Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2018 - 2 BvR 2726/17

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20181204.2bvr272617
bei uns veröffentlicht am04.12.2018

Tenor

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 6. November 2017 - 13 A 553/17 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 6. November 2017 - 13 A 553/17 - wird aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20. November 2017 - 13 A 553/17 - gegenstandslos. Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für eine Aufstockungsklage eines syrischen Asylsuchenden durch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht.

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1. Der am 15. August 1998 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger. Er verließ Syrien im Oktober 2014. Anfang Juli 2015 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Er begründete den Antrag unter anderem mit einer ihm als 16-Jährigem bereits drohenden Zwangsrekrutierung. Bei einer Rückkehr drohe ihm die Einziehung zum Wehrdienst.

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte ihm mit Bescheid vom 22. Dezember 2016, zugestellt am 23. Dezember 2016, den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Antrag aber im Übrigen ab. Dem Bescheid beigefügt war eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der es hieß: "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein".

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2. Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 27. Februar 2017 Klage zum Verwaltungsgericht und stellte zugleich unter Beifügung der entsprechenden Unterlagen einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Klage sei zulässig, insbesondere nicht verfristet, weil die Rechtsbehelfsbelehrung irreführend und damit unrichtig gewesen sei. Deswegen habe die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegolten. Die Klage sei auch begründet, weil ihm als inzwischen wehrdienstfähigem jungen Mann politische Verfolgung durch den syrischen Staat drohe, da er sich im Falle der Rückkehr einer Zwangsrekrutierung entziehen beziehungsweise den Wehrdienst verweigern werde. Sowohl die Frage der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung als auch die Frage, ob wehrdienstpflichtigen Männern bei Rückkehr politische Verfolgung drohe, sei mangels obergerichtlicher Klärung offen.

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3. Das Verwaltungsgericht lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit einem dem Gerichtsbescheid vom 6. November 2017 beigefügten Beschluss, zugestellt am 7. November 2017, unter Hinweis darauf ab, dass die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach den Ausführungen im Gerichtsbescheid allenfalls entfernt erschienen. Die Klageabweisung begründete es damit, dass die Klage bereits unzulässig sei, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden sei. Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO habe nicht gegolten, weil die Rechtsbehelfsbelehrung in Bezug auf den beanstandeten Hinweis "die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" nicht unrichtig sei. Dieser sei nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse, obwohl sie auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne. Es teile insofern nicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -. Unabhängig davon sei die Klage aus den Gründen des angefochtenen Bescheids auch unbegründet.

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4. Mit Schreiben vom 15. November 2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss eine "Rüge analog § 152a VwGO", die das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2017 zurückwies. Es liege weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, noch bestünden sonstige Gründe für eine Abänderung der Entscheidung. Die Fallkonstellation entspreche nicht derjenigen, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Oktober 2017 - 2 BvR 1352/17 u.a. - zugrunde gelegen habe. Die Beantwortung der Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, folge unmittelbar aus dem Gesetz. Die abweichende Auffassung des nicht divergenzfähigen Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sei für das erkennende Gericht nicht maßgeblich.

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5. Mit Beschluss vom 16. November 2017 - 1 LA 68/17 - lehnte das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht in einem Verfahren, in dem sich ebenfalls die Frage nach der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung stellte, den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Es führte im Wesentlichen aus, dass der Frage, ob die Formulierung "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei, keine grundsätzliche Bedeutung zukomme, weil sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Der nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht zwingend erforderliche Zusatz sei nicht unrichtig, da er nicht irreführend sei. Er sei nicht geeignet, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Das Verb "abfassen" bringe lediglich zum Ausdruck, dass die Klage ausformuliert erhoben werden müsse. Die Verwendung der Passivform "abgefasst" gebe zu erkennen, dass diese Ausformulierung nicht nur durch den Kläger selbst erfolgen müsse. Die Formulierung "abgefasst sein" umfasse daher auch die Form der Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg annehmen wolle, dass die Formulierung "abgefasst" im Sinne einer selbst veranlassten (eigenhändigen) Klageerhebung zu verstehen sei, werde der Empfänger dadurch nicht davon abgehalten, die Klage überhaupt oder rechtzeitig zu erheben.

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6. Der Beschwerdeführer hat am 7. Dezember 2017 fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er eine Verletzung der Rechtsschutzgleichheit rügt. In dem für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife sei die für die Zulässigkeit der Klage entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht geklärt gewesen, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig sei, wenn sie darauf hinweise, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein müsse. Die erstinstanzlichen Gerichte hätten die Frage unterschiedlich beantwortet. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe die Frage nach Eintritt der Bewilligungsreife in seinem Sinne entschieden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lasse sich die Frage auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Dies zeige schon der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg anders als das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht von der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ausgehe. Da auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen sei, sei es auch unerheblich, dass das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die Frage später nicht in seinem Sinne beantwortet habe. Abgesehen davon handle es sich bei der Frage, ob die in Rede stehende Formulierung unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei, um eine Rechtsfrage, die der Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht zugänglich sei, so dass eine abschließende Klärung durch die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts nicht erfolgt sei. Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage bestünden auch hinsichtlich der Begründetheit, weil das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht sich im Zeitpunkt der Bewilligungsreife - und auch heute - noch nicht zu der Frage positioniert habe, ob wehrpflichtigen Syrern im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch den syrischen Staat drohe.

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7. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 f.>). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. November 2017 verletzt den Beschwerdeführer in seiner durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit.

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1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

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Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier i.V.m. § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen.

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Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>; vgl. Bergner/Pernice, in: Emmenegger/Wied-mann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, S. 241 <258 ff.>). Eine Auslegung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin, dass ein Rechtsschutzbegehren hinreichende Erfolgsaussichten hat, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt, wird dem Gebot der in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit gerecht. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige und noch nicht geklärte oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. BVerfGK 2, 279 <282>; 8, 213 <217>). Legt ein Fachgericht § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwar in dem vorgenannten, die Rechtsschutzgleichheit wahrenden Sinne aus, sieht es die entscheidungserhebliche Rechtsfrage aber als einfach und/oder geklärt beziehungsweise unstreitig an, obwohl dies erheblichen Zweifeln begegnet, und beantwortet sie deswegen schon im Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil des Unbemittelten, hängt es vor allem von der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und der Ausgestaltung des zugehörigen Verfahrens ab, ob dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird. So sind etwa die Voraussetzungen (Kostenvorschusspflicht, Anwaltszwang) und weitere Modalitäten (Schriftlichkeit oder Mündlichkeit des Verfahrens, Amtsermittlung, weiterer Rechtsmittelzug) des jeweiligen Rechtsschutzwegs zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 81, 347 <359 f.>).

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Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsschutzgleichheit folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2017 - 2 BvR 496/17 -, juris, Rn. 14; in jeweils unterschiedlichen Konstellationen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 <3191>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 <1266>; BVerfGK 8, 213 <216 ff.>; Linke, NVwZ 2003, S. 421 <423 ff.>). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung - jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vielfach als unzulässig angesehen wird (vgl. kritisch und mit weiteren Nachweisen Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2014, § 166 Rn. 29) - nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Obergerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgs-aussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags abgestellt wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. April 2017 - 7 ZB 16.498 -, juris, Rn. 1; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29. Juni 2012 - 12 PA 69/12 -, juris, Rn. 2) oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2012 - 18 E 1326/11 -, juris, Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 2. September 2014 - 2 PA 93/14 -, juris, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a.A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 2 PA 1176/04 -, DÖV 2005, S. 34).

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2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

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Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil es der Klage - unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem gleichzeitig ergangenen Gerichtsbescheid - mit zwei selbständig tragenden Erwägungen eine hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen hat. Zum einen hat es die Klage wegen Versäumnisses der Klagefrist als unzulässig angesehen, weil die Zweiwochenfrist des § 74 Abs. 1 AsylG und nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegolten habe. Die Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Zusatz "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" sei nicht unrichtig gewesen. Zum anderen hat es - darüber hinaus - die Begründetheit der Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des Bescheides des Bundesamts verneint.

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Im Hinblick auf beide - selbständig tragenden - Begründungserwägungen hat es die Anforderungen an eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage überspannt und den Zweck der Prozesskostenhilfe damit verfehlt.

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a) Was die Verneinung hinreichender Erfolgsaussichten wegen Unzulässigkeit der Klage angeht, verkennt die angegriffene Entscheidung die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Das Verwaltungsgericht hat die höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, unter Verfehlung des Zwecks der Prozesskostenhilfe bereits im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens zulasten des Beschwerdeführers "durchentschieden".

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aa) Die vorgenannte Frage war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags - hier der 27. Februar 2017 - nicht höchstrichterlich geklärt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Februar 1990 - 9 B 506/89 -, auf die sich das Verwaltungsgericht gestützt hat, verhält sich zu ihr nicht. Die Entscheidung betraf vielmehr eine Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es ging darum, ob einem der deutschen Sprache weitgehend unkundigen Ausländer, der innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 VwGO eine in fremder Sprache abgefasste Klageschrift beim Verwaltungsgericht eingereicht hat, Wiedereinsetzung in die versäumte - da durch die fremdsprachige Klageerhebung nicht gewahrte - Klagefrist auch dann gewährt werden muss, wenn er wusste, dass laut Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides eine in Deutsch abgefasste Klage erforderlich ist. Der Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht in diesem Fall eine offenbar ähnlich lautende Rechtsbehelfsbelehrung nicht beanstandet hat, ist im Hinblick auf die hier entscheidungserhebliche Frage nach der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht aussagekräftig. Denn diese Frage hatte das Bundesverwaltungsgericht in dem damaligen Verfahren nicht zu beurteilen.

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Ob die Frage der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags als nicht schwierig im vorgenannten Sinne bewertet werden konnte, wie dies das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Gesetzeslage getan hat, erscheint zweifelhaft. Zwar sind die Maßstäbe für die Beurteilung der Unrichtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich geklärt. Ihr lassen sich daher allgemeine Auslegungshilfen zur Beantwortung der Frage entnehmen, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" unrichtig ist. Danach sind Zusätze in Rechtsbehelfsbelehrungen, die - wie der in Rede stehende - über den Inhalt hinausgehen, über den nach § 58 Abs. 1 Satz 1 VwGO zwingend zu belehren ist, zwar zulässig. Sie dürfen aber nicht unrichtig oder irreführend und dadurch generell geeignet sein, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 21. März 2002 - 4 C 2/01 -, juris, Rn. 12 und vom 13. Dezember 1978 - 6 C 77/78 -, BVerwGE 57, 188 sowie Beschlüsse vom 16. November 2012 - 1 WB 3/12 -, juris, Rn. 14 und vom 3. März 2016 - 3 PKH 5/15 u.a. -, juris, Rn. 6). Ob die Beantwortung der Rechtsfrage in Anwendung dieser Grundsätze ohne Weiteres als einfach eingestuft werden kann, begegnet jedoch insofern Bedenken, als sie im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt in der erstinstanzlichen Rechtsprechung sehr kontrovers ausfiel. Dies kann aber dahingestellt bleiben.

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bb) Denn eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann nach den vorstehenden Maßstäben auch dann nicht ohne Verkennung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Rechtsschutzgleichheit verneint werden, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt.

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Im vorliegenden Fall war die entscheidungserhebliche Rechtsfrage jedenfalls so stark umstritten, dass sie einer Beantwortung im Verfahren der Prozesskostenhilfebewilligung nicht zugänglich war. Auch wenn es für die Einstufung einer Rechtsfrage als hoch umstritten nicht ausreicht, wenn etwa eine einzige obergerichtliche Entscheidung vorliegt, die von einem im Übrigen weitgehend einheitlichen Meinungsstand abweicht, so gab es im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags bereits in der erstinstanzlichen Rechtsprechung eine nicht unerhebliche Anzahl von Verwaltungsgerichten, die den fraglichen Hinweis als irreführend und die Rechtsbehelfsbelehrung damit als unrichtig betrachtete. Diese Bewertung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage stellte sich auch nicht nur als vereinzelt gebliebene Rechtsauffassung dar (für eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung: VG Augsburg, Beschluss vom 3. De-zember 2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris, Rn. 19 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24. Juni 2016 - 3a K 4187/15.A -, juris, Rn. 15 ff.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016 - 22 K 4119/15.A -, juris, Rn. 44 f.; VG Hannover, Beschluss vom 15. September 2016 - 3 B 4870/16 -, juris, Rn. 12; VG Meiningen, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15a L 3029/16.A -, juris, Rn. 5 ff.). Demgegenüber gab es auch eine nennenswerte Zahl von Verwaltungsgerichten, die die Rechtsbehelfsbelehrung für zutreffend hielt (gegen eine Unrichtigkeit: VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - 15 B 5090/16 -, juris, Rn. 5 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15. November 2016 - 14a L 2496/16.A -, juris, Rn. 20 ff.; VG Berlin, Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - 21 K 346.16 A -, juris, Rn. 21 f. und vom 16. November 2016 - 6 L 1249/16.A -, juris, Rn. 15; VG Saarland, Urteil vom 19. Dezember 2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11. Januar 2017 - 4 AE 94/17 -, juris, Rn. 10). Ausgangspunkt der divergierenden erstinstanzlichen - und später auch obergerichtlichen - Rechtsprechung war dabei insbesondere der unterschiedliche Sinngehalt, der dem fraglichen Passus beigemessen wird. So wird er entweder (nur) als Hinweis auf das Erfordernis, in welcher Sprache eine Klage zu erheben ist ("in deutscher Sprache"), oder (auch) als Hinweis auf das Formerfordernis der Klage ("abfassen") verstanden. Letzterer sei geeignet, beim Empfänger den Eindruck zu erwecken, dass die Klage von dem Kläger selbst schriftlich im Sinne von § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben werden müsse, obwohl die Klageerhebung auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO) möglich sei.

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Die kontroverse Beurteilung der Frage fand im Übrigen auch nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife in der obergerichtlichen Rechtsprechung ihre Fortsetzung. So haben in der Folgezeit mehrere Obergerichte die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung bejaht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris, Rn. 28 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 2018 - 1 A 2/18.A -, juris, Rn. 40 ff.), während andere Obergerichte sie verneint haben (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 16. No-vember 2017 - 1 LA 68/17 -, juris, Rn. 11 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 10. Januar 2018 - 13a B 17.31116 -, juris, Rn. 27 ff., und Beschluss vom 22. Februar 2018 - 6 B 17.31442 -, juris, Rn. 17 f.; Hamburgisches OVG, Urteil vom 28. Juni 2018 - 1 Bf 92/17.A -, juris, Rn. 80 ff.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (vgl. Beschluss vom 22. August 2017 - 13a ZB 17.30882 -, juris), das Sächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Beschluss vom 5. Januar 2018 - 5 A 1306/17.A -) und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (vgl. Beschluss vom 1. August 2018 - OVG 12 N 152.18 -) haben jeweils die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in dem Urteil vom 10. Januar 2018 zudem die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

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cc) Die uneinheitliche Beurteilung der Frage der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hätte es sowohl mit Blick auf den Zweck der Prozesskostenhilfe, die Situation des unbemittelten Rechtssuchenden bei der Rechtsverfolgung der des bemittelten weitgehend anzugleichen, als auch mit Blick auf die im Prozesskostenhilfeverfahren erforderliche ex-ante-Betrachtung geboten, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, um dem Beschwerdeführer so die Gelegenheit zu geben, zu dieser Frage im Hauptsacheverfahren näher vorzutragen und die Frage gegebenenfalls auch zur Klärung in die höhere Instanz zu bringen. Unter diesen Umständen verbot sich ein Durchentscheiden dieser Rechtsfrage bereits im Prozesskostenhilfeverfahren, da dieses die Rechtsverfolgung gerade erst ermöglichen und nicht schon vorwegnehmen soll. Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung der Eigenart des Asylverfahrens. Rechtsschutzsuchende in Asylverfahren verfügen regelmäßig weder über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache noch des deutschen Rechtssystems und sind deswegen im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in besonderem Maße auf rechtlichen Beistand angewiesen. Zudem hat der Gesetzgeber den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz im Asylverfahren im Interesse der Verfahrensbeschleunigung deutlich eingeschränkt. So ist in asylrechtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenso wie in Prozesskostenhilfeverfahren ein Rechtsbehelf nicht vorgesehen (§ 80 AsylG). Auch im Hauptsacheverfahren ist das Rechtsmittelrecht im Vergleich zu dem der Verwaltungsgerichtsordnung erheblich beschränkt. So ist bei Abweisung einer Klage als offensichtlich unzulässig oder unbegründet ein Rechtsmittel ausgeschlossen (§ 78 Abs. 1 AsylG). Auch kann die Berufung nur aus den in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Gründen zugelassen werden.

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dd) Der Umstand, dass sowohl das für das Verwaltungsgericht maßgebliche Obergericht (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 16. November 2017 - 1 LA 68/17 -, juris, Rn. 11 ff.) als auch zuletzt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 -, juris) die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nach Ergehen des angegriffenen Beschlusses zu Ungunsten des Beschwerdeführers geklärt haben, gebietet keine andere verfassungsrechtliche Beurteilung. Denn Änderungen bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Klage, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, können nach den vorstehenden Maßstäben nicht mehr zulasten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden.

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b) Was die Verneinung der Erfolgsaussichten wegen Unbegründetheit der Klage angeht, wird die Entscheidung den verfassungsrechtlichen Maßstäben ebenfalls nicht gerecht.

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Da es sich bei dem im Zeitpunkt der Klageerhebung 18 Jahre alten Beschwerdeführer um einen wehrdienstfähigen jungen Mann handelte, stellte sich in seinem Asylverfahren auch die Frage, ob wehrdienstfähigen syrischen Männern, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben beziehungsweise bei einer Rückkehr entziehen wollen, im Falle einer Rückkehr politische Verfolgung droht und ihnen deswegen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Der Beschwerdeführer hatte sich sowohl im Verfahren beim Bundesamt als auch im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren ausdrücklich auf eine drohende Zwangsrekrutierung im Falle seiner Rückkehr nach Syrien berufen.

28

Indem das Verwaltungsgericht die Begründetheit der Klage unter Bezugnahme auf die Gründe des Bescheides des Bundesamts verneint hat, hat es diese Frage der Sache nach negativ beantwortet. Denn das Bundesamt hat im Bescheid vom 22. Dezember 2016 festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht vorverfolgt ausgereist sei, weil er beim Verlassen Syriens noch nicht wehrdienstpflichtig gewesen sei und sich daher durch seine Ausreise auch nicht dem Wehrdienst entzogen haben könne, sowie dass mangels Nachfluchtgründen auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien bestehe. Bei der Frage, ob unverfolgt ausgereisten wehrdienstfähigen Syrern im Falle ihrer Rückkehr Verfolgung droht, handelte es sich jedoch um eine klärungsbedürftige Tatsachenfrage, die vom Verwaltungsgericht ebenfalls nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zulasten des Beschwerdeführers entschieden werden konnte. Denn diese Frage war im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags in der Rechtsprechung des für das Verwaltungsgericht maßgeblichen Obergerichts nicht geklärt. In der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 - ist sie nicht beantwortet worden. Die Obergerichte der anderen Länder vertraten im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen (vgl. die Gefahr politischer Verfolgung bejahend: Bayerischer VGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 -, juris, Rn. 25 ff.) diese verneinend: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris). Deshalb gebot es der Zweck der Prozesskostenhilfe, es dem Rechtsschutzsuchenden zu ermöglichen, die klärungsbedürftige Frage in die zur Klärung berufene Instanz zu bringen, Prozesskostenhilfe zu bewilligen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Oktober 2017 - 2 BvR 1352/17 u.a. -, juris, Rn. 14). Der Umstand, dass das Schleswig-Hol-steinische Oberverwaltungsgericht die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage der politischen Verfolgung bei (beabsichtigter) Wehrdienstentziehung inzwischen zu Ungunsten des Beschwerdeführers geklärt hat (vgl. Urteil vom 4. Mai 2018 - 2 LB 17/18 -, juris, Rn. 88 ff.), ändert daran nichts. Denn Änderungen bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, können - wie dargelegt - nicht mehr zu seinen Lasten berücksichtigt werden.

29

3. Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Verweis auf die Begründung der Klageabweisung in dem am selben Tag ergangenen Gerichtsbescheid abgelehnt hat, hat es die Bedeutung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit auch im Hinblick auf die Perspektive, aus der die Entscheidung über Prozesskostenhilfe zu treffen ist, verkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2017 - 2 BvR 902/17 u.a. -, Rn. 14 f.).

30

Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn zur Begründung der Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Begründung einer Sachentscheidung Bezug genommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris, Rn. 13). Allerdings unterliegen die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Sache unterschiedlichen Maßstäben, die im Einzelfall eine gesonderte Begründung der Ablehnung der Prozesskostenhilfe erforderlich machen können (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 14). So kommt es für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Auffassung des verständigen, unbemittelten Rechtssuchenden im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags und damit auf eine ex-ante-Be-trachtung an.

31

Diesen Anforderungen ist das Verwaltungsgericht nicht gerecht geworden, weil es im Prozesskostenhilfeverfahren und im Hauptsacheverfahren die gleichen Prüfungsmaßstäbe angewendet hat. Insofern hat es verkannt, dass Prozesskostenhilfe bereits dann zu gewähren ist, wenn die Klage lediglich in einer ex-ante-Perspektive hinreichende Erfolgsaussichten hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit einem dem Gerichtsbescheid beigefügten Beschluss abgelehnt und die Ablehnung damit begründet, dass "die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach den Ausführungen im Gerichtsbescheid allenfalls entfernt erscheinen". Das Verwaltungsgericht hat damit zwar eine Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten vorgenommen und diese lediglich als entfernt bewertet. Die Begründung für die negative Prognose ist jedoch letztlich dieselbe wie die für die Klageabweisung. Selbstständige Erwägungen hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags aus einer ex-ante-Sicht sind nicht erkennbar. Diese wären jedoch sowohl angesichts der in der erstinstanzlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantworteten Rechtsfrage der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung als auch angesichts der in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten und von dem übergeordneten Oberverwaltungsgericht damals noch nicht entschiedenen Tatsachenfrage der politischen Verfolgung bei Wehrdienstentziehung, erforderlich gewesen.

32

4. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der vorstehend konkretisierten verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

III.

33

Das Land Schleswig-Holstein hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2018 - 2 BvR 2726/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2018 - 2 BvR 2726/17

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 166


(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmäc
Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2018 - 2 BvR 2726/17 zitiert 15 §§.

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(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

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Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

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(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende F

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(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erho

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 04. Dez. 2018 - 2 BvR 2726/17 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).

