrecht, 13. Aufl. 2014, § 22 Rn. 9 f.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <470 ff.>). Das Grundgesetz hat die deutsche öffentliche Gewalt auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) festgelegt. Es hat das Völkerrecht jedenfalls in seinen allgemeinen Regeln besonders hervorgehoben (Art. 25 GG), das Völkervertragsrecht durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung eingeordnet, die Einfügung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugelassen (Art. 24 Abs. 2 GG), den Auftrag zur friedlichen Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der Schiedsgerichtsbarkeit erteilt (Art. 24 Abs. 3 GG) und den Angriffskrieg für verfassungswidrig erklärt (Art. 26 GG) (vgl. BVerfGE 111, 307 <318>). Mit diesen Regelungen zielt es, auch ausweislich der Präambel, darauf, die Bundesrepublik Deutschland als friedliches und gleichberechtigtes Glied in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft einzufügen (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 111, 307 <318>). Die Bestimmungen enthalten eine Verfassungsentscheidung für eine auf die Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; Mosler, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, 1992, § 175 Rn. 1 ff.; Payandeh, JöR 57 [2009], S. 465 <481>) und verpflichten daher die gesamte öffentliche Gewalt dazu, einem Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage entgegenzuwirken und im Außenverhältnis eine mit einer Verletzung des Völkerrechts verbundene Haftung Deutschlands zu vermeiden (vgl. BVerfGE 58, 1 <34>; 59, 63 <89>; 109, 13 <23 f.>; 109, 38 <49 f.>; 111, 307 <316, 318, 328>; 112, 1 <25>; 128, 326 <368 f.>).

66

Der daraus abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes wird in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vor allem im Verhältnis zu Menschenrechtspakten und dabei insbesondere im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention - hervorgehoben (vgl. BVerfGE 92, 26 <48>; 111, 307 <317 ff.>; 112, 1 <26>; 113, 273 <296>; 123, 267 <344, 347>; 128, 326 <365, 366, 369>; BVerfGK 9, 174 <186, 190, 191, 192>; 17, 390 <397 f.>), ist aber auch schon in der älteren Rechtsprechung des Gerichts nachweisbar (vgl. BVerfGE 6, 309 <362>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75>; 41, 88 <120 f.>). Während zunächst vor allem die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit thematisiert wurden (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>; 18, 112 <121>; 31, 58 <75 f.>; 41, 88 <120 f.>), betont die Rechtsprechung heute, dass das Grundgesetz die Staatsorgane in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt und dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts mindert (vgl. BVerfGE 109, 38 <50>; 111, 307 <328>; 112, 1 <25>).

67

bb) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes beinhaltet jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Verträge (1-2). Er dient vor allem als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (3).

68

(1) Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.

69

(2) Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung jeder Bestimmung des Völkerrechts. Eine solche widerspräche, wie der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss erläutert hat, dem in den Art. 23 bis Art. 26 GG, in den Art. 1 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegten Konzept des Grundgesetzes und damit den differenzierten Regelungen über den innerstaatlichen Rang völkerrechtlicher Normen (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), aus denen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet wird und die daher auch bei der näheren Bestimmung seines Inhalts zu beachten sind. Das Grundgesetz hat nicht die uneingeschränkte Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Vorrang von Völkerrecht auch vor dem Verfassungsrecht angeordnet, sondern will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit (nur) in den Formen einer kontrollierten Bindung (vgl. BVerfGE 112, 1 <25>), das heißt so, wie sie in den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist. Diese beinhalten für die Regelungen völkerrechtlicher Verträge jedoch gerade keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung.

70

(3) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zur respektieren, besitzt vielmehr drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane - unter hier nicht näher zu bestimmenden Voraussetzungen - auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

71

(4) Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ferner als Auslegungshilfe für die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung sowie das einfache Recht (vgl. zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <315 f., 317, 324, 325, 329>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <365, 367 f.>; BVerfGK 3, 4 <8>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>; 20, 234 <247>). Er gebietet, die nationalen Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <367 f.>; BVerfGK 9, 174 <190>). In der Kammerrechtsprechung ist dies dahingehend konkretisiert worden, dass im Rahmen geltender methodischer Grundsätze von mehreren möglichen Auslegungen eines Gesetzes grundsätzlich eine völkerrechtsfreundliche zu wählen ist (vgl. BVerfGK 10, 116 <123>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2014 - 2 BvR 450/11 -, NVwZ 2015, S. 361 <364>; so auch Proelß, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Bd. 1, 2009, S. 553 <556 ff.>).

72

Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt jedoch nicht absolut und ungeachtet der methodischen Grenzen der Gesetzesauslegung. Es verlangt keine schematische Parallelisierung der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht, sondern eine möglichst vollständige Übernahme der materiellen Wertungen - soweit dies methodisch vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>; BVerfGK 20, 234 <247>; bezogen auf die EMRK vgl. Thym, JZ 2015, S. 53 <54>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit entfaltet Wirkung nur im Rahmen des demokratischen und rechtsstaatlichen Systems des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 111, 307 <318, 323, 329>; 128, 326 <366, 371 f.>) und lässt etwa den Grundsatz der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet (vgl. BVerfGE 123, 267 <344>). Zwar ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; BVerfGK 10, 116 <123>). Eine Auslegung entgegen eindeutig entgegenstehendem Gesetzes- oder Verfassungsrecht ist jedoch methodisch nicht vertretbar (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; vgl. auch Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <425 f.>).

73

cc) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann daher nicht völkerrechtsfreundlich dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen, in denen allein auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist, über völkervertragliche Bindungen hinwegsetzen dürfte. Eine Auslegung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach völkerrechtlichen Verträgen zumindest im Regelfall ein Rang über den (einfachen) Gesetzen zukäme, ist methodisch nicht vertretbar. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann die Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts nicht verdrängen (1) und die damit verbundene Systematik nicht unterlaufen (2).

74

(1) Das Grundgesetz hat sich in Art. 59 Abs. 2 GG dafür entschieden, völkerrechtliche Verträge innerstaatlich (nur) mit dem Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes auszustatten (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 22, 254 <265>; 25, 327 <331>; 35, 311 <320>; 74, 358 <370>; 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <367>; BVerfGK 10, 116 <124>). Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - der seinerseits keine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 2000 - 1 BvR 1643/95 -, juris, Rn. 11) und unter anderem aus Art. 59 Abs. 2 GG abgeleitet wird - vermag an dieser Einordnung und an der daran anknüpfenden Geltung des lex-posterior-Grundsatzes nichts zu ändern. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Reichskonkordat festgestellt, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit gehe, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern (vgl. BVerfGE 6, 309 <362 f.>). Der aus ihm abgeleitete ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit kann das Grundgesetz konkretisieren oder ergänzen. Er kann das geschriebene Verfassungsrecht jedoch nicht entgegen der in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG vorgesehenen Zuständigkeit und Methodik ändern oder außer Kraft setzen (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 251).

75

(2) Die hier in Rede stehende Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG, die sich auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit beruft, führte im Ergebnis dazu, dass die Unterschiede in der Bindungswirkung der verschiedenen Quellen des Völkerrechts, die durch ihren jeweiligen grundgesetzlich bestimmten Rang bedingt sind, eingeebnet würden und damit die grundgesetzliche Systematik hinsichtlich des Rangs von Völkerrecht unterlaufen würde (vgl. Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <231 f.>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.I.). Dies wird, nimmt man Doppelbesteuerungsabkommen in den Blick, sehr deutlich: Da Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig nicht gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen (vgl. Fehrenbacher/Traut, in: Festschrift für Kay Hailbronner, 2013, S. 569 <580>; Kempf/Bandl, DB 2007, S. 1377 <1381>; Stein, IStR 2006, S. 505 <508 f.>; Vogel, IStR 2005, S. 29 <30>), hätten sie de facto - wie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts - regelmäßig einen Rang über den Gesetzen. Eine solche Gleichsetzung widerspräche jedoch der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG getroffenen Unterscheidung. Darüber kann sich die Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG nicht hinwegsetzen.

76

Die Forderung nach einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 59 Abs. 2 GG verkennt zudem, dass das Grundgesetz nicht nur zwischen Völkervertragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterscheidet, sondern auch zwischen zwingenden, der Disposition des Verfassungsgebers entzogenen Regelungen, insbesondere den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), und sonstigem Völkerrecht (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 112, 1 <27 f.>; 128, 326 <369>). Daher können die vom Bundesfinanzhof und Teilen des Schrifttums zur Begründung einer grundsätzlichen Bindung des Gesetzgebers an Völkervertragsrecht herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich durchgängig auf grund- und menschenrechtliche Fragestellungen (vgl. BVerfGE 111, 307 <308 ff.>; 112, 1 <13 ff.>; 128, 326 <359 ff.>) beziehen, nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragen werden (zur fehlenden Übertragbarkeit der Entscheidungen aufgrund des unterschiedlichen normativen Gesamtgefüges vgl. Hahn, BB 2012, S. 1955 <1958>; Heger, jurisPR-SteuerR 25/2012 Anm. 4 unter C.; Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <381 f.>; Musil, IStR 2014, S. 192 <194>; Schwenke, FR 2012, S. 443 <447>).

77

e) Entgegen einer vor allem in der steuerrechtlichen Literatur vertretenen und vom Bundesfinanzhof nun aufgegriffenen Ansicht (z.B. Frotscher, IStR 2009, S. 593 <599>; Gosch, IStR 2008, S. 413 <419>; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 <1381>; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 105 ff.; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; Stein, IStR 2006, S. 505 <509>; Vogel, JZ 1997, S. 161 <165>), ist die einseitige Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip verfassungswidrig.Die Auslegung des grundgesetzlichen Rechtsstaatsgebots muss den Anforderungen einer systematischen Interpretation des Verfassungstextes genügen. Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung findet jedenfalls an ausdrücklichen Vorgaben des Grundgesetzes und am Demokratieprinzip ihre Grenze (aa). Daher kann aus dem Rechtsstaatsprinzip ein insbesondere den Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG widersprechender (begrenzter) Vorrang des Völkervertragsrechts vor dem (einfachen) Gesetz oder eine Einschränkung des lex-posterior-Grundsatzes nicht abgeleitet werden (bb).

78

aa) Das Verfassungsrecht besteht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung, sondern darüber hinaus aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 80 ff., 84 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.). Zu diesen Grundsätzen gehört das Rechtsstaatsprinzip, das sich aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der einzelnen Gewalten und der Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes ergibt (vgl. BVerfGE 2, 380 <403>). Seine vornehmliche Verankerung findet das Rechtsstaatsprinzip allerdings in den in Art. 20 Abs. 3 GG ausgesprochenen Bindungen der Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 35, 41 <47>; 39, 128 <143>; 48, 210 <221>; 51, 356 <362>; 56, 110 <128>; 58, 81 <97>; 101, 397 <404>; 108, 186 <234>; 133, 143 <157 f., Rn. 40>; 134, 33 <89, Rn. 129>; stRspr).

79

Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine bis in alle Einzelheiten gehenden, eindeutig bestimmten Ge- oder Verbote, sondern ist entsprechend den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 7, 89 <92 f.>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Angesichts dieser Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist bei der Ableitung konkreter Bindungen mit Behutsamkeit vorzugehen (vgl. BVerfGE 90, 60 <86>; vgl. auch BVerfGE 57, 250 <276>; 65, 283 <290>; 111, 54 <82>). Eine (vermeintlich) rechtsstaatliche Auslegung des Grundgesetzes findet jedenfalls an anderen Vorgaben des Grundgesetzes ihre Grenze. Sie darf der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 85, 87). Das Rechtsstaatsprinzip ist daher auch kein Einfallstor für eine den differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Regelungen widersprechende schematische "Vollstreckung" von Völkerrecht (vgl. bezogen auf die Durchführung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte BVerfGE 111, 307 ).