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(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. September 2016 - A 5 K 5074/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt in erster Linie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Kläger, ein im Jahr 1982 geborener togoischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge am 07.06.2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 14.06.2016 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21.06.2016 gab er an:
Bis zur Ausreise habe er in seinem eigenen Betrieb in der Tierzucht gearbeitet. Die Tierzucht habe er mit Hilfe einer Bekannten angefangen, die ihm auf der Grundlage eines Darlehensvertrags Geld geliehen habe. Die Kredite seien nur klein gewesen, damit die Rückzahlung für ihn einfacher gewesen sei. In der letzten Zeit habe er einen großen Betrag in Höhe von umgerechnet etwa 7400,-- EUR geliehen. Diesen Betrag habe er nicht zurückzahlen können und dies der Kreditgeberin auch mitgeteilt. Sie habe die Rückgabefrist verlängert. Aber auch diese Frist habe er nicht einhalten können. Beim zweiten Mal habe die Kreditgeberin nur noch das Kapital verlangt und auf die Zinsen verzichtet, wenn er das Geld innerhalb der nächsten Frist zurückgezahlt hätte. Aber auch dazu sei er nicht in der Lage gewesen. Sie habe ihn in der Zeit oft angerufen, um ihn an die Frist zu erinnern. Zehn Tage vor Fristablauf habe er Togo verlassen. Er wisse, dass es für ihn Gefängnis bedeutet hätte, wenn er den Kredit nicht fristgerecht zurückgezahlt hätte. Er vermute, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzugerufen hätte. Er habe gehört, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei. Er leide an chronischer Diabetes. Im Gefängnis wäre er an seiner Krankheit gestorben.
Die Erkrankung sei vor vier Jahren festgestellt worden. Der Arzt in Togo habe ihm gesagt, dass die Diabetes seine Sehprobleme auslöse. Der Allgemeinarzt habe ihn zu einem Diabetologen geschickt. Dieser habe Blutuntersuchungen gemacht. Als Behandlungen habe er Tabletten und Insulin zum Spritzen bekommen. Seine Mutter und Großmutter litten ebenfalls an Diabetes. Sie seien beim gleichen Arzt in Behandlung. Die Medikamente habe er mit nach Deutschland gebracht. Der Arzt auf dem Gelände des PHV [Patrick-Henry-Village, Ankunftszentrum Heidelberg] habe die Medikation umgestellt. Er habe ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen. Er, der Kläger, gehe davon aus, dass er in Togo nicht mehr lange gelebt hätte.
Mit Bescheid vom 23.06.2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, lehnte die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Togo an. Zudem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid wurde dem Kläger am 18.07.2016 durch Postzustellungsurkunde zugestellt.
Am 23.08.2016 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihm unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.06.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Wegen der Versäumung der Klagefrist hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Gleichzeitig hat er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO und wegen der Versäumung der Antragsfrist ebenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, isoliert in einer Asylbewerberunterkunft weit entfernt von jedem Betreuer und jedem Dolmetscher zu leben und den Bescheid nicht verstanden zu haben. Die Rechtsmittelbelehrung sei fehlerhaft, weil er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er Klage und Antragstellung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vornehmen dürfe. Durch einen solchen Hinweis könnte die Schwelle für eine Klageerhebung erheblich gesenkt werden. Als Sprachunkundiger sei er nicht in der Lage, Briefe in deutscher Sprache an das Gericht zu übersenden.
Mit Beschluss vom 05.09.2016 hat das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Versäumung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG abgelehnt. Die Rechtsmittelbelehrung des Bundesamts sei weder unterblieben noch unrichtig erteilt, insbesondere müsse sie nicht den Hinweis enthalten, dass die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne. Dass der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Dem Asylbewerber sei es zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv um eine rasche Aufklärung des Inhalts dieses Schreibens und gegebenenfalls um die Erhebung eines Rechtsbehelfs bemühe.
Mit Urteil vom 08.09.2016 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Wochenfrist des § 74 Abs. 1 AsylG erhoben worden sei. Es sei auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die genannte Frist einzuhalten. Zur Begründung wurde auf den im Eilverfahren ergangenen Beschluss verwiesen.
10 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 08.02.2017 - A 9 S 1940/16 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
11 
Mit Schriftsatz vom 16.02.2017 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses vom 05.09.2016 nach § 80 Abs. 7 VwGO beantragt. Mit Beschluss vom 24.02.2017 hat sich das Verwaltungsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen.
12 
Der Kläger hat die Berufung rechtzeitig unter Bezugnahme auf sein Zulassungsvorbringen begründet und in Ergänzung seines bisherigen Vorbringens auf das ärztliche Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 verwiesen. Dort heißt es, dass beim Kläger anamnestisch vor vier Jahren ein Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert worden sei. Die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Insulin müsse gekühlt gelagert werden, einen Kühlschrank besitze der Patient nicht, auch stehe ihm eine Kühlmöglichkeit im Umfeld nicht zur Verfügung. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren. Deswegen werde es für medizinisch indiziert gehalten, dass der Kläger in Deutschland bleibe.
13 
Der Kläger regt an, eine ergänzende Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Togo zu der Frage einzuholen, wieso es trotz der bisherigen Berichterstattung der Botschaft über die funktionierende Gesundheitsfürsorge in Togo dazu habe kommen können, dass die frühere Therapie in seinem Heimatland „unzureichend“ gewesen sei.
14 
Der Kläger beantragt sachdienlich,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. September 2016 - A 5 K 5074/16 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.06.2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
16 
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewähren,
17 
weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Zur Begründung trägt sie vor: Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung sei nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO. Sie enthalte keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit einer schriftlichen Klageerhebung; dies könne auch der Formulierung „abfassen“ nicht entnommen werden. Das Verwaltungsgericht Berlin habe in seinem Beschluss vom 15.12.2016 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Beschluss vom 20.10.2016) zutreffend festgestellt, selbst wenn die Bedeutung des Abfassens einer schriftlichen Niederlegung entspreche, sei der Rechtsbehelfsbelehrung jedenfalls nicht zu entnehmen, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Denn auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage werde von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst. Daraus ergebe sich, dass der Passus zur Abfassung in deutscher Sprache nicht auf die Schriftlichkeit oder Mündlichkeit der Klagerhebung abziele, sondern lediglich verdeutliche, dass die Klageerhebung (wie von § 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG gefordert) in deutscher Sprache zu erfolgen habe. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache werde auch nicht dadurch unrichtig, dass Eingaben in anderer Sprache ausnahmsweise dann fristwahrende Wirkung entfalten könnten, wenn sie einen noch verständlichen Hinweis in deutscher Sprache enthielten, es werde ein Rechtsbehelf eingelegt. Denn für die Wirksamkeit der Klageerhebung komme es auch in dieser Konstellation darauf an, ob einer deutschen Formulierung die Einlegung des Rechtsbehelfs zu entnehmen sei. Die Anforderungen, die die Rechtsordnung hinsichtlich der wirksamen Einlegung von Rechtsbehelfen an Antragsteller stelle, seien nicht überspannt. Ausweislich der Niederschrift zu Anhörung vom 20.06.2016 verfüge der Kläger zumal über Deutschkenntnisse.
21 
Dem Senat liegen die Akte des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart (A 5 K 5074/16 und A 5 K 5102/16) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu Unrecht hat es allerdings angenommen, dass die Klage bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (II.) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (III.), keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (IV.), keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes (V.) und keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots (VI.). Auch die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist nicht zu beanstanden (VII.).
I.
24 
Die Zulässigkeit der Klage begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden.
25 
Zwar ist die Klage beim Verwaltungsgericht erst am 23.08.2006 und damit nicht innerhalb der hier nach § 74 Abs. 1 2. Hs., § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblichen Frist von einer Woche nach der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts am 18.07.2016 eingegangen. Dies führt aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Denn die einwöchige Klagefrist ist nicht in Gang gesetzt worden. Es fehlt an der hierfür gemäß § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wurde unrichtig erteilt, so dass die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zulässig war. Diese Frist ist gewahrt.
26 
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, nach dem die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1), bei dem Verwaltungsgericht aber auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2), wird nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht verlangt. Auch die vom Gesetz geforderte Belehrung „über den Rechtsbehelf“ schließt eine Belehrung über das mit § 81 Abs. 1 VwGO aufgestellte Formerfordernis nicht ein (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188, zum Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sowie vom 27.02.1976 - IV 74.74 -, NJW 1976, 1332).
27 
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteile vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 21.03.2002 - 4 C 2.01 -, juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch die Beschlüsse vom 03.03.2016 - 3 PKH 5.15 -, vom 31.08.2015 - 2 B 61.14 - und vom 16. 11.2012 - 1 WB 3.12 -, jeweils juris und m.w.N.). Versieht die Behörde die Belehrung mit nicht zwingenden Elementen, birgt dies das Risiko von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten, die die Rechtsbehelfsbelehrung insgesamt unrichtig machen können (vgl. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn. 64; Kimmel, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 58 Rn. 20; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 58 Rn. 44).
28 
Die dem Bescheid des Bundesamts vom 23.06.2016 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist eine derartige Unrichtigkeit auf. Denn dort heißt es u.a., dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss. Mit dieser Formulierung ist die Rechtsbehelfsbelehrung geeignet, bei dem Betroffenen den - im Widerspruch zum Gesetz stehenden - Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat (für Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auch VG Augsburg, Beschluss vom 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.06.2016 - 3a K 4187/15.A -, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A, juris; VG Hannover, Beschluss vom 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30.01.2017 - 15a L 3029/16.A -, juris; gegen Unrichtigkeit: VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15.11.2016 - 14a L 2496/16.A -, juris; VG Berlin, Beschlüsse vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris, und vom 16.11.2016 - 6 L 1249.16A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 19.12.2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11.01.2017 - 4 AE 94/17 -, juris; der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.1990 - 9 B 506.89 -, juris, verhält sich zu dieser Frage nicht).
29 
Dabei geht der Senat davon aus, dass das - in der maßgeblichen deutschen Rechtsbehelfsbelehrung verwendete - Verb „abfassen“ jedenfalls nach dem überwiegenden Sprachgebrauch in dem Sinne verstanden wird, dass einer Erklärung eine schriftliche Form gegeben wird (vgl. jeweils zum Stichwort „abfassen“: http://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen; Duden, Das Synonymwörterbuch, 6. Aufl. 2014; https://www.openthesaurus.de/synonyme/abfassen). Dies belegen insbesondere die (dort) angegebenen Synonyme anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen. In vergleichbarer Weise gilt dies für das Verb „rédiger“, das in der dem streitgegenständlichen Bescheid zusätzlich beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung in französischer Sprache verwendet wird. Dieses wird allgemein als Synonym für „schreiben in oder nach einer bestimmten Form“, „schriftlich niederlegen“ o.Ä. verwendet (vgl. jeweils zum Stichwort „rédiger“: Pons, Le Petit Robert, 2015/2016; http://www.le-dictionnaire.com; http://www.larousse.fr/diction-naires/francais“).
30 
Teilweise wird allerdings eingewandt, dass der Rechtsbehelfsbelehrung selbst bei einer Lesart des Begriffs „abfassen“ im Sinne eines schriftlichen Niederlegens nicht entnommen werden könne, dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hätte (vgl. VG Berlin, Urteil vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris). Dies trifft insofern zu, als die Rechtsbehelfsbelehrung angesichts der passivischen Verwendung des Verbs in der Form des Partizips Perfekt bzw. Partizips 2 in Verbindung mit dem Hilfsverb „müssen“ („…muss…abgefasst sein.“) jedenfalls ihrem Wortlaut nach offen lässt, wer es ist, der die Klage in deutscher Sprache abzufassen hat. Wenn indes daraus gefolgert wird, damit sei die - gesetzlich vorgesehene - Möglichkeit einer mündlich zur Niederschrift des Verwaltungsgerichts erhobenen Klage eingeschlossen, da auch diese von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgefasst, nämlich zu Protokoll genommen werde (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Berlin, a.a.O.), greift dies nach Auffassung des Senats zu kurz. Dass der passivische Gebrauch des Verbs „abfassen“ formal logisch die Möglichkeit einer Klagerhebung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, reicht für die Annahme der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, welche Vorstellungen die gegenständliche Formulierung bei lebensnaher Betrachtungsweise bei dem Adressaten eines Asylbescheids auslösen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsbehelfsbelehrung nach ihrem Zweck und ihrem gesamten Inhalt ausschließlich an den Adressaten des Bescheides richtet und dass sie deshalb - trotz der insgesamt passivischen Formulierung - erkennbar beschreibt, was dieser - in der kurzen Frist von einer Woche - zu tun bzw. zu veranlassen hat, um wirksam Klage zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltungsgerichtsordnung dem Adressaten das Recht einräumt, zur Erfüllung der beschriebenen Anforderungen die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch zu nehmen, lassen sich der Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnehmen. Damit liegt die Annahme fern, dass ein Bescheidempfänger trotz des Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung ernsthaft damit rechnen könnte, dem Erfordernis der Schriftlichkeit der Klage dadurch Genüge zu tun, dass er persönlich beim Verwaltungsgericht vorspricht und sein mündlich formuliertes Rechtsschutzbegehren vom dortigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle protokollieren lässt. Jedenfalls ist die gegenständliche Formulierung geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die Voraussetzungen einer wirksamen Klageerhebung hervorzurufen und ihn dadurch von einer Klagerhebung überhaupt oder von einer rechtzeitigen Klageerhebung abzuhalten. Es ist durchaus naheliegend, dass der Adressat davon ausgeht, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Dies steht indes in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Mit der Regelung soll dem Kläger der Rechtsschutz erleichtert werden, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen, etwa auch mangels hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache, den Weg zum Gericht vorzieht (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 81 Rn. 10). Die vom Bundesamt gewählte Formulierung erschwert dem Betroffenen demgegenüber die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Denn es liegt nicht fern, dass sich der Betroffene selbst dem Erfordernis der schriftlichen Abfassung nicht gewachsen fühlt, er aber auch den Aufwand und die Kosten scheut, die mit einer Inanspruchnahme der Hilfe durch Rechtskundige verbunden sind, und deshalb von der Klagerhebung absieht (vgl. zu einer Rechtsbehelfsbelehrung, die den Eindruck erweckt, der Widerspruch könne nur schriftlich eingelegt werden BVerwG, Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 78, 57).
31 
Da es für die Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO auf den „Empfängerhorizont“ ankommt, führt es auch zu keiner anderen Beurteilung, dass die Beklagte mit der gewählten Formulierung möglicherweise den Zweck verfolgt hat zu vermeiden, dass mit einer - entgegen § 55 VwGO in Verbindung mit § 184 Satz 1 GVG - nicht in deutscher Sprache erhobenen Klage Fristen versäumt werden.
32 
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Hinweis auf die Notwendigkeit der Abfassung in deutscher Sprache zusätzlich deshalb irreführend ist, weil es bei der Erklärung der Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle regelmäßig genügt, wenn der Rechtsschutzsuchende diesem gegenüber - etwa durch konkludentes Verhalten mit Bezug auf vorgelegte Schriftstücke und die bruchstückhafte Verwendung deutschsprachiger Begriffe - noch hinreichend verständlich zu erkennen gibt, er wolle einen Rechtsbehelf einlegen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A -, juris Rn. 64).
33 
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist schließlich auch unerheblich, ob bzw. inwieweit der Kläger über Deutschkenntnisse verfügt und ob er tatsächlich wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes nicht fristgerecht erhoben hat. Nach der angeführten Rechtsprechung genügt es, wenn der unrichtige Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung generell geeignet ist, die Einlegung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs zu erschweren. Das Ob und das Wie der Belehrung sind nach § 58 VwGO streng formalisiert. Die Vorschrift macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 - 3 C 23.08 -, BVerwGE 134, 41, vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 13.01.1971 - V C 53.70 -, BVerwGE 37, 85).
II.
34 
Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, ist für die Beurteilung des Begehrens des Klägers auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Maßgeblich in rechtlicher Hinsicht ist deshalb das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 04.11.2016 (BGBl. I S. 2460) geänderte Asylgesetz.
III.
35 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.
36 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
37 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9; so genannte Qualifikationsrichtlinie - QRL -) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (vgl. Senatsurteil vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris Rn. 24 a.E.; BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
38 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
39 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 26 m.w.N.).
40 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchstabe d QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
41 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
42 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
43 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 34 m.w.N.). Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden mit Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
44 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes.
45 
Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Togo einer als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG eingestuften Handlung nach § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt war, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
46 
Der Kläger war aber auch nicht von einer solchen Verfolgung ernsthaft bedroht. Die von ihm geltend gemachte Befürchtung, in Haft genommen zu werden, knüpft bereits nach seinem eigenen Vortrag nicht an einen flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG an, sondern vielmehr allein an den Umstand, dass er sich seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen aus einem Darlehnsvertrag entzogen hatte. Es fehlt an jedem Hinweis, dass die Auseinandersetzung mit der Darlehensgläubigerin ihren Grund in unverfügbaren Merkmalen des Klägers gehabt haben könnte. Auch nach deutschem Recht kommt im Rahmen des zivilprozessualen Vollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen der Erlass einer Haftanordnung gegen den Schuldner in Betracht (vgl. § 802g ZPO). Damit fehlt es schon an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009, a.a.O.)
47 
Unabhängig davon hat der Senat auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht die Überzeugung davon gewinnen können, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise im Kontext der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Inhaftierung durch die Polizei bzw. mit „Gefängnis“ zu rechnen hatte. Seine diesbezüglichen Angaben, er „vermute“, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzu gerufen hätte, er „habe gehört“, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei, erweisen sich insoweit als zu vage und zu unbestimmt, als dass ihnen Glauben geschenkt werden könnte. Hinreichend greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Gläubigerin tatsächlich bevorstand, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Kreditgeberin, die der Kläger im Übrigen als „Bekannte“ bezeichnet hat, sich zunächst durchaus kulant gezeigt hatte, indem sie ihm, nachdem er das Darlehen nicht fristgerecht zurückgezahlt hatte, das Kapital stundete und die Zinsen sogar erließ. Der Senat vermag insbesondere angesichts der aus der Schilderung des Klägers deutlich werdenden Kompromissbereitschaft der Gläubigerin auch nicht nachzuvollziehen, weshalb sich der Kläger in dieser Situation nicht um eine weitere Stundung oder eine einvernehmliche Klärung der Angelegenheit bemühte, sondern es vorzog, noch vor Ablauf der ihm von der Gläubigerin eingeräumten weiteren Frist das Land zu verlassen. Zudem hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu Recht und ohne dass sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren hierzu eingelassen hätte - darauf verwiesen, dass der Kläger bis dahin ein zuverlässiger Schuldner gewesen sei und die Gläubigerin im Falle einer Inhaftierung des Klägers ohnehin keine Aussicht auf eine (wenigstens teilweise) Rückzahlung des Darlehens gehabt hätte.
48 
Der Kläger muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht deswegen politische Verfolgung befürchten, weil er im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Bereits in der Vergangenheit hatte der Senat festgestellt, dass die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und ein Auslandsaufenthalt für togoische Staatsangehörige keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung in ihrem Heimatland begründen (vgl. Senatsurteile vom 25.03.2003 - A 9 S 1089/01 -, juris, und vom 20.04.2004 - A 9 S 849/03 -, juris). Daran hält der Senat auf der Grundlage der aktuellen und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel fest. Danach löst ein Asylantrag allein keine staatlichen Repressionen aus. Die Behörden sind in aller Regel um korrekte Behandlung der Rückkehrer bemüht, um weder deutschen Behörden noch togoischen Exilorganisationen Anlass zur Kritik zu geben (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 16.08.2011 sowie Auskunft vom 28.09.2011 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen). Dem Auswärtigen Amt sind nicht einmal Fälle bekannt, in denen die Mitgliedschaft in einer togoischen Exilorganisation für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Togoer nachteilige Folgen gehabt hätte. Es gibt in Togo zahlreiche, zum Teil sehr regierungskritische Menschenrechtsorganisationen, die hier unbehelligt tätig werden und die die Regierung, z.B. der für Menschenrechtsfragen zuständige Minister, als Gesprächspartner betrachtet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.01.2015 an das Verwaltungsgericht Stuttgart). Diese Einschätzung wird durch die jüngere Rechtsprechung anderer Gerichte bestätigt (vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 05.07.2013 - 9 B 12.30352 -, juris, und Urteil vom 16.05.2013 - 9 B 12.30382 -, juris, m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.06.2008 - 4 L 338/05 -, juris).
IV.
49 
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG liegen schon deshalb nicht vor, weil er nach seinen eigenen Angaben über Italien auf dem Landweg mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und daher über einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG nach Deutschland gelangt ist. Ungeachtet dessen liegen - wie unter III. dargelegt - die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Asylberechtigung aus denselben Gründen nicht vor, die einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegenstehen.
V.
50 
Der Kläger hat auch nicht den von ihm hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Plausible Anhaltspunkte dafür, dass ihm in seiner Heimat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen könnte, bestehen nach dem Gesagten nicht.
VI.
51 
Schließlich hat der Kläger auch nicht den weiter hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AsylG. Auch insoweit gilt, dass für den Senat kein Sachverhalt ersichtlich ist, der das Vorliegen der genannten Verbote zu begründen in der Lage wäre.
52 
Der Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist, hat insbesondere keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.2007 - 10 B 85.07 -, juris ; Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris , vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - juris , vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, juris und vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, juris ). Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O. [bei HIV und Aids]). In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht zu erlangenden medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O.).
53 
Ob die Zahl der in Togo an Diabetes mellitus Typ 1 leidenden Personen so groß ist, dass dies die Qualifizierung als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG rechtfertigt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls lassen sich im vorliegenden Fall auch die weniger strengen Voraussetzungen der „erheblichen konkreten Gefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung nicht feststellen.
54 
Danach muss die Gesundheitsgefahr erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.1999, a.a.O.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17.03.2016 geänderten Fassung nachgezeichnet. Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, BT-Drs. 18/7538 S. 18 f.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
55 
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
56 
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9).
57 
An diesem Maßstab gemessen lässt sich eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht feststellen.
58 
Nach den Angaben des Klägers sowie dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 leidet der Kläger an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden.
59 
Nach den dem Senat vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Qualität der medizinischen Versorgung in der Republik Togo eingeschränkt. Jeder Arztbesuch muss sofort bezahlt werden, größere Eingriffe werden nur gegen Vorauskasse durchgeführt. Da weniger als 5 % der Bevölkerung krankenversichert sind, müssen die Kosten in der Regel privat getragen werden; das ist mangels ausreichender finanzieller Mittel für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schwierig (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16.08.2011).
60 
In der Hauptstadt existieren mehrere private sowie staatliche Kliniken. Im Landesinneren gibt es für jede Region ein Regionalkrankenhaus sowie einige gute private Kliniken, die von Kirchen finanziert werden. Dort können überlebensnotwendige Eingriffe durchgeführt werden. Zahlreiche Gesundheitsvorsorgestellen, so genannte „Dispensaires“ (auch Medikamentenverkauf), bilden die erste Anlaufstelle auf dem Lande (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.).
61 
Die Versorgung mit Medikamenten ist in der Hauptstadt gewährleistet. Die Medikamente werden importiert und sind oft billiger als in Deutschland bzw. Frankreich. Prinzipiell können alle Medikamente innerhalb weniger Tage besorgt werden; in entlegenen Regionen kann es länger dauern. Der Erwerb hängt jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Patienten ab und bedeutet für sie in der Regel eine hohe Belastung. Insbesondere in den nördlichen Landesteilen ist außerhalb der Städte eine Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nicht immer gegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Weiter einschränkend wird berichtet, dass es oft zu Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommt und es sehr lange dauern kann, bis die Medikamente geliefert werden. Auch ihre Lagerung entspricht oft nicht den Standards, und es kommt vor, dass abgelaufene Medikamente verkauft werden. Die WHO stellt zudem große Mängel bei der Qualitätskontrolle und der Bekämpfung des illegalen Verkaufs von Medikamenten fest (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Togo: Medizinische Versorgung, 16.07.2012).
62 
Obwohl es in Togo Ausbildungsstätten für medizinisches Personal gibt (Fakultät für Medizin und Arzneikunde, Schule für Krankenpflegerinnen und Hebammenschule), existieren große Personalengpässe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
63 
Allgemein kann gesagt werden, dass nahezu alle Medikamente und medizinischen Dienstleistungen in Togo erhältlich sind, wenn der/die Patientin in der Lage ist, die oft hohen Preise selber zu bezahlen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015).
64 
Die konkreten Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung von Personen, die an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus leiden, stellen sich wie folgt dar:
65 
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.08.2011 kann Diabetes mellitus prinzipiell behandelt werden. Entsprechende Medikamente sind erhältlich, die erforderlichen Messgeräte vorhanden. Auch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lomé führt aus, dass insulinpflichtiger Diabetes mellitus in Togo gut behandelbar ist, eine Behandlung allerdings nur stattfindet, wenn der Patient die Kosten tragen kann (Auskunft vom 14.10.2015 an das Verwaltungsgericht Schwerin). In der oben genannten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.07.2012 heißt es, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich sei. Problematisch seien jedoch die hohen Behandlungskosten, was dazu führe, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo einen ungenügenden Zugang zu Insulin habe. Zu den Behandlungskosten wird ausgeführt, ein Bericht der WHO und der Organisation Health Action International stellte fest, dass der tiefste Preis für 10 ml Insulin im Jahr 2008 in Togo 7.70 US-Dollar betrug. Pro Monat muss ein Diabetiker, der 10 ml Insulin, sechs Spritzen und einen Blut-Teststreifen braucht, mit Ausgaben von mindestens zehn US-Dollar rechnen. Das nationale Pro-Kopf-Bruttoeinkommen betrug im Jahr 2010 490 US-Dollar. Das bedeutet, dass ein Togolese im Durchschnitt mindestens 24,5 % seines Jahreseinkommens für die Behandlung von Diabetes aufwenden muss. Die sehr hohen Kosten für die Diabetes-Behandlung erklären auch den ungenügenden Zugang zu Insulin für Diabetiker in Togo. Der Bericht der International Diabetes Federation hebt hervor, dass in Togo 50 bis 75 % aller Diabetiker keinen Zugang zu Insulin haben, weil es zu teuer ist.
66 
Angesichts dieser Erkenntnislage verkennt der Senat nicht, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo aus finanziellen Gründen nur einen unzureichenden Zugang zu Insulin und damit zu einer ausreichenden medizinischen Behandlung ihrer Erkrankung haben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.12.2013 - 7a K 5347/12.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 24.06.2008 - 7 A 1830/06 -, juris). Auf der Grundlage der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt geht der Senat indes davon aus, dass der Kläger dieser Gruppe aufgrund in seinem Falle bestehender Besonderheiten nicht angehört. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass für den Kläger eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG deshalb besteht, weil ihm individuell aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen die notwendige Behandlung oder Medikation nicht zugänglich ist.
67 
Nach seinen Angaben beim Bundesamt war der Kläger, der seinen Wohnsitz vor der Ausreise in der Hauptstadt Lomé hatte, seit der Feststellung der Erkrankung im Jahr 2012 bis zur Ausreise im Jahr 2016 in Behandlung eines Diabetologen. Von diesem sei er auch mit Tabletten und Insulin zum Spritzen versorgt worden. Seine Mutter und Großmutter, die ebenfalls an Diabetes litten, seien beim gleichen Arzt in Behandlung gewesen. Angesichts dieser Darstellung sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihm die vor der Ausreise aus Togo zugute gekommene fachärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nach der Rückkehr aus finanziellen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger dies weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat.
68 
Unabhängig davon kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der 34jährige arbeitsfähige Kläger, der seine wirtschaftliche Lage in Togo als „durchschnittlich“ bezeichnet hat, in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt - wie auch in der Vergangenheit - eigenständig sicherzustellen. Darüber hinaus verfügt er in Lomé über ein familiäres Umfeld: Seinen Angaben zufolge wohnen dort jedenfalls seine Mutter, seine Großmutter sowie seine Partnerin mit den gemeinsamen Kindern. Mit Blick auf die Erkenntnislage, wonach in Togo an die Stelle des Sozialstaats die Solidarität innerhalb der Großfamilie tritt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2015 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen), kann der Kläger insoweit auch mit finanzieller Unterstützung rechnen (zur Einbeziehung einer möglichen Unterstützung durch Angehörige in die gerichtliche Gefahrenprognose vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 06.02.2012 - 10 B 3.12 -, juris, und vom 01.10.2001 - 1 B 185.01 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.08.2003 - 2 BvR 1064/03 -, juris). Mit in den Blick zu nehmen sein dürfte auch der Vater des Klägers. Auch wenn der Kläger bekundet hat, dass die Eltern seit langem getrennt leben und der Vater „zur Zeit“ nicht in Togo, sondern im Senegal lebt, hat er doch auch erklärt, mit diesem (wie auch mit seiner Mutter) von Zeit zu Zeit in telefonischem und in E-Mail-Kontakt zu stehen. Diesem Umstand kommt im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung zu, weil der Vater nach den Bekundungen des Klägers in Togo als Arzt tätig war. Insoweit spricht einiges dafür, dass er in Togo jedenfalls über einschlägige Kontakte verfügt, was dem Kläger bei der Therapie seiner Diabetes-Erkrankung zugute kommen kann. Überdies kommt auch eine wirtschaftliche Unterstützung durch den Vater in Betracht, zumal der Kläger diesen nach seinen Angaben beim Bundesamt offenbar bislang nicht mit seiner wirtschaftlichen Situation konfrontiert hatte. Die pauschale Angabe des Klägers, er habe ihn „nicht gefragt, weil ich weiß, dass er daran nichts machen könnte“, vermag der Senat jedenfalls nicht nachzuvollziehen.
69 
Im Übrigen ist es dem Kläger unbenommen, vorbeugend für einen Insulinvorrat noch in Deutschland bzw. (über seine Familie) in Lomé zu sorgen, welcher geeignet ist, die Versorgung in der Phase nach der Ankunft im Heimatland sicherzustellen bzw. zu erleichtern.
70 
Vor diesem Hintergrund wird auch mit dem Vortrag des Klägers, zur Rückzahlung eines für die von ihm betriebene Viehzucht aufgenommenen Darlehens nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, nicht ernsthaft in Frage gestellt, dass dem Kläger die notwendige Behandlung oder Medikation zugänglich ist.
71 
Erstmals im Berufungsverfahren hat der Kläger allerdings unter Vorlage des ärztlichen Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 geltend gemacht, die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren.
72 
Indes werden mit dem Attest jedenfalls keine hinreichend aussagekräftigen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die in Togo durchgeführte fachärztliche Behandlung der Diabetes-Erkrankung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente tatsachlich in einem Maße unzureichend war, dass dies die Prognose rechtfertigen könnte, dem Kläger drohe alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung.
73 
Die Ausführungen im Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. sind nicht geeignet, die oben beschriebene Erkenntnislage zur grundsätzlichen Verfügbarkeit der für eine zureichende Behandlung von Diabetes mellitus 1 erforderlichen Medikamente in Togo ernsthaft in Frage zu stellen. Dies gilt zunächst schon deshalb, weil Dr. T. die Quellen seiner Informationen über die Verhältnisse in Togo nicht offen legt. Dessen ungeachtet stimmen die oben aufgezeigten Erkenntnismittel im Kern darin überein, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich (nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé ist die Erkrankung sogar „gut behandelbar“) ist und entsprechende Medikamente - zumal in der Hauptstadt Lomé - erhältlich sind. Vor diesem Hintergrund zeigt das Attest hinreichend substantiierte und greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von einem Diabetologen in der Hauptstadt Lomé durchgeführte Behandlung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente wirkungslos bzw. unzureichend gewesen sein soll, nicht auf. Solche Anhaltspunkte sind gerade auch auf der Grundlage der Bekundungen des Klägers beim Bundesamt zu der in Togo erfahrenen Behandlung nicht ersichtlich. Insbesondere hat er dort keinerlei Angaben gemacht, die darauf hindeuten, dass die - sich immerhin über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckende - fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo seiner Beurteilung nach wirkungslos bzw. unzureichend, etwa zur Beseitigung bzw. Eindämmung der mit der Erkrankung einhergehenden Symptome nicht geeignet war. Auch hinsichtlich der Behandlung seiner Mutter und Großmutter hat er Entsprechendes nicht vorgetragen.
74 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe im Attest, der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie - nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt hat der Arzt auf dem Gelände des Ankunftszentrums die Medikation umgestellt, ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen - liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ein Untersuchungsbericht, anhand dessen diese Angaben nachvollzogen werden können, ist indes nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon stellt allein der Umstand, dass beim Kläger bei seiner Ankunft in Deutschland (einmalig) ein Wert von 15 % HbA1c gemessen worden sein soll, keinen ausreichenden Beleg dafür dar, dass die fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo tatsächlich in einem rechtlich relevanten Ausmaß unzureichend war. Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Kläger während seiner fachärztlichen Behandlung in Togo vergleichbar hohe Blutzuckerwerte aufgewiesen hat wie bei seiner Ankunft in Deutschland. Deutlich gegen diese Möglichkeit sprechen - wie dargelegt - die Angaben des Klägers zur fachärztlichen Behandlung durch einen Diabetologen in Lomé und fehlende Angaben zu Anhaltspunkten für eine etwaige Wirkungslosigkeit der über mehrere Jahre erfolgten fachärztlichen Behandlung und Medikation. Im Übrigen liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, ob der Kläger im Zeitraum vor und auf der Reise nach Deutschland überhaupt ausreichend mit Medikamenten versorgt war bzw. er die Vorgaben zur regelmäßigen Einnahme der Medikamente bzw. zum regelmäßigen Spritzen einhielt bzw. einhalten konnte. Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf die vorhandenen, im Kern übereinstimmenden Erkenntnismittel sieht der Senat keinen Anlass, auf die Anregung des Kläger-Vertreters eine ergänzende Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé einzuholen.
75 
Es ist danach nicht ersichtlich, dass Kläger sich nach der Rückkehr nicht wieder in die Behandlung seines Diabetologen begeben und dort mit diesem - auch unter Einbeziehung der dem Kläger in Deutschland ärztlicherseits vermittelten Informationen - die hinreichend wirksame Therapie seiner Erkrankung fortführen kann. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass davon auszugehen ist, dass er auf die Unterstützung seines früher in Togo als Arzt tätigen Vaters zurückgreifen kann.
76 
Bei einer Gesamtschau sämtlicher Umstände des Einzelfalls kann der Senat jedenfalls nicht mit der insoweit erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, juris) feststellen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die Diabetes-Erkrankung des Klägers in Togo wegen des geringeren Versorgungsstandards nicht verfügbar ist und dies zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo droht. Der Senat schließt zwar - gerade auch mit Blick auf den Umstand, dass nach seiner Ankunft in Deutschland die Medikation umgestellt wurde - nicht aus, dass die dem Kläger in Togo für seine Erkrankung zur Verfügung stehende Behandlung und Medikation nicht den heute in Deutschland geltenden und praktizierten Standards entspricht. Indes ist der Umstand, dass die medizinische Versorgung in Togo möglicherweise mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist, für sich genommen nicht geeignet, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
VII.
77 
Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung und Fristsetzung - mit der durch die erfolgreiche Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gesetzlich (§ 37 Abs. 2 AsylG) auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlängerten Ausreisefrist - ist nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG.
VIII.
78 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
79 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
22 
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu Unrecht hat es allerdings angenommen, dass die Klage bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (II.) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (III.), keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (IV.), keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes (V.) und keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots (VI.). Auch die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist nicht zu beanstanden (VII.).
I.
24 
Die Zulässigkeit der Klage begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden.
25 
Zwar ist die Klage beim Verwaltungsgericht erst am 23.08.2006 und damit nicht innerhalb der hier nach § 74 Abs. 1 2. Hs., § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblichen Frist von einer Woche nach der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts am 18.07.2016 eingegangen. Dies führt aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Denn die einwöchige Klagefrist ist nicht in Gang gesetzt worden. Es fehlt an der hierfür gemäß § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wurde unrichtig erteilt, so dass die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zulässig war. Diese Frist ist gewahrt.
26 
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, nach dem die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1), bei dem Verwaltungsgericht aber auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2), wird nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht verlangt. Auch die vom Gesetz geforderte Belehrung „über den Rechtsbehelf“ schließt eine Belehrung über das mit § 81 Abs. 1 VwGO aufgestellte Formerfordernis nicht ein (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188, zum Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sowie vom 27.02.1976 - IV 74.74 -, NJW 1976, 1332).
27 
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteile vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 21.03.2002 - 4 C 2.01 -, juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch die Beschlüsse vom 03.03.2016 - 3 PKH 5.15 -, vom 31.08.2015 - 2 B 61.14 - und vom 16. 11.2012 - 1 WB 3.12 -, jeweils juris und m.w.N.). Versieht die Behörde die Belehrung mit nicht zwingenden Elementen, birgt dies das Risiko von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten, die die Rechtsbehelfsbelehrung insgesamt unrichtig machen können (vgl. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn. 64; Kimmel, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 58 Rn. 20; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 58 Rn. 44).
28 
Die dem Bescheid des Bundesamts vom 23.06.2016 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist eine derartige Unrichtigkeit auf. Denn dort heißt es u.a., dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss. Mit dieser Formulierung ist die Rechtsbehelfsbelehrung geeignet, bei dem Betroffenen den - im Widerspruch zum Gesetz stehenden - Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat (für Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auch VG Augsburg, Beschluss vom 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.06.2016 - 3a K 4187/15.A -, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A, juris; VG Hannover, Beschluss vom 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30.01.2017 - 15a L 3029/16.A -, juris; gegen Unrichtigkeit: VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15.11.2016 - 14a L 2496/16.A -, juris; VG Berlin, Beschlüsse vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris, und vom 16.11.2016 - 6 L 1249.16A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 19.12.2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11.01.2017 - 4 AE 94/17 -, juris; der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.1990 - 9 B 506.89 -, juris, verhält sich zu dieser Frage nicht).
29 
Dabei geht der Senat davon aus, dass das - in der maßgeblichen deutschen Rechtsbehelfsbelehrung verwendete - Verb „abfassen“ jedenfalls nach dem überwiegenden Sprachgebrauch in dem Sinne verstanden wird, dass einer Erklärung eine schriftliche Form gegeben wird (vgl. jeweils zum Stichwort „abfassen“: http://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen; Duden, Das Synonymwörterbuch, 6. Aufl. 2014; https://www.openthesaurus.de/synonyme/abfassen). Dies belegen insbesondere die (dort) angegebenen Synonyme anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen. In vergleichbarer Weise gilt dies für das Verb „rédiger“, das in der dem streitgegenständlichen Bescheid zusätzlich beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung in französischer Sprache verwendet wird. Dieses wird allgemein als Synonym für „schreiben in oder nach einer bestimmten Form“, „schriftlich niederlegen“ o.Ä. verwendet (vgl. jeweils zum Stichwort „rédiger“: Pons, Le Petit Robert, 2015/2016; http://www.le-dictionnaire.com; http://www.larousse.fr/diction-naires/francais“).
30 
Teilweise wird allerdings eingewandt, dass der Rechtsbehelfsbelehrung selbst bei einer Lesart des Begriffs „abfassen“ im Sinne eines schriftlichen Niederlegens nicht entnommen werden könne, dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hätte (vgl. VG Berlin, Urteil vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris). Dies trifft insofern zu, als die Rechtsbehelfsbelehrung angesichts der passivischen Verwendung des Verbs in der Form des Partizips Perfekt bzw. Partizips 2 in Verbindung mit dem Hilfsverb „müssen“ („…muss…abgefasst sein.“) jedenfalls ihrem Wortlaut nach offen lässt, wer es ist, der die Klage in deutscher Sprache abzufassen hat. Wenn indes daraus gefolgert wird, damit sei die - gesetzlich vorgesehene - Möglichkeit einer mündlich zur Niederschrift des Verwaltungsgerichts erhobenen Klage eingeschlossen, da auch diese von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgefasst, nämlich zu Protokoll genommen werde (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Berlin, a.a.O.), greift dies nach Auffassung des Senats zu kurz. Dass der passivische Gebrauch des Verbs „abfassen“ formal logisch die Möglichkeit einer Klagerhebung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, reicht für die Annahme der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, welche Vorstellungen die gegenständliche Formulierung bei lebensnaher Betrachtungsweise bei dem Adressaten eines Asylbescheids auslösen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsbehelfsbelehrung nach ihrem Zweck und ihrem gesamten Inhalt ausschließlich an den Adressaten des Bescheides richtet und dass sie deshalb - trotz der insgesamt passivischen Formulierung - erkennbar beschreibt, was dieser - in der kurzen Frist von einer Woche - zu tun bzw. zu veranlassen hat, um wirksam Klage zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltungsgerichtsordnung dem Adressaten das Recht einräumt, zur Erfüllung der beschriebenen Anforderungen die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch zu nehmen, lassen sich der Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnehmen. Damit liegt die Annahme fern, dass ein Bescheidempfänger trotz des Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung ernsthaft damit rechnen könnte, dem Erfordernis der Schriftlichkeit der Klage dadurch Genüge zu tun, dass er persönlich beim Verwaltungsgericht vorspricht und sein mündlich formuliertes Rechtsschutzbegehren vom dortigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle protokollieren lässt. Jedenfalls ist die gegenständliche Formulierung geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die Voraussetzungen einer wirksamen Klageerhebung hervorzurufen und ihn dadurch von einer Klagerhebung überhaupt oder von einer rechtzeitigen Klageerhebung abzuhalten. Es ist durchaus naheliegend, dass der Adressat davon ausgeht, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Dies steht indes in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Mit der Regelung soll dem Kläger der Rechtsschutz erleichtert werden, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen, etwa auch mangels hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache, den Weg zum Gericht vorzieht (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 81 Rn. 10). Die vom Bundesamt gewählte Formulierung erschwert dem Betroffenen demgegenüber die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Denn es liegt nicht fern, dass sich der Betroffene selbst dem Erfordernis der schriftlichen Abfassung nicht gewachsen fühlt, er aber auch den Aufwand und die Kosten scheut, die mit einer Inanspruchnahme der Hilfe durch Rechtskundige verbunden sind, und deshalb von der Klagerhebung absieht (vgl. zu einer Rechtsbehelfsbelehrung, die den Eindruck erweckt, der Widerspruch könne nur schriftlich eingelegt werden BVerwG, Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 78, 57).
31 
Da es für die Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO auf den „Empfängerhorizont“ ankommt, führt es auch zu keiner anderen Beurteilung, dass die Beklagte mit der gewählten Formulierung möglicherweise den Zweck verfolgt hat zu vermeiden, dass mit einer - entgegen § 55 VwGO in Verbindung mit § 184 Satz 1 GVG - nicht in deutscher Sprache erhobenen Klage Fristen versäumt werden.
32 
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Hinweis auf die Notwendigkeit der Abfassung in deutscher Sprache zusätzlich deshalb irreführend ist, weil es bei der Erklärung der Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle regelmäßig genügt, wenn der Rechtsschutzsuchende diesem gegenüber - etwa durch konkludentes Verhalten mit Bezug auf vorgelegte Schriftstücke und die bruchstückhafte Verwendung deutschsprachiger Begriffe - noch hinreichend verständlich zu erkennen gibt, er wolle einen Rechtsbehelf einlegen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A -, juris Rn. 64).
33 
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist schließlich auch unerheblich, ob bzw. inwieweit der Kläger über Deutschkenntnisse verfügt und ob er tatsächlich wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes nicht fristgerecht erhoben hat. Nach der angeführten Rechtsprechung genügt es, wenn der unrichtige Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung generell geeignet ist, die Einlegung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs zu erschweren. Das Ob und das Wie der Belehrung sind nach § 58 VwGO streng formalisiert. Die Vorschrift macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 - 3 C 23.08 -, BVerwGE 134, 41, vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 13.01.1971 - V C 53.70 -, BVerwGE 37, 85).
II.
34 
Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, ist für die Beurteilung des Begehrens des Klägers auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Maßgeblich in rechtlicher Hinsicht ist deshalb das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 04.11.2016 (BGBl. I S. 2460) geänderte Asylgesetz.
III.
35 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.
36 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
37 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9; so genannte Qualifikationsrichtlinie - QRL -) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (vgl. Senatsurteil vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris Rn. 24 a.E.; BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
38 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
39 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 26 m.w.N.).
40 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchstabe d QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
41 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
42 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
43 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 34 m.w.N.). Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden mit Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
44 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes.
45 
Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Togo einer als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG eingestuften Handlung nach § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt war, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
46 
Der Kläger war aber auch nicht von einer solchen Verfolgung ernsthaft bedroht. Die von ihm geltend gemachte Befürchtung, in Haft genommen zu werden, knüpft bereits nach seinem eigenen Vortrag nicht an einen flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG an, sondern vielmehr allein an den Umstand, dass er sich seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen aus einem Darlehnsvertrag entzogen hatte. Es fehlt an jedem Hinweis, dass die Auseinandersetzung mit der Darlehensgläubigerin ihren Grund in unverfügbaren Merkmalen des Klägers gehabt haben könnte. Auch nach deutschem Recht kommt im Rahmen des zivilprozessualen Vollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen der Erlass einer Haftanordnung gegen den Schuldner in Betracht (vgl. § 802g ZPO). Damit fehlt es schon an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009, a.a.O.)
47 
Unabhängig davon hat der Senat auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht die Überzeugung davon gewinnen können, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise im Kontext der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Inhaftierung durch die Polizei bzw. mit „Gefängnis“ zu rechnen hatte. Seine diesbezüglichen Angaben, er „vermute“, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzu gerufen hätte, er „habe gehört“, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei, erweisen sich insoweit als zu vage und zu unbestimmt, als dass ihnen Glauben geschenkt werden könnte. Hinreichend greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Gläubigerin tatsächlich bevorstand, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Kreditgeberin, die der Kläger im Übrigen als „Bekannte“ bezeichnet hat, sich zunächst durchaus kulant gezeigt hatte, indem sie ihm, nachdem er das Darlehen nicht fristgerecht zurückgezahlt hatte, das Kapital stundete und die Zinsen sogar erließ. Der Senat vermag insbesondere angesichts der aus der Schilderung des Klägers deutlich werdenden Kompromissbereitschaft der Gläubigerin auch nicht nachzuvollziehen, weshalb sich der Kläger in dieser Situation nicht um eine weitere Stundung oder eine einvernehmliche Klärung der Angelegenheit bemühte, sondern es vorzog, noch vor Ablauf der ihm von der Gläubigerin eingeräumten weiteren Frist das Land zu verlassen. Zudem hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu Recht und ohne dass sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren hierzu eingelassen hätte - darauf verwiesen, dass der Kläger bis dahin ein zuverlässiger Schuldner gewesen sei und die Gläubigerin im Falle einer Inhaftierung des Klägers ohnehin keine Aussicht auf eine (wenigstens teilweise) Rückzahlung des Darlehens gehabt hätte.
48 
Der Kläger muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht deswegen politische Verfolgung befürchten, weil er im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Bereits in der Vergangenheit hatte der Senat festgestellt, dass die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und ein Auslandsaufenthalt für togoische Staatsangehörige keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung in ihrem Heimatland begründen (vgl. Senatsurteile vom 25.03.2003 - A 9 S 1089/01 -, juris, und vom 20.04.2004 - A 9 S 849/03 -, juris). Daran hält der Senat auf der Grundlage der aktuellen und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel fest. Danach löst ein Asylantrag allein keine staatlichen Repressionen aus. Die Behörden sind in aller Regel um korrekte Behandlung der Rückkehrer bemüht, um weder deutschen Behörden noch togoischen Exilorganisationen Anlass zur Kritik zu geben (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 16.08.2011 sowie Auskunft vom 28.09.2011 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen). Dem Auswärtigen Amt sind nicht einmal Fälle bekannt, in denen die Mitgliedschaft in einer togoischen Exilorganisation für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Togoer nachteilige Folgen gehabt hätte. Es gibt in Togo zahlreiche, zum Teil sehr regierungskritische Menschenrechtsorganisationen, die hier unbehelligt tätig werden und die die Regierung, z.B. der für Menschenrechtsfragen zuständige Minister, als Gesprächspartner betrachtet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.01.2015 an das Verwaltungsgericht Stuttgart). Diese Einschätzung wird durch die jüngere Rechtsprechung anderer Gerichte bestätigt (vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 05.07.2013 - 9 B 12.30352 -, juris, und Urteil vom 16.05.2013 - 9 B 12.30382 -, juris, m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.06.2008 - 4 L 338/05 -, juris).
IV.
49 
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG liegen schon deshalb nicht vor, weil er nach seinen eigenen Angaben über Italien auf dem Landweg mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und daher über einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG nach Deutschland gelangt ist. Ungeachtet dessen liegen - wie unter III. dargelegt - die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Asylberechtigung aus denselben Gründen nicht vor, die einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegenstehen.
V.
50 
Der Kläger hat auch nicht den von ihm hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Plausible Anhaltspunkte dafür, dass ihm in seiner Heimat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen könnte, bestehen nach dem Gesagten nicht.
VI.
51 
Schließlich hat der Kläger auch nicht den weiter hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AsylG. Auch insoweit gilt, dass für den Senat kein Sachverhalt ersichtlich ist, der das Vorliegen der genannten Verbote zu begründen in der Lage wäre.
52 
Der Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist, hat insbesondere keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.2007 - 10 B 85.07 -, juris ; Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris , vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - juris , vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, juris und vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, juris ). Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O. [bei HIV und Aids]). In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht zu erlangenden medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O.).
53 
Ob die Zahl der in Togo an Diabetes mellitus Typ 1 leidenden Personen so groß ist, dass dies die Qualifizierung als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG rechtfertigt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls lassen sich im vorliegenden Fall auch die weniger strengen Voraussetzungen der „erheblichen konkreten Gefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung nicht feststellen.
54 
Danach muss die Gesundheitsgefahr erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.1999, a.a.O.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17.03.2016 geänderten Fassung nachgezeichnet. Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, BT-Drs. 18/7538 S. 18 f.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
55 
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
56 
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9).
57 
An diesem Maßstab gemessen lässt sich eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht feststellen.
58 
Nach den Angaben des Klägers sowie dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 leidet der Kläger an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden.
59 
Nach den dem Senat vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Qualität der medizinischen Versorgung in der Republik Togo eingeschränkt. Jeder Arztbesuch muss sofort bezahlt werden, größere Eingriffe werden nur gegen Vorauskasse durchgeführt. Da weniger als 5 % der Bevölkerung krankenversichert sind, müssen die Kosten in der Regel privat getragen werden; das ist mangels ausreichender finanzieller Mittel für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schwierig (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16.08.2011).
60 
In der Hauptstadt existieren mehrere private sowie staatliche Kliniken. Im Landesinneren gibt es für jede Region ein Regionalkrankenhaus sowie einige gute private Kliniken, die von Kirchen finanziert werden. Dort können überlebensnotwendige Eingriffe durchgeführt werden. Zahlreiche Gesundheitsvorsorgestellen, so genannte „Dispensaires“ (auch Medikamentenverkauf), bilden die erste Anlaufstelle auf dem Lande (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.).
61 
Die Versorgung mit Medikamenten ist in der Hauptstadt gewährleistet. Die Medikamente werden importiert und sind oft billiger als in Deutschland bzw. Frankreich. Prinzipiell können alle Medikamente innerhalb weniger Tage besorgt werden; in entlegenen Regionen kann es länger dauern. Der Erwerb hängt jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Patienten ab und bedeutet für sie in der Regel eine hohe Belastung. Insbesondere in den nördlichen Landesteilen ist außerhalb der Städte eine Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nicht immer gegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Weiter einschränkend wird berichtet, dass es oft zu Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommt und es sehr lange dauern kann, bis die Medikamente geliefert werden. Auch ihre Lagerung entspricht oft nicht den Standards, und es kommt vor, dass abgelaufene Medikamente verkauft werden. Die WHO stellt zudem große Mängel bei der Qualitätskontrolle und der Bekämpfung des illegalen Verkaufs von Medikamenten fest (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Togo: Medizinische Versorgung, 16.07.2012).
62 
Obwohl es in Togo Ausbildungsstätten für medizinisches Personal gibt (Fakultät für Medizin und Arzneikunde, Schule für Krankenpflegerinnen und Hebammenschule), existieren große Personalengpässe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
63 
Allgemein kann gesagt werden, dass nahezu alle Medikamente und medizinischen Dienstleistungen in Togo erhältlich sind, wenn der/die Patientin in der Lage ist, die oft hohen Preise selber zu bezahlen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015).
64 
Die konkreten Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung von Personen, die an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus leiden, stellen sich wie folgt dar:
65 
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.08.2011 kann Diabetes mellitus prinzipiell behandelt werden. Entsprechende Medikamente sind erhältlich, die erforderlichen Messgeräte vorhanden. Auch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lomé führt aus, dass insulinpflichtiger Diabetes mellitus in Togo gut behandelbar ist, eine Behandlung allerdings nur stattfindet, wenn der Patient die Kosten tragen kann (Auskunft vom 14.10.2015 an das Verwaltungsgericht Schwerin). In der oben genannten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.07.2012 heißt es, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich sei. Problematisch seien jedoch die hohen Behandlungskosten, was dazu führe, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo einen ungenügenden Zugang zu Insulin habe. Zu den Behandlungskosten wird ausgeführt, ein Bericht der WHO und der Organisation Health Action International stellte fest, dass der tiefste Preis für 10 ml Insulin im Jahr 2008 in Togo 7.70 US-Dollar betrug. Pro Monat muss ein Diabetiker, der 10 ml Insulin, sechs Spritzen und einen Blut-Teststreifen braucht, mit Ausgaben von mindestens zehn US-Dollar rechnen. Das nationale Pro-Kopf-Bruttoeinkommen betrug im Jahr 2010 490 US-Dollar. Das bedeutet, dass ein Togolese im Durchschnitt mindestens 24,5 % seines Jahreseinkommens für die Behandlung von Diabetes aufwenden muss. Die sehr hohen Kosten für die Diabetes-Behandlung erklären auch den ungenügenden Zugang zu Insulin für Diabetiker in Togo. Der Bericht der International Diabetes Federation hebt hervor, dass in Togo 50 bis 75 % aller Diabetiker keinen Zugang zu Insulin haben, weil es zu teuer ist.
66 
Angesichts dieser Erkenntnislage verkennt der Senat nicht, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo aus finanziellen Gründen nur einen unzureichenden Zugang zu Insulin und damit zu einer ausreichenden medizinischen Behandlung ihrer Erkrankung haben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.12.2013 - 7a K 5347/12.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 24.06.2008 - 7 A 1830/06 -, juris). Auf der Grundlage der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt geht der Senat indes davon aus, dass der Kläger dieser Gruppe aufgrund in seinem Falle bestehender Besonderheiten nicht angehört. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass für den Kläger eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG deshalb besteht, weil ihm individuell aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen die notwendige Behandlung oder Medikation nicht zugänglich ist.
67 
Nach seinen Angaben beim Bundesamt war der Kläger, der seinen Wohnsitz vor der Ausreise in der Hauptstadt Lomé hatte, seit der Feststellung der Erkrankung im Jahr 2012 bis zur Ausreise im Jahr 2016 in Behandlung eines Diabetologen. Von diesem sei er auch mit Tabletten und Insulin zum Spritzen versorgt worden. Seine Mutter und Großmutter, die ebenfalls an Diabetes litten, seien beim gleichen Arzt in Behandlung gewesen. Angesichts dieser Darstellung sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihm die vor der Ausreise aus Togo zugute gekommene fachärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nach der Rückkehr aus finanziellen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger dies weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat.
68 
Unabhängig davon kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der 34jährige arbeitsfähige Kläger, der seine wirtschaftliche Lage in Togo als „durchschnittlich“ bezeichnet hat, in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt - wie auch in der Vergangenheit - eigenständig sicherzustellen. Darüber hinaus verfügt er in Lomé über ein familiäres Umfeld: Seinen Angaben zufolge wohnen dort jedenfalls seine Mutter, seine Großmutter sowie seine Partnerin mit den gemeinsamen Kindern. Mit Blick auf die Erkenntnislage, wonach in Togo an die Stelle des Sozialstaats die Solidarität innerhalb der Großfamilie tritt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2015 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen), kann der Kläger insoweit auch mit finanzieller Unterstützung rechnen (zur Einbeziehung einer möglichen Unterstützung durch Angehörige in die gerichtliche Gefahrenprognose vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 06.02.2012 - 10 B 3.12 -, juris, und vom 01.10.2001 - 1 B 185.01 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.08.2003 - 2 BvR 1064/03 -, juris). Mit in den Blick zu nehmen sein dürfte auch der Vater des Klägers. Auch wenn der Kläger bekundet hat, dass die Eltern seit langem getrennt leben und der Vater „zur Zeit“ nicht in Togo, sondern im Senegal lebt, hat er doch auch erklärt, mit diesem (wie auch mit seiner Mutter) von Zeit zu Zeit in telefonischem und in E-Mail-Kontakt zu stehen. Diesem Umstand kommt im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung zu, weil der Vater nach den Bekundungen des Klägers in Togo als Arzt tätig war. Insoweit spricht einiges dafür, dass er in Togo jedenfalls über einschlägige Kontakte verfügt, was dem Kläger bei der Therapie seiner Diabetes-Erkrankung zugute kommen kann. Überdies kommt auch eine wirtschaftliche Unterstützung durch den Vater in Betracht, zumal der Kläger diesen nach seinen Angaben beim Bundesamt offenbar bislang nicht mit seiner wirtschaftlichen Situation konfrontiert hatte. Die pauschale Angabe des Klägers, er habe ihn „nicht gefragt, weil ich weiß, dass er daran nichts machen könnte“, vermag der Senat jedenfalls nicht nachzuvollziehen.
69 
Im Übrigen ist es dem Kläger unbenommen, vorbeugend für einen Insulinvorrat noch in Deutschland bzw. (über seine Familie) in Lomé zu sorgen, welcher geeignet ist, die Versorgung in der Phase nach der Ankunft im Heimatland sicherzustellen bzw. zu erleichtern.
70 
Vor diesem Hintergrund wird auch mit dem Vortrag des Klägers, zur Rückzahlung eines für die von ihm betriebene Viehzucht aufgenommenen Darlehens nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, nicht ernsthaft in Frage gestellt, dass dem Kläger die notwendige Behandlung oder Medikation zugänglich ist.
71 
Erstmals im Berufungsverfahren hat der Kläger allerdings unter Vorlage des ärztlichen Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 geltend gemacht, die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren.
72 
Indes werden mit dem Attest jedenfalls keine hinreichend aussagekräftigen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die in Togo durchgeführte fachärztliche Behandlung der Diabetes-Erkrankung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente tatsachlich in einem Maße unzureichend war, dass dies die Prognose rechtfertigen könnte, dem Kläger drohe alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung.
73 
Die Ausführungen im Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. sind nicht geeignet, die oben beschriebene Erkenntnislage zur grundsätzlichen Verfügbarkeit der für eine zureichende Behandlung von Diabetes mellitus 1 erforderlichen Medikamente in Togo ernsthaft in Frage zu stellen. Dies gilt zunächst schon deshalb, weil Dr. T. die Quellen seiner Informationen über die Verhältnisse in Togo nicht offen legt. Dessen ungeachtet stimmen die oben aufgezeigten Erkenntnismittel im Kern darin überein, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich (nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé ist die Erkrankung sogar „gut behandelbar“) ist und entsprechende Medikamente - zumal in der Hauptstadt Lomé - erhältlich sind. Vor diesem Hintergrund zeigt das Attest hinreichend substantiierte und greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von einem Diabetologen in der Hauptstadt Lomé durchgeführte Behandlung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente wirkungslos bzw. unzureichend gewesen sein soll, nicht auf. Solche Anhaltspunkte sind gerade auch auf der Grundlage der Bekundungen des Klägers beim Bundesamt zu der in Togo erfahrenen Behandlung nicht ersichtlich. Insbesondere hat er dort keinerlei Angaben gemacht, die darauf hindeuten, dass die - sich immerhin über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckende - fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo seiner Beurteilung nach wirkungslos bzw. unzureichend, etwa zur Beseitigung bzw. Eindämmung der mit der Erkrankung einhergehenden Symptome nicht geeignet war. Auch hinsichtlich der Behandlung seiner Mutter und Großmutter hat er Entsprechendes nicht vorgetragen.
74 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe im Attest, der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie - nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt hat der Arzt auf dem Gelände des Ankunftszentrums die Medikation umgestellt, ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen - liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ein Untersuchungsbericht, anhand dessen diese Angaben nachvollzogen werden können, ist indes nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon stellt allein der Umstand, dass beim Kläger bei seiner Ankunft in Deutschland (einmalig) ein Wert von 15 % HbA1c gemessen worden sein soll, keinen ausreichenden Beleg dafür dar, dass die fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo tatsächlich in einem rechtlich relevanten Ausmaß unzureichend war. Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Kläger während seiner fachärztlichen Behandlung in Togo vergleichbar hohe Blutzuckerwerte aufgewiesen hat wie bei seiner Ankunft in Deutschland. Deutlich gegen diese Möglichkeit sprechen - wie dargelegt - die Angaben des Klägers zur fachärztlichen Behandlung durch einen Diabetologen in Lomé und fehlende Angaben zu Anhaltspunkten für eine etwaige Wirkungslosigkeit der über mehrere Jahre erfolgten fachärztlichen Behandlung und Medikation. Im Übrigen liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, ob der Kläger im Zeitraum vor und auf der Reise nach Deutschland überhaupt ausreichend mit Medikamenten versorgt war bzw. er die Vorgaben zur regelmäßigen Einnahme der Medikamente bzw. zum regelmäßigen Spritzen einhielt bzw. einhalten konnte. Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf die vorhandenen, im Kern übereinstimmenden Erkenntnismittel sieht der Senat keinen Anlass, auf die Anregung des Kläger-Vertreters eine ergänzende Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé einzuholen.
75 
Es ist danach nicht ersichtlich, dass Kläger sich nach der Rückkehr nicht wieder in die Behandlung seines Diabetologen begeben und dort mit diesem - auch unter Einbeziehung der dem Kläger in Deutschland ärztlicherseits vermittelten Informationen - die hinreichend wirksame Therapie seiner Erkrankung fortführen kann. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass davon auszugehen ist, dass er auf die Unterstützung seines früher in Togo als Arzt tätigen Vaters zurückgreifen kann.
76 
Bei einer Gesamtschau sämtlicher Umstände des Einzelfalls kann der Senat jedenfalls nicht mit der insoweit erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, juris) feststellen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die Diabetes-Erkrankung des Klägers in Togo wegen des geringeren Versorgungsstandards nicht verfügbar ist und dies zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo droht. Der Senat schließt zwar - gerade auch mit Blick auf den Umstand, dass nach seiner Ankunft in Deutschland die Medikation umgestellt wurde - nicht aus, dass die dem Kläger in Togo für seine Erkrankung zur Verfügung stehende Behandlung und Medikation nicht den heute in Deutschland geltenden und praktizierten Standards entspricht. Indes ist der Umstand, dass die medizinische Versorgung in Togo möglicherweise mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist, für sich genommen nicht geeignet, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
VII.
77 
Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung und Fristsetzung - mit der durch die erfolgreiche Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gesetzlich (§ 37 Abs. 2 AsylG) auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlängerten Ausreisefrist - ist nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG.
VIII.
78 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
79 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichterin - vom 12. September 2017 sowie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.

1

Der 1993 oder 1997 geborene Kläger aus Somalia wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags und die Anordnung seiner Abschiebung nach Schweden. Er reiste zunächst nach Schweden ein, sodann nach Deutschland, wo er am 15.11.2016 einen Asylantrag stellte. Ein Übernahmeersuchen der Beklagten wurde von der schwedischen Behörde (Migrationsverket) am 13.01.2017 akzeptiert. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2017 den Asylantrag ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. Die Aufforderung des Klägers, den Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufzuheben, lehnt die Beklagte ab. Seine am 15.08.2017 eingegangene Klage hat das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin der 5. Kammer) mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2017 als unzulässig abgewiesen, da die einwöchige Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Die dem Bescheid vom 24.02.2017 beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei korrekt, insbesondere sei die Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse. Sie schließe insbesondere eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache sei richtig.

2

Der Kläger erstrebt die Zulassung der Berufung. Er meint, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht bislang noch nicht über die Rechtsfrage entschieden habe, ob eine Rechtsmittelbelehrung mit der Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist.

II.

3

1. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Erfolgsaussichten hat (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).

4

2. Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Frage, ob die in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Bescheid der Beklagten vom 24.02.2017 enthaltene Formulierung, wonach die Klage „… in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist, ist nicht grundsatzbedeutsam (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Sie bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das wird auch durch das in der Begründung des Zulassungsantrags in Bezug genommene Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477) nicht in Frage gestellt.

5

2.1 Die Rechtsbehelfsbelehrung wurde richtig erteilt.

6

Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO muss über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt werden. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt worden.

7

Soweit die Rechtsbehelfsbelehrung auch auf das Erfordernis der Klageerhebung „in deutscher Sprache“ hinweist, ist auch dies richtig (vgl. § 55 VwGO, § 184 GVG).

8

Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, wonach die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich; dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77.78, BVerwGE 57, 188 [bei Juris Rn. 22]; vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 58 Rn. 43 m. w. N.). Dazu gehört auch eine Angabe dazu, wie die Klage „abgefasst“ sein muss, denn sie betrifft das - nach § 58 Abs. 1 VwGO gesetzlich nicht geforderte - Formerfordernis einer Klageerhebung. Das begründet keine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung.

9

2.2 Angaben in einer Rechtsbehelfsbelehrung, die von den oben genannten Mindestanforderungen gemäß § 58 Abs. 1 VwGOnicht umfasst sind, können nur dann zu einer Unrichtigkeit i. S. d. § 58 Abs. 2 VwGO führen, wenn siegeeignet sind, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Das ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, 4 C 2.01, DVBl. 2002, 1553 [zu einer „Vielzahl“ von Informationen in der Belehrung], BVerwG, Beschl. v. 03.03.2016, 3 PKH 5.15, Juris [zu einem irreführenden Zusatz], BVerwG, Beschl. v. 16.11.2012, 1 WB 3.12, NZWehrR 2013, 168 [bei Juris Rn. 14: zu einem Zusatz zu der Stelle, bei der die Beschwerde eingelegt werden kann]; vgl. dazu auch Meissner/Schenk, a.a.O., Rn. 44).

10

Der hier verwendeten Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, fehlt eine Eignung im o. g. Sinne.

11

2.2.1 Hinsichtlich der (semantischen) Bedeutung des Wortes „abfassen“ fehlt schon die Möglichkeit, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Das Verb „abfassen“ bringt nur zum Ausdruck, dass die Klage ausformuliert erhoben werden muss. Indem die Rechtsbehelfsbelehrung die passive Form verwendet, ist für den objektiven Empfängerhorizont erkennbar, dass die Ausformulierung nicht nur durch den Kläger selbst (oder dessen Anwalt) erfolgen muss. Eine Klage ist auch dann (in deutscher Sprache) „abgefasst“, wenn dies in Form einer Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geschieht. Die Klageerhebung zur Niederschrift ist eine Unterform der schriftlichen Klageerhebung. Eine Niederschrift dokumentiert das persönlich erklärte Rechtsschutzbegehren des Klägers, das von dem Urkundsbeamten pflichtgemäß entgegenzunehmen und schriftlich zu fixieren ist. Insoweit genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten. Mit Abschluss des Protokolls über die Niederschrift ist die Klage erhoben und damit rechtshängig (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 81 Rn. 10).