80

bb) Wollte man die Verfassungswidrigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) aus ihrer Rechtsstaatswidrigkeit abzuleiten versuchen, liefe dies darauf hinaus, dem Völkervertragsrecht entgegen dem insbesondere Art. 25 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 GG zu entnehmenden Konzept des Grundgesetzes zumindest einen begrenzten Vorrang vor dem (einfachen) Gesetz einzuräumen. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) würde bedeuten, dass nicht nur das Abkommen selbst, das mitunter erst nach Ablauf mehrerer Jahre (vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA-Türkei 1985) und nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 1 GG nicht vom Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 55) gekündigt werden kann, sondern auch seine Auslegung durch die Fachgerichte korrigierenden Eingriffen des Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE 135, 1 <15, Rn. 45>; Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>). Das widerspräche nicht nur der in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Entscheidung gegen eine Unterwerfung der Verfassung unter das Völkerrecht und für den einfachgesetzlichen Rang des Völkervertragsrechts, sondern auch dem Demokratieprinzip.

81

Aus dem Urteil des Zweiten Senats zur Verpackungsteuer ergibt sich nichts anderes. Dort ging es um sich widersprechende Regeln des Steuergesetzgebers (Land) und des Sachgesetzgebers (Bund), also um den - vom Senat allerdings nicht erwähnten - Vorrang des Bundesrechts nach Art. 31 GG und die Kohärenz der (einheitlichen) nationalen Rechtsordnung. Auf sie bezieht sich der dort entwickelte Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 98, 106 <118 f.>), der verhindern soll, dass der Bürger einander widersprechenden Normbefehlen unterschiedlicher Gesetzgeber ausgesetzt wird. Demgegenüber geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) um die Kollision zweier gleichrangiger Normen desselben Gesetzgebers. Derartige Kollisionen sind - wie der Senat in dem Verpackungsteuerbeschluss ausgeführt hat - grundsätzlich "nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen" aufzulösen (BVerfGE 98, 106 <119>).

82

2. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) darstellt. Das Grundgesetz verbietet eine Überschreibung der dort genannten völkervertraglichen Vereinbarungen durch abweichende nationale Regelungen im Regelfall nicht (a). Das verstößt weder gegen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (b) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (c). Auch sonstige Erwägungen stehen ihr nicht entgegen (d).

83

a) Das DBA-Türkei 1985 ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Da er nicht allgemeine Regeln des Völkerrechts klarstellend wiederholt und die allgemeine Regel des Völkerrechts pacta sunt servanda die einzelnen Normen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht in allgemeine Regeln des Völkerrechts verwandelt, scheidet Art. 25 GG als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der hier in Rede stehenden Abkommensüberschreibung (Treaty Override) schon tatbestandlich aus.

84

Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung einer Überschreibung des DBA-Türkei 1985 ist allein Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach bedürfen Doppelbesteuerungsabkommen wie andere völkerrechtliche Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit eines ihnen den Anwendungsbefehl innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung erteilenden Bundesgesetzes. Durch diesen erhalten sie innerstaatlich den Rang eines (einfachen) Bundesgesetzes.

85

Da der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG und in Übereinstimmung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an einfache Gesetze gebunden ist, kann er das Zustimmungsgesetz zu dem DBA-Türkei 1985 ungeachtet der fortbestehenden völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Erlass von Gesetzen, die dem im Doppelbesteuerungsabkommen Vereinbarten inhaltlich widersprechen, aufheben oder ändern.

86

b) Nichts anderes ergibt sich - wie dargelegt - aus dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist ein die Verfassungs- und Gesetzesauslegung leitender Grundsatz, verleiht jedoch auch Doppelbesteuerungsabkommen wie dem DBA-Türkei 1985 keinen Rang über dem einfachen Gesetzesrecht und insofern auch keine die Befugnisse des Gesetzgebers beschränkende Bindung.

87

c) Auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könnte nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG abgeleitet werden.

88

Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat ("ungeachtet des Abkommens"), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 <390>).

89

d) Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankommt, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führte dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber ist unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig ist, nach den Regelungen des Grundgesetzes zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfGE 68, 1 <82>). Die Kündigung eines Doppelbesteuerungsabkommens zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten ist insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung (Treaty Override) und entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs, kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig (vgl. Ismer/Baur, IStR 2014, S. 421 <424>).

90

Hinzu kommt, dass die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags auch aus Sicht des Vertragspartners nicht unbedingt ein milderes Mittel ist, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfällt (vgl. Art. 44 WVRK). Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern (vgl. Art. 31 Abs. 3 Buchstabe b, Art. 39 WVRK).

91

Schließlich kann die Kündigung des Doppelbesteuerungsabkommens auch aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht als milderes Mittel angesehen werden (vgl. Mitschke, DStR 2011, S. 2221 <2225>). Denn ohne Doppelbesteuerungsabkommen ist er - vorbehaltlich der Anrechnung entsprechend § 34c EStG - der Gefahr einer Doppelbesteuerung ausgesetzt.

II.

92

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

93

1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; 130, 240 <252>). Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 122, 210 <230>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>; 135, 126 <143, Rn. 51>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>; stRspr). Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 121, 108 <119>; 121, 317 <370>; 126, 400 <416>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49 <68>; 130, 240 <253>; 132, 179 <188, Rn. 30>; 133, 59 <86, Rn. 72>; 135, 126 <143, Rn. 52>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 107, 218 <244>; 115, 381 <389>). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 93, 319 <348 f.>; 107, 27 <46>; 126, 400 <416>; 129, 49 <69>; 132, 179 <188, Rn. 30>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 88, 5 <12>; 88, 87 <96>; 105, 73 <110>; 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 122, 1 <23>; 122, 210 <230>; 123, 111 <119>; 126, 400 <416>; 127, 224 <244>; 129, 49 <68>; 130, 52 <66>; 130, 240 <254>; 131, 239 <255 f.>; 135, 126 <143 f., Rn. 52>; stRspr).

94

Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt (vgl. BVerfGE 76, 256 <329>; 84, 239 <268>; 85, 176 <187>; 90, 145 <196>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 GG betroffenen Freiheitsrechten (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 111, 176 <184>; 122, 210 <230>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>; 131, 239 <256>; 133, 377 <407 f., Rn. 75>). Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 129, 49 <69>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 124, 199 <220>; 129, 49 <69>; 130, 240 <254>; 132, 179 <188 f., Rn. 31>).