12

2.2.2 Selbst wenn man - dem (im Zulassungsantrag zitierten) Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (a.a.O., bei Juris Rn. 30) folgend - annehmen wollte, dass der objektive Empfängerhorizont eines Bescheidempfängers „… abgefasst“ sprachlich im Sinne einer selbst veranlassten (eigenhändigen) Klageerhebung verstehen werde, würde der Bescheidempfänger dadurch nicht von einer Klageerhebung überhaupt oder einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten. Dafür genügt allein ein fehlender Hinweis auf die nach § 81 Abs. 1 VwGO zulässige Alternative einer Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht.

13

Ob die Annahme, wegen des unterbliebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Klageerhebung zur Niederschrift werde „die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert (VGH Mannheim, a.a.O. bei Juris Rn. 30) zutrifft, kann offen bleiben, weil eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung (erst) dann anzunehmen ist, wenn sie geeignet ist, den Betroffenen von einer Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, a.a.O.). Dafür ist mehr erforderlich als eine bloße Erschwernis der Rechtsverfolgung, zumal dann, wenn eine solche (unterstellte) Erschwernis in zumutbarer Weise überwindbar ist.

14

Bei den hier in Betracht kommenden Alternativen - schriftliche Klageerhebung oder Klageerhebung zur Niederschrift - ist überdies fraglich, ob die zweite Alternative überhaupt eine „Erschwernis“ der Rechtsverfolgung bewirkt. Um eine Klage zur Niederschrift zu erheben, müsste sich der Rechtsschutzsuchende zum Gerichtsort begeben und dort die Rechtsantragsstelle aufsuchen. Dies mag erklären, dass diese Vorgehensweise in der (asylrechtlichen) Praxis (sehr) selten vorkommt. Die Erwägung, dass sich ein Rechtsschutzsuchender bestimmten, in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten (zusätzlichen) Anforderungen „nicht gewachsen“ fühlen und sich so davon abhalten lassen könnte, eine an sich gewünschte Klage zu erheben, bezieht sich auf ganz andere Konstellationen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.01.1971, V C 53.70, VerwRSpr 1972, 121/122 [fehlerhafter Hinweis auf das Erfordernis eines Klageantrags] sowie BVerwGE 3, 273/274 [fehlerhafte Hinweise zum Einlegungsort und zur Klagebegründung]). Vorliegend geht es nicht um den Fall falscher oder „erschwerender“ Zusätze in der Rechtsbehelfsbelehrung, sondern um einen unterbliebenen Hinweis auf eine Variante der Einlegung einer - ansonsten in der Rechtsbehelfsbelehrung korrekt behandelten - Klage. Auch ein nicht deutschsprachiger Kläger kann eine evtl. erforderliche Hilfe beim „Abfassen“ seiner Klage bei einer „eigenhändigen“ Klageerhebung ebenso gut erlangen, wie es im Falle einer Klageerhebung durch Niederschrift der Fall wäre.

15

Soweit Unklarheiten über die formgerechte Klageerhebung dadurch entstehen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist und deshalb nicht darauf kommt, dass er die Klage auch zur Niederschrift „abfassen“ kann, wäre dies nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung verursacht, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis des Klägers. In Asylverfahren kann der Kläger dem unter Zuhilfenahme der Beklagten abhelfen. Diese ist verpflichtet, ihn „in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann“ über das Verfahren und - insbesondere - über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung zu informieren (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), wie dies zu Beginn des Verfahrens bereits geschehen ist (vgl. Bl. 11 ff. der Verwaltungsvorgänge) und auch nach Erlass des Bescheides vom 24.02.2017 - auch innerhalb der Wochenfrist - noch möglich bleibt. Dafür genügt eine einfache Nachfrage. Unabhängig davon ist es (zumindest) fernliegend, dass allein eine fehlende Angabe dazu, dass eine Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten „abgefasst“ werden kann, geeignet ist, den Kläger davon abzuhalten, die Klage rechtzeitig und in der richtigen Form einzulegen. Das wäre nur denkbar, wenn eine Klageerhebung zur Niederschrift typischerweise die näher liegende oder einfachere Form der Klageerhebung wäre. Das ist nicht der Fall und - zudem - lebensfremd.

16

3. Der Zulassungsantrag war nach alledem abzulehnen.

17

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Dezember 2015 wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Verfahren auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts München vom 21. Dezember 2015 bleibt ohne Erfolg, weil die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Ausgang eines Rechtsstreits zumindest als offen anzusehen ist, ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr. vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 10 C 15.849 -juris m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 - 10 C 39.07; BayVGH, B.v. 11.4.2016 - 7 C 15.10420 jeweils juris).

Vorliegend ist der vollständige Prozesskostenhilfeantrag am 8. März 2016 bei Gericht eingegangen, der Beklagte hat am 21. März 2016 inhaltlich Stellung genommen. Bereits am 18. März 2016 hat das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass die Erhebung eines Rundfunkbeitrags pro Wohnung rechtmäßig ist. Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist damit nicht mehr gegeben.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Antrag, die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen dem Bund aufzuerlegen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Der 1960 geborene Antragsteller ist Berufssoldat in der Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes. Er wurde am 16. Juli 2001 zum Hauptmann und mit Wirkung vom 1. Oktober 2004 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen. Seit dem 1. April 2001 wurde er durchgängig im ... verwendet.

2

Mit Schreiben vom 1. Juli 2010 sowie nochmals mit Schreiben vom 30. September 2010 bewarb sich der Antragsteller um eine Versetzung auf den nach Besoldungsgruppe A 13 bewerteten Dienstposten eines Geoinformationsoffiziers beim Bundesministerium der Verteidigung - ... - und, in zweiter Priorität, den ebenfalls nach Besoldungsgruppe A 13 bewerteten Dienstposten eines Geoinformationsoffiziers im Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, Dezernat ... Mit Zwischenbescheiden vom 15. Juli 2010 und 21. Oktober 2010 teilte das Personalamt der Bundeswehr dem Antragsteller mit, dass die Nachbesetzung der beiden Dienstposten derzeit noch nicht anstehe; der Antragsteller werde jedoch bei der Nachfolgeplanung mit betrachtet und zu gegebenerm Zeit eine Mitteilung auf seine Bewerbung erhalten. Im Zusammenhang mit einer von ihm in anderer Sache erhobenen Beschwerde beantragte der Antragsteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 13. Januar 2011 außerdem, ihm einen nach Besoldungsgruppe A 13 bewerteten Dienstposten aufzuzeigen bzw. zur Verfügung zu stellen, auf den er versetzt und auf dem er anschließend befördert werden könne.

3

Mit Bescheid vom 16. Mai 2011 lehnte das Personalamt der Bundeswehr die Anträge ab. Der Dienstposten im Amt für Geoinformationswesen sei noch bis zum 31. Dezember 2015 besetzt. Über die grundsätzliche Nachbesetzung des Dienstposten im Bundesministerium der Verteidigung - ... - sei noch nicht entschieden, weil dieser möglicherweise im Zuge der Bundeswehrreform entfallen werde. Eine Rechtsgrundlage, dem Antragsteller einen förderlichen Dienstposten zur Verfügung zu stellen bzw. einen solchen für ihn zu schaffen, sei nicht gegeben. Nach der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung kann die Beschwerde gegen diesen Bescheid "bei mir oder beim Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 8 -" sowie bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten eingelegt werden.

4

Hiergegen erhob der Antragsteller mit an das Personalamt der Bundeswehr gerichteten Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 22. Juni 2011 Beschwerde. Die Beschwerde ging am 22. Juni 2011 beim Personalamt und am 28. Juni 2011 beim Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 7 -, wohin sie weitergeleitet wurde, ein.

5

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - die Beschwerde als unzulässig zurück. Die Beschwerde sei nicht fristgerecht bei einer zuständigen Stelle eingegangen; da bei einer truppendienstlichen Erstmaßnahme eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht vorgeschrieben sei, komme es nicht darauf an, dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung in Bezug auf die Einlegemöglichkeit beim Personalamt unrichtig gewesen sei. Im dienstaufsichtlichen Teil des Bescheids wurde ausgeführt, dass der Antragsteller auch keinen Anspruch auf die begehrte Versetzung habe.

6

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 14. November 2011 beantragte der Antragsteller daraufhin die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. In der Sache beantragte er, den Bundesminister der Verteidigung unter Aufhebung des Bescheids des Personalamts vom 16. Mai 2011 und des Beschwerdebescheids vom 10. Oktober 2011 zu verpflichten, über seine, des Antragstellers, Anträge vom 1. Juli 2010, vom 30. September 2010 und vom 13. Januar 2011 "in der Sache zu entscheiden", hilfsweise, hierüber unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Der Bundesminister der Verteidigung legte den Antrag zusammen mit seiner Stellungnahme vom 12. Januar 2012 dem Senat vor.

7

Mit Verfügung des Personalamts der Bundeswehr vom 24. Mai 2012 wurde der Antragsteller auf einen nach Besoldungsgruppe A 12/A 13 dotierten Dienstposten beim ... - ... - versetzt, wo er am 4. Juni 2012 den Dienst antrat. Am 27. August 2012 wurde der Antragsteller zum Stabshauptmann befördert und mit Wirkung vom 1. August 2012 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 13 eingewiesen.

8

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. September 2012 erklärte der Antragsteller daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem Bund aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 18. September 2012 stimmte der Bundesminister der Verteidigung - R II 2 - der Erledigungserklärung zu, trat jedoch einer Auferlegung von Kosten auf den Bund entgegen. Der Antragsteller hat sich nochmals mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 2. Oktober 2012 geäußert.

9

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - Az.: ... -, die Akten der weiteren noch beim Senat anhängigen oder beendeten Wehrbeschwerdeverfahren des Antragstellers (BVerwG 1 WB 4.12, BVerwG 1 WB 6.12 und BVerwG 1 WDS-VR 3.12) samt Beiakten (BMVg - R II 2 - Az.: ..., ..., ..., ... und ...) sowie die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

10

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 3 WBO nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Für die Kostenentscheidung sind die im Prozessrecht allgemein geltenden Grundsätze maßgebend. Danach ist bei übereinstimmender Erledigungserklärung über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 20 Abs. 3 WBO, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 22. April 2008 - BVerwG 1 WB 4.08 - m.w.N.).

11

Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, die dem Antragsteller erwachsenen notwendigen Auslagen nicht dem Bund aufzuerlegen, weil der Antrag auf gerichtliche Entscheidung voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte.

12

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre allerdings nicht schon wegen verspäteter Einlegung der Beschwerde insgesamt zurückzuweisen gewesen.

13

Zwar wurde die Beschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 6 Abs. 1 WBO bei einer zuständigen Stelle, nämlich dem nächsten Disziplinarvorgesetzten oder dem Bundesminister der Verteidigung (§ 5 Abs. 1 WBO), eingelegt. Da der Bescheid des Personalamts vom 16. Mai 2011 den Bevollmächtigten des Antragstellers am 24. Mai 2011 zuging, endete die Beschwerdefrist am 24. Juni 2011. Der an das Personalamt der Bundeswehr gerichtete und dort am 22. Juni 2011 eingegangene Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 22. Juni 2011 ging erst nach Weiterleitung durch das Personalamt am 28. Juni 2011 und damit nach Fristende beim Bundesminister der Verteidigung ein.

14

Der Antragsteller kann sich jedoch mit Erfolg auf § 7 Abs. 2 WBO berufen, weil ihm eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist. Die dem Bescheid vom 16. Mai 2011 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, weil dort als Stelle, bei der die Beschwerde eingelegt werden kann, neben dem Disziplinarvorgesetzten und dem Bundesminister der Verteidigung auch das Personalamt der Bundeswehr ("bei mir") aufgeführt ist (bei dem der Antragsteller dann die Beschwerde auch tatsächlich einlegte). Die Einlegung bei der Stelle, deren Entscheidung angefochten wird, kommt nur bei der sog. Verwaltungsbeschwerde (§ 23 Abs. 2 Satz 1 WBO), nicht aber bei der hier in Rede stehenden Beschwerde in einer truppendienstlichen Angelegenheit in Betracht. Soweit der Bundesminister der Verteidigung - insoweit zutreffend - einwendet, dass bei truppendienstlichen Erstmaßnahmen wie dem hier strittigen Teil des Bescheids des Personalamts vom 16. Mai 2011 eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht erforderlich ist (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 13. April 2011 - BVerwG 1 WB 45.10 - Rn. 20 m.w.N.), ändert dies nichts daran, dass eine gleichwohl erteilte Rechtsbehelfsbelehrung zur Vermeidung der Rechtsfolge des § 7 Abs. 2 WBO richtig sein muss (insoweit offen gelassen im Beschluss vom 28. November 1984 - BVerwG 1 WB 51.84 -). Im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht ist anerkannt, dass auch für Zusätze, die über den vorgeschriebenen Inhalt hinaus in eine Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommen werden, der Grundsatz der Vollständigkeit und Richtigkeit gilt; unrichtige oder irreführende Zusätze in einer Rechtsbehelfsbelehrung, die geeignet sind, beim Betroffenen einen Irrtum über die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt bzw. rechtzeitig einzulegen, führen dazu, dass nicht die sonst vorgesehene Frist, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gilt (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 13. Dezember 1978 - BVerwG 6 C 77.78 - BVerwGE 57, 188 <190 f.> = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 39; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 58 Rn. 64 m.w.N.). Entsprechendes muss gelten, wenn - wie hier - eine Rechtsbehelfsbelehrung zwar nicht vorgeschrieben ist, eine gleichwohl erteilte Rechtsbehelfsbelehrung jedoch in dem oben genannten Sinne unrichtig oder irreführend ist. Einer besonderen Klarstellung über die richtige Einlegestelle hätte es hier auch deshalb bedurft, weil das Personalamt in dem angefochtenen Bescheid auch einen statusrechtlichen Antrag (Beförderung) mit beschieden hat; insoweit wäre nur die Verwaltungsbeschwerde als statthafter Rechtsbehelf in Betracht gekommen.

15

Da die Beschwerdefrist in dem Fall der Hinderung durch einen "unabwendbaren Zufall" erst zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses - d.h. hier: der Erteilung der korrekten Rechtsbehelfsbelehrung bzw. zumindest der Klarstellung, dass die Nennung des Personalamts als weiterer Stelle zur Einlegung der Beschwerde gegen den truppendienstlichen Teil des Bescheids fehlerhaft ist - abläuft (§ 7 Abs. 1 WBO), ist der Zugang der Beschwerde beim Bundesminister der Verteidigung am 28. Juni 2011 jedenfalls innerhalb der noch laufenden Frist erfolgt.

16

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hätte jedoch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

17

a) Soweit der Antragsteller - in erster Linie - die Versetzung auf den nach Besoldungsgruppe A 13 dotierten Dienstposten eines Geoinformationsoffiziers beim Bundesministerium der Verteidigung - ... - (gemeint wohl: Dienstposten Teileinheit/Zeile ...) begehrte, wurde ihm mit den Zwischenbescheiden des Personalamts vom 15. Juli und 21. Oktober 2010 mitgeteilt, dass er bei der Nachfolgeplanung mitbetrachtet werde; der Bescheid des Personalamts vom 16. Mai 2011 führte ergänzend aus, dass der Dienstposten voraussichtlich bis zum 30. September 2011 besetzt sein werde und über seine grundsätzliche Nachbesetzung im Zuge der Bundeswehrreform noch nicht entscheiden sei. Tatsächlich wurde der Antragsteller bei der Nachbesetzung des Dienstpostens zum 1. Oktober 2011, wie angekündigt, mitbetrachtet; insoweit ist dem Bundesminister der Verteidigung nichts vorzuhalten, was eine Kostenlast des Bundes rechtfertigen würde.

18

Im Übrigen wurde die vorliegende Beschwerde, soweit sie den Dienstposten im Bundesministerium der Verteidigung - ... - betrifft, dadurch überholt, dass der Antragsteller gegen die Entscheidungen über die Besetzung dieses Dienstpostens nicht mit ihm, sondern mit Stabshauptmann (damals: Hauptmann) L. vom 15. September und 15. November 2011, wie dem Senat aus den Parallelverfahren (BVerwG 1 WDS-VR 3.12 und BVerwG 1 WB 4.12) bekannt ist, jeweils gesondert Beschwerde eingelegt hat. Auf die erfolgreiche Beschwerde gegen die Auswahlentscheidung vom 15. September 2011 hin wurde dem Antragsteller mit Bescheid des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 15. November 2011 die Erstattung seiner Aufwendungen zugesprochen. Das Beschwerdeverfahren gegen die erneute Auswahlentscheidung vom 15. November 2011 ist, soweit ersichtlich, noch offen; eine Sach- und Kostenentscheidung wird in diesem Verfahren ergehen. Für eine weitere Kostenentscheidung im vorliegenden Verfahren ist kein Raum.

19

b) Soweit der Antragsteller - nachrangig - die Versetzung auf den nach Besoldungsgruppe A 13 dotierten Dienstposten eines Geoinformationsoffiziers beim Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, Dezernat ..., begehrte, wurde sein Antrag mit Bescheid des Personalamts vom 16. Mai 2011 abgelehnt, weil dieser Dienstposten noch bis zum 31. Dezember 2015 mit einem geeigneten Offizier besetzt sei. Dies hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht in Frage gestellt. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch darauf, dass ein mit einem geeigneten Offizier besetzter Dienstposten freigemacht wird, um ihm, dem Antragsteller, eine höherwertige Verwendung zu ermöglichen. Die Klage, die der Antragsteller gegen die Dienstzeitverlängerung des Offiziers, der den begehrten Dienstposten beim Amt für Geoinformationswesen innehat, beim Verwaltungsgericht Aachen erhoben hat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

20

c) Soweit der Antragsteller schließlich begehrte, ihm einen anderen nach Besoldungsgruppe A 13 dotierten Dienstposten aufzuzeigen bzw. zur Verfügung zu stellen, wäre der Antrag bereits mangels hinreichender Konkretisierung als unzulässig zu verwerfen gewesen.

21

Der Senat verlangt bei streitigen Versetzungsanträgen in ständiger Rechtsprechung, dass ein Antragsteller - spätestens im Beschwerdeverfahren - konkrete Dienstposten bezeichnen muss, für die er entweder objektiv geeignet erscheint oder für die er sich selbst zumindest für geeignet hält und deshalb glaubt, einen Anspruch auf eine entsprechende Verwendung geltend machen zu können (vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 - BVerwG 1 WB 60.08 - Rn. 24 m.w.N.). Denn nur bei einer Konkretisierung des angestrebten Dienstpostens kann das Wehrdienstgericht die Rechtmäßigkeit der Verwendungsentscheidung - insbesondere die Eignung des Soldaten für den Dienstposten, etwaige Konkurrenzverhältnisse, das jeweils in Betracht kommende dienstliche Bedürfnis oder die in Frage stehenden dienstlichen Belange - überprüfen. Eine solche Konkretisierung hat der Antragsteller - abgesehen von den beiden vorstehend erörterten Dienstposten - nicht vorgenommen.

22

Im Übrigen hat der Soldat keinen Anspruch auf die Schaffung neuer, noch nicht ausgebrachter Dienstposten.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

Der am ... 1989 geborene Antragsteller, eigenen Angaben zufolge nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Juni 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag und legte einen auf seinen Namen ausgestellten italienischen Reisepass für Ausländer („Titolo di Viaggio per Stranieri“) vor. Dieser von der „Questura di ...“ am 30. November 2012 ausgestellte Ausweis war, nach Verlängerung, bis 22. April 2014 gültig (Bl. 33 bis 38 der Bundesamtsakte).

Im Rahmen einer Anhörung und Befragung zur Bestimmung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats am 30. Juni 2014 beim Bundesamt gab der Antragsteller u.a an, er habe sein Heimatland im September 2009 per Pkw verlassen. Er sei über Libyen, wo er sich zwei Jahre aufgehalten habe, nach Italien gereist. Dort habe er im Jahr 2011 einen Asylantrag gestellt und ihm seien Fingerabdrücke abgenommen worden. Er habe er sich drei Jahre in ... (...) aufgehalten. In Italien habe er keine Unterkunft und kein Geld gehabt und habe betteln müssen. Deshalb wolle er in Deutschland arbeiten.

Eine Überprüfung durch das Bundesamt ergab am 20. August 2014einen EURODAC-Treffer Kategorie 1 für Italien.

Unter dem 4. September 2014 stellte das Bundesamt an Italien ein Wiederaufnahmegesuch. Die italienischen Behörden haben das Ersuchen mit Schreiben vom 19. September 2014 abgelehnt, weil dem Antragsteller in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden sei und die Dublin Verordnung deshalb keine Anwendung finde. Auf die gleichwohl mögliche Überstellung des Antragstellers nach Italien im Rahmen bestehender polizeilicher Vereinbarungen wurde hingewiesen.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe (Nr. 1.) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Nr. 2.).

Der Bescheid, zusammen mit einer Übersetzung des (Bescheid-) Tenors und der Rechtsbehelfsbelehrung in englischer Sprache, wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 3. November 2014 zugestellt.

Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat am 17. November 2014 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erhoben mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 30. Juni 2014 inhaltlich zu entscheiden.

Die Klage wird unter dem Aktenzeichen Au 7 K 14.50320 geführt.

Gleichzeitig wurde beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und dem Antragsteller gegen die Versäumung der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde ausgeführt, dass der Antragsteller ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Antragsfrist einzuhalten. Der Antragsteller, der kein Deutsch spreche, habe sich kurz nach der Zustellung am 3. November 2014 auf die Suche nach einem Rechtsanwalt gemacht. Die Antragsgegnerin habe den Antragsteller nicht darüber informiert, dass er auch ohne schriftliche Eingabe auf der Rechtsantragsstelle des Gerichts seinen Antrag zu Protokoll geben könne. Dem Antragsteller sei nicht einmal bekannt gewesen, dass es eine Rechtsantragsstelle bei Gericht gebe. Ein Rechtsanwalt, an den er sich zunächst gewandt habe, habe ihn erst nach Ablauf der Antragsfrist an den bevollmächtigten verwiesen und ihm nicht mitgeteilt, dass es unabdingbar sei, innerhalb der Wochenfrist zu reagieren.

Der Antragsteller habe in Italien auf der Straße leben müssen. Die italienische Arbeitsverwaltung, an die er sich viele Male gewandt habe, habe ihm mitgeteilt, dass auch Italiener keinen Job hätten. Der Antragsteller habe deshalb auf Dauer sein Existenzminimum in Italien nicht sichern können.

Das Bundesamt legte am 2. Dezember 2014 die Behördenakte vor, äußerte sich aber nicht zur Sache.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere ist die Antragsfrist nicht versäumt worden.

Zwar sind nach § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die angeordnete Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Diese Frist ist hier nicht eingehalten worden, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht bis zum 10. November 2014 (Ende der einwöchigen Antragsfrist, ausgehend von der Zustellung des Bescheids am 3.11.2014), sondern erst am 17. November 2014 (zusammen mit der Klage) beim Verwaltungsgericht Augsburg eingegangen ist.

Im vorliegenden Fall ist jedoch die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden, so dass die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich ist.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie (generell) geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, U. v. 13.12.1978 - 6 C 77.78 - BVerwGE 57, 188; B.v. 11.5.1994 - 11 B 66.94 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 63; B.v. 14.2.2000 - 7 B 200.99 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 77; U. v. 21.3.2002 - 4 C 2/01 - BayVBl 2002, 678).

Vorliegend war die Rechtsbehelfsbelehrung objektiv geeignet, den Antragsteller in die Irre zu führen.

Die (in deutscher Sprache abgefasste) Rechtsbehelfsbelehrung lautet u. a. folgendermaßen:

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Augsburg …erhoben warden …Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein.“ Im letzten Absatz der Rechtsbehelfsbelehrung wird ausgeführt, dass die Klage gegen die Abschiebungsanordnung keine aufschiebende Wirkung hat und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids bei dem oben genannten Verwaltungsgericht gestellt werden kann.

Die dem Antragsteller unter Beachtung von § 31 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AsylVfG übersandte englische Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung enthält u. a. folgende Informationen:

“You can appeal against this decision within two weeks of delivery by writing to the tribunal (Unterstreichung durch das Gericht) at the following address: …The lawsuit must name the plaintiff, respondent and the subject of the claim, and this must be submitted in German.” (Unterstreichung durch das Gericht).

Die Fassung der deutschen, insbesondere aber der englischen Rechtbehelfsbelehrung ist geeignet, bei ihrem Empfänger den falschen Eindruck zu erwecken, dass eine Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes und damit auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschließlich schriftlich (und in deutscher Sprache) beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden kann. Dies folgt daraus, dass in der englischen Übersetzung nur und zudem ausdrücklich auf die Schriftform der Klageerhebung („by writing“) hingewiesen wird. Dagegen wird die in § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Möglichkeit, dass die Klage und auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wirksam erhoben werden können, nicht erwähnt.

Deshalb führt diese unvollständige Belehrung, namentlich weil sie hier auch den Eindruck der Vollständigkeit erweckt, deren Unrichtigkeit herbei, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für die Verspätung des Rechtsbehelfs war.

§ 58 VwGO dient dem Schutz der durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung Betroffenen. Niemand soll durch Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen. Deshalb knüpft die Vorschrift den Lauf von Rechtsbehelfsfristen an eine bestimmt geartete Belehrung (st. Rspr. des BVerwG, etwa U. v. 9.11.1966 - 5 C 196.55 - BverwGE 25, 261 <262> = Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 7 S. 8 f.). Das Ob und das Wie dieser Belehrung sind jedoch streng formalisiert. § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, U. v. 30.4.2009 - 3 C 23.08 - BVerwGE 134, 41 ff., juris, Rn. 17, m. w. N).

2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Oktober 2014 erweist sich nach derzeitiger Aktenlage als rechtmäßig.

Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen. Dabei überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Vollzugsinteresse an der sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung das Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet.

a) Die Entscheidung der Antragsgegnerin findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26 a, 31 Abs. 4 AsylVfG, nachdem dem Antragsteller in Italien subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zuerkannt worden ist (vgl. Bl. 60 der Behördenakte).

aa) Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich auf das in dessen Absatz 1 gewährleistete Asylgrundrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK - vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 560) und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 953) sichergestellt ist (BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 - juris). Ausgehend hiervon wird eine Anwendung des Art. 16 a Abs. 2 GG und der §§ 26 a, 31 Abs. 4 AsylVfG nicht durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom26. Juni 2013 (nachfolgend: Dublin III-VO) verdrängt, denn diese Verordnung findet auf Asylbewerber, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, nachdem ihnen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union - hier in Italien - subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zuerkannt worden ist, keine Anwendung. Dies ergibt sich daraus, dass das in dieser Verordnung geregelte Verfahren zur Bestimmung des für eine Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 20 Dublin III-VO (Anmerkung durch das Gericht: nur) eingeleitet wird, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird und Antragsteller im Sinne der Verordnung gemäß deren Art. 2 Buchst. c derjenige ist, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde. Daran fehlt es indessen, wenn der Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Asylantrag gestellt und dort subsidiären Schutz erhalten hat.

Von daher stehen europarechtliche Bestimmungen einer Anwendung des § 26 a AsylVfG nicht entgegen; es ist von vornherein kein Raum für eine Ausübung des in Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO geregelten Selbsteintrittsrechts der Mitgliedstaaten.

Das BVerfG hat in dem Urteil vom 14. Mai 1996 (a. a. O.) zu Art. 16 a Abs. 2 GG und § 26 a AsylVfG ausgeführt:

„§180 Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG schließt gemäß seinem Wortlaut die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG aus. Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden, kommen für ihn entsprechend der inhaltlichen Reichweite des Art. 16 a Abs. 2 GG auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann (insbesondere §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG), nicht in Betracht, soweit es sich nicht um die nachstehend (vgl. unten e) beschriebenen konkreten Gefahrenlagen im Drittstaat handelt. Nicht berührt werden hingegen die gegen den Vollzug einer Abschiebungsanordnung gerichteten humanitären und persönlichen Gründe, die zur Erteilung einer Duldung gemäß § 55 AuslG führen können.

Die normative Vergewisserung über die Sicherheit eines Drittstaates erstreckt sich - wie dargelegt - darauf, dass dieser Staat Flüchtlingen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Soll der in der Bundesrepublik Deutschland um Schutz nachsuchende Ausländer daher in den Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden, so kommt diese aus § 51 Abs. 1 AuslG sich ergebende materielle Rechtsposition regelmäßig nicht in Betracht, weil in dem Drittstaat generell die Beachtung des Refoulement-Verbots der Genfer Flüchtlingskonvention erwartet werden kann.

Das Asylverfahrensgesetz zieht aus dieser mit Art. 16 a Abs. 2 GG geschaffenen Rechtslage Folgerungen: Es bestimmt in § 34 a Abs. 1 Satz 2, dass das Bundesamt eine Abschiebungsanordnung in den sicheren Drittstaat auch dann erlässt, wenn der Ausländer den Asylantrag auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG beschränkt hat. Dies bedeutet, dass bei Erlass der Abschiebungsanordnung Abschiebungshindernisse nach dieser Vorschrift nicht geprüft werden. Vielmehr wird in den Fällen des § 26 a AsylVfG bei der Zurückweisung an der Grenze (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG), der Zurückschiebung (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 3 AsylVfG) oder der Ablehnung des Asylantrages durch das Bundesamt (§ 31 Abs. 4 AsylVfG) im Hinblick auf die Einreise aus einem sicheren Drittstaat zugleich davon ausgegangen, dass eine Schutzgewährung nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht in Betracht kommt (vgl. ansonsten §§ 60 Abs. 5 Satz 1, 61 Abs. 3 AuslG, § 31 Abs. 2 AsylVfG).

c) Auch § 53 AuslG bewahrt den Ausländer vor der Abschiebung in bestimmte Staaten und vermittelt eine relative Schutzposition. Indes umfasst die normative Vergewisserung über die Sicherheit eines Drittstaates die generelle Feststellung, dass einem Ausländer, der diesen Staat als Flüchtling erreicht, der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird. Soll der in der Bundesrepublik um Schutz nachsuchende Flüchtling daher in diesen Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden, so entfällt deshalb auch eine gesonderte Prüfung der in § 53 AuslG geregelten Abschiebungshindernisse, soweit diese aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgen (§ 53 Abs. 1 und 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK). Gegen die Verbringung in einen sicheren Drittstaat kann sich der Ausländer grundsätzlich auch nicht dadurch wenden, dass er sich auf ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beruft. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16 a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in einen sicheren Drittstaat auch insoweit nicht.

Das Asylverfahrensgesetz hat auch dies aufgenommen. § 31 Abs. 4 bestimmt, dass in Fällen der Ablehnung eines Asylantrages wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat nur festzustellen ist, dass dem Ausländer aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Damit schließt § 31 Abs. 4 die gemäß §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 3 AsylVfG in anderen Fällen der Entscheidung über einen Asylantrag gebotene Prüfung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG aus.

d) Nach allem kann der Ausländer, der in den Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Der Ausländer ist mithin mit einer Behauptung ausgeschlossen, in seinem Fall werde der Drittstaat - entgegen seiner sonstigen Praxis - Schutz verweigern. Der Ausländer kann sich auch nicht darauf berufen, ein - niemals völlig auszuschließendes - Fehlverhalten der Behörden im Drittstaat könne in seinem Fall zu einer Weiterschiebung in den Herkunftsstaat führen.“

Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts müssen nach Auffassung des Gerichts auch heute noch Anwendung finden, wobei allerdings anstelle von § 51 AuslG nunmehr § 3 AsylVfG und anstelle von § 53 AuslG die Bestimmungen der § 4 AsylVfG und § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG treten.

Von daher kann der Antragsteller aufgrund der vorstehenden Ausführungen zu Randnummer 188 im Hinblick auf sein Asylanerkennungsbegehren nicht geltend machen, dass ihm in Italien trotz der formalen Zuerkennung subsidiären Schutzes kein hinreichender Schutz gewährt werde.

bb) Auch sieht das Gericht keine Veranlassung, hinsichtlich des Antragstellers abweichend von der gesetzlichen Grundregel des § 31 Abs. 4 AsylVfG in Deutschland in eine Prüfung der §§ 3 und 4 AsylVfG oder von § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG einzutreten, denn das Gericht kann nicht erkennen, dass dem Antragsteller in Italien nicht hinreichend Rechtsschutz gewährt würde. Die Sonderfälle im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (a. a. O., RdNr. 189 und 190) entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln im Sinne der Ausführungen in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 - C 411/10 und C 493/10 - und vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, wonach ein Asylbewerber einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden und die zugunsten des Mitgliedstaates streitende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, widerlegt ist (vgl. hierzu auch VG München, B.v.12. Februar 2014 - M 21 S 14.30245 -, juris).

Systemische Mängel, die einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bei der Durchführung von Asylverfahren in Italien nicht erkennbar.

Hinsichtlich dieser Frage hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 28. März 2014 (- 13a B 13.30295 - Rn. 38 ff.) wie folgt ausgeführt:

„Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte (EGMR) ist in Italien nicht von systemischen Mängeln auszugehen. Dieser hat bei seinen aktuellen Entscheidungen unter Heranziehung der UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien (Juli 2012), des Berichts des Kommissars für Menschenrechte des Europarates (September 2012) sowie der Berichte von Nichtregierungsorganisationen und unter Würdigung des gesamten Asylsystems in Italien (Verfahrensmodalitäten, Organisation der Unterbringung, Anzahl der Einrichtungen und Unterkunftsplätze, medizinische Versorgung, Bereitstellung von Mahlzeiten, Kleidung etc.) folgende Erkenntnisse zugrunde gelegt: Es gebe in Italien ein System von Aufnahmeeinrichtungen: Neun staatliche CARA-Zentren für die Erstaufnahme während fünf Wochen, ca. 150 SPRAR-Einrichtungen von Gemeinden, Provinzen und wohltätigen Organisationen für die Zeit des Asylverfahrens während sechs Monaten; außerdem die in Großstädten angesiedelten Metropolitan-Aufnahmezentren und eine große Anzahl von Notunterkünften auf regional-lokaler Basis. Landesweit könnten je nach Bedarf bis zu 50.000 Plätze bereitgestellt werden, tatsächlich sei die gegenwärtige Anzahl aber erheblich niedriger. Schwierigkeiten bereiteten speziell die prompte Erkennung von Personen mit besonderem Schutzbedürfnis und die Wahrung der Familieneinheit im Rahmen der Verteilung. In einigen Einrichtungen, namentlich in Kalabrien und in der Lombardei, gebe es ganz gravierende Probleme. In den letzten Jahren seien mit Unterstützung des Europäischen Flüchtlingsfonds Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer geschaffen worden. Diese würden im Allgemeinen wieder in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt werden. Hierfür würde die Grenzpolizei das jeweils zuständige Amt für Einwanderung ausfindig machen und den Rückkehrer auffordern, sich dorthin zu begeben. Wenngleich die allgemeine Lage und die Lebensbedingungen der Asylbewerber in Italien einige Unzulänglichkeiten aufzeigten, seien aber keine systemischen Mängel bei der Bereitstellung von Hilfe und Einrichtungen für Asylbewerber zutage getreten. Vor diesem Hintergrund sei nicht anzunehmen, dass ein nach Italien zurückkehrender Asylbewerber, sei es in materieller, physischer oder psychischer Hinsicht, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der konkreten Gefahr einer menschenunwürdigen Notlage ausgesetzt wäre - “... has not shown that ... future prospects if returned to Italy whether taken from a material, physical or psychological perspective, disclose a sufficiently real and imminent risk of hardship severe enough to fall within the scope of Article 3” - (EGMR, E. v. 2.4.2013 - Nr. 27725/10 - ZAR 2013, 336 Rn.43ff., 78; B.v. 18.6.2013- Nr. 53852/11 - ZAR 2013, 338; E. v. 10.9.2013 - Nr. 2314/10 - www.hudoc. echr.coe.int Rn. 139; s. auch BVerwG, U. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22, wonach der Begriff „real risk“ dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht).

Dieser Einschätzung entspricht die Auskunftslage gemäß den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts. Nach der Auskunft vom 11. Juli 2012 an das Verwaltungsgericht Freiburg könnten „derzeit“ alle Asylbewerber in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Es gebe lokale/regionale Überbelegungen (z. B. Rom/Latium). Landesweit seien aber genügend Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen und öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen. Sofern sich Dublin-Rückkehrer noch im Asylverfahren befänden, werde ihnen eine Unterkunft in einer Aufnahmeeinrichtung zugeteilt (ebenso: Auskunft vom 11.9.2013 an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen). Auch die UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien vom Juli 2013 (S. 10 ff.) stellen die Erkenntnis, dass das Asylsystem keine systemischen Mängel aufweist, nicht in Frage. Die italienische Regierung habe ab 2011 erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der teilweise unzulänglichen Aufnahmeverhältnisse unternommen. Die als Asylbewerber registrierten Dublin-Rückkehrer hätten im Allgemeinen Zugang zu den Transitaufnahmezentren. Da deren Kapazitäten aber sehr begrenzt seien, könne es vorkommen, dass diese Personen u.U. einige Tage am Flughafen ausharren müssten, bis ein Platz in einem solchen Zentrum frei wird. Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erhalten Personen, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen war, am Flughafen ein Bahnticket zur Weiterreise in die zuständige Region (Italien: Aufnahmebedingungen - aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013, S. 13).

Demgegenüber berichten die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a. a. O.) und borderline-europe e. V. (Judith Gleitze, Gutachten vom Dezember 2012 für das Verwaltungsgericht Braunschweig) von vielfältigen Unzulänglichkeiten bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Italien. Aus den geschilderten zahlreichen Einzelfällen lässt sich nach Auffassung des Senats aber nicht der Schluss ziehen, dass hier systemische Schwächen vorliegen, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung von Dublin-Rückkehrern zur Folge hätten. Aus den Berichten von UNHCR (a. a. O. S. 14 f.), der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 69) und borderline-europe (a. a. O. S. 50 f.) geht zudem auch übereinstimmend hervor, dass die größten Probleme nicht während des Asylverfahrens auftreten, sondern bei denjenigen Personen, deren Asylverfahren mit oder ohne Zuerkennung eines Schutzstatus geschlossen worden sind. Für diese Personen endet der Anspruch auf Gewährleistung der Grundbedürfnisse im Allgemeinen mit dem Abschluss des Asylverfahrens. Nur unter bestimmten Umständen dürfen Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, danach noch bis zu sechs Monaten in der SPRAR-Einrichtung bleiben (EGMR, E. v. 2.4.2013, a. a. O. Rn. 43). Da es in Italien kein staatliches Sozialhilfesystem gibt (Auswärtiges Amt vom 11.7.2012, a. a. O. Nr. I 1 b), seien diese Personen - ebenso wie italienische Staatsangehörige - im Fall der Mittellosigkeit auf sich allein gestellt, wodurch in italienischen Großstädten vielfach Armutsviertel mit arbeits- und mittellosen Flüchtlingen entstanden seien. Berichte über diese allgemeine soziale Problematik sind somit kein hinreichendes Indiz für systemische Mängel im Asylverfahren.

Die genaue Zahl der Unterkunftsplätze lässt sich aus verschiedenen Gründen nur schwer bestimmen. UNHCR (24.4.2012, S. 3) ist für das Jahr 2012 davon ausgegangen, dass in zentralen Einrichtungen wie CARA und SPRAR insgesamt 8.000 Plätze vorhanden seien. Im Jahr 2011 sei zwischen den regionalen Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden eine Vereinbarung getroffen worden, dergemäß Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgelegt wurden. Bis Anfang 2012 seien im Rahmen dieses Verteilungsplans tatsächlich 20.000 Personen untergebracht worden. Die Verantwortung hierfür obliege dem Leiter des Zivilschutzes. Bezüglich der Kapazität allein der SPRAR-Einrichtungen sei mittlerweile aber eine Aufstockung auf 8.000 Plätze vorgesehen (UNHCR, Juli 2013, S. 12). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat für das Jahr 2013 die Zahl der CARA-Plätze und die Zahl der SPRAR-Plätze mit jeweils ca. 5.000 beziffert und darüber hinaus auf ein Dekret des italienischen Innenministeriums vom September 2013 hingewiesen, demgemäß die SPRAR-Kapazität von 2014 bis 2016 auf 16.000 Plätze erhöht werden soll (a. a. O. S. 18, 22). Unter Berücksichtigung der Fluktuation (Wechsel in der Belegung) dürfte die tatsächliche Kapazität höher als die Zahl der Unterkunftsplätze sein. Im Hinblick auf die Zahl der in Italien im Jahr 2013 registrierten Asylanträge (28.000 - s. eurostat-pressemitteilung Nr. 46/2014) und die für das Jahr 2012 verfügbare Zahl der Dublin-Überstellungen nach Italien (3.551 - s. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 8) besteht zwischen dem Bedarf und der Kapazität an Unterkunftsplätzen jedenfalls keine solche Diskrepanz, dass die Möglichkeit der Unterbringung von Dublin-Rückkehren als unrealistisch zu erachten wäre.

Die Annahme von borderline-europe (a. a. O. S. 23 ff., S. 59), dass die Unterbringungsquote für Dublin-Rückkehrer von 2010 bis 2012 maximal nur 12% pro Jahr betragen habe, begegnet erheblichen Bedenken. Das Auswärtige Amt hat darauf hingewiesen, dass diesbezüglich belastbares statistisches Zahlenmaterial nicht vorhanden sei. Die (von borderline-europe zitierte) Aussage einer Mitarbeiterin der am Flughafen Roma Fiumicino tätigen Arciconfraternita sei eine auf Erfahrungswerten basierende subjektive Feststellung (11.9.2013, S. 3). Der angegebene Prozentsatz bezieht sich auf die besondere Situation in Rom, welche nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wegen der lokalen und regionalen Überbelegung in Rom und Latium (11.7.2012, S. 6) allerdings nicht repräsentativ erscheint. Hinzu kommt, dass die von borderline-europe beschriebene Gruppe etwa zur Hälfte aus Personen besteht, die sich nicht im Asyl- bzw. Klageverfahren befinden, also keinen Anspruch auf Versorgung haben. Im Übrigen wäre noch zu berücksichtigen, dass nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts viele Dublin-Rückkehrer keinen Asyl- oder Schutzantrag stellen, da sie häufig nicht in Italien bleiben wollen. Somit stünden ihnen die Aufnahmeeinrichtungen nicht mehr offen (11.7.2012, S. 5). Diese Personen können folglich ebenfalls nicht zum Kreis der nicht untergebrachten Anspruchsberechtigten gezählt werden.“

In der Sache gleichlautend ist auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. U. v 16.4.2014 - A 11 1721/13 - juris), die auch auf andere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Bezug nimmt, die damit übereinstimmt.

cc) Italien gilt außerdem als sicherer Drittstaat im Sinn des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend machen kann, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vorneherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Dies ist - bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat - etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49).

Die Sonderfälle in diesem Sinn entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen, im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Solche Sonderfälle liegen, wie oben dargestellt, im Falle Italiens nicht vor.

Ausgehend von obigen Ausführungen hat das Gericht keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, dass dem Antragsteller in Deutschland kein Asylrecht zusteht.

b) Keine Bedenken bestehen auch in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der in dem Bescheid der Antragsgegnerin enthaltenen Abschiebungsanordnung.

Im Hinblick auf den Wortlaut des § 34 a AsylVfG, nach dem das Bundesamt die Abschiebung anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, hat das Bundesamt - abweichend von der übrigen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde - neben zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten auch Duldungsgründe zu prüfen (BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - Rn. 4). Besondere Umstände, die zu einem Abschiebungsverbot führen könnten, liegen bei dem Antragsteller nicht vor.

So gehört der 35-jährige Antragsteller nicht zu einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis, zu dem etwa Kleinkinder bzw. Familien mit Kleinkindern zählen. Zudem hat der Antragsteller bereits drei Jahre in (Nord-) Italien (...) gelebt und es war ihm z. B. augenscheinlich möglich, sich das Geld für die Reise nach Deutschland zu verdienen. Auch bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung reiseunfähig wäre.

Von daher erscheint es dem Gericht sachgerecht, die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen, weil keine Anhaltspunkte für ein Abweichen von der gesetzgeberischen Grundentscheidung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides ersichtlich sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.

Tenor

Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. März 201527. März 2015 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, werden gegeneinander aufgehoben.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund dieser Entscheidung vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten desgerichtskostenfreien Verfahrens.


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Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3. Januar 2017 (4 A 93/17) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2016 anzuordnen, wird abgelehnt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsteller.