95

b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 <268 ff.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Die Steuerpflichtigen müssen entsprechend diesem Grundsatz durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), wird, insbesondere für den Bereich des Einkommensteuerrechts (vgl. BVerfGE 82, 60 <86>; 105, 73 <125 f.>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>), daher vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 <125>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 122, 210 <231>).

96

Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 99, 246 <260>; 107, 27 <46 f.>; 116, 164 <180>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Bei der Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands muss zudem die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden (vgl. BVerfGE 84, 239 <271>; 93, 121 <136>; 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 101, 132 <138>; 101, 151 <155>; 105, 73 <125 f.>; 122, 210 <231>; vgl. auch BVerfGE 117, 1 <30>; 121, 108 <119 f.>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>). Demgemäß müssen sich Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands; vgl. BVerfGE 117, 1 <30 f.>; 120, 1 <29>; 121, 108 <120>; 126, 400 <417>; 137, 350 <366, Rn. 41>) und bedürfen folglich eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 99, 88 <95>; 99, 280 <290>; 105, 73 <125 f.>; 107, 27 <47>; 116, 164 <180 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <29>; 121, 108 <119 f.>; 122, 210 <231>; 126, 400 <417>; 127, 1 <28>; 132, 179 <189, Rn. 32>; 137, 350 <366, Rn. 41>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 -, NJW 2015, S. 303 <306>). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anzuerkennen (vgl. BVerfGE 116, 164 <182>; 105, 17 <45>; 122, 210 <233>).

97

2.§ 50d Abs. 8 EStG enthält zwar eine Ungleichbehandlung (a). Diese weist jedoch nur eine geringe Eingriffsintensität auf (b) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (c).

98

a) Bei der Prüfung der Frage, ob mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG eine Ungleichbehandlung verbunden ist, ist davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4, § 49 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 3, § 2 EStG) Steuerpflicht als sachgerecht und die damit verbundene unterschiedliche Behandlung der entsprechenden Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig als gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BVerfGE 43, 1 <10>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2010 - 2 BvR 1178/07 -, NJW 2010, S. 2419 <2420>). Daher bildet die Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenso wie die Gruppe der beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich die maßgebliche Obergruppe, innerhalb derer Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung bedürfen. Innerhalb der Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen hat der Gesetzgeber mit der Berücksichtigung einer Doppelbesteuerung bei ausländischen Einkünften, die auf unterschiedlichen Wegen (Anrechnung, Freistellung, Abzug) erfolgen kann (vgl. § 34c EStG), eine eigenständige Untergruppe geschaffen. Differenzierungen innerhalb dieser Untergruppe müssen ihrerseits nach Maßgabe des Gebots der horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG genügen.

99

§ 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freigestellt sind, für den Fall (doch) der Besteuerung in Deutschland unterwirft, dass der geforderte Nachweis nicht erbracht wird, behandelt unbeschränkt Steuerpflichtige im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von Einkünften von der deutschen Steuer ungleich. So werden Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger aus nichtselbständiger Arbeit, die nach den Regelungen eines Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Steuer befreit sind, im Fall der Nichterbringung des von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderten Nachweises genauso behandelt wie Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger, die nicht aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer befreit sind, so dass die mit der Freistellung von der deutschen Steuer verbundene Begünstigung aufgehoben wird, während sie für diejenigen, die den Nachweis erbringen, bestehen bleibt. Darüber hinaus verlangt § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als zusätzliche Voraussetzung für die in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung von der deutschen Steuer einen Nachweis über einen Besteuerungsverzicht des Vertragsstaates beziehungsweise über die Entrichtung der von diesem Staat festgesetzten Steuer. Bei anderen Einkunftsarten, die ebenso wie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nach den Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellt sein können, so zum Beispiel Unternehmensgewinne (Art. 7 Abs. 1 DBA-Türkei 1985) oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Art. 14 Abs. 1 DBA-Türkei 1985), wird dagegen kein derartiger Nachweis verlangt.

100

b) Die Vereinbarkeit der mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundenen Ungleichbehandlung mit Art. 3 Abs. 1 GG setzt einen hinreichend tragfähigen Differenzierungsgrund voraus. Dafür genügt hier ein vernünftiger, einleuchtender Grund im Sinne des Willkürverbots. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine intensivere gerichtliche Kontrolle stattfinden müsste, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist der mit der Nachweisobliegenheit verbundene Eingriff in andere Grundrechte so gering, dass die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer intensivierten verfassungsgerichtlichen Kontrolle von mit Freiheitseingriffen einhergehenden Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 37, 342 <353 f.>; 62, 256 <274 f.>; 79, 212 <218 f.>; 88, 87 <96 ff.>; 98, 365 <385>; 99, 341 <355 f.>; 111, 160 <169 ff.>; 112, 50 <67 ff.>; 116, 243 <259 ff.>) hier nicht Platz greifen.

101

c) Die mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG verbundene Ungleichbehandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger im Hinblick auf die in Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Freistellung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

102

Dafür, dass § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur für die Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch für die Freistellung von sonstigen, nach den Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen von der deutschen Steuer freigestellten Einkünften eine Nachweisobliegenheit vorsieht, gibt es - ebenso wie für die Nachweisobliegenheit als solche - einen hinreichenden sachlichen Grund. Der Gesetzgeber wollte damit - wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung im vorliegenden Verfahren hervorgeht und der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist - der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer entgegenwirken.

103

Dass die missbräuchliche Ausnutzung von Freistellungsregelungen in Doppelbesteuerungsabkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aufgrund ihrer im Vergleich zu unternehmerischer Tätigkeit verringerten Wahrnehmbarkeit besonders einfach ist und daher insoweit besonderer Bedarf für eine Gegensteuerung besteht, ist nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr als Auslöser für den Erlass von § 50d Abs. 8 EStG die Tätigkeit von Piloten, Seeleuten und Berufskraftfahrern war, bei denen in der Regel nicht erkennbar ist, in welchem Land sie ihre Einkünfte erzielen, und die zudem oftmals zwischen mehreren Ländern unterwegs und behördlich daher nur schwer zu erfassen sind.

Abw. Meinung

1

Die Entscheidung der Senatsmehrheit kann ich weder in der Argumentation noch im Ergebnis mittragen. Denn sie lässt dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen freie Hand, sich nach dem lex-posterior-Grundsatz mit einem späteren Gesetz bewusst und gewollt über Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen (bei denen es sich nicht um Menschenrechtsverträge handelt) hinwegzusetzen.

I.

2

1. Die Senatsmehrheit stützt ihre Auffassung in erster Linie auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Diskontinuität. Da Demokratie Herrschaft auf Zeit sei, müssten spätere Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG solle die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers schützen; dem widerspräche es, aus dieser Norm eine "Änderungssperre" für die Zukunft ableiten zu wollen. Etwas anderes lasse sich weder unter Rückgriff auf den ungeschriebenen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit noch auf das Rechtsstaatsprinzip begründen. Diese beiden Verfassungsprinzipien könnten nicht dazu herangezogen werden, um die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes zur Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen zu unterlaufen. Damit bestätigt die Senatsmehrheit im Wesentlichen die Auffassung, die der Zweite Senat bereits in seinem Urteil zum Reichskonkordat aus dem Jahr 1957 (BVerfGE 6, 309 <362 f.>) vertreten hat.

3

2. a) Diese Rechtsauffassung halte ich - in einer globalisierten Welt, in der die Staaten durch eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge in einem weiten Spektrum von Regelungsbereichen miteinander verflochten sind - für nicht (mehr) überzeugend. Um den Entwicklungen dieser umfangreichen internationalen Zusammenarbeit auf der Grundlage bi- und multilateraler völkerrechtlicher Verträge und dem in der modernen Völkerrechtsordnung geltenden Grundsatz der "rule of law" (vgl. Kadelbach/Kleinlein, AVR 44 [2006], S. 235 <243 f.>; Wittinger, JöR 57 [2009], S. 427 <444 ff.>; Kotzur, in: Festschrift für Eckart Klein, 2013, S. 797 <797 f., 804 ff.>) Rechnung zu tragen, muss vielmehr zwischen dem Demokratieprinzip einerseits und dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit andererseits ein angemessener Ausgleich hergestellt werden.

4

In Anlehnung an die von Robert Alexy verwandte Begrifflichkeit (Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.) geht es bei der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) nur vordergründig um einen Konflikt zweier Regeln, die einfachen Gesetzesrang haben. Dieser Konflikt wird von der Senatsmehrheit nach der lex-posterior-Regel zugunsten des späteren völkerrechtswidrigen Gesetzes aufgelöst. Jedoch wird der Konflikt einer völkerrechtsdeterminierten lex prior mit einer den völkerrechtlichen Vertrag überschreibenden lex posterior auf der Ebene des Verfassungsrechts nicht durch eine abschließende Regel aufgelöst. Allein der Verweis auf den Rang, der Zustimmungsgesetzen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zukommen soll und aus dem ohne Weiteres die uneingeschränkte Anwendung der lex-posterior-Regel abgeleitet wird (kritisch zur Anwendung der lex-posterior-Regel Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 220 ff.; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 65), vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher Lösungsansatz lässt die hinter der Rangfrage stehende Kollision zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip außer Acht (zum Rekurs auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien auch im Hinblick auf objektiv-rechtliche Rechtsgüter vgl. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 100 f. m.w.N.; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 91 f.).

5

b) Hinter den miteinander kollidierenden Gesetzesbestimmungen stehen die genannten Verfassungsprinzipien, die in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten. Das Rechtsstaatsprinzip ist - ebenso wie das Demokratieprinzip - ein grundlegendes Strukturprinzip und als solches Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, an die auch der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Der Rechtsstaatsbegriff gehört - wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde so treffend ausgedrückt hat - "zu jenen vom Wortsinn her vagen und nicht ausdeutbaren Schleusenbegriffen, die sich 'objektiv', aus sich heraus, niemals abschließend definieren lassen, vielmehr offen sind für das Einströmen sich wandelnder staats- und verfassungstheoretischer Vorstellungen und damit auch für verschiedenartige Konkretisierungen, …" (Böckenförde, in: Festschrift für Adolf Arndt, 1969, S. 53 <53>). Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips bedarf mithin der Konkretisierung in Bezug auf den jeweils zu entscheidenden Sachverhalt (vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 259 ff.), wobei es für neuere Entwicklungen offen ist. Damit kann, ja muss das Rechtsstaatsprinzip bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Treaty Override in dem offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes (Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33, 35 f.; ders., JZ 1997, S. 161 <162 f.>; Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 137 ff., 380 ff.; Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 134 ff., 220 ff.; Sommermann, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. II, 2008, § 14) unter Beachtung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit konkretisiert werden (Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <291>; Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>; die völkerrechtskonforme Auslegung des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls bejahend Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 254; Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, Bd. I, 2. Aufl. 2013, Kap. 2 Rn. 62 f.; Hofmann, DVBl 2013, S. 215 <219>). Aus dem letztgenannten Grundsatz hat der Zweite Senat in der Alteigentümer-Entscheidung aus dem Jahr 2004 die Pflicht hergeleitet, das Völkerrecht zu respektieren. Diese habe drei Elemente: Erstens seien die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen. Zweitens habe der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden könnten. Und drittens könnten die deutschen Staatsorgane verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzten (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>).