Gründe

I.

1

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG statthafte Antrag ist unzulässig.

2

Die Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2016 und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurden am 3. Januar 2017 und damit nach Ablauf der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bzw. § 74 Abs. 1, 2. Hs. AsylG erhoben (dazu 1.). Es ist keine Wiedereinsetzung in die Klage- bzw. Antragsfrist zu gewähren (dazu 2.).

3

1. Die Erhebung der Klage und des Antrags gem. § 80 Abs. 5 VwGO erfolgte nach Ablauf der einwöchigen Klage- bzw. Antragsfrist. Der Bescheid vom 29. November 2016 wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 119 f der Asylakte) am 7. Dezember 2016 in der Niederlegungsstelle … unter schriftlicher Mitteilung bei der Wohnunterkunft des Antragstellers niedergelegt und gilt damit gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt. Der Bescheid wurde damit mit Ablauf des 14. Dezember 2016 bestandskräftig.

4

Der Bescheid war auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, welche die Klagefrist gem. § 58 VwGO in Gang setzte. Die Rechtsbehelfsbelehrung lautete (Hervorhebungen im Original):

5

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von einer Woche nach Zustellung Klage bei dem
Verwaltungsgericht Hamburg
Lübeckertordamm 4
20099 Hamburg
erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.

6

Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, dieses vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in 90343 Nürnberg, zu richten. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten.

7

Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Bescheids anzugeben. Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt ist (§ 87 b Abs. 3 VwGO).

8

Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO kann innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieses Bescheides bei dem oben genannten Verwaltungsgericht gestellt werden.“

9

Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist allerdings nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie (generell) geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77/78, juris-Rn. 22ff; Beschl. v. 14.2.2000, 7 B 200/99, juris-Rn. 3, m.w.N.; Urt. v. 21.3.2002, 4 C 2/01, juris-Rn. 12; Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61/14, juris-Rn. 8).

10

Die dem hier streitgegenständlichen Bescheid beigefügte Rechtbehelfsbelehrung war jedoch nicht in diesem Sinne geeignet, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorzurufen. Soweit einige Gerichte dem Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung, die Klage müsse „in deutscher Sprache abgefasst“ werden, den Sinngehalt zuweisen, die Klage müsse durch den Kläger in Schriftform erhoben werden, sodass es an einem Hinweis auf die Möglichkeit der Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle fehle (so VG Hannover, Beschl. v. 15.9.2016, 3 B 4870/16, juris-Rn. 12; VG Düsseldorf, GB v. 28.6.2016, 22 K 4119/15.A, juris-Rn. 48 ff.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.6.2016, 3a K 4187/15.A, juris-Rn. 17), so hat diesem das Verwaltungsgericht Berlin zutreffend wie folgt entgegengehalten (Beschl. v. 16.11.2016, 6 L 1249.16 A, juris-Rn. 15-17; s.a. VG Berlin, Beschl. v. 15.12.2016, 28 L 409.16 A, juris-Rn. 6ff; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 15.11.2016, 14a L 2496/16.A, juris Rn. 20; VG Oldenburg, 15 B 5090/16, Beschl. v. 20.10.2016, juris-Rn. 10ff):

11

„Legte man dieses Verständnis der Rechtsbehelfsbelehrung zugrunde, wäre sie unrichtig, denn eine Beschränkung auf die schriftliche Klageerhebung stünde in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach Klagen beim Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden können. Der von dem Antragsteller geltend gemachten Lesart der Rechtsbehelfsbelehrung ist jedoch entgegenzutreten.

12

Die in dem angefochtenen Bescheid verwendete Rechtsbehelfsbelehrung enthält keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit der schriftlichen Klageerhebung und schließt die mündliche Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Es ist schon zweifelhaft, ob dem Verb „abfassen“ zwangsläufig die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zukommt. So verwenden verschiedene deutsche Gesetze Formen des Verbes „abfassen“ mit der Ergänzung „schriftlich“, die überflüssig wäre, wenn dem Abfassen die Schriftform bereits immanent wäre (vgl. „schriftlich abzufassen“ in § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 41a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung – StPO – und § 84 Satz 1 des ArbeitsgerichtsgesetzesArbGG –, „schriftlich abgefasst“ in § 129 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB – und § 311 Abs. 2 Satz 3 der ZivilprozessordnungZPO –). Selbst wenn die Bedeutung des Abfassens einer schriftlichen Niederlegung entspräche, ließe sich der verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung jedenfalls nicht entnehmen, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen hat. Denn auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage wird von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 10). Daraus ergibt sich, dass der Passus zur Abfassung in deutscher Sprache nicht auf die Schriftlichkeit oder Mündlichkeit der Klageerhebung abzielt, sondern lediglich verdeutlicht, dass die Klageerhebung in deutscher Sprache zu erfolgen hat.

13

Dieser Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache ist richtig. Gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 184 des GerichtsverfassungsgesetzesGVG – ist die Gerichtssprache Deutsch. Eingaben in anderer Sprache können danach keine fristwahrende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1990 – 9 B 506.89 –, juris Rn. 2; Kissel/Mayer, GVG, 8. Auflage 2015, § 184 Rn. 5 m.w.N.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 60). Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache wird auch nicht dadurch unrichtig, dass Eingaben in anderer Sprache ausnahmsweise dann fristwahrende Wirkung entfalteten können, wenn sie einen noch verständlichen Hinweis in deutscher Sprache enthalten, es werde ein Rechtsbehelf eingelegt (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 62-63). Denn für die Wirksamkeit der Klageerhebung kommt es im Einklang mit der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung auch in dieser Konstellation darauf an, ob einer deutschen Formulierung die Einlegung des Rechtsbehelfs zu entnehmen ist. Darüber hinaus trifft auch der Einwand nicht zu, der die Niederschrift aufnehmende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle könne gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 190 GVG den Dienst eines Dolmetschers wahrnehmen, sodass es einer deutschsprachigen Äußerung des Rechtsschutzsuchenden nicht bedürfe (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 64). Ein Anspruch auf einen Dolmetscher zum Zweck der mündlichen Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in einer Fremdsprache besteht nicht. Die Regelung nach § 190 GVG betrifft gerade nicht die Situation, in der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle das mündliche Vorbringen einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Person nicht versteht und deswegen einen Dritten als Dolmetscher hinzuzieht, sondern stellt lediglich klar, dass ein in einer mündlichen Verhandlung als Urkundsbeamter tätiger Bediensteter als Dolmetscher fungieren kann (vgl. KK-StPO-Diemer, 7. Auflage 2013, § 190 GVG Rn. 1).“

14

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.

15

2. Dem Antragsteller ist auch nicht Wiedereinsetzung in die Klage- bzw. Antragsfrist zu gewähren. Gem. § 60 Abs. 1 und 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.

16

Der Antragsteller hat – belegt durch eidesstattliche Versicherung – ausgeführt, dass er den Bescheid vom 29. November 2016 tatsächlich erst am 29. Dezember 2016 erhalten habe, nachdem ihm von der Antragsgegnerin am 27. Dezember 2016 die Zustellungsurkunde ausgehändigt worden sei und er sich zu der Poststelle … begeben habe. Die Anschrift auf dem Paket sei richtig gewesen. Vor Aushändigung des Pakets habe er kein Schreiben erhalten. Das Camp sei neu und es gebe Probleme mit Postzustellungen, da sich beim Camp eine Baustelle befinde.

17

Dieser Vortrag ist nicht dazu geeignet, erhebliche Wiedereinsetzungsgründe im oben dargestellten Sinne glaubhaft zu machen. Aus dem Vortrag ergibt sich nicht, warum der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, die Klage- bzw. Antragsfrist einzuhalten. Dem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Bescheid nicht bei der Wohnanschrift des Antragstellers durch Niederlegung zugestellt worden wäre; vielmehr ergibt sich aus dem Vortrag des Antragstellers gerade, dass der Bescheid unter der richtigen Anschrift zu übergeben versucht und sodann bei der Postannahmestelle hinterlegt wurde, wo der Antragsteller ihn, wenn auch verspätet, entgegennahm. Weiterhin sind dem Vorbringen keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Antragsteller ohne sein Verschulden von der Niederlegung keine Kenntnis erhalten hatte. So ist schon nicht vorgetragen, dass der Antragsteller sich zwischen dem 7. und dem 27. Dezember 2016 überhaupt zu der Poststelle seiner Wohnunterkunft begeben hätte, wo er die Niederlegungsmitteilung hätte erhalten sollen. Auch ist der Hinweis auf eine Baustelle vor dem Camp nicht geeignet, Zweifel an der ausweislich der Postzustellungsurkunde vorgenommenen Übermittlung der Niederlegungsmitteilung an die Wohnunterkunft des Antragstellers zu nähren.

II.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich zu erheben. Bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden.

(2) Der Klage und allen Schriftsätzen sollen vorbehaltlich des § 55a Absatz 5 Satz 3 Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. September 2016 - A 5 K 5074/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt in erster Linie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Kläger, ein im Jahr 1982 geborener togoischer Staatsangehöriger, reiste seinen Angaben zufolge am 07.06.2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 14.06.2016 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21.06.2016 gab er an:
Bis zur Ausreise habe er in seinem eigenen Betrieb in der Tierzucht gearbeitet. Die Tierzucht habe er mit Hilfe einer Bekannten angefangen, die ihm auf der Grundlage eines Darlehensvertrags Geld geliehen habe. Die Kredite seien nur klein gewesen, damit die Rückzahlung für ihn einfacher gewesen sei. In der letzten Zeit habe er einen großen Betrag in Höhe von umgerechnet etwa 7400,-- EUR geliehen. Diesen Betrag habe er nicht zurückzahlen können und dies der Kreditgeberin auch mitgeteilt. Sie habe die Rückgabefrist verlängert. Aber auch diese Frist habe er nicht einhalten können. Beim zweiten Mal habe die Kreditgeberin nur noch das Kapital verlangt und auf die Zinsen verzichtet, wenn er das Geld innerhalb der nächsten Frist zurückgezahlt hätte. Aber auch dazu sei er nicht in der Lage gewesen. Sie habe ihn in der Zeit oft angerufen, um ihn an die Frist zu erinnern. Zehn Tage vor Fristablauf habe er Togo verlassen. Er wisse, dass es für ihn Gefängnis bedeutet hätte, wenn er den Kredit nicht fristgerecht zurückgezahlt hätte. Er vermute, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzugerufen hätte. Er habe gehört, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei. Er leide an chronischer Diabetes. Im Gefängnis wäre er an seiner Krankheit gestorben.
Die Erkrankung sei vor vier Jahren festgestellt worden. Der Arzt in Togo habe ihm gesagt, dass die Diabetes seine Sehprobleme auslöse. Der Allgemeinarzt habe ihn zu einem Diabetologen geschickt. Dieser habe Blutuntersuchungen gemacht. Als Behandlungen habe er Tabletten und Insulin zum Spritzen bekommen. Seine Mutter und Großmutter litten ebenfalls an Diabetes. Sie seien beim gleichen Arzt in Behandlung. Die Medikamente habe er mit nach Deutschland gebracht. Der Arzt auf dem Gelände des PHV [Patrick-Henry-Village, Ankunftszentrum Heidelberg] habe die Medikation umgestellt. Er habe ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen. Er, der Kläger, gehe davon aus, dass er in Togo nicht mehr lange gelebt hätte.
Mit Bescheid vom 23.06.2016 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab, lehnte die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Togo an. Zudem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid wurde dem Kläger am 18.07.2016 durch Postzustellungsurkunde zugestellt.
Am 23.08.2016 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihm unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.06.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Wegen der Versäumung der Klagefrist hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Gleichzeitig hat er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO und wegen der Versäumung der Antragsfrist ebenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, isoliert in einer Asylbewerberunterkunft weit entfernt von jedem Betreuer und jedem Dolmetscher zu leben und den Bescheid nicht verstanden zu haben. Die Rechtsmittelbelehrung sei fehlerhaft, weil er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er Klage und Antragstellung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vornehmen dürfe. Durch einen solchen Hinweis könnte die Schwelle für eine Klageerhebung erheblich gesenkt werden. Als Sprachunkundiger sei er nicht in der Lage, Briefe in deutscher Sprache an das Gericht zu übersenden.
Mit Beschluss vom 05.09.2016 hat das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Versäumung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG abgelehnt. Die Rechtsmittelbelehrung des Bundesamts sei weder unterblieben noch unrichtig erteilt, insbesondere müsse sie nicht den Hinweis enthalten, dass die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne. Dass der Kläger ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Dem Asylbewerber sei es zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv um eine rasche Aufklärung des Inhalts dieses Schreibens und gegebenenfalls um die Erhebung eines Rechtsbehelfs bemühe.
Mit Urteil vom 08.09.2016 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da sie nicht innerhalb der Wochenfrist des § 74 Abs. 1 AsylG erhoben worden sei. Es sei auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die genannte Frist einzuhalten. Zur Begründung wurde auf den im Eilverfahren ergangenen Beschluss verwiesen.
10 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 08.02.2017 - A 9 S 1940/16 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
11 
Mit Schriftsatz vom 16.02.2017 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht die Abänderung des Beschlusses vom 05.09.2016 nach § 80 Abs. 7 VwGO beantragt. Mit Beschluss vom 24.02.2017 hat sich das Verwaltungsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen.
12 
Der Kläger hat die Berufung rechtzeitig unter Bezugnahme auf sein Zulassungsvorbringen begründet und in Ergänzung seines bisherigen Vorbringens auf das ärztliche Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 verwiesen. Dort heißt es, dass beim Kläger anamnestisch vor vier Jahren ein Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert worden sei. Die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Insulin müsse gekühlt gelagert werden, einen Kühlschrank besitze der Patient nicht, auch stehe ihm eine Kühlmöglichkeit im Umfeld nicht zur Verfügung. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren. Deswegen werde es für medizinisch indiziert gehalten, dass der Kläger in Deutschland bleibe.
13 
Der Kläger regt an, eine ergänzende Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Togo zu der Frage einzuholen, wieso es trotz der bisherigen Berichterstattung der Botschaft über die funktionierende Gesundheitsfürsorge in Togo dazu habe kommen können, dass die frühere Therapie in seinem Heimatland „unzureichend“ gewesen sei.
14 
Der Kläger beantragt sachdienlich,
15 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. September 2016 - A 5 K 5074/16 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23.06.2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
16 
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewähren,
17 
weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Zur Begründung trägt sie vor: Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung sei nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO. Sie enthalte keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit einer schriftlichen Klageerhebung; dies könne auch der Formulierung „abfassen“ nicht entnommen werden. Das Verwaltungsgericht Berlin habe in seinem Beschluss vom 15.12.2016 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Beschluss vom 20.10.2016) zutreffend festgestellt, selbst wenn die Bedeutung des Abfassens einer schriftlichen Niederlegung entspreche, sei der Rechtsbehelfsbelehrung jedenfalls nicht zu entnehmen, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Denn auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage werde von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst. Daraus ergebe sich, dass der Passus zur Abfassung in deutscher Sprache nicht auf die Schriftlichkeit oder Mündlichkeit der Klagerhebung abziele, sondern lediglich verdeutliche, dass die Klageerhebung (wie von § 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG gefordert) in deutscher Sprache zu erfolgen habe. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache werde auch nicht dadurch unrichtig, dass Eingaben in anderer Sprache ausnahmsweise dann fristwahrende Wirkung entfalten könnten, wenn sie einen noch verständlichen Hinweis in deutscher Sprache enthielten, es werde ein Rechtsbehelf eingelegt. Denn für die Wirksamkeit der Klageerhebung komme es auch in dieser Konstellation darauf an, ob einer deutschen Formulierung die Einlegung des Rechtsbehelfs zu entnehmen sei. Die Anforderungen, die die Rechtsordnung hinsichtlich der wirksamen Einlegung von Rechtsbehelfen an Antragsteller stelle, seien nicht überspannt. Ausweislich der Niederschrift zu Anhörung vom 20.06.2016 verfüge der Kläger zumal über Deutschkenntnisse.
21 
Dem Senat liegen die Akte des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart (A 5 K 5074/16 und A 5 K 5102/16) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf diese Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu Unrecht hat es allerdings angenommen, dass die Klage bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (II.) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (III.), keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (IV.), keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes (V.) und keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots (VI.). Auch die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist nicht zu beanstanden (VII.).
I.
24 
Die Zulässigkeit der Klage begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden.
25 
Zwar ist die Klage beim Verwaltungsgericht erst am 23.08.2006 und damit nicht innerhalb der hier nach § 74 Abs. 1 2. Hs., § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblichen Frist von einer Woche nach der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts am 18.07.2016 eingegangen. Dies führt aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Denn die einwöchige Klagefrist ist nicht in Gang gesetzt worden. Es fehlt an der hierfür gemäß § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wurde unrichtig erteilt, so dass die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zulässig war. Diese Frist ist gewahrt.
26 
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, nach dem die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1), bei dem Verwaltungsgericht aber auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2), wird nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht verlangt. Auch die vom Gesetz geforderte Belehrung „über den Rechtsbehelf“ schließt eine Belehrung über das mit § 81 Abs. 1 VwGO aufgestellte Formerfordernis nicht ein (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188, zum Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sowie vom 27.02.1976 - IV 74.74 -, NJW 1976, 1332).
27 
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteile vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 21.03.2002 - 4 C 2.01 -, juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch die Beschlüsse vom 03.03.2016 - 3 PKH 5.15 -, vom 31.08.2015 - 2 B 61.14 - und vom 16. 11.2012 - 1 WB 3.12 -, jeweils juris und m.w.N.). Versieht die Behörde die Belehrung mit nicht zwingenden Elementen, birgt dies das Risiko von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten, die die Rechtsbehelfsbelehrung insgesamt unrichtig machen können (vgl. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn. 64; Kimmel, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 58 Rn. 20; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 58 Rn. 44).
28 
Die dem Bescheid des Bundesamts vom 23.06.2016 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist eine derartige Unrichtigkeit auf. Denn dort heißt es u.a., dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss. Mit dieser Formulierung ist die Rechtsbehelfsbelehrung geeignet, bei dem Betroffenen den - im Widerspruch zum Gesetz stehenden - Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat (für Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auch VG Augsburg, Beschluss vom 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.06.2016 - 3a K 4187/15.A -, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A, juris; VG Hannover, Beschluss vom 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30.01.2017 - 15a L 3029/16.A -, juris; gegen Unrichtigkeit: VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15.11.2016 - 14a L 2496/16.A -, juris; VG Berlin, Beschlüsse vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris, und vom 16.11.2016 - 6 L 1249.16A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 19.12.2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11.01.2017 - 4 AE 94/17 -, juris; der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.1990 - 9 B 506.89 -, juris, verhält sich zu dieser Frage nicht).
29 
Dabei geht der Senat davon aus, dass das - in der maßgeblichen deutschen Rechtsbehelfsbelehrung verwendete - Verb „abfassen“ jedenfalls nach dem überwiegenden Sprachgebrauch in dem Sinne verstanden wird, dass einer Erklärung eine schriftliche Form gegeben wird (vgl. jeweils zum Stichwort „abfassen“: http://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen; Duden, Das Synonymwörterbuch, 6. Aufl. 2014; https://www.openthesaurus.de/synonyme/abfassen). Dies belegen insbesondere die (dort) angegebenen Synonyme anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen. In vergleichbarer Weise gilt dies für das Verb „rédiger“, das in der dem streitgegenständlichen Bescheid zusätzlich beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung in französischer Sprache verwendet wird. Dieses wird allgemein als Synonym für „schreiben in oder nach einer bestimmten Form“, „schriftlich niederlegen“ o.Ä. verwendet (vgl. jeweils zum Stichwort „rédiger“: Pons, Le Petit Robert, 2015/2016; http://www.le-dictionnaire.com; http://www.larousse.fr/diction-naires/francais“).
30 
Teilweise wird allerdings eingewandt, dass der Rechtsbehelfsbelehrung selbst bei einer Lesart des Begriffs „abfassen“ im Sinne eines schriftlichen Niederlegens nicht entnommen werden könne, dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hätte (vgl. VG Berlin, Urteil vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris). Dies trifft insofern zu, als die Rechtsbehelfsbelehrung angesichts der passivischen Verwendung des Verbs in der Form des Partizips Perfekt bzw. Partizips 2 in Verbindung mit dem Hilfsverb „müssen“ („…muss…abgefasst sein.“) jedenfalls ihrem Wortlaut nach offen lässt, wer es ist, der die Klage in deutscher Sprache abzufassen hat. Wenn indes daraus gefolgert wird, damit sei die - gesetzlich vorgesehene - Möglichkeit einer mündlich zur Niederschrift des Verwaltungsgerichts erhobenen Klage eingeschlossen, da auch diese von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgefasst, nämlich zu Protokoll genommen werde (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Berlin, a.a.O.), greift dies nach Auffassung des Senats zu kurz. Dass der passivische Gebrauch des Verbs „abfassen“ formal logisch die Möglichkeit einer Klagerhebung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, reicht für die Annahme der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, welche Vorstellungen die gegenständliche Formulierung bei lebensnaher Betrachtungsweise bei dem Adressaten eines Asylbescheids auslösen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsbehelfsbelehrung nach ihrem Zweck und ihrem gesamten Inhalt ausschließlich an den Adressaten des Bescheides richtet und dass sie deshalb - trotz der insgesamt passivischen Formulierung - erkennbar beschreibt, was dieser - in der kurzen Frist von einer Woche - zu tun bzw. zu veranlassen hat, um wirksam Klage zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltungsgerichtsordnung dem Adressaten das Recht einräumt, zur Erfüllung der beschriebenen Anforderungen die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch zu nehmen, lassen sich der Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnehmen. Damit liegt die Annahme fern, dass ein Bescheidempfänger trotz des Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung ernsthaft damit rechnen könnte, dem Erfordernis der Schriftlichkeit der Klage dadurch Genüge zu tun, dass er persönlich beim Verwaltungsgericht vorspricht und sein mündlich formuliertes Rechtsschutzbegehren vom dortigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle protokollieren lässt. Jedenfalls ist die gegenständliche Formulierung geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die Voraussetzungen einer wirksamen Klageerhebung hervorzurufen und ihn dadurch von einer Klagerhebung überhaupt oder von einer rechtzeitigen Klageerhebung abzuhalten. Es ist durchaus naheliegend, dass der Adressat davon ausgeht, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Dies steht indes in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Mit der Regelung soll dem Kläger der Rechtsschutz erleichtert werden, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen, etwa auch mangels hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache, den Weg zum Gericht vorzieht (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 81 Rn. 10). Die vom Bundesamt gewählte Formulierung erschwert dem Betroffenen demgegenüber die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Denn es liegt nicht fern, dass sich der Betroffene selbst dem Erfordernis der schriftlichen Abfassung nicht gewachsen fühlt, er aber auch den Aufwand und die Kosten scheut, die mit einer Inanspruchnahme der Hilfe durch Rechtskundige verbunden sind, und deshalb von der Klagerhebung absieht (vgl. zu einer Rechtsbehelfsbelehrung, die den Eindruck erweckt, der Widerspruch könne nur schriftlich eingelegt werden BVerwG, Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 78, 57).
31 
Da es für die Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO auf den „Empfängerhorizont“ ankommt, führt es auch zu keiner anderen Beurteilung, dass die Beklagte mit der gewählten Formulierung möglicherweise den Zweck verfolgt hat zu vermeiden, dass mit einer - entgegen § 55 VwGO in Verbindung mit § 184 Satz 1 GVG - nicht in deutscher Sprache erhobenen Klage Fristen versäumt werden.
32 
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Hinweis auf die Notwendigkeit der Abfassung in deutscher Sprache zusätzlich deshalb irreführend ist, weil es bei der Erklärung der Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle regelmäßig genügt, wenn der Rechtsschutzsuchende diesem gegenüber - etwa durch konkludentes Verhalten mit Bezug auf vorgelegte Schriftstücke und die bruchstückhafte Verwendung deutschsprachiger Begriffe - noch hinreichend verständlich zu erkennen gibt, er wolle einen Rechtsbehelf einlegen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A -, juris Rn. 64).
33 
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist schließlich auch unerheblich, ob bzw. inwieweit der Kläger über Deutschkenntnisse verfügt und ob er tatsächlich wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes nicht fristgerecht erhoben hat. Nach der angeführten Rechtsprechung genügt es, wenn der unrichtige Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung generell geeignet ist, die Einlegung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs zu erschweren. Das Ob und das Wie der Belehrung sind nach § 58 VwGO streng formalisiert. Die Vorschrift macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 - 3 C 23.08 -, BVerwGE 134, 41, vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 13.01.1971 - V C 53.70 -, BVerwGE 37, 85).
II.
34 
Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, ist für die Beurteilung des Begehrens des Klägers auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Maßgeblich in rechtlicher Hinsicht ist deshalb das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 04.11.2016 (BGBl. I S. 2460) geänderte Asylgesetz.
III.
35 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.
36 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
37 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9; so genannte Qualifikationsrichtlinie - QRL -) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (vgl. Senatsurteil vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris Rn. 24 a.E.; BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
38 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
39 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 26 m.w.N.).
40 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchstabe d QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
41 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
42 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
43 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 34 m.w.N.). Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden mit Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
44 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes.
45 
Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Togo einer als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG eingestuften Handlung nach § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt war, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
46 
Der Kläger war aber auch nicht von einer solchen Verfolgung ernsthaft bedroht. Die von ihm geltend gemachte Befürchtung, in Haft genommen zu werden, knüpft bereits nach seinem eigenen Vortrag nicht an einen flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG an, sondern vielmehr allein an den Umstand, dass er sich seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen aus einem Darlehnsvertrag entzogen hatte. Es fehlt an jedem Hinweis, dass die Auseinandersetzung mit der Darlehensgläubigerin ihren Grund in unverfügbaren Merkmalen des Klägers gehabt haben könnte. Auch nach deutschem Recht kommt im Rahmen des zivilprozessualen Vollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen der Erlass einer Haftanordnung gegen den Schuldner in Betracht (vgl. § 802g ZPO). Damit fehlt es schon an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009, a.a.O.)
47 
Unabhängig davon hat der Senat auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht die Überzeugung davon gewinnen können, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise im Kontext der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Inhaftierung durch die Polizei bzw. mit „Gefängnis“ zu rechnen hatte. Seine diesbezüglichen Angaben, er „vermute“, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzu gerufen hätte, er „habe gehört“, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei, erweisen sich insoweit als zu vage und zu unbestimmt, als dass ihnen Glauben geschenkt werden könnte. Hinreichend greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Gläubigerin tatsächlich bevorstand, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Kreditgeberin, die der Kläger im Übrigen als „Bekannte“ bezeichnet hat, sich zunächst durchaus kulant gezeigt hatte, indem sie ihm, nachdem er das Darlehen nicht fristgerecht zurückgezahlt hatte, das Kapital stundete und die Zinsen sogar erließ. Der Senat vermag insbesondere angesichts der aus der Schilderung des Klägers deutlich werdenden Kompromissbereitschaft der Gläubigerin auch nicht nachzuvollziehen, weshalb sich der Kläger in dieser Situation nicht um eine weitere Stundung oder eine einvernehmliche Klärung der Angelegenheit bemühte, sondern es vorzog, noch vor Ablauf der ihm von der Gläubigerin eingeräumten weiteren Frist das Land zu verlassen. Zudem hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu Recht und ohne dass sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren hierzu eingelassen hätte - darauf verwiesen, dass der Kläger bis dahin ein zuverlässiger Schuldner gewesen sei und die Gläubigerin im Falle einer Inhaftierung des Klägers ohnehin keine Aussicht auf eine (wenigstens teilweise) Rückzahlung des Darlehens gehabt hätte.
48 
Der Kläger muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht deswegen politische Verfolgung befürchten, weil er im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Bereits in der Vergangenheit hatte der Senat festgestellt, dass die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und ein Auslandsaufenthalt für togoische Staatsangehörige keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung in ihrem Heimatland begründen (vgl. Senatsurteile vom 25.03.2003 - A 9 S 1089/01 -, juris, und vom 20.04.2004 - A 9 S 849/03 -, juris). Daran hält der Senat auf der Grundlage der aktuellen und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel fest. Danach löst ein Asylantrag allein keine staatlichen Repressionen aus. Die Behörden sind in aller Regel um korrekte Behandlung der Rückkehrer bemüht, um weder deutschen Behörden noch togoischen Exilorganisationen Anlass zur Kritik zu geben (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 16.08.2011 sowie Auskunft vom 28.09.2011 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen). Dem Auswärtigen Amt sind nicht einmal Fälle bekannt, in denen die Mitgliedschaft in einer togoischen Exilorganisation für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Togoer nachteilige Folgen gehabt hätte. Es gibt in Togo zahlreiche, zum Teil sehr regierungskritische Menschenrechtsorganisationen, die hier unbehelligt tätig werden und die die Regierung, z.B. der für Menschenrechtsfragen zuständige Minister, als Gesprächspartner betrachtet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.01.2015 an das Verwaltungsgericht Stuttgart). Diese Einschätzung wird durch die jüngere Rechtsprechung anderer Gerichte bestätigt (vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 05.07.2013 - 9 B 12.30352 -, juris, und Urteil vom 16.05.2013 - 9 B 12.30382 -, juris, m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.06.2008 - 4 L 338/05 -, juris).
IV.
49 
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG liegen schon deshalb nicht vor, weil er nach seinen eigenen Angaben über Italien auf dem Landweg mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und daher über einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG nach Deutschland gelangt ist. Ungeachtet dessen liegen - wie unter III. dargelegt - die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Asylberechtigung aus denselben Gründen nicht vor, die einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegenstehen.
V.
50 
Der Kläger hat auch nicht den von ihm hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Plausible Anhaltspunkte dafür, dass ihm in seiner Heimat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen könnte, bestehen nach dem Gesagten nicht.
VI.
51 
Schließlich hat der Kläger auch nicht den weiter hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AsylG. Auch insoweit gilt, dass für den Senat kein Sachverhalt ersichtlich ist, der das Vorliegen der genannten Verbote zu begründen in der Lage wäre.
52 
Der Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist, hat insbesondere keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.2007 - 10 B 85.07 -, juris ; Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris , vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - juris , vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, juris und vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, juris ). Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O. [bei HIV und Aids]). In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht zu erlangenden medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O.).
53 
Ob die Zahl der in Togo an Diabetes mellitus Typ 1 leidenden Personen so groß ist, dass dies die Qualifizierung als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG rechtfertigt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls lassen sich im vorliegenden Fall auch die weniger strengen Voraussetzungen der „erheblichen konkreten Gefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung nicht feststellen.
54 
Danach muss die Gesundheitsgefahr erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.1999, a.a.O.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17.03.2016 geänderten Fassung nachgezeichnet. Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, BT-Drs. 18/7538 S. 18 f.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
55 
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
56 
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9).
57 
An diesem Maßstab gemessen lässt sich eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht feststellen.
58 
Nach den Angaben des Klägers sowie dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 leidet der Kläger an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden.
59 
Nach den dem Senat vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Qualität der medizinischen Versorgung in der Republik Togo eingeschränkt. Jeder Arztbesuch muss sofort bezahlt werden, größere Eingriffe werden nur gegen Vorauskasse durchgeführt. Da weniger als 5 % der Bevölkerung krankenversichert sind, müssen die Kosten in der Regel privat getragen werden; das ist mangels ausreichender finanzieller Mittel für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schwierig (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16.08.2011).
60 
In der Hauptstadt existieren mehrere private sowie staatliche Kliniken. Im Landesinneren gibt es für jede Region ein Regionalkrankenhaus sowie einige gute private Kliniken, die von Kirchen finanziert werden. Dort können überlebensnotwendige Eingriffe durchgeführt werden. Zahlreiche Gesundheitsvorsorgestellen, so genannte „Dispensaires“ (auch Medikamentenverkauf), bilden die erste Anlaufstelle auf dem Lande (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.).
61 
Die Versorgung mit Medikamenten ist in der Hauptstadt gewährleistet. Die Medikamente werden importiert und sind oft billiger als in Deutschland bzw. Frankreich. Prinzipiell können alle Medikamente innerhalb weniger Tage besorgt werden; in entlegenen Regionen kann es länger dauern. Der Erwerb hängt jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Patienten ab und bedeutet für sie in der Regel eine hohe Belastung. Insbesondere in den nördlichen Landesteilen ist außerhalb der Städte eine Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nicht immer gegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Weiter einschränkend wird berichtet, dass es oft zu Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommt und es sehr lange dauern kann, bis die Medikamente geliefert werden. Auch ihre Lagerung entspricht oft nicht den Standards, und es kommt vor, dass abgelaufene Medikamente verkauft werden. Die WHO stellt zudem große Mängel bei der Qualitätskontrolle und der Bekämpfung des illegalen Verkaufs von Medikamenten fest (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Togo: Medizinische Versorgung, 16.07.2012).
62 
Obwohl es in Togo Ausbildungsstätten für medizinisches Personal gibt (Fakultät für Medizin und Arzneikunde, Schule für Krankenpflegerinnen und Hebammenschule), existieren große Personalengpässe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
63 
Allgemein kann gesagt werden, dass nahezu alle Medikamente und medizinischen Dienstleistungen in Togo erhältlich sind, wenn der/die Patientin in der Lage ist, die oft hohen Preise selber zu bezahlen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015).
64 
Die konkreten Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung von Personen, die an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus leiden, stellen sich wie folgt dar:
65 
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.08.2011 kann Diabetes mellitus prinzipiell behandelt werden. Entsprechende Medikamente sind erhältlich, die erforderlichen Messgeräte vorhanden. Auch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lomé führt aus, dass insulinpflichtiger Diabetes mellitus in Togo gut behandelbar ist, eine Behandlung allerdings nur stattfindet, wenn der Patient die Kosten tragen kann (Auskunft vom 14.10.2015 an das Verwaltungsgericht Schwerin). In der oben genannten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.07.2012 heißt es, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich sei. Problematisch seien jedoch die hohen Behandlungskosten, was dazu führe, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo einen ungenügenden Zugang zu Insulin habe. Zu den Behandlungskosten wird ausgeführt, ein Bericht der WHO und der Organisation Health Action International stellte fest, dass der tiefste Preis für 10 ml Insulin im Jahr 2008 in Togo 7.70 US-Dollar betrug. Pro Monat muss ein Diabetiker, der 10 ml Insulin, sechs Spritzen und einen Blut-Teststreifen braucht, mit Ausgaben von mindestens zehn US-Dollar rechnen. Das nationale Pro-Kopf-Bruttoeinkommen betrug im Jahr 2010 490 US-Dollar. Das bedeutet, dass ein Togolese im Durchschnitt mindestens 24,5 % seines Jahreseinkommens für die Behandlung von Diabetes aufwenden muss. Die sehr hohen Kosten für die Diabetes-Behandlung erklären auch den ungenügenden Zugang zu Insulin für Diabetiker in Togo. Der Bericht der International Diabetes Federation hebt hervor, dass in Togo 50 bis 75 % aller Diabetiker keinen Zugang zu Insulin haben, weil es zu teuer ist.
66 
Angesichts dieser Erkenntnislage verkennt der Senat nicht, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo aus finanziellen Gründen nur einen unzureichenden Zugang zu Insulin und damit zu einer ausreichenden medizinischen Behandlung ihrer Erkrankung haben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.12.2013 - 7a K 5347/12.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 24.06.2008 - 7 A 1830/06 -, juris). Auf der Grundlage der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt geht der Senat indes davon aus, dass der Kläger dieser Gruppe aufgrund in seinem Falle bestehender Besonderheiten nicht angehört. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass für den Kläger eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG deshalb besteht, weil ihm individuell aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen die notwendige Behandlung oder Medikation nicht zugänglich ist.
67 
Nach seinen Angaben beim Bundesamt war der Kläger, der seinen Wohnsitz vor der Ausreise in der Hauptstadt Lomé hatte, seit der Feststellung der Erkrankung im Jahr 2012 bis zur Ausreise im Jahr 2016 in Behandlung eines Diabetologen. Von diesem sei er auch mit Tabletten und Insulin zum Spritzen versorgt worden. Seine Mutter und Großmutter, die ebenfalls an Diabetes litten, seien beim gleichen Arzt in Behandlung gewesen. Angesichts dieser Darstellung sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihm die vor der Ausreise aus Togo zugute gekommene fachärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nach der Rückkehr aus finanziellen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger dies weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat.
68 
Unabhängig davon kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der 34jährige arbeitsfähige Kläger, der seine wirtschaftliche Lage in Togo als „durchschnittlich“ bezeichnet hat, in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt - wie auch in der Vergangenheit - eigenständig sicherzustellen. Darüber hinaus verfügt er in Lomé über ein familiäres Umfeld: Seinen Angaben zufolge wohnen dort jedenfalls seine Mutter, seine Großmutter sowie seine Partnerin mit den gemeinsamen Kindern. Mit Blick auf die Erkenntnislage, wonach in Togo an die Stelle des Sozialstaats die Solidarität innerhalb der Großfamilie tritt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2015 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen), kann der Kläger insoweit auch mit finanzieller Unterstützung rechnen (zur Einbeziehung einer möglichen Unterstützung durch Angehörige in die gerichtliche Gefahrenprognose vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 06.02.2012 - 10 B 3.12 -, juris, und vom 01.10.2001 - 1 B 185.01 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.08.2003 - 2 BvR 1064/03 -, juris). Mit in den Blick zu nehmen sein dürfte auch der Vater des Klägers. Auch wenn der Kläger bekundet hat, dass die Eltern seit langem getrennt leben und der Vater „zur Zeit“ nicht in Togo, sondern im Senegal lebt, hat er doch auch erklärt, mit diesem (wie auch mit seiner Mutter) von Zeit zu Zeit in telefonischem und in E-Mail-Kontakt zu stehen. Diesem Umstand kommt im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung zu, weil der Vater nach den Bekundungen des Klägers in Togo als Arzt tätig war. Insoweit spricht einiges dafür, dass er in Togo jedenfalls über einschlägige Kontakte verfügt, was dem Kläger bei der Therapie seiner Diabetes-Erkrankung zugute kommen kann. Überdies kommt auch eine wirtschaftliche Unterstützung durch den Vater in Betracht, zumal der Kläger diesen nach seinen Angaben beim Bundesamt offenbar bislang nicht mit seiner wirtschaftlichen Situation konfrontiert hatte. Die pauschale Angabe des Klägers, er habe ihn „nicht gefragt, weil ich weiß, dass er daran nichts machen könnte“, vermag der Senat jedenfalls nicht nachzuvollziehen.
69 
Im Übrigen ist es dem Kläger unbenommen, vorbeugend für einen Insulinvorrat noch in Deutschland bzw. (über seine Familie) in Lomé zu sorgen, welcher geeignet ist, die Versorgung in der Phase nach der Ankunft im Heimatland sicherzustellen bzw. zu erleichtern.
70 
Vor diesem Hintergrund wird auch mit dem Vortrag des Klägers, zur Rückzahlung eines für die von ihm betriebene Viehzucht aufgenommenen Darlehens nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, nicht ernsthaft in Frage gestellt, dass dem Kläger die notwendige Behandlung oder Medikation zugänglich ist.
71 
Erstmals im Berufungsverfahren hat der Kläger allerdings unter Vorlage des ärztlichen Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 geltend gemacht, die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren.
72 
Indes werden mit dem Attest jedenfalls keine hinreichend aussagekräftigen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die in Togo durchgeführte fachärztliche Behandlung der Diabetes-Erkrankung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente tatsachlich in einem Maße unzureichend war, dass dies die Prognose rechtfertigen könnte, dem Kläger drohe alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung.
73 
Die Ausführungen im Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. sind nicht geeignet, die oben beschriebene Erkenntnislage zur grundsätzlichen Verfügbarkeit der für eine zureichende Behandlung von Diabetes mellitus 1 erforderlichen Medikamente in Togo ernsthaft in Frage zu stellen. Dies gilt zunächst schon deshalb, weil Dr. T. die Quellen seiner Informationen über die Verhältnisse in Togo nicht offen legt. Dessen ungeachtet stimmen die oben aufgezeigten Erkenntnismittel im Kern darin überein, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich (nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé ist die Erkrankung sogar „gut behandelbar“) ist und entsprechende Medikamente - zumal in der Hauptstadt Lomé - erhältlich sind. Vor diesem Hintergrund zeigt das Attest hinreichend substantiierte und greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von einem Diabetologen in der Hauptstadt Lomé durchgeführte Behandlung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente wirkungslos bzw. unzureichend gewesen sein soll, nicht auf. Solche Anhaltspunkte sind gerade auch auf der Grundlage der Bekundungen des Klägers beim Bundesamt zu der in Togo erfahrenen Behandlung nicht ersichtlich. Insbesondere hat er dort keinerlei Angaben gemacht, die darauf hindeuten, dass die - sich immerhin über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckende - fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo seiner Beurteilung nach wirkungslos bzw. unzureichend, etwa zur Beseitigung bzw. Eindämmung der mit der Erkrankung einhergehenden Symptome nicht geeignet war. Auch hinsichtlich der Behandlung seiner Mutter und Großmutter hat er Entsprechendes nicht vorgetragen.
74 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe im Attest, der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie - nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt hat der Arzt auf dem Gelände des Ankunftszentrums die Medikation umgestellt, ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen - liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ein Untersuchungsbericht, anhand dessen diese Angaben nachvollzogen werden können, ist indes nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon stellt allein der Umstand, dass beim Kläger bei seiner Ankunft in Deutschland (einmalig) ein Wert von 15 % HbA1c gemessen worden sein soll, keinen ausreichenden Beleg dafür dar, dass die fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo tatsächlich in einem rechtlich relevanten Ausmaß unzureichend war. Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Kläger während seiner fachärztlichen Behandlung in Togo vergleichbar hohe Blutzuckerwerte aufgewiesen hat wie bei seiner Ankunft in Deutschland. Deutlich gegen diese Möglichkeit sprechen - wie dargelegt - die Angaben des Klägers zur fachärztlichen Behandlung durch einen Diabetologen in Lomé und fehlende Angaben zu Anhaltspunkten für eine etwaige Wirkungslosigkeit der über mehrere Jahre erfolgten fachärztlichen Behandlung und Medikation. Im Übrigen liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, ob der Kläger im Zeitraum vor und auf der Reise nach Deutschland überhaupt ausreichend mit Medikamenten versorgt war bzw. er die Vorgaben zur regelmäßigen Einnahme der Medikamente bzw. zum regelmäßigen Spritzen einhielt bzw. einhalten konnte. Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf die vorhandenen, im Kern übereinstimmenden Erkenntnismittel sieht der Senat keinen Anlass, auf die Anregung des Kläger-Vertreters eine ergänzende Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé einzuholen.
75 
Es ist danach nicht ersichtlich, dass Kläger sich nach der Rückkehr nicht wieder in die Behandlung seines Diabetologen begeben und dort mit diesem - auch unter Einbeziehung der dem Kläger in Deutschland ärztlicherseits vermittelten Informationen - die hinreichend wirksame Therapie seiner Erkrankung fortführen kann. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass davon auszugehen ist, dass er auf die Unterstützung seines früher in Togo als Arzt tätigen Vaters zurückgreifen kann.
76 
Bei einer Gesamtschau sämtlicher Umstände des Einzelfalls kann der Senat jedenfalls nicht mit der insoweit erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, juris) feststellen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die Diabetes-Erkrankung des Klägers in Togo wegen des geringeren Versorgungsstandards nicht verfügbar ist und dies zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo droht. Der Senat schließt zwar - gerade auch mit Blick auf den Umstand, dass nach seiner Ankunft in Deutschland die Medikation umgestellt wurde - nicht aus, dass die dem Kläger in Togo für seine Erkrankung zur Verfügung stehende Behandlung und Medikation nicht den heute in Deutschland geltenden und praktizierten Standards entspricht. Indes ist der Umstand, dass die medizinische Versorgung in Togo möglicherweise mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist, für sich genommen nicht geeignet, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
VII.
77 
Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung und Fristsetzung - mit der durch die erfolgreiche Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gesetzlich (§ 37 Abs. 2 AsylG) auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlängerten Ausreisefrist - ist nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG.
VIII.
78 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
79 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