6

c) Legt man das Rechtsstaatsprinzip, dessen Kernbestandteil die Rechtstreue beziehungsweise die Einhaltung rechtlicher Bindungen ist (zur Bindung aller staatlichen Gewalt an die Verfassung: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Abs. 3 Rn. 248 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 3 Rn. 17 ff. [Dezember 2007]), im Lichte dieser Aussagen aus, so ergibt sich auch für den Gesetzgeber grundsätzlich die Verpflichtung, die von ihm durch das Zustimmungsgesetz legitimierte Bindung an völkerrechtliche Verträge zu respektieren und sich von diesen nicht bewusst - und damit treuwidrig - einseitig zu lösen. Klaus Vogel hat denn auch in seiner Münchener Abschiedsvorlesung 1996 plastisch von einem "Wortbruch" gesprochen, zu dem der Gesetzgeber nicht legitimiert sei (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <167>; ähnlich Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847>, wo es heißt: "Der Wortbruch ist keine Verhaltensoption des Verfassungsstaats; …"). Streitet mithin das völkerrechtsfreundlich ausgelegte Rechtsstaatsprinzip für eine vollständige Bindung auch späterer Gesetzgeber an den völkerrechtlichen Vertrag in der Form des Zustimmungsgesetzes, so ist allerdings zu berücksichtigen, dass dadurch deren durch das Demokratieprinzip gewährleistete Entscheidungsfreiheit vollständig eingeschränkt würde. Die Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip führte nämlich dazu, dass dem Zustimmungsgesetz faktisch die Wirkung einer "Änderungssperre" für spätere Gesetzgeber zukäme. Das Rechtsstaatsprinzip, das für eine vollständige Bindung, und das Demokratieprinzip, das für eine völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers spricht, werden zu gegenläufigen Sollensgeboten. Diese zwischen den beiden Prinzipien bestehende Konfliktlage muss zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden, bei dem das Ziel kein "Alles oder nichts", sondern ein "Sowohl als auch" ist (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 75 ff.).

7

3. Die Entscheidung der Senatsmehrheit gibt dem Demokratieprinzip - unter Hintanstellung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Auslegung nach dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit - uneingeschränkt den Vorzug. Im Ergebnis ist der spätere Gesetzgeber frei, bewusst von den Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags - ungeachtet des damit verbundenen Völkerrechtsbruchs - abzuweichen. Besonderer Voraussetzungen oder einer Rechtfertigung bedarf es hierfür nicht. Demgegenüber verlangt der hier vertretene Ansatz die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip in einer Weise, die beiden Prinzipien möglichst weitreichende Wirkung belässt.

8

a) Als Kriterien, die bei der Abwägung heranzuziehen sind, kommen insbesondere die folgenden in Betracht: das mit dem späteren Gesetzverfolgte Regelungsziel und dessen Bedeutung für das Gemeinwohl, die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Individuen, die Dringlichkeit der abweichenden Regelung, die Möglichkeit des Rückgriffs auf zumutbare völkerrechtsgemäße Mittel zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung, wie etwa Abgabe einer interpretativen Erklärung, Kündigung oder Modifizierung des Vertrags, und die bei einem Völkerrechtsbruch im Raume stehenden Rechtsfolgen.

9

b) Überwiegt das Gewicht der Kriterien, die für eine einseitige Abkehr von dem konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrag sprechen, nicht das Gewicht derjenigen Gesichtspunkte, die gegen eine Abkommensüberschreibung streiten, so muss dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit ausgelegten Rechtsstaatsprinzip der Vorrang vor dem Demokratieprinzip zukommen. Eine solche Abwägung muss in jedem Einzelfall getroffen werden, um Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. Rust/Reimer, IStR 2005, S. 843 <847 ff.>; Richter, Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - Die unfreundliche Erlaubnis zum Bruch völkerrechtlicher Verträge, in: Giegerich, Der "offene Verfassungsstaat" des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, S. 159 <177 f.>; im Ergebnis wohl auch Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 242 f.; weitgehender Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 222; ders., NVwZ 2005, S. 289 <290 f.>).

10

c) Diesem Lösungsansatz kann nicht entgegengehalten werden, dass er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller Normen des Völkerrechts begründe (aa) oder die differenzierten Regelungen des Grundgesetzes über den Rang der unterschiedlichen Quellen des Völkerrechts verdränge oder ihre Systematik unterlaufe (bb).

11

aa) Die vorgeschlagene Lösung führt weder zu einer uneingeschränkten Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung noch zu einem unbedingten Vorrang des Völkerrechts auch vor dem Verfassungsrecht. Vielmehr bleibt es bei einer kontrollierten Bindung, und sie lässt Raum dafür, "die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt [nicht] aus der Hand zu geben" (BVerfGE 112, 1<25 f.> unter Verweis auf BVerfGE 111, 307 <328 f.>). Der (spätere) Gesetzgeber wird allerdings verpflichtet, vor einer bewussten Abweichung von einem völkerrechtlichen Vertrag sorgfältig die einzelnen oben aufgeführten Aspekte gegeneinander abzuwägen und insbesondere zu prüfen, ob eine völkerrechtsgemäße Lösung von der völkerrechtlichen Bindung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich ist. Ist dies der Fall, so muss zunächst der Versuch unternommen werden, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln. Richtig ist zwar, dass das Parlament selbst einen völkerrechtlichen Vertrag nicht kündigen oder suspendieren kann. Es hat jedoch die Möglichkeit, seinen politischen Willen kundzutun und die Regierung zu entsprechenden Schritten im Außenverhältnis aufzufordern. Erst wenn diese sich weigert oder keine entsprechenden Aktivitäten entfaltet oder wenn im konkreten Fall keine Möglichkeit besteht, sich in angemessener Zeit mit völkerrechtsgemäßen Mitteln von dem Vertrag zu lösen, kann der Gesetzgeber einseitig von dem Vertragsinhalt abweichen. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Abwägungsvorgang und -ergebnis, wobei dem Gesetzgeber - wie sonst auch - ein Einschätzungsspielraum zugebilligt wird (vgl. BVerfGE 7, 377 <403>; 50, 290 <332 ff.>; 77, 170 <171>; 102, 197 <218>; 110, 177 <194>; 129, 124 <182 f.>; stRspr).

12

bb) Die in Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Systematik wird nicht unterlaufen, weil die vorgeschlagene Lösung nicht zu einer generellen"Sperrwirkung" führt. Der Gesetzgeber behält die aus dem Demokratieprinzip folgende Kompetenz, völkerrechtliche Verträge zu überschreiben; aus dem im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ausgelegten Rechtsstaatsprinzipergeben sich allerdings Einschränkungen in Bezug auf ihre Ausübung. Durch diese Einschränkungen wird sichergestellt, dass, wie es der Zweite Senat im Alteigentümer-Beschluss formuliert hat, die deutschen Staatsorgane - und dazu gehört auch der Gesetzgeber - die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit unterlassen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>). Nur so kommt dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, dessen wichtigste Funktion es ist, möglichst einen Gleichlauf zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung herzustellen oder aufrechtzuerhalten und damit Konflikte zu vermeiden (vgl. zur Funktion des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit als Konfliktvermeidungsregel Payandeh, JöR 57 [2009] S. 465 <481>; Knop, Völker- und Europarechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsätze, 2013, S. 201 ff. <238>), im Verhältnis zum Demokratieprinzip hinreichende Beachtung zu.

II.

13

Nach diesen Maßstäben wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

14

1. Das vorlegende Gericht hat ausführlich dargelegt, dass die in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. enthaltene Regelung von den Bestimmungen des Abkommens vom 16. April 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 1989 S. 867 [im Folgenden: DBA-Türkei 1985]) abweicht. Insbesondere verstößt sie dadurch, dass die Freistellung der Auslandseinkünfte eines Arbeitnehmers von dem Nachweis der tatsächlichen Entrichtung der Steuer an den anderen Vertragsstaat oder dessen Besteuerungsverzicht abhängig gemacht wird, gegen die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der so genannten virtuellen Doppelbesteuerung im Ausland(hier in der Türkei). Diese Rechtsauffassung ist sorgfältig begründet und gut vertretbar, so dass sie der verfassungsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt werden kann.

15

Die von dem Inhalt des DBA-Türkei 1985 abweichende Regelung ist überdies nicht durch einen dem Abkommen innewohnenden ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt gedeckt. Das Bestehen derartiger Vorbehalte ist generell umstritten (vgl. nur die Darstellung bei Frau/Trinks, DÖV 2013, S. 228 <229 f.>). Gegen einen solchen Vorbehalt im konkreten Fall spricht insbesondere, dass die Bundesrepublik Deutschland - anders als in dem Protokoll zum DBA-Türkei 1985 - in dem Protokoll zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19. September 2011 (BGBl II 2012 S. 527 [im Folgenden: DBA-Türkei 2011]) ausdrücklich eine Vereinbarung zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften getroffen hat (vgl. Ziffer 10 des Protokolls zum DBA-Türkei 2011, BTDrucks 17/8841 S. 29, und die Erläuterung in der Denkschrift, S. 34). Ein derartiges Vorgehen wäre beim Vorliegen eines allgemeinen ungeschriebenen Vorbehalts entbehrlich gewesen.

16

Es ist mithin von einer völkerrechtswidrigen Abkommensüberschreibung auszugehen.

17

2. Bei der Abwägung der für und gegen diese mit dem DBA Türkei 1985 nicht vereinbare Gesetzesbestimmung sind die oben genannten Kriterien (siehe unter Punkt I.3.a) heranzuziehen.

18

a) Laut Gesetzesbegründung verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. das Ziel, zu verhindern, "dass die Einkünfte nicht besteuert werden, weil der Steuerpflichtige die Einkünfte im Tätigkeitsstaat pflichtwidrig nicht erklärt und dieser Staat deshalb häufig seinen Steueranspruch nicht mehr durchsetzen kann, wenn er von dem Sachverhalt erfährt, …" (BTDrucks 15/1562 S. 39 f.). Damit geht es dem Gesetzgeber bei der Nachweispflicht, wie auch der Bundesfinanzhof festgestellt hat, in erster Linie um die Herstellung von "Steuerehrlichkeit". Jedenfalls in den Fällen, in denen der andere Vertragsstaat nicht vollständig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat, soll zudem die so genannte Keinmalbesteuerung verhindert werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele von erheblicher Bedeutung für das Gemeinwohl, weil verhindert werden soll, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte im Tätigkeitsstaat nicht erklären, im Vergleich zu "steuerehrlichen" Steuerpflichtigen von ihrem pflichtwidrigen Verhalten profitieren. An dieser Bewertung ändert sich auch nichts, wenn man - wie das vorlegende Gericht - davon ausgeht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 50d Abs. 8 EStG n.F. eher von fiskalischen Überlegungen geleitet gewesen sein dürfte (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 27).

19

b) Die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der durch die völkerrechtliche Regelung begünstigten Personen können, je nach den konkreten Umständen, sehr unterschiedlich ausfallen. Zu bedenken ist dabei allerdings, dass die im DBA-Türkei 1985 ohne Rückfallklausel vereinbarte Freistellungsmethode auf der Grundlage der virtuellen Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der beiden Vertragsstaaten liegt, die nicht auf die Regelungslage und Besteuerungspraxis des jeweils anderen Staates oder deren Kenntnis angewiesen sein sollen (BFH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - I R 66/09 -, juris, Rn. 28). Demgegenüber liegt es nicht in der Absicht der Vertragsstaaten, dem von der Freistellung betroffenen Steuerpflichtigen eine Rechtsposition zu verschaffen, die es ihm ermöglicht, in keinem der beiden Staaten Steuern zu entrichten, auch wenn sich die völkerrechtliche Vereinbarung so auswirken kann. Damit stellt sich die mit einer "Keinmalbesteuerung" der im anderen Vertragsstaat erzielten Einkünfte verbundene finanzielle Begünstigung des Steuerpflichtigen eher als begünstigender Rechtsreflex dar, der bei der Abwägung nicht erheblich ins Gewicht fällt.