 
22 
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
23 
Die Berufung des Klägers ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu Unrecht hat es allerdings angenommen, dass die Klage bereits wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (II.) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (III.), keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (IV.), keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes (V.) und keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots (VI.). Auch die Abschiebungsandrohung des Bundesamts ist nicht zu beanstanden (VII.).
I.
24 
Die Zulässigkeit der Klage begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden.
25 
Zwar ist die Klage beim Verwaltungsgericht erst am 23.08.2006 und damit nicht innerhalb der hier nach § 74 Abs. 1 2. Hs., § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblichen Frist von einer Woche nach der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts am 18.07.2016 eingegangen. Dies führt aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Denn die einwöchige Klagefrist ist nicht in Gang gesetzt worden. Es fehlt an der hierfür gemäß § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wurde unrichtig erteilt, so dass die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zulässig war. Diese Frist ist gewahrt.
26 
Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, nach dem die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1), bei dem Verwaltungsgericht aber auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2), wird nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht verlangt. Auch die vom Gesetz geforderte Belehrung „über den Rechtsbehelf“ schließt eine Belehrung über das mit § 81 Abs. 1 VwGO aufgestellte Formerfordernis nicht ein (vgl. BVerwG, Urteile vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 57, 188, zum Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, sowie vom 27.02.1976 - IV 74.74 -, NJW 1976, 1332).
27 
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteile vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 21.03.2002 - 4 C 2.01 -, juris, jeweils m.w.N.; vgl. auch die Beschlüsse vom 03.03.2016 - 3 PKH 5.15 -, vom 31.08.2015 - 2 B 61.14 - und vom 16. 11.2012 - 1 WB 3.12 -, jeweils juris und m.w.N.). Versieht die Behörde die Belehrung mit nicht zwingenden Elementen, birgt dies das Risiko von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten, die die Rechtsbehelfsbelehrung insgesamt unrichtig machen können (vgl. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn. 64; Kimmel, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 58 Rn. 20; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 58 Rn. 44).
28 
Die dem Bescheid des Bundesamts vom 23.06.2016 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist eine derartige Unrichtigkeit auf. Denn dort heißt es u.a., dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss. Mit dieser Formulierung ist die Rechtsbehelfsbelehrung geeignet, bei dem Betroffenen den - im Widerspruch zum Gesetz stehenden - Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat (für Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auch VG Augsburg, Beschluss vom 03.12.2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.06.2016 - 3a K 4187/15.A -, juris; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A, juris; VG Hannover, Beschluss vom 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.12.2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30.01.2017 - 15a L 3029/16.A -, juris; gegen Unrichtigkeit: VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15.11.2016 - 14a L 2496/16.A -, juris; VG Berlin, Beschlüsse vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris, und vom 16.11.2016 - 6 L 1249.16A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 19.12.2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11.01.2017 - 4 AE 94/17 -, juris; der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.02.1990 - 9 B 506.89 -, juris, verhält sich zu dieser Frage nicht).
29 
Dabei geht der Senat davon aus, dass das - in der maßgeblichen deutschen Rechtsbehelfsbelehrung verwendete - Verb „abfassen“ jedenfalls nach dem überwiegenden Sprachgebrauch in dem Sinne verstanden wird, dass einer Erklärung eine schriftliche Form gegeben wird (vgl. jeweils zum Stichwort „abfassen“: http://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen; Duden, Das Synonymwörterbuch, 6. Aufl. 2014; https://www.openthesaurus.de/synonyme/abfassen). Dies belegen insbesondere die (dort) angegebenen Synonyme anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen. In vergleichbarer Weise gilt dies für das Verb „rédiger“, das in der dem streitgegenständlichen Bescheid zusätzlich beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung in französischer Sprache verwendet wird. Dieses wird allgemein als Synonym für „schreiben in oder nach einer bestimmten Form“, „schriftlich niederlegen“ o.Ä. verwendet (vgl. jeweils zum Stichwort „rédiger“: Pons, Le Petit Robert, 2015/2016; http://www.le-dictionnaire.com; http://www.larousse.fr/diction-naires/francais“).
30 
Teilweise wird allerdings eingewandt, dass der Rechtsbehelfsbelehrung selbst bei einer Lesart des Begriffs „abfassen“ im Sinne eines schriftlichen Niederlegens nicht entnommen werden könne, dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hätte (vgl. VG Berlin, Urteil vom 24.01.2017 - 21 K 346.16 A -, juris). Dies trifft insofern zu, als die Rechtsbehelfsbelehrung angesichts der passivischen Verwendung des Verbs in der Form des Partizips Perfekt bzw. Partizips 2 in Verbindung mit dem Hilfsverb „müssen“ („…muss…abgefasst sein.“) jedenfalls ihrem Wortlaut nach offen lässt, wer es ist, der die Klage in deutscher Sprache abzufassen hat. Wenn indes daraus gefolgert wird, damit sei die - gesetzlich vorgesehene - Möglichkeit einer mündlich zur Niederschrift des Verwaltungsgerichts erhobenen Klage eingeschlossen, da auch diese von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgefasst, nämlich zu Protokoll genommen werde (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris; VG Berlin, a.a.O.), greift dies nach Auffassung des Senats zu kurz. Dass der passivische Gebrauch des Verbs „abfassen“ formal logisch die Möglichkeit einer Klagerhebung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, reicht für die Annahme der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, welche Vorstellungen die gegenständliche Formulierung bei lebensnaher Betrachtungsweise bei dem Adressaten eines Asylbescheids auslösen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsbehelfsbelehrung nach ihrem Zweck und ihrem gesamten Inhalt ausschließlich an den Adressaten des Bescheides richtet und dass sie deshalb - trotz der insgesamt passivischen Formulierung - erkennbar beschreibt, was dieser - in der kurzen Frist von einer Woche - zu tun bzw. zu veranlassen hat, um wirksam Klage zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltungsgerichtsordnung dem Adressaten das Recht einräumt, zur Erfüllung der beschriebenen Anforderungen die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch zu nehmen, lassen sich der Rechtsbehelfsbelehrung nicht entnehmen. Damit liegt die Annahme fern, dass ein Bescheidempfänger trotz des Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung ernsthaft damit rechnen könnte, dem Erfordernis der Schriftlichkeit der Klage dadurch Genüge zu tun, dass er persönlich beim Verwaltungsgericht vorspricht und sein mündlich formuliertes Rechtsschutzbegehren vom dortigen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle protokollieren lässt. Jedenfalls ist die gegenständliche Formulierung geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die Voraussetzungen einer wirksamen Klageerhebung hervorzurufen und ihn dadurch von einer Klagerhebung überhaupt oder von einer rechtzeitigen Klageerhebung abzuhalten. Es ist durchaus naheliegend, dass der Adressat davon ausgeht, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Dies steht indes in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Mit der Regelung soll dem Kläger der Rechtsschutz erleichtert werden, wenn er aus in seiner Person liegenden Gründen, etwa auch mangels hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache, den Weg zum Gericht vorzieht (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 81 Rn. 10). Die vom Bundesamt gewählte Formulierung erschwert dem Betroffenen demgegenüber die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Denn es liegt nicht fern, dass sich der Betroffene selbst dem Erfordernis der schriftlichen Abfassung nicht gewachsen fühlt, er aber auch den Aufwand und die Kosten scheut, die mit einer Inanspruchnahme der Hilfe durch Rechtskundige verbunden sind, und deshalb von der Klagerhebung absieht (vgl. zu einer Rechtsbehelfsbelehrung, die den Eindruck erweckt, der Widerspruch könne nur schriftlich eingelegt werden BVerwG, Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 -, BVerwGE 78, 57).
31 
Da es für die Unrichtigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO auf den „Empfängerhorizont“ ankommt, führt es auch zu keiner anderen Beurteilung, dass die Beklagte mit der gewählten Formulierung möglicherweise den Zweck verfolgt hat zu vermeiden, dass mit einer - entgegen § 55 VwGO in Verbindung mit § 184 Satz 1 GVG - nicht in deutscher Sprache erhobenen Klage Fristen versäumt werden.
32 
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der Hinweis auf die Notwendigkeit der Abfassung in deutscher Sprache zusätzlich deshalb irreführend ist, weil es bei der Erklärung der Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle regelmäßig genügt, wenn der Rechtsschutzsuchende diesem gegenüber - etwa durch konkludentes Verhalten mit Bezug auf vorgelegte Schriftstücke und die bruchstückhafte Verwendung deutschsprachiger Begriffe - noch hinreichend verständlich zu erkennen gibt, er wolle einen Rechtsbehelf einlegen (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 - 22 K 4119/15.A -, juris Rn. 64).
33 
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist schließlich auch unerheblich, ob bzw. inwieweit der Kläger über Deutschkenntnisse verfügt und ob er tatsächlich wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes nicht fristgerecht erhoben hat. Nach der angeführten Rechtsprechung genügt es, wenn der unrichtige Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung generell geeignet ist, die Einlegung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs zu erschweren. Das Ob und das Wie der Belehrung sind nach § 58 VwGO streng formalisiert. Die Vorschrift macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 - 3 C 23.08 -, BVerwGE 134, 41, vom 13.12.1978, a.a.O., und vom 13.01.1971 - V C 53.70 -, BVerwGE 37, 85).
II.
34 
Da die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht, ist für die Beurteilung des Begehrens des Klägers auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG). Maßgeblich in rechtlicher Hinsicht ist deshalb das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 04.11.2016 (BGBl. I S. 2460) geänderte Asylgesetz.
III.
35 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 AsylG.
36 
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
37 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl EU L 337/9; so genannte Qualifikationsrichtlinie - QRL -) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u. a. gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (vgl. Senatsurteil vom 03.11.2016 - A 9 S 303/15 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris Rn. 24 a.E.; BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
38 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
39 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 26 m.w.N.).
40 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchstabe d QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 Rn. 32). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
41 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
42 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
43 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014, a.a.O., juris Rn. 34 m.w.N.). Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden mit Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen (Senatsurteil vom 03.11.2016, a.a.O.).
44 
Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes.
45 
Dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Togo einer als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG eingestuften Handlung nach § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt war, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.
46 
Der Kläger war aber auch nicht von einer solchen Verfolgung ernsthaft bedroht. Die von ihm geltend gemachte Befürchtung, in Haft genommen zu werden, knüpft bereits nach seinem eigenen Vortrag nicht an einen flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG an, sondern vielmehr allein an den Umstand, dass er sich seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen aus einem Darlehnsvertrag entzogen hatte. Es fehlt an jedem Hinweis, dass die Auseinandersetzung mit der Darlehensgläubigerin ihren Grund in unverfügbaren Merkmalen des Klägers gehabt haben könnte. Auch nach deutschem Recht kommt im Rahmen des zivilprozessualen Vollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen der Erlass einer Haftanordnung gegen den Schuldner in Betracht (vgl. § 802g ZPO). Damit fehlt es schon an der notwendigen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.2009, a.a.O.)
47 
Unabhängig davon hat der Senat auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht die Überzeugung davon gewinnen können, dass der Kläger im Zeitpunkt der Ausreise im Kontext der zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Inhaftierung durch die Polizei bzw. mit „Gefängnis“ zu rechnen hatte. Seine diesbezüglichen Angaben, er „vermute“, dass die Kreditgeberin zu dem nächsten Treffen die Polizei hinzu gerufen hätte, er „habe gehört“, dass dies bei zwei anderen Kunden so passiert sei, erweisen sich insoweit als zu vage und zu unbestimmt, als dass ihnen Glauben geschenkt werden könnte. Hinreichend greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen durch die Gläubigerin tatsächlich bevorstand, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Kreditgeberin, die der Kläger im Übrigen als „Bekannte“ bezeichnet hat, sich zunächst durchaus kulant gezeigt hatte, indem sie ihm, nachdem er das Darlehen nicht fristgerecht zurückgezahlt hatte, das Kapital stundete und die Zinsen sogar erließ. Der Senat vermag insbesondere angesichts der aus der Schilderung des Klägers deutlich werdenden Kompromissbereitschaft der Gläubigerin auch nicht nachzuvollziehen, weshalb sich der Kläger in dieser Situation nicht um eine weitere Stundung oder eine einvernehmliche Klärung der Angelegenheit bemühte, sondern es vorzog, noch vor Ablauf der ihm von der Gläubigerin eingeräumten weiteren Frist das Land zu verlassen. Zudem hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu Recht und ohne dass sich der Kläger im gerichtlichen Verfahren hierzu eingelassen hätte - darauf verwiesen, dass der Kläger bis dahin ein zuverlässiger Schuldner gewesen sei und die Gläubigerin im Falle einer Inhaftierung des Klägers ohnehin keine Aussicht auf eine (wenigstens teilweise) Rückzahlung des Darlehens gehabt hätte.
48 
Der Kläger muss bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht deswegen politische Verfolgung befürchten, weil er im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Bereits in der Vergangenheit hatte der Senat festgestellt, dass die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und ein Auslandsaufenthalt für togoische Staatsangehörige keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung in ihrem Heimatland begründen (vgl. Senatsurteile vom 25.03.2003 - A 9 S 1089/01 -, juris, und vom 20.04.2004 - A 9 S 849/03 -, juris). Daran hält der Senat auf der Grundlage der aktuellen und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel fest. Danach löst ein Asylantrag allein keine staatlichen Repressionen aus. Die Behörden sind in aller Regel um korrekte Behandlung der Rückkehrer bemüht, um weder deutschen Behörden noch togoischen Exilorganisationen Anlass zur Kritik zu geben (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Togo vom 16.08.2011 sowie Auskunft vom 28.09.2011 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen). Dem Auswärtigen Amt sind nicht einmal Fälle bekannt, in denen die Mitgliedschaft in einer togoischen Exilorganisation für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Togoer nachteilige Folgen gehabt hätte. Es gibt in Togo zahlreiche, zum Teil sehr regierungskritische Menschenrechtsorganisationen, die hier unbehelligt tätig werden und die die Regierung, z.B. der für Menschenrechtsfragen zuständige Minister, als Gesprächspartner betrachtet (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20.01.2015 an das Verwaltungsgericht Stuttgart). Diese Einschätzung wird durch die jüngere Rechtsprechung anderer Gerichte bestätigt (vgl. nur BayVGH, Beschluss vom 05.07.2013 - 9 B 12.30352 -, juris, und Urteil vom 16.05.2013 - 9 B 12.30382 -, juris, m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.06.2008 - 4 L 338/05 -, juris).
IV.
49 
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG liegen schon deshalb nicht vor, weil er nach seinen eigenen Angaben über Italien auf dem Landweg mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und daher über einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 2 AsylG nach Deutschland gelangt ist. Ungeachtet dessen liegen - wie unter III. dargelegt - die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Asylberechtigung aus denselben Gründen nicht vor, die einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entgegenstehen.
V.
50 
Der Kläger hat auch nicht den von ihm hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Plausible Anhaltspunkte dafür, dass ihm in seiner Heimat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG drohen könnte, bestehen nach dem Gesagten nicht.
VI.
51 
Schließlich hat der Kläger auch nicht den weiter hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AsylG. Auch insoweit gilt, dass für den Senat kein Sachverhalt ersichtlich ist, der das Vorliegen der genannten Verbote zu begründen in der Lage wäre.
52 
Der Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist, hat insbesondere keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung und die mit einer Erkrankung verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Abschiebezielstaat verschlimmern, ist in der Regel als am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfende individuelle Gefahr einzustufen (BVerwG, Beschluss vom 23.07.2007 - 10 B 85.07 -, juris ; Urteile vom 17.10.2006 - 1 C 18.05 - juris , vom 29.07.1999 - 9 C 2.99 - juris , vom 25.11.1997 - 9 C 58.96 -, juris und vom 09.09.1997 - 9 C 48.96 -, juris ). Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen ausnahmsweise dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O. [bei HIV und Aids]). In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht zu erlangenden medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, Urteil vom 17.10.2006, a.a.O.).
53 
Ob die Zahl der in Togo an Diabetes mellitus Typ 1 leidenden Personen so groß ist, dass dies die Qualifizierung als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG rechtfertigt, kann dahinstehen. Denn jedenfalls lassen sich im vorliegenden Fall auch die weniger strengen Voraussetzungen der „erheblichen konkreten Gefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung nicht feststellen.
54 
Danach muss die Gesundheitsgefahr erheblich sein; die Verhältnisse im Abschiebezielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes, erwarten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.1999, a.a.O.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) mit Wirkung vom 17.03.2016 geänderten Fassung nachgezeichnet. Nach dieser Bestimmung liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, BT-Drs. 18/7538 S. 18 f.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
55 
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, a.a.O.).
56 
Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen. Solche Umstände können darin liegen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in dem Zielstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich trotz grundsätzlich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 - juris Rn. 9).
57 
An diesem Maßstab gemessen lässt sich eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht feststellen.
58 
Nach den Angaben des Klägers sowie dem im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 leidet der Kläger an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 1. Nach wie vor bestehe die medizinische Indikation zur Therapie mit Insulin und diese müsse auch dauerhaft durchgeführt werden.
59 
Nach den dem Senat vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist die Qualität der medizinischen Versorgung in der Republik Togo eingeschränkt. Jeder Arztbesuch muss sofort bezahlt werden, größere Eingriffe werden nur gegen Vorauskasse durchgeführt. Da weniger als 5 % der Bevölkerung krankenversichert sind, müssen die Kosten in der Regel privat getragen werden; das ist mangels ausreichender finanzieller Mittel für einen großen Teil der Bevölkerung sehr schwierig (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16.08.2011).
60 
In der Hauptstadt existieren mehrere private sowie staatliche Kliniken. Im Landesinneren gibt es für jede Region ein Regionalkrankenhaus sowie einige gute private Kliniken, die von Kirchen finanziert werden. Dort können überlebensnotwendige Eingriffe durchgeführt werden. Zahlreiche Gesundheitsvorsorgestellen, so genannte „Dispensaires“ (auch Medikamentenverkauf), bilden die erste Anlaufstelle auf dem Lande (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.).
61 
Die Versorgung mit Medikamenten ist in der Hauptstadt gewährleistet. Die Medikamente werden importiert und sind oft billiger als in Deutschland bzw. Frankreich. Prinzipiell können alle Medikamente innerhalb weniger Tage besorgt werden; in entlegenen Regionen kann es länger dauern. Der Erwerb hängt jedoch von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Patienten ab und bedeutet für sie in der Regel eine hohe Belastung. Insbesondere in den nördlichen Landesteilen ist außerhalb der Städte eine Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nicht immer gegeben (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.). Weiter einschränkend wird berichtet, dass es oft zu Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommt und es sehr lange dauern kann, bis die Medikamente geliefert werden. Auch ihre Lagerung entspricht oft nicht den Standards, und es kommt vor, dass abgelaufene Medikamente verkauft werden. Die WHO stellt zudem große Mängel bei der Qualitätskontrolle und der Bekämpfung des illegalen Verkaufs von Medikamenten fest (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Togo: Medizinische Versorgung, 16.07.2012).
62 
Obwohl es in Togo Ausbildungsstätten für medizinisches Personal gibt (Fakultät für Medizin und Arzneikunde, Schule für Krankenpflegerinnen und Hebammenschule), existieren große Personalengpässe (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
63 
Allgemein kann gesagt werden, dass nahezu alle Medikamente und medizinischen Dienstleistungen in Togo erhältlich sind, wenn der/die Patientin in der Lage ist, die oft hohen Preise selber zu bezahlen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.; Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation „Togo“, 20.07.2015).
64 
Die konkreten Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung von Personen, die an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus leiden, stellen sich wie folgt dar:
65 
Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.08.2011 kann Diabetes mellitus prinzipiell behandelt werden. Entsprechende Medikamente sind erhältlich, die erforderlichen Messgeräte vorhanden. Auch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lomé führt aus, dass insulinpflichtiger Diabetes mellitus in Togo gut behandelbar ist, eine Behandlung allerdings nur stattfindet, wenn der Patient die Kosten tragen kann (Auskunft vom 14.10.2015 an das Verwaltungsgericht Schwerin). In der oben genannten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.07.2012 heißt es, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich sei. Problematisch seien jedoch die hohen Behandlungskosten, was dazu führe, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo einen ungenügenden Zugang zu Insulin habe. Zu den Behandlungskosten wird ausgeführt, ein Bericht der WHO und der Organisation Health Action International stellte fest, dass der tiefste Preis für 10 ml Insulin im Jahr 2008 in Togo 7.70 US-Dollar betrug. Pro Monat muss ein Diabetiker, der 10 ml Insulin, sechs Spritzen und einen Blut-Teststreifen braucht, mit Ausgaben von mindestens zehn US-Dollar rechnen. Das nationale Pro-Kopf-Bruttoeinkommen betrug im Jahr 2010 490 US-Dollar. Das bedeutet, dass ein Togolese im Durchschnitt mindestens 24,5 % seines Jahreseinkommens für die Behandlung von Diabetes aufwenden muss. Die sehr hohen Kosten für die Diabetes-Behandlung erklären auch den ungenügenden Zugang zu Insulin für Diabetiker in Togo. Der Bericht der International Diabetes Federation hebt hervor, dass in Togo 50 bis 75 % aller Diabetiker keinen Zugang zu Insulin haben, weil es zu teuer ist.
66 
Angesichts dieser Erkenntnislage verkennt der Senat nicht, dass ein großer Teil der Diabetiker in Togo aus finanziellen Gründen nur einen unzureichenden Zugang zu Insulin und damit zu einer ausreichenden medizinischen Behandlung ihrer Erkrankung haben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.12.2013 - 7a K 5347/12.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 24.06.2008 - 7 A 1830/06 -, juris). Auf der Grundlage der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt geht der Senat indes davon aus, dass der Kläger dieser Gruppe aufgrund in seinem Falle bestehender Besonderheiten nicht angehört. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass für den Kläger eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG deshalb besteht, weil ihm individuell aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen die notwendige Behandlung oder Medikation nicht zugänglich ist.
67 
Nach seinen Angaben beim Bundesamt war der Kläger, der seinen Wohnsitz vor der Ausreise in der Hauptstadt Lomé hatte, seit der Feststellung der Erkrankung im Jahr 2012 bis zur Ausreise im Jahr 2016 in Behandlung eines Diabetologen. Von diesem sei er auch mit Tabletten und Insulin zum Spritzen versorgt worden. Seine Mutter und Großmutter, die ebenfalls an Diabetes litten, seien beim gleichen Arzt in Behandlung gewesen. Angesichts dieser Darstellung sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihm die vor der Ausreise aus Togo zugute gekommene fachärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten nach der Rückkehr aus finanziellen Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger dies weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat.
68 
Unabhängig davon kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der 34jährige arbeitsfähige Kläger, der seine wirtschaftliche Lage in Togo als „durchschnittlich“ bezeichnet hat, in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt - wie auch in der Vergangenheit - eigenständig sicherzustellen. Darüber hinaus verfügt er in Lomé über ein familiäres Umfeld: Seinen Angaben zufolge wohnen dort jedenfalls seine Mutter, seine Großmutter sowie seine Partnerin mit den gemeinsamen Kindern. Mit Blick auf die Erkenntnislage, wonach in Togo an die Stelle des Sozialstaats die Solidarität innerhalb der Großfamilie tritt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.10.2015 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen), kann der Kläger insoweit auch mit finanzieller Unterstützung rechnen (zur Einbeziehung einer möglichen Unterstützung durch Angehörige in die gerichtliche Gefahrenprognose vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 06.02.2012 - 10 B 3.12 -, juris, und vom 01.10.2001 - 1 B 185.01 -, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.08.2003 - 2 BvR 1064/03 -, juris). Mit in den Blick zu nehmen sein dürfte auch der Vater des Klägers. Auch wenn der Kläger bekundet hat, dass die Eltern seit langem getrennt leben und der Vater „zur Zeit“ nicht in Togo, sondern im Senegal lebt, hat er doch auch erklärt, mit diesem (wie auch mit seiner Mutter) von Zeit zu Zeit in telefonischem und in E-Mail-Kontakt zu stehen. Diesem Umstand kommt im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung zu, weil der Vater nach den Bekundungen des Klägers in Togo als Arzt tätig war. Insoweit spricht einiges dafür, dass er in Togo jedenfalls über einschlägige Kontakte verfügt, was dem Kläger bei der Therapie seiner Diabetes-Erkrankung zugute kommen kann. Überdies kommt auch eine wirtschaftliche Unterstützung durch den Vater in Betracht, zumal der Kläger diesen nach seinen Angaben beim Bundesamt offenbar bislang nicht mit seiner wirtschaftlichen Situation konfrontiert hatte. Die pauschale Angabe des Klägers, er habe ihn „nicht gefragt, weil ich weiß, dass er daran nichts machen könnte“, vermag der Senat jedenfalls nicht nachzuvollziehen.
69 
Im Übrigen ist es dem Kläger unbenommen, vorbeugend für einen Insulinvorrat noch in Deutschland bzw. (über seine Familie) in Lomé zu sorgen, welcher geeignet ist, die Versorgung in der Phase nach der Ankunft im Heimatland sicherzustellen bzw. zu erleichtern.
70 
Vor diesem Hintergrund wird auch mit dem Vortrag des Klägers, zur Rückzahlung eines für die von ihm betriebene Viehzucht aufgenommenen Darlehens nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, nicht ernsthaft in Frage gestellt, dass dem Kläger die notwendige Behandlung oder Medikation zugänglich ist.
71 
Erstmals im Berufungsverfahren hat der Kläger allerdings unter Vorlage des ärztlichen Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. vom 16.01.2017 geltend gemacht, die Therapie bisher in seinem Heimatland sei unzureichend gewesen. Die Versorgung mit Insulin könne dort nicht regelmäßig und ausreichend sichergestellt werden. Im Universitätsklinikum Heidelberg sei festgestellt worden, dass die bisherige Therapie in Togo absolut wirkungslos gewesen und eine neue Therapie begonnen worden sei. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ohne die Therapie liege die Lebenserwartung des Klägers bei max. 5 Jahren.
72 
Indes werden mit dem Attest jedenfalls keine hinreichend aussagekräftigen Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die in Togo durchgeführte fachärztliche Behandlung der Diabetes-Erkrankung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente tatsachlich in einem Maße unzureichend war, dass dies die Prognose rechtfertigen könnte, dem Kläger drohe alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung.
73 
Die Ausführungen im Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T. sind nicht geeignet, die oben beschriebene Erkenntnislage zur grundsätzlichen Verfügbarkeit der für eine zureichende Behandlung von Diabetes mellitus 1 erforderlichen Medikamente in Togo ernsthaft in Frage zu stellen. Dies gilt zunächst schon deshalb, weil Dr. T. die Quellen seiner Informationen über die Verhältnisse in Togo nicht offen legt. Dessen ungeachtet stimmen die oben aufgezeigten Erkenntnismittel im Kern darin überein, dass die Behandlung von Diabetes mellitus in Togo generell möglich (nach der Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé ist die Erkrankung sogar „gut behandelbar“) ist und entsprechende Medikamente - zumal in der Hauptstadt Lomé - erhältlich sind. Vor diesem Hintergrund zeigt das Attest hinreichend substantiierte und greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die von einem Diabetologen in der Hauptstadt Lomé durchgeführte Behandlung des Klägers einschließlich der verordneten Medikamente wirkungslos bzw. unzureichend gewesen sein soll, nicht auf. Solche Anhaltspunkte sind gerade auch auf der Grundlage der Bekundungen des Klägers beim Bundesamt zu der in Togo erfahrenen Behandlung nicht ersichtlich. Insbesondere hat er dort keinerlei Angaben gemacht, die darauf hindeuten, dass die - sich immerhin über einen Zeitraum von vier Jahren erstreckende - fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo seiner Beurteilung nach wirkungslos bzw. unzureichend, etwa zur Beseitigung bzw. Eindämmung der mit der Erkrankung einhergehenden Symptome nicht geeignet war. Auch hinsichtlich der Behandlung seiner Mutter und Großmutter hat er Entsprechendes nicht vorgetragen.
74 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Angabe im Attest, der Kläger habe bei seiner Ankunft in Deutschland ein HbA1c von 15 % gehabt, nach Umstellung der Therapie - nach den Angaben des Klägers beim Bundesamt hat der Arzt auf dem Gelände des Ankunftszentrums die Medikation umgestellt, ihm anderes Insulin gegeben, andere Anweisungen zum Spritzen - liege der Wert erfreulicherweise bei 8 %. Ein Untersuchungsbericht, anhand dessen diese Angaben nachvollzogen werden können, ist indes nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon stellt allein der Umstand, dass beim Kläger bei seiner Ankunft in Deutschland (einmalig) ein Wert von 15 % HbA1c gemessen worden sein soll, keinen ausreichenden Beleg dafür dar, dass die fachärztliche Behandlung und Medikation in Togo tatsächlich in einem rechtlich relevanten Ausmaß unzureichend war. Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Kläger während seiner fachärztlichen Behandlung in Togo vergleichbar hohe Blutzuckerwerte aufgewiesen hat wie bei seiner Ankunft in Deutschland. Deutlich gegen diese Möglichkeit sprechen - wie dargelegt - die Angaben des Klägers zur fachärztlichen Behandlung durch einen Diabetologen in Lomé und fehlende Angaben zu Anhaltspunkten für eine etwaige Wirkungslosigkeit der über mehrere Jahre erfolgten fachärztlichen Behandlung und Medikation. Im Übrigen liegen keine hinreichenden Erkenntnisse dazu vor, ob der Kläger im Zeitraum vor und auf der Reise nach Deutschland überhaupt ausreichend mit Medikamenten versorgt war bzw. er die Vorgaben zur regelmäßigen Einnahme der Medikamente bzw. zum regelmäßigen Spritzen einhielt bzw. einhalten konnte. Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf die vorhandenen, im Kern übereinstimmenden Erkenntnismittel sieht der Senat keinen Anlass, auf die Anregung des Kläger-Vertreters eine ergänzende Auskunft der deutschen Botschaft in Lomé einzuholen.
75 
Es ist danach nicht ersichtlich, dass Kläger sich nach der Rückkehr nicht wieder in die Behandlung seines Diabetologen begeben und dort mit diesem - auch unter Einbeziehung der dem Kläger in Deutschland ärztlicherseits vermittelten Informationen - die hinreichend wirksame Therapie seiner Erkrankung fortführen kann. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass davon auszugehen ist, dass er auf die Unterstützung seines früher in Togo als Arzt tätigen Vaters zurückgreifen kann.
76 
Bei einer Gesamtschau sämtlicher Umstände des Einzelfalls kann der Senat jedenfalls nicht mit der insoweit erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.02.2011 - 10 B 1.11 -, juris) feststellen, dass eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die Diabetes-Erkrankung des Klägers in Togo wegen des geringeren Versorgungsstandards nicht verfügbar ist und dies zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben des Klägers führt, dass also eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach seiner Rückkehr nach Togo droht. Der Senat schließt zwar - gerade auch mit Blick auf den Umstand, dass nach seiner Ankunft in Deutschland die Medikation umgestellt wurde - nicht aus, dass die dem Kläger in Togo für seine Erkrankung zur Verfügung stehende Behandlung und Medikation nicht den heute in Deutschland geltenden und praktizierten Standards entspricht. Indes ist der Umstand, dass die medizinische Versorgung in Togo möglicherweise mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist, für sich genommen nicht geeignet, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
VII.
77 
Die Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung und Fristsetzung - mit der durch die erfolgreiche Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gesetzlich (§ 37 Abs. 2 AsylG) auf 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlängerten Ausreisefrist - ist nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG.
VIII.
78 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
79 
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am 1. Januar 1998 in Kunar geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 10. April 2017, mit dem sein Asylantrag vom 20. Mai 2016 abgelehnt wurde.

Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die Zustellung des Bescheids am 12. April 2017. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrunglautet folgendermaßen:

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage bei dem

Verwaltungsgericht Regensburg

Haid Platz 1

93047 Regensburg

erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend. Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. …“

Am 4. Mai 2017 erhob der Kläger hiergegen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg zur Niederschrift unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen Klage. Wegen einer eventuell verspäteten Klageerhebung wies er darauf hin, dass er im letzten Monat erkrankt gewesen sei und nicht habe kommen können. Dies könne der Leiter seiner Gemeinschaftsunterkunft bestätigen. Zugleich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Beklagte entgegnete, es sei nicht belegt, dass der Kläger gesundheitlich außerstande gewesen wäre, rechtzeitig Klage einzureichen, und beantragte Klageabweisung.

Nach Anhörung des Klägers wurde die Klage mit Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Juni 2017 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klage sei nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids (§ 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) erhoben worden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 18.4.2017 – A 9 S 333/17 – NVwZ 2017, 1477) sei auch nicht davon auszugehen, dass die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:fehlerhaft sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO seien nicht glaubhaft gemacht worden.

Auf Antrag des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. August 2017 (13a ZB 17.30882) die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob die Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, zur Unrichtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung:führe, zugelassen.

Zur Begründung seiner Berufung verweist der Kläger unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 18.4.2017 a.a.O.) darauf, dass die Rechtsbehelfsbelehrung:unrichtig und die Klage damit nicht verfristet sei.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Juni 2017 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Es wird ausgeführt, eine Rechtsbehelfsbelehrung:sei zwar unrichtig im Sinn von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie einen irreführenden Hinweis aufweise, der generell geeignet sei, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig und in der richtigen Form einzulegen. Mit dem Verwaltungsgericht Schleswig (GB v. 2.6.2017 – 13 A 142/17 – juris), dem Verwaltungsgericht Berlin (U.v. 24.1.2017 – 21 K 346.16 A – juris) und dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (U.v. 13.6.2017 – A 5 K 2523/17- juris) werde davon ausgegangen, dass die Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ kein Hinweis auf die Erforderlichkeit einer schriftlichen Klageerhebung sei und insbesondere die mündliche Klageerhebung zur Niederschrift nicht ausschließe. Auch die Definition im Duden beschränke sich nicht auf die Schriftlichkeit, sondern lasse die Form offen. Aus der passivischen Formulierung ergebe sich ebenfalls nicht, dass der Kläger selbst für die Schriftform zu sorgen habe. Da der Kläger vorliegend den Weg der Klageerhebung zur Niederschrift gewählt habe, sei auch er gerade nicht vom Erfordernis einer schriftlichen Klageerhebung ausgegangen.

Auf die gerichtliche Anfrage vom 13. November 2017 hin haben sich die Parteien mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Klagefrist versäumt worden war.

Nach § 74 Abs. 1 AsylG muss die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden, wobei die Frist gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nur zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist.

Schon nach seiner eigenen Aussage hat der Kläger hier nicht innerhalb dieser Zwei-Wochen-Frist Klage erhoben. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Bescheid des Bundesamts vom 10. April 2017 wurde ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12. April 2017 zugestellt. Damit war die Klagefrist bereits abgelaufen, als er am 4. Mai 2017 beim Verwaltungsgericht Regensburg zur Niederschrift Klage erhoben hat.

Der Kläger kann sich auch nicht auf die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO berufen. Danach ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Bescheids zulässig, wenn die Belehrung unrichtig erteilt ist. Das ist hier nicht der Fall. Eine Rechtsmittelbelehrungist dann in diesem Sinn fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Entscheidend ist, welcher Eindruck bei einem (objektiven) Leser erweckt wird (stRspr., siehe nur BVerwG, B.v. 3.3.2016 – 3 PKH 5.15 – juris mit Verweis auf B.v. 31.8.2015 – 2 B 61.14 – NVwZ 2015, 1699; B.v. 16.11.2012 – 1 WB 3.12 – juris; U.v. 21.3.2002 – 4 C 2.01 – BayVBl 2002, 678). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Rechtsmittelbelehrungdes angefochtenen Bescheids genügt den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO. Als Rechtsbehelf ist richtig die Klage angegeben, die beim Verwaltungsgericht Regensburg binnen zwei Wochen einzureichen ist.

Allerdings beschränkt sich die Belehrung nicht auf diese gesetzlich notwendigen Vorgaben. Unter anderem ist zusätzlich angeführt, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss. Es ist zwar als solches nicht schädlich, auf Modalitäten der Rechtsmitteleinlegung hinzuweisen, über die nicht zwingend belehrt werden muss. Solche Hinweise dürfen aber – wie dargelegt – nicht unrichtig oder irreführend, d.h. geeignet sein, bei dem Betroffenen einen Irrtum hervorzurufen.

Einen solchen unrichtigen oder irreführenden Zusatz, der zu einer Unrichtigkeit im Sinn von § 58 Abs. 2 VwGO führen würde, enthält die vorliegende Rechtsbehelfsbelehrung:nicht. Zunächst ist der Hinweis auf das Erfordernis der deutschen Sprache nicht unrichtig, sondern gibt die Rechtslage zutreffend wieder. Nach § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Auch die zweite Variante – Irreführung – liegt hier nicht vor. Die Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ erweckt nicht den Eindruck, dass der Betroffene die Klage zwingend selbst in schriftlicher Form einreichen müsste, obwohl sie nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (wie hier OVG SH, B.v. 16.11.2017 – 1 LA 68/17 – juris, in dem bereits die grundsätzliche Bedeutung der Frage verneint wird; VG Augsburg, U.v. 10.8.2017 – Au 3 K 16.32597 – juris; VG Karlsruhe, GB v. 13.6.2017 – A 5 K 2523/17 – juris; VG Schleswig, GB v. 2.6.2017 – 13 A 142/17 – juris; VG Berlin, U.v. 24.1.2017 – 21 K 346.16 A – juris).

Das ergibt sich zunächst schon aus der Bedeutung des Verbs „abfassen“ in der deutschen Sprache, die nicht allein auf eine schriftliche Form abzielt. Nach Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen, abgerufen am 5.1.2018) wird unter „abfassen“ verstanden, dass einem vorgegebenen, nicht allzu umfangreichen Stoff die entsprechende sprachliche Form gegeben wird. Als Synonyme werden dort genannt anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen und (gehoben) niederlegen. Anders ausgedrückt bedeutet „abfassen“ somit, dass ein bestimmter Tatsachenstoff vom bloßen Gedanken in eine sprachliche Formulierung transportiert wird und so nach außen dringen kann. Über eine bestimmte Form ist damit noch nichts ausgesagt. Auch wenn die im Duden angeführten Synonyme in der Mehrzahl auf eine Verschriftlichung hindeuten, werden darüber hinaus andere Möglichkeiten genannt, wie etwa „formulieren“. Hinzu kommt, dass ein mit der deutschen Sprache, geschweige denn mit Fragen der semantischen Bedeutung und Auslegung einzelner Begriffe nicht vertrauter Ausländer sein Augenmerk zwangsläufig zuerst nicht auf die Form, sondern auf die Klageerhebung in deutscher Sprache richten wird. Sein originäres Problem wird die Frage sein, wie er dieses Erfordernis bewerkstelligen kann. In ähnlicher Weise argumentiert auch das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (B.v. 16.11.2017 – 1 LA 68/17 – juris), wenn es feststellt, dass eventuelle Unklarheiten nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung:, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis verursacht wären.

Zum gleichen Ergebnis führt eine Auslegung in Orientierung an der Verwendung und Bedeutung des Begriffs „abfassen“ durch den Gesetzgeber. Wie bei der juristischen Auslegung, etwa der Frage, was unter „schriftlich“ zu verstehen ist, allgemein üblich, muss auch hier an der Gesetzesformulierung („abfassen“) angesetzt werden. Diesen Begriff verwendet die Verwaltungsgerichtsordnung an mehreren Stellen, etwa in den §§ 117 ff. VwGO. Die gesetzlichen Formulierungen machen deutlich, dass der Gesetzgeber selbst unter „abfassen“ nicht nur die Schriftform im Sinn von § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vom Kläger eigenhändig unterschriebenes Schriftstück, siehe Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 81 Rn. 3) versteht, sondern auch die elektronische Form oder die Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO). So wird zum Beispiel in § 118 und § 119 Abs. 2 VwGO davon gesprochen, dass ein Urteil „elektronisch abgefasst“ ist. In § 117 Abs. 1 VwGO wird bestimmt, dass das Urteil „schriftlich abzufassen“ ist. Die Anfügung des Adverbs „schriftlich“ würde sich hier erübrigen, wenn sich das Schriftformerfordernis schon allein aus dem Wort „abfassen“ ergäbe. Diese Gesetzesformulierungen finden sich ähnlich lautend auch in weiteren Verfahrensordnungen.

Ein weiterer Grund dafür, dass hier keine Irreführung vorliegt, ist in der passivischen Formulierung „abgefasst“ zu sehen. Aus der Verwendung des Passivs wird deutlich, dass die Regelung nicht auf den Betroffenen zugeschnitten ist, der hier zwingend selbst tätig werden müsste. Er kann vielmehr auch andere Personen für sich tätig werden lassen, sei es einen Bevollmächtigten, sei es den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, bei dem er zur Niederschrift Klage erhebt.

Gerade im Fall des Klägers wird deutlich, dass der Zusatz keine Irreführung hervorgerufen hat. Er hat die Klage eben nicht schriftlich, sondern gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben. Auch die verspätete Klageerhebung begründete er damit, dass er wegen einer Erkrankung nicht (zu Gericht) habe kommen können. Das zeigt zweifelsfrei, dass der Kläger die Rechtsbehelfsbelehrung:nicht in dem Sinn (miss-)verstanden hat, er müsse selbst schriftlich Klage erheben.

Letztendlich geht wohl auch das Bundesverwaltungsgericht (B.v. 5.2.1990 – 9 B 506.89 – NJW 1990, 3103) nicht davon aus, dass der Zusatz missverständlich wäre. Im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag führt es nämlich aus, wer bewusst entgegen der ausdrücklichen Angabe in der Rechtsmittelbelehrung, dass eine einzulegende Klage in deutscher Sprache abgefasst sein müsse, eine Klageschrift in einer fremden Sprache einreiche, handle nicht „ohne Verschulden“. Auch wenn dort der Schwerpunkt darauf lag, ob eine Klageerhebung in einer anderen als der deutschen Sprache zu einem Verschulden im Sinn von § 60 VwGO führt, lässt sich dieser Entscheidung dennoch entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:gemäß § 58 Abs. 2 VwGO nicht in Frage gestellt hat.

Der gegenteiligen Meinung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 18.4.2017 – A 9 S 333/17 – NVwZ 2017, 1477) wird aus den genannten Gründen nicht gefolgt. Insbesondere ergibt sich weder aus dem Duden für das Verb „abfassen“ das zwingende Erfordernis einer schriftlichen Form, noch ist ersichtlich, weshalb sich der Formulierung bei einer Betrachtung aus der Sicht des Adressaten entnehmen lassen sollte, dass er selbst für die Schriftform zu sorgen hätte. Wenn sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zudem darauf stützt, der Rechtsbehelfsbelehrung:ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Betroffene nach der Verwaltungsgerichtsordnung auch die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch nehmen könne, ist dem entgegenzuhalten, dass dies auch bei einer vollständig „richtigen“ Rechtsbehelfsbelehrung:(ohne den streitgegenständlichen Zusatz) nicht der Fall ist. Darüber hinaus kann sich der Betroffene auch nicht generell darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrungsämtliche Modalitäten für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden (BVerwG, B.v. 31.8.2015 – 2 B 61.14 – NVwZ 2015, 1699).

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Auffassung vertreten, der Kläger habe innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO hierfür keine Gründe glaubhaft gemacht. Zwar hat er sich darauf berufen, erkrankt gewesen zu sein und deshalb nicht zu Gericht habe kommen zu können. Allerdings führt eine Erkrankung nicht zwangsläufig zu einem Entschuldigungsgrund. Dies könnte nur der Fall sein, wenn sie so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfange zu informieren (BVerwG, B.v. 27.9.1993 – 4 NB 35.93 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 185). Vorliegend hat der Kläger aber weder gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, dass ihm – wie schon vom Verwaltungsgericht dargelegt – eine schriftliche Klageerhebung nicht möglich gewesen wäre, noch dass er außerstande gewesen sein sollte, einen Bevollmächtigten zu beauftragen.

Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung:, dass eine Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. August 2017 – Au 3 K 16.32597 – wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. November 2016, mit dem sein als Zweitantrag im Sinn von § 71a AsylG gewerteter Asylantrag vom 12. Februar 2014 als unzulässig abgelehnt wurde. Die diesem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrunglautet folgendermaßen:

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von einer Woche nach Zustellung Klage bei dem

Verwaltungsgericht Augsburg

Kornhausgasse 4

86152 Augsburg

erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend. Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. …“

Die am 28. November 2016 beim Verwaltungsgericht eingegangene Klage gegen diesen Bescheid wurde nach Anhörung des Klägers mit Urteil vom 10. August 2017 wegen Versäumung der Klagefrist von einer Woche (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 71a Abs. 4, § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) als unzulässig abgewiesen.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 12. Oktober 2017 – 6 ZB 17.31314 – die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob die dem Bescheid angefügte Rechtsmittelbelehrungunrichtig im Sinn von § 58 Abs. 2 VwGO und die Klage damit nicht verspätet war.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. August 2017 abzuändern und den Bescheid des Bundesamtes vom 14. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 26. Januar 2018 gemäß § 130a VwGO – unter Übersendung einer Kopie des Urteils des 13a. Senats vom 10. Januar 2018 – 13a B 17.31116 – darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss in Betracht kommt, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten einstimmig nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

Die vom Kläger aufgeworfene und von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich beantwortete Frage, ob die (auch) dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes angefügte Rechtsmittelbelehrungwegen des darin enthaltenen Hinweises, die Klage müsse „in deutscher Sprache abgefasst“ sein, irreführend und damit unrichtig im Sinn von § 58 Abs. 2 VwGO ist, hatte zur Zulassung der Berufung geführt, nachdem sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dazu noch nicht geäußert hatte.

Inzwischen hat jedoch der 13a. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs durch das den Beteiligten bekannt gegebene Urteil vom 10. Januar 2018 – 13a B 17.31116 – diese Rechtsfrage entschieden. Danach ist eine Rechtsmittelbelehrung, die – wie vorliegend – über die gesetzlich notwendigen Vorgaben hinaus den zusätzlichen Hinweis enthält, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, weder unrichtig noch irreführend. Dieser Hinweis gibt vielmehr die Rechtslage zutreffend wieder, nachdem gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG Deutsch die Gerichtssprache ist. Die Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ erweckt auch nicht den Eindruck, der Betroffene müsse die Klage zwingend selbst in schriftlicher Form einreichen, obwohl sie nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann.

Den überzeugenden Ausführungen des 13a. Senats schließt sich der erkennende Senat an. Weitere, in der genannten Entscheidung etwa nicht berücksichtigte Gesichtspunkte zeigt der Kläger nicht auf.

Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 31. März 2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, kurdischer Volkszugehörigkeit und moslemischen (sunnitischen) Glaubens, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der Kläger ist nach eigenen Angaben am ... in Trpespi geboren und lebte vor seiner Ausreise aus Syrien in der Nähe von Quamishli. Er reiste nach eigenen Angaben am 17. September 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24. September 2013 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) einen Asylantrag. In der Niederschrift ist zu den Sprachkenntnissen des Klägers vermerkt: „Sprache (1.) Arabisch“ und „Sprache (2.) Kurdisch“. Dem Kläger wurde die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und allgemeine Verfahrenshinweise, einschließlich der Belehrung über die Regelungen in §§ 10, 25 Abs. 1 - 3 und 36 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG in deutscher und in arabischer Sprache gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt und in die kurdische Sprache mündlich übersetzt. Auf die „Wichtige Mitteilung“ wird Bezug genommen (Bl. 12 - 19 Beiakte A). Auszugsweise heißt es dort (Bl. 12 ff. Beiakte A):

3

Wichtige Mitteilung

4

- Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten
und
- Allgemeine Verfahrenshinweise

5

Sehr geehrte/r Antragsteller(in)
(...)

6

Achten Sie bitte auf die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, insbesondere auf die dort genannten Fristen. Nur innerhalb dieser Fristen können Sie gegen die Entscheidung bei dem angegebenen Verwaltungsgericht vorgehen.

7

Nach dem Asylverfahrensgesetz sind Sie verpflichtet, im Asylverfahren mitzuwirken.

8

Die Erfüllung der Mitwirkungspflichten ist für Sie äußerst wichtig, denn die Vernachlässigung Ihrer Mitwirkungspflichten kann zu empfindlichen Nachteilen führen.

9

Deshalb müssen Sie dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und im Falle eines Gerichtsverfahrens auch dem Verwaltungsgericht insbesondere jeden Wohnungswechsel umgehend mitteilen.

10

Im Asylverfahren müssen Ihnen von diesen Behörden oder vom Gericht Mitteilungen, Ladungen oder Entscheidungen übersandt werden. Die Übersendung erfolgt immer an die letzte Anschrift, die der Behörde oder dem Gericht mitgeteilt worden ist.

11

Wenn sich Ihre Anschrift geändert hat, ohne dass dies diesen Stellen bekannt geworden ist, wird die Mitteilung/Ladung/Entscheidung an Ihre alte Anschrift gesandt.

12

Das Gesetz bestimmt, dass diese Mitteilung/Ladung/Entscheidung auch dann wirksam ist, wenn Sie dort nicht mehr wohnen und daher von deren Inhalt keine Kenntnis erhalten.

13

Die Unterlassung der Mitteilung über Ihren Wohnungswechsel kann für Sie erhebliche Folgen haben, z.B. kann

14

- (...)
- die Entscheidung des Bundesamtes unanfechtbar werden, wenn Sie bei Entscheidungen die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels zum Gericht deshalb versäumen. Die Rechtsmittelfristen, die unbedingt eingehalten werden müssen, sind so bemessen, dass Sie ggf. sofort etwas unternehmen müssen (z.B. Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt). Ansonsten können Sie bei unanfechtbarer Entscheidung des Bundesamtes unter Umständen sofort abgeschoben werden.

15

Wichtig ist:

16

Teilen Sie den genannten Stellen jeden Wohnungswechsel mit. Dies gilt auch dann, wenn Ihnen von einer staatlichen Stelle ein neuer Wohnort und eine neue Unterkunft zugewiesen worden sind; denn die Zuweisungsbehörden sind in der Regel andere Behörden.
(...).“

17

Der Kläger wurde am 26. September 2013 von dem Bundesamt persönlich angehört. Ausweislich der Niederschrift (Bl. 33 Beiakte A) wurden u.a. die Angaben in Teil 1 der Niederschrift zum Asylantrag, zu denen auch die Anschrift gehört, mit dem Kläger abgeglichen.

18

Mit einem auch dem Bundesamt übermittelten Schreiben vom 18. Dezember 2013 teilte „fördern & wohnen“ dem Kläger mit, dass diesem im Wege der öffentlich-rechtlichen Unterbringung gemäß § 53 AsylVfG mit sofortiger Wirkung und befristet bis zu seiner Berechtigung, privaten Wohnraum anmieten zu können, ein Wohnplatz in der Wohnunterkunft (Gemeinschaftsunterkunft)... in Hamburg zur Verfügung gestellt werde. Das Schreiben ging beim Bundesamt ausweislich des Eingangsstempels am 23. Dezember 2013 sowie erneut am 13. Januar 2014 ein. Eine am unteren Rand des Schreibens sichtbare Datumsangabe eines Telefaxgerätes von „fördern & wohnen“ weist das Datum „17/12/2013“ auf. Auf die Schreiben (Bl. 38, 41 Beiakte A) wird ergänzend Bezug genommen.

19

Mit Bescheid vom 20. Januar 2014 gewährte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus und lehnte im Übrigen den Asylantrag ab. Dem Bescheid beigefügt ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, die nach dem Text des Bescheides „Bestandteil dieses Bescheides“ ist und in der es u.a. heißt (Bl. 51 Beiakte A):

20

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Klage bei dem Verwaltungsgericht Hamburg (...) erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.

21

Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagbegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland (...) zu richten. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten.

22

Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Bescheides anzugeben. (...)“

23

Dem Bescheid beigefügt ist zudem eine Übersetzung der Bescheidtenorierung (Bl. 48 Beiakte A) und der Rechtsbehelfsbelehrung (Bl. 49 Beiakte A) in arabischer Sprache. In dem deutschen Begleittext heißt es u.a. (Bl. 48 Beiakte A):

24

„Dies ist eine Übersetzung der Entscheidung über Ihr Asylgesuch. Sie soll Ihnen lediglich als Hilfe dienen, den Bundesamts-Bescheid richtig zu verstehen, ersetzt aber nicht den deutschsprachigen Bescheid. Maßgeblich für die Entscheidung in Ihrem Asylverfahren ist deshalb ausschließlich der Bescheid in der Amtssprache Deutsch.

25

1. Der subsidiäre Schutzstatus wird zuerkannt.

26

2. Im Übrigen wird der Asylantrag abgelehnt.

27

Auf der folgenden Seite finden Sie die Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung. Darin ist das Verfahren für eine Klage gegen die Bundesamtsentscheidung beschrieben und die Adresse des zuständigen Verwaltungsgerichts genannt. Auch die maßgebliche Rechtsbehelfsbelehrung ist ausschließlich die in der Amtssprache Deutsch, welche Bestandteil des deutschsprachigen Bescheides ist.“

28

Nach der vom Berufungsgericht veranlassten Rückübersetzung der Hinweise zu der Rechtsbehelfsbelehrung aus der arabischen Sprache (Bl. 157 d. Gerichtsakte - GA -) heißt es dort u.a.:

29

„Anweisungen bezüglich der Rechtsmittel a

30

Eine Klage kann gegen diesen Bescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung erhoben werden, bei dem Verwaltungsgericht Hamburg (...)

31

Das Eingangsdatum der Klage beim Verwaltungsgericht ist die Zeitgrenze der oben genannten Frist.

32

(Erste Version) in der Klage, die auf Deutsch geschrieben sein muss, muss der Kläger und die Beklagte sowie der Gegenstand der Klage erwähnt werden.

33

(Zweite Version) in der Klage, die auf Deutsch abgefasst sein muss, muss der Kläger und die Beklagte sowie der Gegenstand der Klage erwähnt werden.
(...).“

34

Nach der vom Berufungsgericht veranlassten Rückübersetzung der Hinweise zu der Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache (Bl. 158 GA) heißt es dort u.a.:

35

„Und auf den Pro-Seiten finden Sie die Übersetzung der Anweisungen bezüglich der Rechtsmittel. Darin finden Sie eine Aufklärung zum Verfahren, das durchgeführt werden muss, um eine Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes einzureichen, und auch die Adresse des zuständigen Verwaltungsgerichtes. Und ebenfalls ausschlaggebend in Bezug auf die Anweisungen bezüglich der Rechtsmittel sind in der Amtssprache Deutsch und keine anderen abgefasst, die als Bestandteil des deutschsprachigen Bescheides zu betrachten ist.“

36

Das Bundesamt versuchte ausweislich der Zustellungsurkunde am 30. Januar 2014 vergeblich, dem Kläger den Bescheid vom 20. Januar 2014 unter der Anschrift ..., ... Hamburg, zuzustellen. Als Grund für den erfolglosen Zustellungsversuch ist auf der Zustellungsurkunde (Bl. 62 Beiakte A) angekreuzt „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ (Ziffer 1.4.1 der Zustellungsurkunde). Ein „Anderer Grund“ (Ziffer 1.4.5. des Vordrucks) wurde nicht angekreuzt. In der Zustellungsurkunde ist handschriftlich eingefügt „Bescheid vom 20.01.2014“ sowie im Anschriftenfeld eine „11“ oder „M“ neben der Straßenbezeichnung „...“.

37

Der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, hat am 27. März 2014 Klage bei dem Verwaltungsgericht Hamburg erhoben, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO beantragt und die Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Zur Begründung hat er geltend macht, ihm sei Wiedereinsetzung in Bezug auf die versäumte Klagefrist zu gewähren, da ihm der Bescheid des Bundesamtes nicht zugestellt worden sei; die Ausländerbehörde Hamburg habe ihm den Bescheid am 24. März 2014 in Kopie ausgehändigt. Ihm stehe ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung zu.

38

Auf gerichtliche Anfrage vom 2. Juni 2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 18. Juni 2014 mitgeteilt, dass der Kläger am 20. Januar 2014 die Unterkunft ... verlassen habe und am 22. Januar 2014 in die Unterkunft ... gezogen sei. Auf gerichtliche Anfrage vom 4. August 2016 hat der Kläger am 27. September 2016 vorgetragen, dass die Leiterin der Unterkunft „...“ ihm auf seine Nachfrage mitgeteilt habe, dass er seine Adresse dem Bundesamt nicht mitteilen müsse, da dies die Heimleitung tue. Zudem hat er geltend gemacht, dass ohnehin die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gelte, da die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft sei. Mit der Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ werde dem Betroffenen unrichtiger Weise nahegelegt, die Klage müsse schriftlich erhoben werden.

39

Der Kläger hat beantragt,

40

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs.1 VwGO zu gewähren;

41

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20. Januar 2014 zu Ziffer 2., Geschäftszeichen: 5671536-475, zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bei dem Kläger vorliegen.

42

Die Beklagte hat beantragt,

43

die Klage abzuweisen.

44

Sie hat sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide bezogen und im Schriftsatz vom 8. April 2014 ergänzend vorgetragen, der Bescheid sei bzw. gelte als am 22. Januar 2014 zugestellt, die Klage sei verfristet.

45

Mit Urteil vom 31. März 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage sei nicht unter Einhaltung der Klagefrist erhoben worden. Eine Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Der Bescheid gelte gemäß § 10 Abs. 2 AsylG spätestens am Tag des vergeblichen Zustellungsversuchs als zugestellt. Durch die Zustellung habe die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu laufen begonnen. Insbesondere sei die Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Bescheid zutreffend. Die gewählte Formulierung, die Klage müsse in deutscher Sprache abgefasst sein, sei bei lebensnaher Betrachtung nicht irreführend. Insbesondere sei dieser Formulierung nicht zu entnehmen, die Klage könne ausschließlich schriftlich und nicht auch zur Niederschrift erhoben werden. Der fristgerecht gestellte Wiedereinsetzungsantrag habe keinen Erfolg. Es fehle bereits an Ausführungen dazu, weshalb der Eintritt der Zustellfiktion unverschuldet gewesen sei. Angesichts der Bedeutung der Mitteilung der neuen Anschrift für den Kläger und des geringen Aufwands der Mitteilung an die Beklagte habe der Kläger mindestens fahrlässig gehandelt, indem er sich auf das Angebot der Heimleitung verlassen habe, die Mitteilung an das Bundesamt vorzunehmen. Im Übrigen sei dieser Vortrag auch nicht rechtzeitig erfolgt, da er nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt sei, die mit der persönlichen Aushändigung des Bescheids am 24. März 2014 durch die Ausländerbehörde begonnen habe. Es handele sich nicht nur um eine Vertiefung des fristgerecht vorgetragenen Sachverhalts, sondern um das Nachschieben neuer Gründe. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 5. April 2017 zugestellt worden.

46

Der Kläger hat am 28. April 2017 die Zulassung der Berufung beantragt. Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen hat er vorgetragen, dass der in der Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Hinweis „Die Klage muss in deutscher Sprache abgefasst sein“ fehlerhaft sei; dies ergebe sich auch daraus, dass die in die kurdische Sprache (Kurdisch-Kumanci) übersetzte Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten vorsehe, dass die Klage „in deutscher Sprache geschrieben sein“ müsse.

47

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 20. Juni 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

48

Am 29. Juni 2017 hat der Kläger die Berufung dahingehend begründet, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts und der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig seien und ihn in seinen Rechten verletzten; ihm stehe ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Zur Begründung hat er auf das bisherige Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen.

49

Der Kläger beantragt,

50

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. März 2017 (8 A 1613/14) und unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 20. Januar 2014 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

51

Die Beklagte beantragt,

52

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

53

Die vom Berufungsgericht beauftragte Übersetzerin hat die möglichen Bedeutungen des im Arabischen verwendeten Verbes, das von ihr mit „geschrieben“ bzw. „abgefasst“ übersetzt worden ist, bezogen auf dessen Infinitivform („harra“) wie folgt angegeben (Bl. 157 GA):

54

„ausstellen, befreien, liberalisieren, ausfertigen, entledigen, erlösen, freigeben, schreiben, notieren, redigieren, freischalten, losmachen, bearbeiten, emanzipieren, edieren, freilassen, freisetzen, befreien, abfassen.“

55

In der mündlichen Verhandlung hat die Übersetzerin ergänzend erklärt, dass in der arabischen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung das Verb „harra“ im Passiv verwendet worden sei.

56

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen bisherigen Vortrag dahingehend ergänzt, dass ihm auch in der Unterkunft ... mitgeteilt worden sei, dass dort seine Post automatisch an die Unterkunft nach Bergedorf weitergeschickt werde, bis seine Adresse geändert worden sei. Auch habe man ihm dort mitgeteilt, dass alles automatisch geändert werde. In die Unterkunft ...sei er an einem Wochenende umgezogen. Bereits am darauffolgenden Montag habe man ihm dort erklärt, dass alles geändert worden sei. Er habe dann aber ca. 4 Wochen keine Briefe erhalten, mit Ausnahme der Mitteilungen des Sozialamtes. In der Unterkunft ... habe es ein Büro gegeben, in dem die Post abgegeben worden sei. Dort hätten sich alle Bewohner der Unterkunft ihre Post abgeholt.

57

Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 181 ff. GA) wird ergänzend Bezug genommen. Die Sachakten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

58

Die Berufung des Klägers ist zulässig (A.), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers zu Recht als unzulässig abgewiesen hat (B.).

A.

59

Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig.

60

1. Der Kläger hat innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung und damit fristgerecht i.S.d. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO die Berufung begründet. Die Berufungsbegründung genügt (noch) den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach muss die Begründung der Berufung die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Grundsätzlich ist insoweit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen aufzuführen, weshalb das angefochtene Urteil nach der Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.4.2001, 1 C 33.00, BVerwGE 114, 155, juris Rn. 10). Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers zwar nicht, da diese auf die Unzulässigkeit der Klage, auf die das Verwaltungsgericht die Klagabweisung gestützt hat, nicht eingeht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 8.3.2004, 4 C 6.03, NVwZ-RR 2004, 541, juris Rn. 21) soll es jedoch auch ausreichend sein, dass durch einen fristgerecht im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsatz hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will. Im Übrigen komme es wesentlich auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann es zur Berufungsbegründung auch genügen, dass der Berufungsführer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist durch einen gesonderten Schriftsatz erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält. Einer ausdrücklichen Bezugnahme auf das bereits im Antrag auf Zulassung der Berufung enthaltene Begehren und die dort genannten Gründe bedarf es insbesondere nicht, wenn sich beides aus dem Gesamtzusammenhang (Urteil erster Instanz, Antrag auf Zulassung der Berufung und Zulassungsbeschluss) hinreichend deutlich ergibt.

61

Ein solcher Fall liegt hier (noch) vor. Durch den mit Schriftsatz vom 28. Juni 2017 schriftsätzlich gestellten Berufungsantrag wird deutlich, dass der Kläger das Zulassungsverfahren als Berufungsverfahren fortführen will. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung gehen zwar nicht mehr auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils ein, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist, sondern allein auf die Begründetheit der auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage. Auch dürfte der im Schriftsatz vom 28. Juni 2017 enthaltene Verweis auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht auch als Verweis auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren verstanden werden können, da das Verwaltungsverfahren nicht das gerichtliche Verfahren und damit nicht das Zulassungsverfahren umfasst. Den im Berufungsverfahren allein geltend gemachten Gründen zur Begründetheit der Berufung, insbesondere zur Gewährung der Flüchtlingseigenschaft, kann jedoch entnommen werden, dass der Kläger (stillschweigend) die Klage zudem weiterhin - wie im Zulassungsverfahren geltend gemacht - für zulässig erachtet.

B.

62

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen. Die Klage ist verfristet erhoben worden (I.). Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in Bezug auf die Versäumung der Klagefrist zu gewähren (II.).

I.

63

Die Klage ist verfristet erhoben worden.

64

Nach § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG (jetzt: AsylG) muss die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes erhoben werden. Diese Klagefrist beginnt gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ist die Einlegung des Rechtsbehelfs regelmäßig (nur) innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig, wenn die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt ist.

65

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gilt dem Kläger spätestens am 30. Januar 2014 als zugestellt (1.). Der Bescheid kann nicht gemäß § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres angefochten werden. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung genügt den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO (2.); weder die in deutscher Sprache abgefasste Rechtsbehelfsbelehrung (3.) noch deren dem Bescheid beigefügte Übersetzung in arabischer Sprache sind unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO; eine unrichtige Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung könnte zudem allein - sofern die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen - einen Anspruch auf Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO in Bezug auf die Versäumung der Klagefrist begründen (4.). Die am 27. März 2014 erhobene Klage hält die zweiwöchige Klagefrist nicht ein (5.).

66

1. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 20. Januar 2014 gilt dem Kläger spätestens am 30. Januar 2014 als zugestellt.

67

Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG in der bei Bewirkung der Zustellung maßgeblichen Fassung - § 10 AsylVfG in der hier maßgeblichen Fassung vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474, gültig ab 1.12.2013) ist in Bezug auf die hier einschlägigen Regelungen mit § 10 AsylG in der ab dem 24. Oktober 2015 geltenden (aktuellen) Fassung (v. 20.10.2015, BGBl. I. S. 1722) text- und inhaltsgleich -, muss der Ausländer Zustellungen unter der letzten Anschrift gegen sich gelten lassen, wenn er, wie vorliegend der Kläger für das Verfahren vor dem Bundesamt, für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat, und wenn die letzte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt, § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG. Die für einen Eintritt dieser Zustellungsfiktion erforderlichen Voraussetzungen sind erfüllt:

68

a) Ausweislich der Zustellungsurkunde hat der Zusteller der Deutschen Post AG am 30. Januar 2014 vergeblich versucht, den Bescheid vom 20. Januar 2014 dem Kläger unter der Anschrift „...“ in Hamburg zuzustellen.

69

Diese Anschrift ist dem Bundesamt zuvor - entsprechend den Eingangsstempeln - am 23. Dezember 2013 bzw. 13. Januar 2014 mitgeteilt worden (vgl. Bl. 38, 41 Beiakte A); „fördern & wohnen“ hat das an den Kläger gerichtete Schreiben vom 18. Dezember 2013, mit welchem „fördern & wohnen“ dem Kläger mitteilt, dass für ihn ein Wohnplatz in der Gemeinschaftsunterkunft ... zur Verfügung steht, dem Bundesamt übermittelt. Sowohl am 23. Dezember 2013 als auch am 13. Januar 2014 wohnte der Kläger bereits in der Unterkunft ... Die auf beiden Schreiben am unteren Rand ersichtliche Telefaxeintragung mit der Datumsangabe „17/12/2013“ ist zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht dahingehend zu verstehen, dass die Schreiben bereits am 17. Dezember 2013 an das Bundesamt per Telefax übermittelt wurden. Hiergegen sprechen die abweichenden Eingangsstempel des Bundesamts; zudem fehlen die üblichen Eingangsdaten (Datum, Uhrzeit und Faxkennung) des Empfangsgerätes des Bundesamtes.

70

Die durch „fördern & wohnen“ mitgeteilte Anschrift „...“ (ohne Hausnummer) war zutreffend und ermöglichte eine eindeutige Zustellung von Schreiben. Unter der Anschrift ... war in Hamburg eine Containerunterkunft auf einem ehemaligen P&R-Gelände errichtet und betrieben worden, der keine Hausnummer zugeteilt war. Angesichts der nur geringen Häuserzahl in der Straße ..., die aus zwei Reihenhäusern (Häuser 3 und 5) sowie zwei Mehrfamilienhäusern (Häuser Nummer 7 und 9) besteht, war zur Überzeugung des Berufungsgerichts unzweifelhaft, dass die Anschrift „...“ ohne jegliche Hausnummer diejenige der Containerunterkunft war.

71

Ausweislich der Zustellungsurkunde erfolgte am 30. Januar 2014 ein erfolgloser Zustellversuch unter der Anschrift „...“ in Hamburg. Der Zusatz „M“ bzw. „11“ auf der Zustellungsurkunde steht dem nicht entgegen. Das Gericht kann bereits nicht sicher beurteilen, ob dieser Zusatz überhaupt einen Bezug zu dem danebenstehenden Straßennamen hat. Sollte dies der Fall sein, so wäre es die Konkretisierung der Hausnummer mit „11“, die nur vom Postzusteller vorgenommen worden sein könnte; dies wäre dann eine Fortführung der Häusernummerierung in der Straße und würde unterstreichen, dass der Zusteller das Schreiben der Gemeinschaftsunterkunft zugeordnet hat. Dem entspricht, dass als Grund der Nichtzustellung auf der Zustellungsurkunde vermerkt ist, dass der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Soweit der Kläger bezweifelt, dass der Zusteller ein Schreiben mit der Anschrift „...“ der Gemeinschaftsunterkunft zugeordnet hat, steht dem zur Überzeugung des Gerichts der Inhalt der Zustellungsurkunde entgegen. Dort ist vermerkt, dass der Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. In der Zustellungsurkunde ist insbesondere unter Ziffer 1.4.5. „Anderer Grund“ für die Nichtzustellung nicht angegeben, dass die Adresse zu unbestimmt sei oder die Adresse nicht ermittelt werden konnte. Die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde erbringt daher den vollen Beweis über den darin festgehaltenen Zustellungsvorgang (§ 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 ZPO; vgl. auch: § 98 VwGO i.V.m. § 418 ZPO).

72

Der Kläger hat nicht den Beweis erbracht, dass der erfolglose Zustellungsvorgang unrichtig beurkundet wurde, vgl. § 418 Abs. 2 ZPO. Das Berufungsgericht hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Beurkundung und sieht daher auch keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Für die Richtigkeit der Zustellungsurkunde spricht zunächst, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst berichtet hat, dass die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft ihre Post im Büro abholen konnten. Dies spricht bereits dafür, dass dort regelmäßig Post ankam und die Postzusteller die Anschrift zuordnen konnten. Da die Straße ... - wie ausgeführt - mit vier Häusern und der Gemeinschaftsunterkunft sehr übersichtlich ist und zudem auf den Briefen des Bundesamtes der Absender „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ gut sichtbar auf der Vorderseite angebracht ist (vgl. exemplarisch: Bl. 74 Beiakte A), ist auch deshalb davon auszugehen, dass ein Zusteller den Brief der Gemeinschaftsunterkunft zuordnen konnte, obwohl keine Hausnummer im Anschriftenfeld des Briefes angegeben war.

73

Der Umstand, dass regelmäßig Post in der Gemeinschaftsunterkunft ankam, spricht ebenfalls dafür, dass die Postzusteller in der Lage waren, das Büro der Gemeinschaftsunterkunft, in dem die Post abzugeben war, zu erkennen. Wie der Kläger ausgeführt hat, war das Büro vormittags geöffnet, es saßen dort zwei Praktikantinnen, im Büro lag Papier auf den Schreibtischen, so dass es als solches zu erkennen war. Die Vermutung des Klägers, dass das Büro von einem Postzusteller nicht gefunden worden sei, hält das Berufungsgericht für realitätsfern.

74

b) Der Kläger wurde am 24. September 2013 (Bl. 12 - 15 Beiakte A) mündlich (in kurdischer Sprache) auf die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylVfG hingewiesen. Ihm wurden diese zudem den Vorgaben des § 10 Abs. 7 AsylVfG entsprechend in deutscher und arabischer Sprache gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt (Bl. 12 - 19 Beiakte A; vgl. zum Erfordernis der Belehrung: Bergmann in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Auflage 2018, § 10 AsylG Rn. 30). Die Belehrung genügt den an sie zu stellenden Anforderungen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 8.7.1996, 2 BvR 96/95, DVBl. 1996, 1252).

75

§ 10 Abs. 4 AsylVfG kommt vorliegend nicht zur Anwendung, da die Anschrift, an die zugestellt wurde, die einer Gemeinschaftsunterkunft (vgl. § 53 AsylVfG) und nicht die einer Aufnahmeeinrichtung (vgl. §§ 46 ff. AsylVfG) ist. Eine Ersatzzustellung (vgl. § 10 Abs. 5 AsylVfG; hierzu: Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand März 2018, § 10 AsylG Rn. 87 sowie Rn. 256 ff.) an die Adresse der Gemeinschaftsunterkunft ... in Hamburg war nicht möglich, da der Kläger am 30. Januar 2014 dort nicht mehr wohnte (vgl. zur Ersatzzustellung an die Wohnadresse/Gemeinschaftsunterkunft: § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).

76

Die Aufgabe des Bescheides vom 20. Januar 2014 vom Bundesamt an die Post ist in der Asylakte nicht vermerkt. Das Anschreiben zum Bescheid (Bl. 50 Beiakte A) sowie weitere Schreiben im Zusammenhang mit dem Bescheid (Bl. 52, 56, 59 Beiakte A) datieren vom 22. Januar 2014. Dies bedeutet zwar nicht zwingend, dass das Schreiben auch an diesem Tag zur Post gegeben wurde. Vorliegend kann aber sicher davon ausgegangen werden, dass die Aufgabe zur Post spätestens am 30. Januar 2014 - dem Tag der Zustellung - erfolgt war, so dass der Bescheid jedenfalls an diesem Tag als zugestellt gilt. Das Unterlassen des Vermerks der Aufgabe zur Post führt nicht dazu, dass die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG nicht eintreten kann (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand März 2018, § 10 AsylG Rn. 271).

77

§ 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ist unionsrechtskonform (a.A. Bruns in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 10 AsylG Rn. 28). Die Regelung verstößt nicht gegen Art. 11 Abs. 2 lit. c) RL 2005/85/EG (jetzt: Art. 13 Abs. 2 lit. c) RL 2013/32/EU). Der dort aufgeführte Fall, dass die Mitgliedstaaten festlegen können, dass der Asylbewerber eine an den von ihm mitgeteilten letzten Aufenthaltsort erfolgte - bzw. an die mitgeteilte letzte Anschrift gerichtete - Mitteilung gegen sich gelten lassen muss, ist nicht abschließend, sondern ist nur eine ausdrücklich erwähnte Möglichkeit („Die Mitgliedstaaten können insbesondere ... festlegen“), wie die Mitgliedstaaten die Verpflichtung der Asylbewerber zur Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden regeln können; zu solchen Regelungen sind die Mitgliedstaaten in Art. 11 Abs. 1 RL 2005/85/EG ausdrücklich ermächtigt worden.

78

2. Die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 VwGO für den Beginn des Laufes einer Rechtsbehelfsfrist sind erfüllt.

79

Der Kläger ist in der allein maßgeblichen (hierzu unter 4.) deutschen Rechtsbehelfsbelehrung über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist (Verwaltungsgericht Hamburg), den Sitz des Gerichts und die einzuhaltende Frist (zwei Wochen) in deutscher Sprache (vgl. § 23 Abs. 1 VwVfG – die Amtssprache ist deutsch) belehrt worden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die in arabischer Sprache erfolgte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung diese Angaben enthält. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, wonach die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich; dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77.78, BVerwGE 57, 188, juris Rn. 22; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2017, 1 LA 68/17, juris Rn. 8).

80

3. Der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung (in deutscher Sprache), dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, ist nicht unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO.

81

Eine Rechtsmittelbelehrung ist dann unrichtig erteilt, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben nicht enthält, diese unrichtig wiedergibt oder wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Entscheidend ist, welcher Eindruck bei einem (objektiven) Leser erweckt wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.3.2016, 3 PKH 5.15 u.a., juris Rn. 6, mit Verweis auf Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61.14, NVwZ 2015, 1699, juris Rn. 8).

82

Der Hinweis, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss, entspricht der Vorgabe des § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG, wonach die Gerichtssprache deutsch ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist zudem nicht geeignet ist, bei einem objektiven Leser einen Irrtum über die formellen Voraussetzungen einer Klageerhebung hervorzurufen; sie erweckt insbesondere nicht den Eindruck, dass der Empfänger des Bescheides die Klage ausschließlich selbst in Schriftform bei Gericht einreichen muss, obwohl die Klage gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (wie hier u.a.: VGH München, Urt. v. 10.1.2018, 13a B 17.31116, NVwZ 2018, 838; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2017, 1 LA 68/17, juris; VG Greifswald, Urt. v. 7.2.2018, 3 A 1089/17 As HGW, juris Rn. 23; VG Berlin, Urt. v. 24.1.2017, 21 K 346/16.A, juris Rn. 21 ff.; VG Berlin, Beschl. v. 19.5.2017, 6 L 383.17 A, juris Rn. 12; VG Göttingen, Beschl. v. 23.1.2017, 3 B 90/17, juris Rn. 7 ff.; VG Oldenburg, Beschl. v. 20.10.2016, 15 B 5090/16, juris Rn. 9; vgl. auch: BVerwG, Beschl. v. 5.2.1990, 9 B 506.89, NJW 1990, 3103, juris Rn. 3; a.A. z.B.: VGH Mannheim, Urt. v. 18.4.2017, A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477, juris Rn. 27 ff.; VG Augsburg, Beschl. v. 3.12.2014, Au 7 S 14.50321, juris Rn. 19; VG Düsseldorf, GB v. 28.6.2016, 22 K 4119/15.A, juris Rn. 47 ff.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.2.2017, 3a K 4163/16.A, juris Rn. 20 ff.).

83

§ 81 Abs. 1 VwGO bestimmt, dass die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist; bei dem Verwaltungsgericht kann sie auch zu Protokoll des Urkundsbeamten erhoben werden. Gemäß § 55a Abs. 1 Satz 1 VwGO können die Beteiligten dem Gericht zudem elektronische Dokumente übermitteln. Bei Erhebung der Klage zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist zu berücksichtigen, dass auch dann die Klage „verschriftlicht“ erhoben wird. Denn erforderlich ist die wörtliche Protokollierung der Klage durch den Urkundsbeamten. Das Protokoll soll nochmals vorgelesen und vom Kläger genehmigt werden. Für die Wirksamkeit der Klageerhebung sind die (nochmalige) Verlesung, die Beurkundung der Verlesung und der Genehmigung und die Unterzeichnung des Protokolls durch den Kläger allerdings nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 20.12.1979, 1 StR 164/79, BGHSt 29, 173 , juris Rn. 16 - fernmündlich zur Niederschrift möglich; vgl. auch: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 81 Rn. 13). Notwendig ist aber die Protokollierung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. An dessen Unterschrift sind prinzipiell dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze durch einen Rechtsanwalt (BGH, Beschl. v. 20.12.1979, 1 StR 164/79, BGHSt 29, 173, juris Rn. 16; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., § 81 Rn. 13). Hingegen ist ein bloßer Aktenvermerk nicht ausreichend. Bei diesem Verständnis sind „schriftlich“ und „zu Protokoll“ keine gegensätzlichen Begriffe, vielmehr ist zu Protokoll des Urkundsbeamten eine Unterform der Schriftlichkeit (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 19.5.2017, 6 L 383.17 A, juris Rn. 26; Schübel-Pfister in: Gärditz, VwGO, 2. Auflage 2018, § 81 Rn. 34; Geiger in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 81 Rn. 11; Ortloff/Riese in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 81 Rn. 5).

84

Die in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Möglichkeiten der Klagerhebung beim Verwaltungsgericht setzen demnach voraus, dass die Klage dem Verwaltungsgericht in einer verschriftlichten Form vorliegen muss. Allerdings muss ein Kläger nicht zwingend selbst die Klage schriftlich beim Verwaltungsgericht einreichen.

85

Diese Rechtslage kommt in der vom Bundesamt in der Rechtsbehelfsbelehrung verwendeten Formulierung „Die Klage muss (...) in deutscher Sprache abgefasst sein“ zutreffend zum Ausdruck. Für das Berufungsgericht ist dabei von maßgeblicher Bedeutung die Verwendung des Verbes „abfassen“ im Passiv. Durch die Verwendung des Passivs wird nur eine Aussage dazu getroffen, dass die (verschriftlichte) Klage in deutscher Sprache verfasst sein muss, und es wird gerade keine Aussage dazu gemacht, wer die Klage verfassen bzw. die Klage in die Schriftform bringen muss; dies kann z.B. der Kläger, dessen Prozessbevollmächtigter oder eben der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts sein. Es wird zudem nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger selbst die Klage in schriftlicher Form einreichen muss. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Einbeziehung des vorangegangenen Satzes der Rechtsbehelfsbelehrung, wonach für die Rechtzeitigkeit der Klagerhebung der Tag des „Eingangs“ beim Verwaltungsgericht maßgebend ist. Denn der „Eingang“ bezieht sich ebenfalls auf den Eingang der verschriftlichten Form der Klage. Auch für die Klage, die zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben wird, ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.

86

Dass bei flüchtigem Lesen und/oder aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse unter Berücksichtigung des Empfängerkreises der Satz „Die Klage muss in deutscher Sprache abgefasst sein“ möglicherweise dahingehend missverstanden werden kann, dass der Empfänger des Bescheides selbst die Klage in deutscher Sprache abfassen oder diese bereits schriftlich beim Verwaltungsgericht einreichen muss, führt zu keiner anderen Bewertung (vgl. auch: VGH München, Urt. v. 10.1.2018, 13a B 17.31116, NVwZ 2018, 838, juris Rn. 31, 34; OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2017, 1 LA 68/17, juris Rn. 15). Insoweit ist vielmehr auf einen „objektiven Leser“ bzw. den „objektiven Empfängerhorizont“ abzustellen. Im Hinblick darauf kann die Eignung zur Irreführung daher auch nicht schon daraus geschlossen werden, dass andere Gerichte die Rechtsbehelfsbelehrung im Ergebnis für unrichtig befunden haben.

87

Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist zudem zu berücksichtigen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung erkennbar einen juristisch geprägten Text darstellt, der genau zu lesen und auszulegen ist. Diese Pflicht obliegt auch einem Asylantragsteller. In seiner spezifischen Verfahrenssituation wird er durch die ergänzenden Informationen, die das Bundesamt ihm gibt, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rechtsmittelfrist unbedingt eingehalten werden muss und so bemessen ist, dass ggf. sofort etwas unternommen werden muss. Wie der Asylantragsteller die Erhebung der Klage in deutscher Sprache bewerkstelligen will - z.B. durch ein eigenes Schreiben, durch Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt, durch Kontaktaufnahme mit der Öffentlichen Rechtsauskunftstelle oder durch Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts - obliegt seiner Entscheidung. Darüber besagt die Rechtsbehelfsbelehrung nichts. Ein Asylantragsteller hat daher nach Erhalt des Bescheides des Bundesamts zu entscheiden, ob er Klage erheben und wie er dies ggf. in deutscher Sprache bewerkstelligen will. Es spricht nach Ansicht des Berufungsgerichts auch viel dafür, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes regelmäßig durch die Empfänger genau so verstanden wird.

88

Da in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass allein die deutsche Fassung des Bescheides einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung maßgeblich ist, ist die in deutscher Sprache verfasste Rechtsbehelfsbelehrung auch nicht vor dem Hintergrund der arabischen Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung auszulegen.

89

Ergänzend kommt hinzu, dass das Verb abfassen zwar überwiegend, aber nicht allein auf eine schriftliche Form zielt. Nach Duden (https://www.duden.de/rechtschreibung/abfassen, abgerufen am 27.6.2018) wird unter „abfassen“ verstanden, dass einem vorgegebenen, nicht allzu umfangreichen Stoff die entsprechende sprachliche Form gegeben wird. Als Synonyme werden dort genannt anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, ausarbeiten, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen und (gehoben) niederlegen. Demnach bedeutet „abfassen“, dass ein bestimmter Tatsachenstoff vom bloßen Gedanken in eine sprachliche Formulierung transportiert wird und so nach außen dringen kann. Auch wenn die im Duden angeführten Synonyme in der Mehrzahl auf eine Verschriftlichung hindeuten, werden darüber hinaus andere Möglichkeiten genannt, wie etwa „formulieren“.

90

Der gegenteiligen Meinung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urt. v. 18.4.2017, A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477, juris Rn. 27 ff.) wird aus den genannten Gründen nicht gefolgt. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zudem darauf stützt, der Rechtsbehelfsbelehrung ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Betroffene nach der Verwaltungsgerichtsordnung auch die Unterstützung einer staatlichen Stelle in Anspruch nehmen könne, ist dem entgegenzuhalten, dass dies auch bei einer vollständig „richtigen“ Rechtsbehelfsbelehrung (ohne den streitgegenständlichen Zusatz) nicht der Fall ist. Darüber hinaus kann sich der Betroffene auch nicht generell darauf verlassen, dass in der Rechtsmittelbelehrung sämtliche Modalitäten für die Einlegung des Rechtsmittels genannt werden (BVerwG, Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61.14, NVwZ 2015, 1699, juris Rn. 11).

91

4. Die Klage durfte auch nicht deshalb nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres erhoben werden, weil die in arabischer Sprache beigefügte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig wäre. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache ist nicht unrichtig (a). Selbst wenn das Berufungsgericht diese als unrichtig ansehen würde, so käme nicht § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung; stattdessen wäre bei einem hierauf beruhenden Irrtum, der zur Versäumnis der Klagefrist geführt hätte, ggf. gemäß § 60 VwGO unter den dort genannten Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (b).

92

a) Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache ist zutreffend.

93

Nach der (Rück-)Übersetzung lautet der hier streitige Satz, dass die Klage in deutscher Sprache „geschrieben“ bzw. „abgefasst“ sein muss. In der dem Bescheid beigefügten Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache ist für „geschrieben“ bzw. „abgefasst“ das arabische Verb „harra“ in der Passivform verwendet worden, das eine Vielzahl von Bedeutungen hat und u.a. mit schreiben, abfassen, ausstellen oder ausfertigen übersetzt werden kann. In dieser Bedeutungsbreite entspricht es nahezu dem in der deutschen Fassung verwendeten Verb „abfassen“. Da das Verb zudem im Passiv verwendet wurde, handelt es sich um eine der deutschen Fassung entsprechende und damit zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung.

94

Selbst wenn das Berufungsgericht unterstellen würde, dass das Verb „harra“ nur mit „schreiben“ zu übersetzen wäre, wäre die arabische Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend. Denn auch dann käme durch die Verwendung des Passivs zum Ausdruck, dass die Klage in der verschriftlichten Form in Deutsch verfasst sein muss. Es wird gerade nicht der Eindruck erweckt, dass ein Empfänger des Bescheides die Klage selbst in geschriebener Form einreichen muss.

95

b) Selbst wenn das Berufungsgericht unterstellen würde, dass die arabische Übersetzung der deutschen Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO wäre, so hätte dies nicht zur Folge, dass § 58 Abs. 2 VwGO zur Anwendung käme. Vielmehr bestünde dann allein die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl.: VG Berlin, Beschl. v. 19.5.2017, 6 L 383.17 A, juris Rn. 29; VG Stuttgart, Beschl. v. 17.5.2011, A 4 K 634/11, InfAuslR 2011, 311, juris Rn. 4; Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand März 2018, § 31 Rn. 11 und § 74 AsylG Rn. 92; a.A. - Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO: VG Minden, Urt. v. 5.6.2015, 6 K 182/15.A, juris Rn. 21; VG Köln, Urt. v. 27.11.2014, 23 K 4781/13.A, juris Rn. 21; VG Meiningen, Urt. v. 7.3.2014, 1 K 20235/11 Me, S. 5 f. UA, juris; VG München, Urt. v. 29.11.2013, M 2 K 13.30275, juris Rn. 26; VG Münster, Urt. v. 25.8.2008, 6 K 1836/07.A, juris Rn. 11; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2018, § 31 AsylG Rn. 11; Schröder in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 31 AsylG Rn. 16; Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 31 Rn. 5).

96

In dem angefochtenen Bescheid wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die maßgebliche Rechtsbehelfsbelehrung ausschließlich die in der Amtssprache Deutsch ist. Der Hinweis auf die allein maßgebliche deutsche Fassung des Bescheides einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung ist zutreffend und sinnvoll; eine Übersetzung in eine andere Sprache birgt die Gefahr, dass das deutsche Wort nicht genau identisch in der ausländischen Sprache vorhanden ist bzw. dort nicht vollständig identisch wie im Deutschen verwendet wird.

97

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Bestimmung der Maßgeblichkeit der deutschen Fassung des Bescheides einschließlich der Rechtsbehelfsbelehrung verstößt weder gegen die Vorgaben des § 31 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 AsylG (aa) noch gegen das dieser Regelung zugrunde liegende Unionsrecht (bb).

98

aa) Der Hinweis auf die Maßgeblichkeit der deutschen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung steht im Einklang mit § 31 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 AsylG. Die Vorschrift lautet:

99

„Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist [der Entscheidung des Bundesamtes] eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis [durch den Asylbewerber] vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann;“

100

Bereits die in der gesetzlichen Regelung verwendete Wortwahl spricht dafür, dass allein die deutsche Fassung maßgeblich ist, weil der Entscheidung des Bundesamtes (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylG) eine „Übersetzung“ „beizufügen“ ist. Die Regelung fordert gerade nicht, dass die Entscheidung bzw. die Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes in einer Sprache zu ergehen hat, deren Kenntnis durch den Asylbewerber vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Bereits der Begriff der „Übersetzung“ legt nahe, dass die deutsche Bescheidfassung maßgeblich ist. Das Wort „beifügen“ unterstützt dies.

101

Dieser Auslegung entspricht die Gesetzeshistorie. Die Regelung wurde als § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG mit Wirkung ab dem 28. August 2007 auf der Grundlage von Artikel 10 Abs. 1 lit. e) RL 2005/85/EG des Rates (jetzt: Art. 12 Abs. 1 lit. f) RL 2013/32/EU) eingefügt. In der Begründung des der Einführung der Regelung zu Grunde liegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BT-Drs. 16/5065 v. 23.4.2007, S. 217) heißt es (Unterstreichung nur hier):

102

„Die Ergänzung in Absatz 1 Satz 2 und der neu eingefügte Satz 3 erster Halbsatz entsprechen der Regelung des Artikels 10 Abs. 1 Buchstabe e der Verfahrensrichtlinie. Die Regelung sieht vor, dass Asylbewerber, die nicht von einem Bevollmächtigten vertreten werden, über das Ergebnis der Entscheidung und mögliche Rechtsbehelfe in einer Sprache unterrichtet werden, von deren Kenntnis ausgegangen werden kann. Die Unterrichtung kann sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen.“

103

Auch hieraus wird deutlich, dass lediglich eine „Unterrichtung“ über das „Ergebnis der Entscheidung“ in einer Sprache erfolgen soll, von deren Kenntnis ausgegangen werden kann, nicht aber die Entscheidung selbst in einer Sprache zu ergehen hat, von deren Kenntnis ausgegangen werden kann.