20

c) Nach dem DBA-Türkei 1985 standen mit dem Völkerrecht vereinbare Mittel zur Verfügung, um sich von dem Vertrag zu lösen. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Satz 1 DBA Türkei 1985 kann jeder Vertragsstaat vom 1. Januar des dritten Jahres an, welches auf das Jahr der Ratifikation des Abkommens folgt, jeweils während der ersten sechs Monate eines Kalenderjahres das Abkommen kündigen. Es besteht also nach Ablauf von rund drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags ein Kündigungsrecht, das jeweils in den ersten sechs Monaten des Jahres, in dem gekündigt werden soll, ausgeübt werden muss. Besonderer Gründe für die Kündigung bedarf es nicht.Damit hätte die Bundesrepublik Deutschland das DBA-Türkei 1985 bereits im Jahr 2003, als das Steueränderungsgesetz beraten wurde, oder im ersten Halbjahr 2004 kündigen und ein neues, verbessertes Abkommen aushandeln können. Dass dieser Weg grundsätzlich gangbar war, zeigt sich, wie auch das vorlegende Gericht hervorhebt, daran, dass das Abkommen von deutscher Seite am 27. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt worden ist. Das daraufhin neu verhandelte Doppelbesteuerungsabkommen vom 19. September 2011, welches das DBA-Türkei 1985 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 ersetzt, sieht nach wie vor die Freistellungsmethode vor (vgl. Art. 22 Abs. 2Buchstabe a), enthält aber insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchstabe e eine so genannte Umschwenk- oder Rückfallklausel, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zweck dieser Klausel ist es, dass es zu keinem deutschen Steuerverzicht kommt, wenn Einkünfte in keinem der beiden Vertragsstaaten besteuert werden (BTDrucks 17/8841 S. 33). Zudem ist, wie bereits erwähnt, im Protokoll zum DBA-Türkei 2011 ausdrücklich eine Klausel zur Anwendbarkeit innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften vereinbart worden.

21

d) Für eine besondere Dringlichkeit der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG n.F., etwa zur Abwehr erheblicher Nachteile für den deutschen Fiskus, ist nichts ersichtlich. Die zeitliche Verzögerung, die mit der Ergreifung völkerrechtsgemäßer Handlungsoptionen zur Beendigung der völkerrechtlichen Bindung an das DBA-Türkei 1985 verbunden gewesen wäre, fällt daher nicht ins Gewicht.

22

e) Schließlich müssen die möglichen Rechtsfolgen eines Völkerrechtsbruchs in die Abwägung einfließen. Bei einem erheblichen Vertragsbruch (material breach) kann der damit konfrontierte andere Staat nicht nur seinerseits den Vertrag kündigen oder suspendieren (vgl. Art. 60, 65 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl II 1985 S. 927). Vielmehr kann er in jedem Fall - unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung - die Beendigung des völkerrechtswidrigen Verhaltens und - im Wege der Naturalrestitution - die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustands einfordern (vgl. Art. 30, 34 und 35 der ILC Draft Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts [2001] vom 26. Juli 2001 [im Folgenden: ILC-Entwurf]). Daraus ergibt sich zuvörderst die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, seine innerstaatliche Rechtslage mit dem Inhalt des betroffenen Vertrags (wieder) in Einklang zu bringen. Erst wenn dies tatsächlich unmöglich ist, kann der verletzte Staat - subsidiär - Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. Art. 36 Abs. 1 des ILC-Entwurfs).

23

Selbst wenn der verletzte Staat, wie in diesem Fall, keine konkreten Schritte zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Wiedergutmachung einleitet, steht bei jedem bewusst herbeigeführten Vertragsbruch die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner im internationalen Rechtsverkehr auf dem Spiel. Genauso wie Deutschland von seinen Vertragspartnern auf europäischer und internationaler Ebene Vertrags- beziehungsweise Rechtstreue erwartet, muss es bereit sein, seinerseits seine vertraglichen Pflichten einzuhalten und die vertragliche Bindung nicht einseitig durch ein späteres entgegenstehendes Gesetz "abzuschütteln".

24

f) Wägt man die genannten Kriterien gegeneinander ab, so überwiegen die Gesichtspunkte, die gegen die Abkommensüberschreibung sprechen. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Erlass der Regelung in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG n.F. zwar einen legitimen, für das Gemeinwohl auch erheblichen Zweck, indem er die Steuerpflichtigen durch die Nachweispflicht zu mehr "Steuerehrlichkeit" anhalten will. Zudem sind die Auswirkungen auf die Rechtsstellung der von der Anwendung des Abkommens begünstigten Steuerpflichtigen von geringem Gewicht. Für die Neuregelung bestand allerdings keine besondere Dringlichkeit, die es erfordert hätte, das abweichende Gesetz ohne vorherige Aufforderung der Bundesregierung, auf völkerrechtsgemäße Mittelzurückzugreifen, zu erlassen. Nach dem DBA-Türkei 1985 bestand auch die Möglichkeit, das Abkommen ohne weitere Begründung zeitnah zu kündigen. Hätte man eine Kündigung wegen der weitreichenden Folgewirkungen vermeiden wollen, so hätte die Bundesregierung - auf Aufforderung durch den Bundestag oder von sich aus - zumindest versuchen können, sich mit der Türkei auf eine nachträgliche Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen zu verständigen, der zufolge die Anwendung der Freistellungsmethode von einer Nachweispflicht abhängig gemacht werden darf. Schließlich schlägt der mit der Abkommensüberschreibung zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, sich trotz Vorhandenseins völkerrechtsgemäßer Mittel einseitig vom DBA-Türkei 1985 zu lösen und damit bewusst und ohne Not über die völkerrechtliche Bindung hinwegzusetzen, wegen der damit verbundenen Signalwirkung negativ zu Buche.

III.

25

In der Folge wäre § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003 (Steueränderungsgesetz 2003, BGBl I S. 2645) verfassungswidrig und nichtig (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 BVerfGG).

IV.

26

Nach meiner Auffassung wäre es an der Zeit gewesen, den "Mentalitätenwandel", den Klaus Vogel für das Grundgesetz in Bezug auf die Öffnung des deutschen Staates für die internationale Zusammenarbeit und die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft im Vergleich zu früheren deutschen Verfassungen festgestellt hat (vgl. Vogel, JZ 1997, S. 161 <163>), auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu völkerrechtswidrigen späteren Gesetzen zu vollziehen. Zu meinem Bedauern hat sich die Senatsmehrheit hierzu nicht entschließen können.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.