104

bb) Diese Auslegung des § 31 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 AsylG verstößt nicht gegen Unionsrecht.

105

(1) Die Auslegung entspricht den Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinien. Sowohl Art. 10 Abs. 1 lit. e) RL 2005/85/EG als auch Art. 12 Abs. 1 lit. f) RL 2013/32/EU sehen eine Unterrichtung des Antragstellers über das Ergebnis der Entscheidung in einer Sprache vor, von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass der Antragsteller diese verstehen könne; die Mitteilung muss auch Informationen darüber enthalten, wie die ablehnende Entscheidung angefochten werden kann. Es ist lediglich von einer „Unterrichtung“ bzw. in Bezug auf die Rechtsbehelfe ausdrücklich von „Informationen“ die Rede, nicht gefordert ist aber, dass der Bescheid bzw. die Rechtsbehelfsbelehrung selbst in einer Sprache ergehen müssen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Für diese Auslegung spricht auch, dass Art. 10 RL 2005/85/EG und Art. 12 RL 2013/32/EU Verfahrensgarantien für die Antragsteller regeln, während in Art. 9 RL 2005/85/EG bzw. Art. 11 RL 2013/32/EU die Anforderungen an die Entscheidung der Asylbehörde geregelt sind. Art. 9 RL 2005/85/EG bzw. Art. 11 RL 2013/32/EU bestimmt insoweit zwar, dass die Entscheidungen über die Anträge schriftlich zu ergehen haben, die rechtlichen Gründe für eine Ablehnung darzulegen sind und unter den dort genannten Voraussetzungen auch eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung zu ergehen hat. Dort gerade nicht geregelt ist aber die Verpflichtung zu einer Information über den Rechtsbehelf in einer für den Antragsteller verständlichen Sprache.

106

(2) Diese Auslegung steht zudem mit den Erwägungsgründen der Asylverfahrensrichtlinien im Einklang.

107

Im maßgeblichen Erwägungsgrund 13 der RL 2005/85/EG bzw. Erwägungsgrund 25 der RL 2013/32/EU heißt es lediglich, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz dem Antragsteller in der Regel zumindest das Recht einräumen sollte, in entscheidenden Verfahrensabschnitten in einer Sprache, die er versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden kann, dass er sie versteht, über seine Rechtsstellung informiert zu werden. Erwägungsgrund 25 der RL 2013/32/EU erwähnt zusätzlich das Recht, im Fall einer ablehnenden Entscheidung über einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht informiert zu werden.

108

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in Erwägungsgrund 27 der RL 2005/85/EG bzw. in Erwägungsgrund 50 der RL 2013/32/EU darauf hingewiesen wird, dass einem „Grundprinzip des Unionsrechts zufolge“ bzw. „Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts zufolge“ gegen die Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz ein wirksamer Rechtsbehelf vor einem Gericht gegeben sein muss.

109

Durch die oben aufgezeigte Auslegung von § 31 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 AsylG wird dem Zweck der Asylverfahrensrichtlinien entsprochen und der Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts beachtet. Art. 10 Abs. 1 lit. e) RL 2005/85/EG bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. f) RL 2013/32/EU sollen einen fairen Umgang mit schutzsuchenden Antragstellern gewährleisten, die gerade auch der regelmäßig verletzlichen Situation eines Schutzsuchenden, die oft gekennzeichnet ist durch Flucht und Ankunft in einem fremden Land, Rechnung trägt. Dieses Ziel der Richtlinien erfordert nicht, dass der im Rechtsverkehr für alle Behörden maßgebliche Bescheid bzw. dessen Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache abgefasst sein muss, die der Schutzsuchende, nicht aber die beteiligten weiteren Behörden verstehen. Allerdings können fehlerhafte Übersetzungen nicht dem schutzsuchenden Asylantragsteller angelastet werden, sondern begründen für diesen regelmäßig binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses ein Recht auf Wiedereinsetzung. Das Erfordernis, sich an das Gericht zu wenden und diese Situation darzulegen, ist dem Schutzsuchenden zumutbar und wird in entsprechenden Situationen auch anderen Rechtsschutzsuchenden zugemutet. In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Schutzsuchenden in ihrer Situation an einen Rechtsanwalt oder auch an die Öffentliche Rechtsauskunftstelle wenden können, um Rechtsrat einzuholen. Dass in einer solchen Situation Eile geboten ist, versteht sich aus sich heraus. Hierauf wurde in der „Wichtigen Mitteilung“, die dem Kläger am 24. September 2013 auch in arabischer Sprache ausgehändigt wurde, zudem ausdrücklich hingewiesen.

110

(3) Diese Auslegung verstößt auch nicht gegen das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip. Der Europäische Gerichtshof hat zum Äquivalenzprinzip ausgeführt (EuGH, Urt. v. 19.9.2006, C-392/04 u.a., Arcor, Slg. 2006 I-8559 Rn. 57):

111

„Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats sind; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzprinzip), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip) (vgl. insbesondere Urteile vom 16. Mai 2000 in der Rechtssache C-78/98, Preston u. a., Slg. 2000, I-3201, Randnr. 31, und vom 7. Januar 2004 in der Rechtssache C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723, Randnr. 67).“

112

Dieser Grundsatz ist nicht verletzt. Hätte nach deutschem Recht eine (ergänzende) Information zu einem Rechtsbehelf zu erfolgen, wäre allein § 60 VwGO anwendbar, wenn diese (ergänzende) Information missverständlich formuliert wäre.

113

5. Da der angefochtene Bescheid als am 30. Januar 2014 zugestellt gilt, endete die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 13. Februar 2014. Die am 27. März 2014 erhobene Klage hält diese Frist nicht ein.

II.

114

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO in Bezug auf die versäumte Klagefrist liegen nicht vor, da der Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist keine die Wiedereinsetzung tragenden Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht hat.

115

Nach § 60 VwGO ist auf Antrag oder von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist bei Versäumung einer Klagefrist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Frist von zwei Wochen ist nicht nur die versäumte Verfahrenshandlung (vorliegend die Erhebung der Klage) nachzuholen, sondern es sind auch die Wiedereinsetzungsgründe geltend zu machen; die Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe - d.h. des Hinderungsgrundes und des Vortrags, wann der Hinderungsgrund weggefallen ist, - kann im Laufe des Wiedereinsetzungsverfahrens erfolgen, ohne dass insoweit eine Fristbindung besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.1981, 6 CB 91/80, DÖV 1981, 636, juris Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 60 Rn. 29, 32).

116

Der anwaltlich vertretene Kläger hat die Klage am 27. März 2014 erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist geltend gemacht. Als Wiedereinsetzungsgrund hat der Kläger vorgetragen, dass ihm der Bescheid des Bundesamtes erst am 24. März 2014 von der Ausländerbehörde in Kopie ausgehändigt worden sei und weiter vorgetragen, dass eine Wiedereinsetzung zu gewähren sei, weil „Der Bescheid wurde dem Kläger nicht zugestellt“. Dies ist - wie ausgeführt - nicht zutreffend.

117

Das spätere Vorbringen des Klägers zur Wiedereinsetzung, die Leiterin der Unterkunft „...“ habe ihm auf seine Nachfrage mitgeteilt, dass er seine Adresse dem Bundesamt nicht mitteilen müsse, die Heimleitung würde dies tun, seine weiteren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung hierzu sowie zu den Auskünften der Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft ... können - ihre Richtigkeit unterstellt - bereits deshalb die Wiedereinsetzung nicht begründen, weil diese Ausführungen nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemacht worden sind. Entsprechend den obigen Ausführungen ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses auch zu begründen. Vorliegend dürfte das Hindernis am 24. März 2014 mit Aushändigung des Bescheides durch die Ausländerbehörde, spätestens aber mit Übermittlung der Stellungnahme des Bundesamtes, wonach der Bescheid dem Kläger bereits im Januar 2014 zugestellt worden sei, weggefallen sein. Das hier streitige klägerische Vorbringen erfolgte deutlich nach Ablauf der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist.

118

Der mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung erfolgte Vortrag des Klägers, die Rechtsbehelfsbelehrung in kurdischer Sprache bzw. sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung, die Rechtsbehelfsbelehrung in arabischer Sprache sei fehlerhaft, ist ebenfalls nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung in Kurmanci ist zudem dem Kläger nicht übermittelt worden. Die vom Kläger vorgetragene (Rück-)Über-setzung aus der Rechtsbehelfsbelehrung in Kurmanci entspricht zudem der (Rück-)Über-setzung des arabischen Textes und ist nicht fehlerhaft. Ein mögliches Verschulden des Rechtsanwalts an der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist ist dem Kläger zuzurechnen, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO.

C.

119

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen (vgl. auch: VGH München, Urt. v. 10.1.2018, 13a B 17.31116, NVwZ 2018, 838, juris Rn. 36).

Tenor

I. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. A. in R. bewilligt.

II. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO, § 114, § 115, § 119 Abs. 1 Satz 1, § 121 ZPO.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Juni 2017 ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).

Der Kläger wirft die Frage auf, ob „die ablehnenden Bescheiden im Asylverfahren regelmäßig angefügte Rechtsbehelfsbelehrung:mit der Formulierung, dass die Klage ‚in deutscher Sprache abgefasst sein‘ muss, unrichtig im Sinne des § 58 III VwGO“ ist. Diese Frage – richtigerweise betreffend § 58 Abs. 2 VwGO – wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (siehe VGH BW, U.v. 18.4.2017 – A 9 S 333/17 – Asylmagazin 2017, 197) und ist vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden.

Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichterin - vom 12. September 2017 sowie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.

1

Der 1993 oder 1997 geborene Kläger aus Somalia wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags und die Anordnung seiner Abschiebung nach Schweden. Er reiste zunächst nach Schweden ein, sodann nach Deutschland, wo er am 15.11.2016 einen Asylantrag stellte. Ein Übernahmeersuchen der Beklagten wurde von der schwedischen Behörde (Migrationsverket) am 13.01.2017 akzeptiert. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.02.2017 den Asylantrag ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote bestehen und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. Die Aufforderung des Klägers, den Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist aufzuheben, lehnt die Beklagte ab. Seine am 15.08.2017 eingegangene Klage hat das Verwaltungsgericht (Einzelrichterin der 5. Kammer) mit Gerichtsbescheid vom 12.09.2017 als unzulässig abgewiesen, da die einwöchige Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Die dem Bescheid vom 24.02.2017 beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei korrekt, insbesondere sei die Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage schriftlich erhoben werden müsse. Sie schließe insbesondere eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache sei richtig.

2

Der Kläger erstrebt die Zulassung der Berufung. Er meint, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht bislang noch nicht über die Rechtsfrage entschieden habe, ob eine Rechtsmittelbelehrung mit der Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist.

II.

3

1. Der Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ist abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Erfolgsaussichten hat (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).

4

2. Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Frage, ob die in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Bescheid der Beklagten vom 24.02.2017 enthaltene Formulierung, wonach die Klage „… in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss, im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO unrichtig ist, ist nicht grundsatzbedeutsam (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Sie bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das wird auch durch das in der Begründung des Zulassungsantrags in Bezug genommene Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (A 9 S 333/17, NVwZ 2017, 1477) nicht in Frage gestellt.

5

2.1 Die Rechtsbehelfsbelehrung wurde richtig erteilt.

6

Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO muss über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt werden. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt worden.

7

Soweit die Rechtsbehelfsbelehrung auch auf das Erfordernis der Klageerhebung „in deutscher Sprache“ hinweist, ist auch dies richtig (vgl. § 55 VwGO, § 184 GVG).

8

Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, wonach die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, ist nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich; dies entspricht gefestigter Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77.78, BVerwGE 57, 188 [bei Juris Rn. 22]; vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 58 Rn. 43 m. w. N.). Dazu gehört auch eine Angabe dazu, wie die Klage „abgefasst“ sein muss, denn sie betrifft das - nach § 58 Abs. 1 VwGO gesetzlich nicht geforderte - Formerfordernis einer Klageerhebung. Das begründet keine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung.

9

2.2 Angaben in einer Rechtsbehelfsbelehrung, die von den oben genannten Mindestanforderungen gemäß § 58 Abs. 1 VwGOnicht umfasst sind, können nur dann zu einer Unrichtigkeit i. S. d. § 58 Abs. 2 VwGO führen, wenn siegeeignet sind, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch davon abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Das ist in der Rechtsprechung geklärt (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, 4 C 2.01, DVBl. 2002, 1553 [zu einer „Vielzahl“ von Informationen in der Belehrung], BVerwG, Beschl. v. 03.03.2016, 3 PKH 5.15, Juris [zu einem irreführenden Zusatz], BVerwG, Beschl. v. 16.11.2012, 1 WB 3.12, NZWehrR 2013, 168 [bei Juris Rn. 14: zu einem Zusatz zu der Stelle, bei der die Beschwerde eingelegt werden kann]; vgl. dazu auch Meissner/Schenk, a.a.O., Rn. 44).

10

Der hier verwendeten Formulierung, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein muss, fehlt eine Eignung im o. g. Sinne.

11

2.2.1 Hinsichtlich der (semantischen) Bedeutung des Wortes „abfassen“ fehlt schon die Möglichkeit, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen. Das Verb „abfassen“ bringt nur zum Ausdruck, dass die Klage ausformuliert erhoben werden muss. Indem die Rechtsbehelfsbelehrung die passive Form verwendet, ist für den objektiven Empfängerhorizont erkennbar, dass die Ausformulierung nicht nur durch den Kläger selbst (oder dessen Anwalt) erfolgen muss. Eine Klage ist auch dann (in deutscher Sprache) „abgefasst“, wenn dies in Form einer Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geschieht. Die Klageerhebung zur Niederschrift ist eine Unterform der schriftlichen Klageerhebung. Eine Niederschrift dokumentiert das persönlich erklärte Rechtsschutzbegehren des Klägers, das von dem Urkundsbeamten pflichtgemäß entgegenzunehmen und schriftlich zu fixieren ist. Insoweit genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten. Mit Abschluss des Protokolls über die Niederschrift ist die Klage erhoben und damit rechtshängig (vgl. Ortloff/Riese, in: Schoch u. a., VwGO, 2016, § 81 Rn. 10).

12

2.2.2 Selbst wenn man - dem (im Zulassungsantrag zitierten) Urteil des VGH Mannheim vom 18.04.2017 (a.a.O., bei Juris Rn. 30) folgend - annehmen wollte, dass der objektive Empfängerhorizont eines Bescheidempfängers „… abgefasst“ sprachlich im Sinne einer selbst veranlassten (eigenhändigen) Klageerhebung verstehen werde, würde der Bescheidempfänger dadurch nicht von einer Klageerhebung überhaupt oder einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten. Dafür genügt allein ein fehlender Hinweis auf die nach § 81 Abs. 1 VwGO zulässige Alternative einer Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht.

13

Ob die Annahme, wegen des unterbliebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Klageerhebung zur Niederschrift werde „die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise erschwert (VGH Mannheim, a.a.O. bei Juris Rn. 30) zutrifft, kann offen bleiben, weil eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung (erst) dann anzunehmen ist, wenn sie geeignet ist, den Betroffenen von einer Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten (BVerwG, Urt. v. 21.03.2002, a.a.O.). Dafür ist mehr erforderlich als eine bloße Erschwernis der Rechtsverfolgung, zumal dann, wenn eine solche (unterstellte) Erschwernis in zumutbarer Weise überwindbar ist.

14

Bei den hier in Betracht kommenden Alternativen - schriftliche Klageerhebung oder Klageerhebung zur Niederschrift - ist überdies fraglich, ob die zweite Alternative überhaupt eine „Erschwernis“ der Rechtsverfolgung bewirkt. Um eine Klage zur Niederschrift zu erheben, müsste sich der Rechtsschutzsuchende zum Gerichtsort begeben und dort die Rechtsantragsstelle aufsuchen. Dies mag erklären, dass diese Vorgehensweise in der (asylrechtlichen) Praxis (sehr) selten vorkommt. Die Erwägung, dass sich ein Rechtsschutzsuchender bestimmten, in der Rechtsbehelfsbelehrung genannten (zusätzlichen) Anforderungen „nicht gewachsen“ fühlen und sich so davon abhalten lassen könnte, eine an sich gewünschte Klage zu erheben, bezieht sich auf ganz andere Konstellationen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.01.1971, V C 53.70, VerwRSpr 1972, 121/122 [fehlerhafter Hinweis auf das Erfordernis eines Klageantrags] sowie BVerwGE 3, 273/274 [fehlerhafte Hinweise zum Einlegungsort und zur Klagebegründung]). Vorliegend geht es nicht um den Fall falscher oder „erschwerender“ Zusätze in der Rechtsbehelfsbelehrung, sondern um einen unterbliebenen Hinweis auf eine Variante der Einlegung einer - ansonsten in der Rechtsbehelfsbelehrung korrekt behandelten - Klage. Auch ein nicht deutschsprachiger Kläger kann eine evtl. erforderliche Hilfe beim „Abfassen“ seiner Klage bei einer „eigenhändigen“ Klageerhebung ebenso gut erlangen, wie es im Falle einer Klageerhebung durch Niederschrift der Fall wäre.

15

Soweit Unklarheiten über die formgerechte Klageerhebung dadurch entstehen, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist und deshalb nicht darauf kommt, dass er die Klage auch zur Niederschrift „abfassen“ kann, wäre dies nicht durch die Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung verursacht, sondern durch das mangelnde Sprachverständnis des Klägers. In Asylverfahren kann der Kläger dem unter Zuhilfenahme der Beklagten abhelfen. Diese ist verpflichtet, ihn „in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann“ über das Verfahren und - insbesondere - über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung zu informieren (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), wie dies zu Beginn des Verfahrens bereits geschehen ist (vgl. Bl. 11 ff. der Verwaltungsvorgänge) und auch nach Erlass des Bescheides vom 24.02.2017 - auch innerhalb der Wochenfrist - noch möglich bleibt. Dafür genügt eine einfache Nachfrage. Unabhängig davon ist es (zumindest) fernliegend, dass allein eine fehlende Angabe dazu, dass eine Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten „abgefasst“ werden kann, geeignet ist, den Kläger davon abzuhalten, die Klage rechtzeitig und in der richtigen Form einzulegen. Das wäre nur denkbar, wenn eine Klageerhebung zur Niederschrift typischerweise die näher liegende oder einfachere Form der Klageerhebung wäre. Das ist nicht der Fall und - zudem - lebensfremd.

16

3. Der Zulassungsantrag war nach alledem abzulehnen.

17

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... 1985 in D. geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 20. Dezember 2015 auf dem Land Weg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31. März 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 20. Mai 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

Bis zu seiner Ausreise aus Syrien am 30. November 2015 habe er in D.,..., gelebt. Seine Ehefrau und sein Kind seien noch in D. Beide habe er aus finanziellen Gründen und aus Angst wegen der Gefährlichkeit der Reise nicht mitgebracht. Wehrdienst habe er vom 1. März 2004 bis zum 1. April 2006 geleistet. Er sei Gefreiter in nicht spezieller Funktion gewesen. Er sei auch nicht Mitglied einer nicht staatlichen bewaffneten Gruppierung gewesen oder in einer sonstigen politischen Organisation. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe rechtzeitig seine Ausreise aus Syrien geplant, weil es zu dieser Zeit eine große Welle von Einberufungen zum Militärdienst gegeben habe. Das habe er vermeiden wollen. Zum Zeitpunkt der Ausreise habe er noch keine Einberufung erhalten gehabt. Ob jetzt eine Einberufung vorliege, wisse er nicht. Er kenne auch niemanden aus seinem Bekannten- und Freundeskreis, der dann einberufen worden sei, weil viele rechtzeitig vorzeitig ausgereist seien. Vor der Ausreise sei er außer der allgemeinen Lage, z. B. ständige Bombenanschläge, nicht persönlich bedroht gewesen. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe er Angst verhaftet zu werden und zum Militärdienst zu müssen. Die allgemeine Sicherheitslage in Syrien sei schlecht. Dies treffe auch insbesondere auf seine Frau und sein Kind zu.

Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 6. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 2. August 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es u.a. aus: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 22. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Die insoweit geschilderten Referenzfälle hätten Personen betroffen, bei denen zuvor ein individualisierter Verdacht bestanden habe. Gegen die Annahme einer Regimegegnerschaft jedes Rückkehrers spreche die sehr hohe Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Auch die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche dagegen, dass jedem Rückkehrer unbesehen eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Die Maßnahmen im Rahmen der Einreisekontrollen seien nicht systematisch, sondern willkürlich. Das erfülle nicht den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Eine unklare Tatsachensituation verlange im Rahmen der gebotenen Prognoseentscheidung tendenziell eine zurückhaltende Beurteilung. Für den Kläger als Reservisten bestehe zwar bei einer Rückkehr die Gefahr Militärdienst leisten zu müssen, allerdings sei noch keine Konkretisierung eingetreten etwa durch einen Einberufungsbefehl. Die abstrakte Möglichkeit, Militärdienst leisten zu müssen, werde nicht als hinreichend risikoerhöhend betrachtet. Eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei mangels Anhaltspunkt für eine individuelle Verantwortung bezüglich etwaiger Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht erkennbar.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. August 2016 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der syrische Staat werde die Flucht eines wehrdienstfähigen Mannes als Ausdruck der Gegnerschaft betrachten. Bei einer Rückkehr nach Syrien drohe dem Kläger daher politische Verfolgung. Es sei auch eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gegeben. Der Kläger wäre im Falle der Einziehung zum Militärdienst gezwungen, an Kriegsverbrechen der syrischen Armee teilzunehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses insbesondere wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden, sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1, AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Kläger - ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2016 zugesprochenen subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) - die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dem nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger droht bei einer (rechtlich hypothetisch unterstellten) Rückkehr nach Syrien nach der Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren einen Vorfall genannt hat, der sich etwa einen Monat vor Ausreise ereignet haben soll, ist weder eine Anknüpfung der Maßnahme an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal noch die erforderliche asylerhebliche Intensität vorhanden.

2. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich aber aus den Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände allein rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. Urteile des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 und 16.30364, 16.30371 - juris).

Eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht zur Überzeugung des Senats deshalb, weil sich der Kläger als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat.

Eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegt vor, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

Nach diesem Maßstab und der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist es zur Überzeugung des Senats beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Einreise über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines notstandsfesten grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2, Art. 3 EMRK). Aufgrund des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist beachtlich wahrscheinlich, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Kläger, der sich als Reservist durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen hat, bei Rückkehr in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale, nämlich eine ihm wegen Verweigerung des Militärdienstes unterstellte regimefeindliche Gesinnung als Oppositionellen behandeln (vgl. allgemein dazu BVerfG, B.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315/335; BVerwG, U.v. 19.1.2009 - 10 C 52.07 - juris Rn. 24).

Diese Beurteilung beruht auf einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts (2.3) unter Einbeziehung der Umstände, die das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad charakterisieren (2.1) und der übrigen für die Prognoseentscheidung erheblichen Tatsachen (2.2).

2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: www.b...de/...) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: www...ch/...) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: www.e...net/...) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: www.a...de/...) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2 Darüber hinaus sind folgende Prognosetatsachen zu berücksichtigen:

2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen D. oder eine andere staatliche Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte und die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am Flughafen D. und anderen Eingangshäfen durchgeführt wird, beinhaltet zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 2 f. und 8, Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier v. 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle). Auch nach einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 7) können Personen, die während ihres Auslandsaufenthalts zum Wehrdienst einberufen wurden, bei ihrer Einreise durch die syrischen Behörden identifiziert werden, da ihr Name auf einer entsprechenden Suchliste zu finden ist.

2.2.2 Zu den Umständen und Folgen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber, der sich als Wehrpflichtiger oder Reservist durch den Auslandsaufenthalt der Einberufung zum Militärdienst entzogen hat, ergibt die Auskunftslage Folgendes:

Die Ermittlungsabteilung (Research Direcorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, dass Sicherheitsbeamte am Flughafen und anderen Grenzübergängen eine „carte blanche“ hätten, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen. Wenn ein Sicherheitsbeamter jemanden verdächtige, nähmen sie ihn möglicherweise sofort mit. In diesem Fall könne die Person verschwinden oder gefoltert werden. Das System sei sehr unberechenbar, Rechtsbehelfe gegen die Misshandlungen der Grenzbeamten gebe es nicht. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (so ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford - emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015; sowie der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ - Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015). Der emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (telefonische Befragung am 11.12.2015) beschrieb Männer im wehrpflichtigen Alter als die „meist gefährdete“ Gruppe in Bezug auf die Behandlung seitens der syrischen Behörden an den Eingangshäfen, „besonders wenn sie niemals im Militär gedient haben“. Eine Programmbeauftragte (program officer) am Center for Civilians in Conflict (CIVIC), die sich spezialisiert hat auf humanitäre und Flüchtlingsthemen in Syrien und im Irak, äußerte in einem Telefoninterview am 11. Dezember 2015, dass junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbeamten „besonders verfolgt“ werden und „allseits der Zwangswehrpflicht unterstellt seien“, auch wenn sie ihren Militärdienst schon abgeleistet hätten (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.3 Auch aus dem System der allgemeinen Wehrpflicht in Syrien und den während des Kriegs eingeführten Reisebeschränkungen für militärdienstpflichtige Männer lassen sich Erkenntnisse für die vorzunehmende Gesamtschau gewinnen.

Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 5).

Syrische Behörden hätten nach den Ermittlungen der Agence-France-Presse (AFP) das Recht, im Kriegsfall oder im Falle einer Erklärung eines Ausnahmezustands, alle männlichen Personen zwischen 18 und 42 Jahren, die ihren Wehrdienst abgeleistet hatten, wieder einzuberufen (AFP v. 27.3.2012 „Syria Imposes Travel Ban on Men Under 42: Reports“). Zum Thema Reisebeschränkungen der militärdienstpflichtigen Männer heißt es, dass die Regierung allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren offiziell verboten habe, außerhalb des Landes zu reisen (The Christian Science Monitor v. 27.3.2012, „As Syria’s War Rages, Assad Bans Military-Age Men From Leaving“). Einschränkend gibt die AFP an, dass diese Männer reisen dürften, aber vorher eine Genehmigung von den Behörden bräuchten und das bisherige Reiseverbot sich nur auf Männer bezogen habe, die ihre zweijährige Wehrpflicht noch nicht abgeleistet hätten (AFP v. 27.3.2012; vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13.8.2014, SYR104921.E, S. 6 f.).

Nach den Erkenntnissen des Orient-Instituts habe die syrische Regierung im März 2012 beschlossen, dass die Ausreise für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet sei, auch wenn diese bereits den Wehrdienst abgeleistet hätten. Männliche syrische Staatsangehörige sähen sich nach einer Wiedereinreise nach Syrien in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet, wenn sie älter als 18 Jahre seien, der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber. Für den Fall, dass der Wehrdienst vor der Ausreise nicht abgeleistet worden sei, könne dies von der syrischen Regierung verlangt werden. Habe die Ausreise unter anderem dem Zweck gedient, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so habe dies eine harte Bestrafung bis hin zur Todesstrafe, aber auch Folter zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet worden sei, komme es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 Jahren erneut eingezogen würden (Deutsches Orient-Institut an das Schleswig-Holsteinische OVG undatiert).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt aus („Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee“, v. 30.7.2014, S. 3 ff.), Männer hätten, nachdem sie die allgemeine Wehrpflicht absolviert hätten, die Möglichkeit, für die Dauer von fünf Jahren in den aktiven Militärdienst einzutreten. Ansonsten dienten sie während der nächsten 18 Jahre als Reservisten. Es gebe keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung werde gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst worden sei, bestraft. In Art. 68 sei festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft werde, wer sich der Einberufung entziehe. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlasse und sich so der Einberufung entziehe, werde mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Art. 101 werde Desertion mit fünf Jahren oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlassen habe.

Im Herbst 2014 habe das Regime verschiedene Maßnahmen erlassen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges hätten die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt seien, eine offizielle Beglaubigung des Militärs verlangt, dass sie vom Dienst freigestellt seien. Am 20. Oktober 2014 habe die „General Mobilisation Administration des Department of Defense“ allen Männern die Ausreise verboten, die zwischen 1985 und 1991 geboren seien. Mit diesen neuen Restriktionen hätten Männer in den Zwanzigern keine Möglichkeiten mehr, das Land legal zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien, Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 4).

2.2.4 Zum Vorgehen des syrischen Regimes bei der Rekrutierung von Wehrdienstverweigerern sind folgende Umstände in den Blick zu nehmen:

Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe werden in Kriegszeiten Reservisten einberufen. Die Einberufung als Reservist werde wie die Einberufung in den Militärdienst individuell ausgehändigt. Seit Ende 2012 werden immer mehr Reservisten in den Militärdienst einberufen. Tausende sollen 2012 einen Einberufungsbefehl erhalten haben. Präsident Assad sei dringend auf den Einsatz von Reservisten angewiesen. Im März 2012 habe die syrische Regierung deshalb allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren verboten, das Land ohne Bewilligung zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee v. 30.7.2014, S. 6 f). Seit Herbst 2014 habe das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seither komme es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen hätten. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) habe bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hätten, Fälle von Folter dokumentiert. Viele Männer, die im Rahmen der Maßnahmen einberufen würden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und würden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.3.2015, S. 3 f).

Die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) hat am 3. Februar 2016 eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung dahingehend beantwortet, dass in den vergangenen Wochen mehrere tausend Personen in Syrien zum Wehrdienst eingezogen worden seien. Laut Augenzeugenberichten soll sich die Anzahl junger Männer in den Straßen von D. deutlich verringert haben. Einige hätten darüber berichtet, dass über die Überprüfung an Checkpoints hinaus auch Wohnhäuser aufgesucht worden seien, um Wehrdienstverweigerer zu rekrutieren. Auch habe es verlässliche Berichte darüber gegeben, dass Personen aus dem Gefängnis hinaus zum Wehrdienst eingezogen worden seien.

Nach einem Artikel in „Syria Deeply“ (unabhängiges digitales Medienprojekt in New York) vom 16. Dezember 2015 habe es in D. eine erhöhte Anzahl von Verhaftungen an staatlichen Kontrollstellen gegeben; die Behörden würden vermehrt prüfen, ob jemand sich dem Wehrdienst entziehe (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 8f.).

2.2.5 Nach der Überzeugung des Senats kann der von der Beklagten eingewandten gelockerten Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen seit April 2015 wegen der wirtschaftlichen Dimension für den syrischen Staatshaushalt durch erhebliche Einnahmen keine Zielrichtung des Inhalts entnommen werden, dass dadurch die Ausreise von Männern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten) staatlicherseits geduldet werden soll.

Nach Auskunft der Botschaft Beirut (Referat 313) vom 3. Februar 2016 (Antwort auf eine Anfrage des Bundesamts) werden seit April 2015 von syrischen Stellen innerhalb Syriens, aber auch von den syrischen Auslandsvertretungen wieder vermehrt syrische Reisepässe ausgestellt. Die Kosten belaufen sich innerhalb Syriens (D.) auf ca. 40 USD, außerhalb Syriens auf ca. 400 USD. Da sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 weiter verschlechtert habe, sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen. Letztlich lägen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer staatlicher Einnahmen vor. Im Übrigen kann ein Staat auch andere geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Ausreise der Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer zu erschweren, wie z.B. das Erfordernis einer behördlichen Ausreisegenehmigung (s.o. 2.2.3). Eine gelockerte Ausstellungspraxis bei syrischen Reisepässen lässt daher im Hinblick auf die hier relevante Personengruppe der militärdienstpflichtigen Männer keine Schlüsse auf eine geänderte Haltung syrischer Sicherheitskräfte gegenüber Rückkehrern bei deren Einreise über den Flughafen D. bzw. andere Grenzkontrollen zu.

2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften, in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter, droht.

Aus den Erkenntnisquellen geht übereinstimmend hervor, dass jeder über eine offizielle Grenzstelle - insbesondere den Flughafen D. - zurückkehrende Syrer den strengen obligatorischen Einreisekontrollen der syrischen Sicherheitskräfte unterzogen wird. Weiter ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte darüber informiert sind (Datenbanken bzw. Kontrolllisten), ob die betreffende Person Wehrpflichtiger oder Reservist ist. Ebenso wird für die Sicherheitskräfte ersichtlich sein, ob der Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter ggf. gegen die Mitteilungspflicht seines Wohnortes gegenüber den Militärbehörden verstoßen hat bzw. ob eine Ausreiseerlaubnis der Militärbehörde vorlag. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 9).

Auch das Auswärtige Amt unterscheidet im Hinblick auf eine Rückkehrgefährdung: Dort liegen zwar keine Erkenntnisse vor, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts und Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (Auswärtiges Amt an das Schleswig-Holsteinische OVG v. 7.11.2016). Dem Auswärtigen Amt sind aber Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite (Deutsche Botschaft Beirut v. 3.2.2016 an das Bundesamt).

Seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 liegen nur vereinzelt Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor, so dass insoweit von „Referenzfällen“ nicht ausgegangen werden kann. Laut Auskunft eines juristischen Mitarbeiters vom UNHCR Kanada gebe es nur eingeschränkte Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011. Die Presse berichte nicht über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, v. 19.1.2016, S. 5).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen. Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. Nr. 2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016).

Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft.

An diese (unterstellte) oppositionelle Gesinnung des Rückkehrers knüpft bei seiner Einreise beachtlich wahrscheinlich eine Folterbehandlung an, die der Einschüchterung und Bestrafung für die regimefeindliche Gesinnung dient. Der Rückkehrer soll durch die unmittelbar bei Einreise erfolgende „Sonderbehandlung“ der Folter - neben der flüchtlingsrechtlich im Grundsatz nicht relevanten Zwangsrekrutierung und ggf. erfolgenden Bestrafung wegen eines Wehrdelikts - für seine in der Bürgerkriegssituation politisch unzuverlässige Haltung und die darin zum Ausdruck kommende regimefeindliche Gesinnung eingeschüchtert und bestraft werden. Diese Verhaltensmuster der syrischen Sicherheitskräfte finden ihre Entsprechung und Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Auswertung der beigezogenen Erkenntnismittel zeigt vielmehr, dass das syrische Regime zur Erhaltung seiner Macht ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit größter Rücksichtslosigkeit vorgeht. So führt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im jüngsten Bericht zu Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe willkürlich inhaftiert zu werden, zu verschwinden oder gefoltert oder misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren (Amnesty Report 2016 v. 2. März 2016, S. 16).

Auch aus den Umständen, dass das syrische Regime bei „missliebigen Personen“ menschenrechtswidrige Maßnahmen, insbesondere Folter und „Verschwindenlassen“ anwendet, und zulässt, dass sich das Opfer gegenüber staatlichen Willkürakten nicht zur Wehr setzen kann, können Schlüsse darauf gezogen werden, wie ein Unrechtsstaat mit Personen, die er als illoyal und regimefeindlich einstuft, bei deren Rückkehr verfährt. Human Rights Watch und der UNHCR haben über die weitverbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden berichtet (Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E v. 19.1.2016, S. 4; OHCHR, Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic v. 14.4.2014; Human Rights Watch, Syria, World Report 2015, 29.1.2015). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe verweist auf die von Human Rights Watch 2012 ausführlich dokumentierte Vorgehensweise der Geheimdienste, die Willkür der Inhaftierung und die miserablen Haftbedingungen in den Haftzentren der verschiedenen Geheimdienstabteilungen. Gemäß dem Bericht des United States Departement of State 2015 habe die Anzahl willkürlicher Verhaftungen vor allem von Jungen ab 10 Jahren sowie Männern im Jahr 2014 zugenommen. Viele Verhaftungen hätten an Checkpoints stattgefunden, die vom Militär, einem der Geheimdienste oder den Paramilitärischen National Defense Forces unterhalten werden. Die UN Kommission über Syrien (UN Commission of Inquiry on Syria) habe über Massenverhaftungen von Männern im wehrdienstfähigen Alter berichtet. Dies sei vor allem in Regionen geschehen, die vom syrischen Regime zurückerobert worden seien. Human Rights Watch habe 2012 über zwanzig verschiedene Foltermethoden dokumentiert, die in den Haftzentren der Geheimdienste entwickelt und angewendet würden. Straffreiheit der Sicherheitskräfte sei die Norm. Aus dem Jahr 2014 seien dem United States Departement of State keine strafrechtlichen Verfahren oder Verurteilungen von Angehörigen der Sicherheitsdienste wegen Missbrauchs oder Korruption bekannt (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse v. 26.10.2015 zu Syrien: Geheimdienst, S. 4f. m.w.N.)

Der UNHCR kommt für den Fall der „Prüfung individueller Asylanträge“ zu der Einschätzung, es sei wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen. (S.25 f, Nr. 36,). Der UNHCR ist der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der beschriebenen Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigten. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte…“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S.25 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die Ansicht von Human Rights Watch zugrunde gelegt, dass junge Männer im wehrfähigen Alter von Haft und Misshandlung besonders bedroht seien (vgl. EGMR U.v. 15.10.2015 - 40081/14, 40127/14 - L.M. u.a. ./ Russische Föderation, NVwZ 2016, 1779, Rn. 123-125).

Nach alldem ist nach der Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die syrischen Sicherheitskräfte die Rückkehrer nicht pauschal der Opposition zuordnen, sondern danach differenzieren, ob der Rückkehrer als Unpolitischer oder Oppositioneller einzustufen ist. Die Verfolgungsprognose führt nach der Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der hohen Flüchtlingszahlen (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 6, bis Herbst 2015 seien mehr als vier Millionen Syrer ins Ausland geflohen) zu dem Ergebnis, dass die Personengruppe der militärdienstpflichtigen Personen (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich im Bürgerkrieg nicht den Regierungstruppen zur Verfügung gestellt haben, sondern durch Flucht ins Ausland ihren staatsbürgerlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind, aus Sicht des syrischen Regimes als oppositionell eingestuft werden und dementsprechend bei einer Rückkehr beachtlich wahrscheinlich der weit verbreiteten Folterbehandlung unterzogen werden.

3. Ausführungen zu weiteren möglichen Verfolgungshandlungen (§ 3a Abs. 1 und 2 AsylG) seitens des syrischen Regimes im Hinblick auf rückkehrende Militärdienstpflichtige, wie insbesondere zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG einschließlich der glaubhaften Darlegung eines ernsthaften Gewissenskonflikts (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn 36, 41), sowie zur flüchtlingsrechtlichen Relevanz einer dem Kläger drohenden Bestrafung wegen Kriegsdienstverweigerung mit politischem Charakter („Politmalus“) sind nicht veranlasst.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

6. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 16. August 2016 – 12. Kammer, Einzelrichter – geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Feststellungsklage wird ebenfalls abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Glaubensrichtung. Sie begehren ihre Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention.

2

Die Kläger zu 1) bis 5) reisten nach eigenen Angaben am 24. November 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Kläger zu 6) wurde am 4. Mai 2016 in … geboren. Die Kläger stellten am 7. Juli 2016 einen Asylantrag. Die persönlichen Anhörungen des Klägers zu 1) sowie der Klägerinnen zu 2) und 3) fanden am gleichen Tag statt.

3

Der im Jahr 1974 geborene Kläger zu 1) gab zur Begründung seines Asylantrags an, dass er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2013 mit seiner Familie in Damaskus gelebt habe. Im Juli 2013 sei er in den Irak gegangen, da er dort eine Arbeit gefunden habe. Im November 2013 sei seine Frau, die Klägerin zu 2), nachgereist. In den Jahren 1995 bis 1997 habe er seinen Wehrdienst abgeleistet. Mitglied in einer nichtstaatlichen, bewaffneten Gruppierung oder in einer sonstigen politischen Organisation sei er nicht gewesen. Durch den Krieg habe er seine Arbeit und die Familie ihr Haus verloren. Es gebe keine Sicherheit mehr in Syrien. Bei einer Rückkehr befürchte er, sofort zum Militär eingezogen zu werden und kämpfen zu müssen. Eine Einberufung hätte er noch nicht erhalten. Vor der Ausreise sei ihm persönlich nichts passiert.

4

Die im Jahr 1983 geborene Klägerin zu 2) trug zur Begründung ihres Fluchtschicksals vor, dass die Familie Syrien verlassen hätte, da die Gegend, in der sie wohnten, von Rebellen angegriffen worden sei. Um die Rebellen zurückzudrängen, hätte die syrische Regierung die Gegend dann bombardiert. Bei einer Rückkehr nach Syrien fürchte sie um ihre Sicherheit, da noch immer Krieg herrsche. Sie habe auch Angst um ihren Mann, da dieser als Soldat eingezogen werden könnte. Vor der Ausreise sei ihr persönlich nichts passiert.

5

Die im Jahr 2002 geborene Klägerin zu 3) gab an, dass es in Syrien nicht mehr sicher gewesen sei. Vor der Ausreise sei ihr persönlich nichts passiert.

6

Mit Bescheid vom 16. August 2016 erkannte die Beklagte die Kläger als subsidiär Schutzberechtigte an und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab.

7

Mit ihrer am 29. August 2016 erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Der Kläger zu 1) hätte zwar keinen Einberufungsbescheid erhalten. Dies sei bei den Regierungsverhältnissen in Syrien auch nicht mehr erforderlich. Man schnappe sich im wehrfähigen Alter befindliche Männer und nehme sie in die Armee auf.

8

Die Kläger haben beantragt,

9

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 16. August 2016 dahingehend abzuändern, dass den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 16. August 2016 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger sich unabhängig davon, ob sie vorverfolgt aus Syrien ausgereist seien, auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen könnten. Der syrische Staat sehe gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System an. Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne, sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Unter den derzeitigen Umständen habe jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine vermutete oppositionelle Gesinnung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr knüpfe an die vom Staat unterstellte politische Überzeugung an. Den Klägern stehe keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Es bestehe nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus.

13

Zur mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte Folgendes vor: Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Quellenlage ließe sich hinsichtlich der Frage, ob bei Konstellationen der vorliegenden Art die nötige Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal bzw. ob ein „Politmalus“ feststellbar sei, unterschiedlich interpretieren. Rückkehrer unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher Behandlung. Es gebe jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgten. Vielmehr beschränkten sich die zur Verfügung stehenden Auskünfte auf die Schilderung von Einzelfällen, aus denen sich für die Motivation des syrischen Staates – ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns – nichts ableiten lasse. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien.

14

Die Beklagte beantragt,

15

den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer, Einzelrichter – vom 16. August 2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.

16

Die Kläger beantragen,

17

1. Die Berufung der Beklagten, soweit es den Kläger zu 1) betrifft, zurückzuweisen;

18

2. für die Kläger zu 2) bis 6) festzustellen, dass sie in die Flüchtlingseigenschaft des Klägers zu 1) einzubeziehen sind.

19

Die Kläger tragen zur Begründung vor, die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts habe in späteren Entscheidungen nur die Verfolgungsgefahr für Erwachsene und nicht für Kinder gesehen. Zutreffend habe das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16) die Flüchtlingseigenschaft einer Frau verneint. Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Regime jeden Erwachsenen durch seine Flucht und Asylantragstellung im Ausland als zu verfolgenden Staatsfeind ansehe. Dies gelte jedoch nicht für den Kläger zu 1). Dieser befürchte zu Recht, erneut als Reservist zum Wehrdienst einberufen zu werden. Insoweit würden die Feststellungen des Baden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 2. Mai 2017 (A 11 S 562/17) auch für den Kläger zu 1) gelten. Wehrpflichtige müssten befürchten, festgenommen, gefoltert und in Armeegefängnisse eingewiesen zu werden. Wehrpflichtigen, die vor allem in das westliche Ausland geflüchtet sind, mache man den Vorwurf, nicht an der Verteidigung des Regimes mitzuwirken. Der Kläger zu 1) komme sowohl wegen seiner militärischen Vorerfahrung durch den abgeleisteten Wehrdienst als auch altersmäßig für eine Einberufung in die Armee in Betracht. Er habe sich dieser Einberufung durch Flucht entzogen und würde als Regimegegner angesehen werden.

20

Der Kläger zu 1) ist in der mündlichen Verhandlung vom Senat ergänzend informatorisch angehört worden.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, so dass der Gerichtsbescheid zu ändern war. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG (I.). Der erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsantrag der Kläger zu 2) bis 6) ist unzulässig (II.).

22

Der Senat hat, soweit es um die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG geht, im Rahmen des Berufungsverfahrens über die gesamte Klage der Kläger zu 1) bis 6 ) zu entscheiden. Mit der geänderten Antragstellung begehren die Kläger zu 2) bis 6) zwar nicht mehr die Anerkennung als Flüchtlinge gemäß § 3 AsylG, sondern die Gewährung des sogenannten Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2, Abs. 1 und 2 AsylG. Bei dem zusätzlich zum Zurückweisungsantrag für den Kläger zu 1) gestellten Feststellungsantrag für die Kläger zu 2) bis 6) handelt es sich insoweit um eine Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. Ortloff/ Riese, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 91 Rn. 21 m.w.N.). Wegen der Zulässigkeit der Klageänderung wird auf die Ausführungen unter II. verwiesen.

23

Die geänderte Antragstellung führt jedoch zu keiner wirksamen Änderung des Streitgegenstandes hinsichtlich des Anspruchs der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es kann insoweit dahinstehen, ob es sich bei dieser Klageänderung um eine sogenannte verstecke Klagerücknahme gemäß § 92 Abs. 1 VwGO handelt, zumal der Berufungsantrag der Beklagten insoweit unerwidert geblieben ist. Denn eine Klagerücknahme wäre mangels Einwilligung der Beklagten nicht wirksam geworden. Bei einer Klagerücknahme in der Rechtsmittelinstanz ist stets die Einwilligung der Beklagten erforderlich, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Vorinstanz durch Urteil (mit oder ohne mündliche Verhandlung) oder durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 1990 – 5 B 16.90 – juris, Rn. 4 m.w.N.; Clausing, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 92 Rn. 28 m.w.N.).

24

Die Beklagte hat weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung eine solche Einwilligung erteilt. Eine wirksame Einwilligung enthält auch nicht die allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 (Az. 234 – 7604/1.17). Die dortigen Erklärungen gelten nur für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Für Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen werden vielmehr im Einzelfall sachgerechte Prozesserklärungen abgegeben.

25

I. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG. Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Als Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u. a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

27

Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Die Schwere des befürchteten Eingriffs kann dabei je nach Einzelfall, insbesondere im Zusammenhang mit willkürlich handelnden Staatsmächten, nur bedingt Erkenntnisse zur Gerichtetheit der Verfolgung geben. Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht, welches hierfür den Begriff des „real risk“ verwendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22 m.w.N.).

28

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris, Rn. 19). Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 – juris, Rn. 13). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. Ergeben die Gesamtumstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, wird ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 – juris, Rn. 17). Auch in solchen Fällen müssen aber die festgestellten Verfolgungsfälle nach Intensität und Häufigkeit zur Größe der Zahl der Verfolgten als ins Gewicht fallend angesehen werden können, wenn das Anknüpfungsmerkmal für eine mögliche Verfolgung auf eine Vielzahl von Personen zutrifft (hier: Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland bzw. Entziehung vor Einberufung bzw. Wehrdienstverweigerung); es muss dann also – vergleichbar einer Gruppenverfolgung – eine entsprechende Verfolgungsdichte vorliegen. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein staatliches Verfolgungsprogramm besteht, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht und das deshalb hinreichend wahrscheinlich eine Verfolgung erwarten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 10 B 18.09 – juris, Rn. 2 m.w.N.; vgl. zu den Prognosegrundsätzen bei gruppengerichteten Verfolgungen: Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 27).

29

Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12).

30

Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23). Dabei gilt als vorverfolgt, wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG, Urteil 14. Dezember 1993 – 9 C 45.92 – juris, Rn. 8).

31

1. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Grundes unbegründet.

32

Zu bewerten ist allein eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Auf eine solche stellen auch die Kläger ausschließlich ab. Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Dabei ist auch zu prüfen, ob der Ausländer seinen Herkunftsort gefahrlos erreichen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 1993 – 9 C 31.92 – juris, Rn. 9). Unabhängig davon, unter wessen Kontrolle der Heimatort der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht, ist der in der Nähe von Damaskus gelegene Heimatort nur über einen Reiseweg bzw. über Gebiete erreichbar, die vom syrischen Regime kontrolliert werden. Dies gilt in erster Linie für eine – hypothetische – Rückführung der Kläger, die derzeit allein über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt nach aktuellem Erkenntnisstand nur Damaskus in Betracht (vgl. Auswärtiges Amt [AA], Auskunft vom 12. Oktober 2016 an VG Trier zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH] vom 21. März 2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.). Dies gilt aber auch für eine (legale) Rückkehr auf einem anderen Reiseweg. Nach der aktuellen Auskunftslage werden Damaskus selbst und die Region um Damaskus fast ausschließlich vom syrischen Regime kontrolliert (siehe kartographische Darstellungen bei Spiegel Online, Assad zielt ins Herz der Revolution, Karte Stand 12. April 2018,und Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA] Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018, S. 12). Auch die vereinzelten noch von den syrischen Rebellen-Milizen kontrollierten Bereiche werden danach ausschließlich von Gebieten umschlossen, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen.

33

2. Die Kläger zu 1) bis 5) sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Die Kläger zu 1) bis 3) haben bei ihren persönlichen Anhörungen angegeben, dass sie vor ihrer Ausreise keine Probleme in Syrien gehabt hätten und allein wegen der Auswirkungen des seit 2011 anhaltenden Bürgerkrieges ausgereist seien. Den Klägern drohte vor der Ausreise auch keine unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder regionalen Herkunft, siehe sogleich unter 3. b). Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung des Klägers zu 1) ergibt sich zudem nicht aus dem Umstand, dass er als Reservist für den Wehrdienst in der syrischen Armee herangezogen werden könnte. Wegen der insoweit relevanten rechtlichen Maßstäbe wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu 3. c) Bezug genommen. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung zudem angegeben, dass er, seitdem er sich im Jahre 2002 vom weiteren Wehrdienst „freigekauft“ habe und bis zu seiner Ausreise im Jahr 2013 nicht mehr vom Militär angesprochen worden sei.

34

3. Eine Flüchtlingsanerkennung der Kläger kommt nicht wegen Ereignissen und einer damit einhergehenden Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Betracht, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen haben (vgl. § 28 Abs. 1a AsylG, sog. Nachfluchttatbestände). Die Kläger können sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a). Bei ihnen liegen auch weder im Hinblick auf ihre Glaubenszugehörigkeit noch wegen ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das unter der Kontrolle von Oppositionellen steht bzw. gestanden hat, risikoerhöhende Umstände vor (b). Für den Kläger zu 1) ergibt sich eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr auch nicht aus dem Umstand einer etwaigen Wehrdienstentziehung (c). Selbst wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet, ergibt sich nichts Abweichendes (d).

35

a) Die Begründung des Verwaltungsgerichts, dass allein der Aufenthalt der Kläger im westlichen Ausland und die Asylantragstellung in der Bundesrepublik vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung angesehen werde und die Kläger im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus diesem Grund mit Verfolgungshandlungen rechnen müssten, wird vom Senat angesichts der aktuellen Erkenntnislage und weiterer Erwägungen nicht geteilt und rechtfertigt daher die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht.

36

Unter Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist bei der Prüfung danach zu differenzieren, ob einem Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung droht und – falls dies bejaht wird – zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund (hier: politische Überzeugung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung gegenüber dem syrischen Regime) eine Verknüpfung besteht. Für beides fehlt es an hinreichend gesicherten Erkenntnissen.

37

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 23. November 2016 (3 LB 17/16, juris) entschieden, dass nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme besteht, dass der totalitäre Staat Syrien jeden Rückkehrer, auch solche, die ihr Land unverfolgt verlassen haben, pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören. Im Einzelnen hat der 3. Senat hierzu Folgendes ausgeführt:

38

„In diesem Sinne sind auch die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, die sich im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/ Verwaltungsgerichtshöfe sowie auf die vom Verwaltungsgericht Regensburg herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015, Asyldokumentation Nr. 598b) beziehen, nicht geeignet, konkrete Anhaltspunkte für eine - pauschal alle Rückkehrer betreffende - Rückkehrgefährdung anzunehmen. Nach den Erwägungen des UNHCR kann aus Syrien ausgereisten syrischen Staatsangehörigen Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die diesen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus denen die Betroffenen stammen. Diese Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend für die Annahme, allen aus Syrien ausgereisten Flüchtlingen würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Wiedereinreise asylrelevante Verfolgung drohen.

39

(…)

40

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen hätte. (…) Der Senat geht davon aus, dass angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen (knapp 430.000 Flüchtlinge, vgl. ZEIT ONLINE vom 8. Juni 2016, Asyldokumentation Nr. 599c, und Mediendienst-Integration, Stand: 1. August 2016, Asyldokumentation Nr. 599e) auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass - wie die Klägerin - die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellen daher keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar (so auch Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18). Diese Einschätzung deckt sich mit der gegenwärtig vorliegenden Auskunftslage, wonach auf Ebene der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Ebenfalls liegen keine Erkenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien vor (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom 7. November 2016, Asyldokumentation Nr. 602). In Übereinstimmung hiermit steht eine Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, Asyldokumentation Nr. 603), wonach die syrische Regierung, nachdem in beinahe allen Landesteilen im Frühjahr 2011 Proteste und Unruhen ausgebrochen waren, die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren hat. Danach werden im Osten nach wie vor weiter besiedelte Gebietsteile durch den sogenannten Islamischen Staat kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen beherrscht; der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten, hat sich selbst zu föderalen Provinzen erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Aleppo und mit Abstrichen auch Latakia) werden durch verschiedene Gruppierungen oder die Regierung kontrolliert. Die Grenzziehung zwischen diesen Zonen unterliegt einer stetigen Veränderung der Frontverläufe und Kontrolle. Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung sind also derzeit zunächst nicht in allen Landesteilen realistisch.“

41

Die Einschätzung des 3. Senats ist auch in Anbetracht der seit der Entscheidung eingetretenen Entwicklungen in Syrien sowie den hierzu veröffentlichen Auskünften und Stellungnahmen zutreffend und wird vom erkennenden Senat geteilt.

42

Dass Rückkehrer (gegenwärtig nur aus dem arabischen Raum, zu dem noch Flugverbindungen bestehen) am Flughafen von Damaskus und ggf. Latakia intensiven Kontrollen ausgesetzt sind und dass Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese gegen das Assad-Regime eingestellt sind oder oppositionell aktiv gewesen sind, den Flughafen nicht wie beabsichtigt wieder verlassen können und ihnen Folter oder andere gravierende Misshandlungen drohen, wird allgemein angenommen und dürfte hinreichend gesichert sein (siehe OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 51; OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 57, jeweils m.w.N.; BFA vom 25. Januar 2018, S. 81 ff. m.w.N.)

43

Im Hinblick auf die bestehende Erkenntnislage wird jedoch unterschiedlich beurteilt, ob grundsätzlich allen Personen wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung oder längerem Aufenthalt im westlichen Ausland bei einer Rückkehr nach Syrien eine (Verfolgungs-)Handlung i.S.d. § 3a AsylG – hier: Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/ oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (die Gefahr einer Verfolgungshandlung verneinend: VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16/30338 – juris, Rn. 70 ff.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 35-44; OVG Hamburg, a.a.O., Rn. 52; aufgrund von Zweifeln eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung verneinend: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44; Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 40; zweifelnd, aber offen gelassen: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 48 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22 f., vom 11. März 2017 – 2 A 215/27 – juris, Rn. 23 f.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bejahend: OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 36; so wohl auch OVG, Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 22).

44

Der Senat hat zumindest erhebliche Zweifel daran, ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG auf die zur Verfügung stehende Erkenntnislage gestützt werden kann (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen über die Bestimmung des Prognosemaßstabs OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018, a.a.O. und OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018, a.a.O.).

45

Über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien liegen beispielsweise dem UNHCR (Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, von Februar 2017, deutsche Übersetzung von April 2017, S. 5) „kaum konkrete Informationen“ vor. In der benannten Stellungnahme des UNHCR heißt es nachfolgend zu dieser Feststellung:

46

„Quellen zufolge werden Personen an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) bei ihrer Einreise untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden.

47

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird berichtet, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko besteht, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden, wie berichtet wird, ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.“

48

Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass unverfolgt Ausgereiste nach Rückkehr systematisch befragt werden und dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind (AA vom 7. November 2016 an OVG Schleswig zu Az. 3 LB 17/16). Es gebe Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland. Zum Inhalt derartiger Befragungen könnten keine Aussagen gemacht werden. Zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen lägen keine Erkenntnisse vor. Es sei jedoch bekannt, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A, S. 2 f.). Vielmehr seien dem Auswärtigen Amt Fälle bekannt, in denen syrische Staatsangehörige nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus dem Bundesgebiet für mehrere Monate nach Syrien zurückgekehrt seien (AA vom 2. Januar 2017, a.a.O., S. 5).

49

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt ebenfalls aus, dass Informationen über Rückkehrerinnen und Rückkehrer seit dem Ausbruch des Krieges 2011 sehr limitiert seien (SFH vom 21. März 2017, S. 6 m.w.N.). Es gebe auch kaum Informationen und aufgearbeitete Einzelfälle zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei ihrer Rückkehr (SFH, a.a.O., S. 9). Gleichwohl führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe nachfolgend aus (S. 10), dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden könne. Nachfolgend werden unter wesentlicher Bezugnahme auf die Ausführungen einer Auskunft des Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. Januar 2016 Personengruppen benannt, die bei einer Einreise als besonders gefährdet gelten würden. Bezüglich der Bewertung der vom IRB angeführten Quellen und deren Aussagen durch den Senat wird auf die nachfolgenden Ausführungen (weiter unten, ab Seite 21) verwiesen. Des Weiteren würden nach Angaben eines Direktors einer Nichtregierungsorganisation in einem Interview mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 7. Dezember 2016 Asylsuchende bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und misshandelt (SFH, a.a.O, S. 11). Konkrete belegte Fälle werden jedoch nicht geschildert. Ferner enthält die Aussage keine Angaben zur quantitativen Dimension von Misshandlungen bei rückkehrenden Asylsuchenden.

50

Zweifel an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung wegen der Ausreise aus Syrien und einer eventuellen Asylantragstellung im Ausland ergeben sich zudem aus der ständig gestiegenen Zahl der in den letzten Jahren aus Syrien Geflohenen. Nach Angaben des UNHCR (Situation Syria Regional Refugee Response, abgerufen am 28. März 2018 und Mitteilung vom 9. März 2018) wurden seit 2011 insgesamt mehr als 5,6 Millionen Syrer als Flüchtlinge in den Ländern Türkei (3,567 Mio.), Libanon (ca. 1 Mio.), Jordanien (ca. 659 T.), Irak (ca. 248 T.), Ägypten (ca. 128 T.) und in Nordafrika (ca. 33 T.) registriert. Hinzu kommen circa 970.000 syrische Flüchtlinge, die bis Mitte 2017 ins westliche Europa geflüchtet sind (vgl. UNHCR, November 2017, S. 24), hiervon allein bis November 2017 700.000 nach Deutschland (vgl. https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/syrische-fluechtlinge.html, abgerufen am 28. März 2018). Bei dieser Zahl von Flüchtlingen im Ausland handelt es sich im Vergleich zur Bevölkerungszahl von rund 21 Millionen im Jahr 2010 (Quelle: Weltbank, https://data.worldbank.org/indicator/SP.POP.TOTL?locations=SY&name_desc=false, abgerufen am 28. März 2018) um mehr als ein Viertel der Bevölkerung Syriens.

51

Der Senat hält in diesem Zusammenhang das in der obergerichtlichen Rechtsprechung formulierte Argument, dass angesichts dieser Zahlen bei realitätsnaher Betrachtung nicht von einem bei jedem Rückkehrer in gleicher Weise bestehenden Risiko von Inhaftierung, Misshandlung oder Folter ausgegangen werden dürfte, für zutreffend und schließt sich dem an. Dem syrischen Regime dürfte sich bei der hohen Zahl von Flüchtlingen aufdrängen, dass es sich hierbei weit überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt (so beispielsweise auch OVG Münster, a.a.O. Rn. 66; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 52).

52

Weitere Zweifel an der beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung jedes Rückkehrers bzw. einer signifikanten Größenordnung von Rückkehrern ergeben sich zudem aus der nicht geringen Zahl freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland. So sollen im August 2015 mehrere tausend Personen über die syrisch-jordanische Grenze und im Juli 2015 rd. 2300 Personen aus dem Irak zurückgekehrt sein (vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 4; Deutsches Orient Institut [DOI], Auskunft an VGH Mannheim vom 22. Februar 2017; DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1.2.2017, S. 1). Andere Berichte (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 2) gehen davon aus, dass „Hunderttausende von Flüchtlingen jedes Jahr nach Syrien reisen, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, um Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen“. Nach Angaben des UNHCR (Mitteilung vom 30. Juni 2017) seien seit 2015 insgesamt 260.000 syrische Flüchtlinge aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt, davon die meisten aus der Türkei in den Norden Syriens; im 1. Halbjahr 2017 seien 31.000 Syrer aus den angrenzenden Nachbarländern nach Syrien zurückgekehrt. Laut der International Organization for Migration (IOM) seien zwischen Januar und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 Prozent davon seien Binnenvertriebene und sieben Prozent seien aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurückgekehrt (zitiert nach BFA, Länderinformationsblatt vom 25. Januar 2018, S. 81 f.). Unter Zugrundelegung der Zahlen der IOM kehrten demnach im ersten Halbjahr 2017 ca. 42.000 Personen aus den angrenzenden Staaten nach Syrien zurück.

53

Die jedenfalls vielfach beobachtete Land-Einreise über die Staatsgrenzen (u.a. aus Jordanien, Irak, Türkei) lässt zwar keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände einer (offiziellen) Einreise über den für Rückkehrer derzeit vor allem in Betracht zu ziehenden Flughafen Damaskus zu. Sie zeigt aber, dass diese Personen trotz der vorherigen Flucht das Risiko einer Rückkehr auf sich genommen haben und stellt ein Indiz im Rahmen der Gesamtbetrachtung dar.

54

Einige Erkenntnisquellen weisen zwar auf eine große Anzahl verschwundener und in der Regel unter Misshandlungen getöteter Syrer hin (z.B. AA, Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012, S. 7 ff., erwähnt eine präzedenzlose Verhaftungswelle anlässlich der Protestbewegung von März 2011, Menschenrechtsverteidiger hätten die Zahl der Verschwundenen und Verhafteten damals auf circa 40.000 geschätzt, die syrische Plattform Violations Documentation Centre habe damals namentlich ca. 19.400 Haftfälle belegt; vgl. zu den Angaben von Amnesty International [AI] für die Jahre 2011 bis 2015: OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 49). Diesen Quellen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass darunter in beachtlicher Zahl auch rückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem (westlichen) Ausland waren.

55

Selbst wenn man aber eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG bejahte, fehlt es zumindest an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bezüglich der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund.

56

Die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lassen einen hinreichend gesicherten Schluss auf das Bestehen der notwendigen Verknüpfung nicht zu. Für den Senat ist nicht feststellbar, dass das syrische Regime mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedem unverfolgt für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsbürger, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein bzw. in Verbindung mit oppositionellen Kreisen im Exil zu stehen, sofern nicht besondere, individuelle gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (wie hier im Ergebnis auch: OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 54 ff.; OVG Saarlouis, Urteile vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris und vom 17. Oktober 2017 – 2 A 365/17 – juris, Rn. 22 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 513/17 – juris, Rn. 42 ff.; OVG Schleswig, a.a.O.; VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338 – juris; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 63 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris – Rn. 38 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. November 2017 – OVG 3 B 12.17 – juris, Rn. 20 ff.).

57

Wie bereits ausgeführt, liegen nur wenige (konkrete) Dokumente vor, welche die hier aufgeworfene Fragestellung der aktuellen Behandlung von Rückkehrern erörtern. Ihnen lassen sich ausnahmslos keine konkreten und nachvollziehbaren Gesichtspunkte entnehmen, die einen verlässlichen Schluss auf die erforderliche Gerichtetheit zulassen. Im Einzelnen:

58

Für die Zeit vor dem Ausbruch der Unruhen in Syrien und bis in die Anfangszeit des Bürgerkriegs hinein ließ sich der weitgehend gesicherten Erkenntnislage zwar entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Ausland nach der ständigen Praxis der syrischen Sicherheitskräfte bei der offiziellen Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt regelmäßig einem intensiven Verhör unterzogen wurden, welches je nach den Umständen auch Stunden dauern konnte. Vor allem bei einer Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum der (vier) syrischen Geheimdienste drohte zudem konkret die Anwendung von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung. Anlässlich dessen sollten regelmäßig auch Informationen über eventuelle eigene regimekritische Handlungen im Ausland, aber auch über die Exilszene im Allgemeinen herausgepresst werden. Diese Gefahr wurde beispielsweise vom Auswärtigen Amt als sehr hoch eingeschätzt (vgl. AA, Lagebericht vom 27. September 2010, S. 16). In der Rechtsprechung wurde daher zum Teil angenommen, den staatlichen Maßnahmen komme auch die erforderliche Gerichtetheit zu (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – juris; a.A. OVG Münster, Beschluss vom 7. Mai 2013 – 14 A 1008/13.A – juris).

59

Hiervon kann aber gegenwärtig nicht (mehr) ausgegangen werden. Im Laufe des Bürgerkriegs haben sich in verschiedener Hinsicht Veränderungen in Syrien ergeben. Verschiedenen Quellen zufolge ist zwar eine erhebliche Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen festzustellen (vgl. zuletzt AI, Report 2018). Es handelt sich allerdings um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes im Grundsatz schon seit vielen Jahren systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Syrien vom 25. Januar 2018 S. 34 f., 50 f., jeweils m.w.N.). Zudem ist die Zahl der im Ausland lebenden syrischen Flüchtlinge seit dem Beginn des Bürgerkriegs auf ca. 6,6 Millionen gestiegen (Nachweise siehe oben).

60

Aufgrund der Komplexität des Konfliktes und der Beteiligung zahlreicher Konfliktparteien ist die Situation in Syrien unübersichtlich(er) und ständigen Veränderungen unterworfen. Konkrete Informationen über die aktuelle Lage sind daher schwierig zu erlangen (Danish Refugee Council/ Danish Immigration Service [DRC], August 2017, S. 5; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 38: „unklare Auskunftslage“; OVG Bautzen spricht von einer „dünnen“ Auskunftslage, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17 – juris, Rn. 25). Seit Beginn des Bürgerkrieges gibt es allenfalls „anekdotenhafte“ Berichte über Rückkehrer (IRB vom 19. Januar 2016, S. 4; vgl. auch SFH vom 21. März 2017, S. 9 und DRC, August 2017, S. 27: Kaum Informationen zur Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden bei Rückkehr).

61

Dementsprechend unterschiedlich äußern sich die verfügbaren Einschätzungen. Laut dem Direktor des Syria Justice and Accountability Center würden Asylsuchende bei einer Rückkehr „definitiv“ festgenommen und inhaftiert. Sie würden als Oppositionelle behandelt und gefoltert (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9; vgl. auch U.S. Department of State, Syria 2016 Human Rights Report vom 3. März 2017, S. 39). Eine vom IRB zitierte emeritierte Professorin „vermutet“ Festnahme, Inhaftierung und Folter (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; die gleiche Einschätzung zitierend SFH, 21. März 2017, S. 9). Dieselbe Quelle führt allerdings auch aus, dass „alle“ Personen einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt seien (UNHCR vom April 2017, S. 6, Fn. 32). Diese Aussagen können nicht als gesicherte Grundlage für eine entsprechende Gefahrenprognose herangezogen werden. Sie sind insgesamt zu pauschal und unbsubstantiiert (vgl. hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 53; VGH München, Urteil vom 21. März 2017 – 21 B 16.31011 – juris, Rn. 62).

62

Die weiteren vorhandenen Berichte über Einzelfälle betreffen spezielle Personengruppen, die jedenfalls nicht mit den Klägern vergleichbar sind. Betroffen waren namentlich ein Journalist, ein Leiter einer Nichtregierungsorganisation, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sowie ein früherer syrischer Grenzsoldat, der sich in die Türkei abgesetzt hatte (vgl. IRB, vom 19. Januar 2016, S. 3). Des Weiteren soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte“. Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein „Finanzier der Revolution“ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; er sei 20 Tage lang festgehalten und wiederholt geschlagen worden. Das IRB verweist des Weiteren auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Nach dieser sollen laut UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige seien bei Ankunft am Flughafen festgenommen worden (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5; auch SFH vom 21. März 2017, S. 9).

63

Die geschilderten Konstellationen sind mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar und belegen vielmehr, dass die syrischen Sicherheitsbehörden willkürlich vorgehen. Es fehlt in diesen Fällen an der Gerichtetheit der Maßnahme und der erforderlichen Verknüpfung. Eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass Personen betroffen sind, bei denen zusätzlich zur Rückkehrsituation weitere Verdachtsmomente vorliegen. Jedenfalls lassen diese Informationen nicht die hinreichend gesicherte Annahme zu, dass zurückkehrende Asylbewerber grundsätzlich gerade in dieser Eigenschaft und ohne zusätzliche prägende gefahrerhöhende Merkmale vom syrischen Regime als vermeintliche Oppositionelle mit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen behandelt werden (vgl. ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 46).

64

Diese Einschätzung wird durch diverse gleichlautende Auskünfte bestätigt, nach denen eine Systematik bei der Behandlung von Rückkehrern derzeit nicht erkennbar sei und sich diese häufig willkürlich gestalte (vgl. u.a. DRC vom August 2017, S. 17). Sicherheitsbeamte hätten einen Freibrief und könnten im Falle eines Verdachts jeden verhaften. Das System sei sehr unberechenbar. Ein Rückkehrer könne auch ohne triftigen Grund misshandelt werden, wenn ein Sicherheitsbeamter eine Abneigung gegen diesen empfinde (IRB vom 19. Januar 2016, S. 2). Ebenso meint ein auf Syrien spezialisierter Gastwissenschaftler am Londoner Kings College, ein abgelehnter Asylbewerber könne wegen der Beantragung von Asyl festgenommen werden, dies sei aber nicht automatisch der Fall. Nichts sei vorhersagbar (IRB vom 19. Januar 2016, S. 5, Einschätzung vom 15. Dezember 2015). Das Risiko nach einem längeren Aufenthalt im Ausland sei mangels belastbarer Zahlen kaum zu beurteilen. Es gebe zum Teil aber auch Berichte über Befragungen oder gar einen allgemeinen Verdacht gegenüber Rückkehrern. Ob davon alle wiedereinreisenden Personen betroffen seien, könne nicht mit Sicherheit gesagt werden (DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 1. Februar 2017, S. 1 f.).

65

Eine andere Einschätzung ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus den vom UNHCR mehrfach erwähnten Risikoprofilen. Im Bericht vom Februar 2017 (deutsche Übersetzung von April 2017) wird unter Verweis auf das IRB vom 19. Januar 2016 Folgendes ausgeführt (S. 5, Fn. 26):

66

„Aus Quellen geht hervor, dass für die folgenden Gruppen ein höheres Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden besteht: Kurden (…), Palästinenser, (…), Sunniten (…), bekannte Islamisten (…) und Personen, die aufgrund ihrer Kleidung religiös erscheinen (…). Quellen zufolge besteht für regierungskritische Aktivisten ein größeres Misshandlungsrisiko durch Flughafen- und Grenzbehörden (…) als für Familienmitglieder der Aktivisten (…). Außerdem sind Quellen zufolge Rückkehrer aus Gebieten, in denen die Opposition aktiver ist (…) oder kämpft, einem größeren Risiko harter Behandlung ausgesetzt.“

67

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass in der 4. aktualisierten Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015, die Gruppe der im (westlichen) Ausland um Asyl nachsuchenden Personen nicht als eigenständige Risikogruppe benannt worden war (siehe S. 25 ff.). Auch in der 5. Aktualisierung (englische Fassung: International Protection Considerations with Regard to the People Fleeing thy Syrian Arab Rebublic Update V) vom November 2017 werden diese Personen – jedenfalls nicht ausdrücklich – als eigenständige Risikogruppe eingestuft (siehe S. 34 f.). Hingegen gibt der UNHCR in seinem Bericht vom Februar 2017 (dt. Fassung, April 2017, S. 30) an, dass aus Berichten hervorgehe, die Regierung betrachte bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung. Unter diese Aktivitäten würden auch Anträge auf Asyl fallen. Ausweislich der in Fußnote 146 (S. 30) aufgeführten Quellen würden abgelehnten Asylbewerbern Inhaftierung und Folter drohen. Zu diesen Quellen gehören vor allem die bereits dargestellten Äußerungen einer emeritierten Professorin aus Oxford, des Executive Director des Syria Justice und Accountability Center sowie eines Gastwissenschaftlers vom Kings College London. Auf die obigen Einschätzungen des Senats zu diesen Quellen wird insoweit Bezug genommen.

68

Nach Auffassung des Senats kann den Stellungnahmen des UNHCR und den in Bezug genommen Quellenangaben nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden kann, dass es grundsätzlich bei jedem Rückkehrer aus dem westlichen Ausland zu zielgerichteten Verfolgungshandlungen kommt. Vielmehr ist diesen in der Gesamtschau zu entnehmen, dass die Gefahr einer Inhaftierung oder von Folterhandlungen vom Vorhandensein weiterer – konkreter – risikoerhöhender Merkmale abhängt.

69

Dem Auswärtigen Amt liegen – wie bereits dargestellt – keine Erkenntnisse vor, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes und einer Asylantragstellung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Anders könne dies aussehen, wenn das Regime davon ausgeht, dass sich die Person oppositionell betätigt hat (AA an VG Wiesbaden vom 2. Januar 2017 und an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2; vgl. auch AA an OVG Schleswig vom 7. November 2016). Zwar seien Berichte über Befragungen vorhanden, es gebe jedoch keine Kenntnisse von Übergriffen in diesem Zusammenhang. Die syrischen Sicherheitsdienste agierten allerdings de facto im rechtsfreien Raum (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7221/16.A, S. 2 f.). Einer Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut zufolge gebe es keine Erkenntnisse über Sanktionen ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthaltes. Fälle, in denen Rückkehrer befragt, inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien, stünden im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Militärdienst (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1).

70

Die vom Verwaltungsgericht Dresden als Sachverständige zur Auskunft herangezogene Petra Becker gibt an, dass Befragungen und eventuelle Misshandlungen nicht an eine (zugeschriebene) politische Gesinnung anknüpften. Vielmehr werde jeder Rückkehrer befragt und Misshandlung gehöre einfach zur Routine eines Verhörs durch das Regime, unabhängig von der Person des Betroffenen (Auskunft vom 6. Februar 2017 zu Az.: 5 A 1237/17.A). Einem weiteren Bericht nach werde in der Praxis angesichts der großen Zahl illegal ausgereister Syrer niemand allein deswegen bestraft, auch wenn die Ausreise ohne die erforderlichen Dokumente im Prinzip illegal sei (DRC August 2017, S. 27 f.).

71

Gegen die Annahme, das syrische Regime betrachte jedenfalls Syrer, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, als regierungsfeindlich, spricht zudem, dass zwischen April 2011 und Juli 2017 über 970.000 syrische Staatsangehörige Asyl in Europa beantragt haben (UNHCR, November 2017, S. 24). Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern vorwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge, dürfte auch den syrischen Behörden bekannt sein. Der Senat schließt sich dieser in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Sichtweise an (vgl. ebenso OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 44, 52, 59; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 22; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 60; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16.OVG – juris, Rn. 167; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 24). Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch die Zahl der insgesamt aus Syrien geflohenen Personen und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen (siehe oben).

72

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht im Lichte der kurz vor der mündlichen Verhandlung veröffentlichen Berichte über eine vom syrischen Regime geplante Bodenreform. Die Süddeutsche Zeitung vom 23. April 2018 – „Assad macht Eigentum zur Waffe“ – berichtet insoweit:

73

„Dekret Nummer 10, das Präsident Baschar al-Assad am 4. April unterzeichnet hat, ermöglicht es der Regierung, neue Bebauungspläne zu erlassen. Lokale Expertenkomitees sollen dann die Eigentumsverhältnisse in den Gebieten klären, wo es keine formellen Kataster gibt - oder diese im Krieg zerstört wurden, wie etwa in Homs. Binnen 30 Tagen nachdem ein solcher Entwicklungsplan per Dekret erlassen wird, müssen die Besitzer von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen ihre Eigentumsrechte nachweisen. Anderenfalls kann ihr Besitz versteigert oder der öffentlichen Hand zugeschlagen werden. Entschädigungen sind nur beschränkt vorgesehen.“

74

Die geplante Bodenreform könnte im Falle ihrer Umsetzung vor allem für nach Europa geflüchtete Syrer die Schwierigkeit begründen, dass sie überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig die Eigentumsverhältnisse an ihnen gehörenden Immobilien nachweisen können. Allerdings ergibt sich für den Senat aus der zitierten Berichterstattung nicht, ob und unter welchen Umständen sich betroffene Eigentümer bei dem vorgesehenen Verfahren von Dritten vertreten lassen können oder eine Geltendmachung auf andere Art und Weise auch aus dem Ausland möglich ist. Unabhängig von der Frage, ob man auf diesem Dekret beruhende Enteignungen als Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ansehen kann, geht aus dem Bericht nicht hervor, dass bei den angekündigten Maßnahmen zwischen sog. Binnenvertriebenen innerhalb Syriens oder in das Ausland Geflohenen unterschieden wird. Die angekündigten Maßnahmen dürften daher – jedenfalls rein formal – jeden syrischen Staatsbürger mit Grundbesitz treffen. Des Weiteren ergibt sich aus der Berichterstattung nicht, ob das Dekret Entschädigungszahlungen für die Betroffenen oder Rechtsschutzmöglichkeiten vorsieht. Aus diesen Gründen und auch mangels anderweitiger Erkenntnisse ist für den Senat nicht ersichtlich, dass etwaige auf dem benannten Dekret beruhende Enteignungen aufgrund einer (ggf. unterstellten) oppositionellen Einstellung des betroffenen Eigentümers bzw. Besitzers erfolgen.

75

Nach der gebotenen Gesamtwürdigung der insoweit relevanten Umstände geht der Senat davon aus, dass das syrische Herrschaftsregime (Assad-Regime) nicht jedem rückkehrenden Asylbewerber aus dem westlichen Ausland eine (vermeintliche) Regimegegnerschaft unterstellt, sofern nicht besondere, individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die auf eine oppositionelle Einstellung hinweisen.

76

b) Im Falle der Kläger liegen keine solchen risikoerhöhenden Faktoren für die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung bzw. einer Verfolgung wegen einer vermeintlich oppositionellen Einstellung vor. Anknüpfend an die soeben dargestellten Erkenntnisse und den vor allem in den Berichten des UNHCR aufgeführten Risikoprofilen sind bei allen Klägern die Aspekte ihrer Religionszugehörigkeit (aa) sowie ihrer regionalen Herkunft (bb) näher zu erörtern.

77

aa) Die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben allein stellt keinen risikoerhöhenden Faktor dar, aufgrund dessen den Klägern bei einer Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich die Gefahr einer Verfolgung drohen würde, weil ihnen deshalb eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werden würde. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung insoweit klargestellt, ebenfalls der sunnitischen Glaubensrichtung anzugehören.

78

Nach Berichten des UNHCR bestehe zwar die von der Regierung bekämpfte Opposition größtenteils aus sunnitischen Arabern (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 54). Die Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Sunniten erhöhe daher die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (so bereits UNHCR vom April 2017, S. 5; SFH vom 21. März 2017, S. 11; siehe auch UNHCR vom November 2015, S. 26, wonach die Mitgliedschaft in religiösen Gruppen – darunter auch die Sunniten – ein gefahrerhöhendes Moment sein könne). Anderen Berichten zufolge seien alle Rückkehrer von Misshandlungen am Flughafen und Grenzübergängen bedroht. Ethnizität und Religion seien keine Aspekte, die sich auf die Gefährdung durch Misshandlung auswirkten (vgl. IRB vom 19. Januar 2016, S. 7).

79

Trotz des vor allem vom UNHCR definierten Risikoprofils kann eine generelle Gefährdung sunnitischer Syrer bereits deshalb nicht angenommen werden, weil 74 % der syrischen Bevölkerung der Glaubensgruppe der Sunniten angehören (Stand 2006, siehe http://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/fischer-weltalmanach/65805/syrien). Ferner sind Sunniten sowohl im Regime als auch in den Streitkräften – zum Teil in hohen Stellungen – vertreten (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht“, Bundeszentrale für politische Bildung, vom 19. Februar 2016; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017, a.a.O., Rn. 83 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017, a.a.O., Rn. 68). Allenfalls kann die sunnitische Religionszugehörigkeit ein weiterer Faktor bei der Bestimmung des Risikoprofils in dem Sinne sein, dass eine aus anderen Gründen den Regierungskräften verdächtig erscheinende Person als umso verdächtiger wahrgenommen werden wird, wenn sie sunnitischer Glaubenszugehörigkeit ist (in diese Richtung ebenfalls UNHCR vom Februar 2017, S. 2).

80

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der UNHCR in seiner Stellungnahme von November 2017 (S. 54 ff.) die Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben nicht mehr als per se risikoerhöhenden Faktor ansieht und auch nicht als ein Merkmal, aufgrund dessen der Person regierungsfeindliche Absichten unterstellt werden (ebenso: VGH Mannheim, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 – juris, Rn. 48). Vielmehr geht auch der UNHCR davon aus, dass die Verfolgungsgefahr für Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppen von Region zu Region variiert und von den spezifischen Konfliktbedingungen der jeweiligen Region abhänge. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich insbesondere für Angehörige religiöser und ethnischer Gruppen, die aus Gebieten stammten, die von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, so dass diesen abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalles der Flüchtlingsschutz zu gewähren sei.

81

Hierunter fallen die Kläger nicht. Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse vor, dass Sunniten in Damaskus oder dessen unmittelbarer Umgebung wegen ihrer Religionszugehörigkeit durch das Assad-Regime verfolgt werden (so auch OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 86).

82

bb) Eine den Klägern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihnen seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie nach eigenen Angaben aus einem Gebiet stammen, das unter Kontrolle von oppositionellen Truppen gestanden hat.

83

Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung insoweit angegeben, dass sein Herkunftsort namens Sbena, ein Vorort von Damaskus, jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Ausreise unter der Kontrolle von oppositionellen Kräften gestanden habe. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers zu 1) nicht zutreffen. Vielmehr bestätigen vorhandene Berichte, dass sowohl Vororte als auch Stadteile von Damaskus zwischen den Truppen des Assad-Regimes und anderen Konfliktparteien umkämpft sind bzw. waren (vgl. beispielhaft Spiegel-Online vom 21. April 2018, Viertel Jarmuk in Damaskus, Zwei Quadratkilometer Bürgerkrieg; Spiegel-Online vom 16. Dezember 2016, Bürgerkrieg in Syrien – Assad lässt Damaskus bombardieren).

84

Der UNHCR meint, aus Unruhegebieten stammende Personen würden von der Regierung mit oppositionellen Gruppen in Verbindung gebracht und als regierungsfeindlich betrachtet (UNHCR vom November 2017, S. 33, 37; und vom Februar 2017, S. 16). Willkürliche Festnahmen basierten häufig allein auf der Herkunft aus einem Ort, in dem oppositionelle Kräfte aktiv sind (UNHCR vom November 2017, S. 37; Februar 2017, S. 21). So sei es in Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt habe, zu Festnahmen von Männern und Jungen über 12 Jahren allein wegen der ihnen von der Regierung zugeschriebenen Unterstützung für regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte gekommen (UNHCR, Februar 2017, S. 20). Einigen Auskünften zufolge erhöhe daher die Herkunft aus von der Opposition besetzten oder umkämpften Regionen die Gefahr, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden (UNHCR vom Februar 2017, S. 5; vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 11).

85

Es gibt allerdings keine dahingehenden Informationen, dass aus dem Ausland nach Syrien Zurückkehrende allein aufgrund ihrer Herkunft aus einer vermeintlich regierungsfeindlichen Region Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Zumeist ist nur von gefahrerhöhenden Umständen die Rede. Der Senat schließt sich zudem der in obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, dass viel dafür spricht, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen zwischen dem Assad-Regime und Konfliktparteien in ihrer Region ins Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (so OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018
2 LB 194/17 – juris, Rn. 66 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 71; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 160 ff.).

86

cc) Ungeachtet der voranstehenden Ausführungen genügt allein die pauschale Bezugnahme auf eines oder mehrere vom UNHCR definierten Risikoprofile nach Auffassung des Senats nicht, um die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten (politischen) Verfolgung durch das Assad-Regime begründen zu können. Es bedarf stets einer konkreten Einzelfallbetrachtung. Die Zugehörigkeit zu den vom UNHCR in den International Protection Considerations with Regards to People Fleeing the Syrian Arab Republic, Update V, vom November 2017 benannten Risikogruppen indiziert zwar nach wie vor die Wahrscheinlichkeit, dass die betroffene Person Internationalen Schutz benötigt; dies wird jedoch durchweg durch die Worte relativiert: "depending on the individual circumstances of the case". Es ist also schon nach dem eigenen Anspruch der "Considerations" nicht angängig, die Annahme einer politischen Verfolgung allein auf die pauschale Zuordnung zu einer oder mehreren der Risikoprofile zu stützen, insbesondere ohne Rücksicht auf die Frage, in welches Umfeld der Betroffene hypothetisch zurückkehren müsste. Erforderlich ist vielmehr auch danach stets eine hinreichend substantiierte Einzelfallbetrachtung (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. März 2018 – 2 LB 1749/17 – juris, Rn. 118; OVG Saarlouis, Beschluss vom 11. April 2018 – 2 A 147/18 –, juris Rn. 9).

87

Die Kläger zu 2) bis 6) haben keine (weiteren) konkreten Umstände vorgetragen, weshalb ihnen vom Assad-Regime eine oppositionelle Einstellung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohen könnten.

88

c) Für den Kläger zu 1) gilt dies auch in Ansehung seines Vortrags, er werde bei einer Rückkehr als Reservist zum Wehrdienst einberufen. Der Umstand, dass er sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch seinen Auslandsaufenthalt entzogen hat, begründet keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung durch den syrischen Staat.

89

aa) Der Senat geht nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel hinsichtlich der tatsächlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Wehrdienst in der syrischen Armee von Folgendem aus:

90

In Syrien besteht eine allgemeine Wehrpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund wie auch für Palästinenser gilt, die in Syrien leben. Oppositionelle werden ebenfalls einberufen. Die Registrierung für die Wehrpflicht erfolgt im Alter von 18 Jahren. Nach Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 38) sind junge Männer im Alter von 17 Jahren aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von mindestens 18 Jahren werden die Männer per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Zudem werden junge Männer an Kontrollstellen oder bei Razzien auf öffentlichen Plätzen (zwangs)rekrutiert (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 3; BFA vom August 2017, S. 18; DRC, August 2017, S. 13). Jeder Mann im Alter zwischen 18 und 42 Jahren ist gesetzlich verpflichtet, einen zweijährigen Militärdienst abzuleisten. Die Wehrpflicht besteht auch für Verheiratete und Familienväter (AA an VG Düsseldorf, a.a.O.). Aufgrund der prekären Personalsituation soll es sogar zu Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen gekommen sein (BFA vom August 2017, S. 18; SFH vom 23. März 2017, S. 5 ff.).

91

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen – von Bestechungen abgesehen – bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Zudem bestehen Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten. Diese Regelungen gelten zwar formal weiterhin, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung. Für im Ausland lebende Männer gibt es die gesetzliche Möglichkeit, sich gegen Zahlung einer Geldkompensation vom Militärdienst zu befreien (vgl. BFA vom August 2017, S. 20; DRC vom August 2017, S. 8 f.; SFH vom 23. März 2017, S. 8). Nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a.a.O., m.w.N.) gelte dies nur für Männer, die entweder legal für ihre Arbeit oder ihr Studium ausgereist seien, oder für Söhne von Diplomaten und die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben. Die zu zahlende Gebühr wurde von 5.000 US-Dollar im Jahr 2014 auf 8.000 US-Dollar erhöht (vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 42, und AA an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A vom 2. Januar 2017, S. 6).

92

Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (UNHCR vom April 2017, S. 30; AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 5; SFH vom 23. März 2017, S. 4). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den vorliegenden Erkenntnisquellen seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung, eher zur Ausnahme geworden. Viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (SFH vom 23. März 2017, S. 5 f.; Finnish Immigration Service [FIS] vom 23. August 2016, S. 12).

93

Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein und mit ihrer Einberufung rechnen (AA vom 2. Januar 2017 an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4). Reservisten werden wie Rekruten einberufen. Entweder erhalten sie eine Benachrichtigung des Rekrutierungsbüros oder sie werden über öffentliche Aufrufe im Fernsehen, Radio oder über die Presse einberufen (SFH vom 18. Januar 2018, S. 6). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt. Aufgrund der prekären Personalsituation gibt es nach den vorliegenden Auskünften gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr würden im Einzelfall Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (BFA vom August 2017, S. 20; so auch FIS vom 23. August 2016, S.11). Nach Angaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Österreich (vom 25. Januar 2018, S. 20) bestand der Reservedienst vor dem Ausbruch des Konflikts im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten und Reservisten seien nur selten einberufen worden. Dies habe sich seit 2011 jedoch geändert. Es würden einzelne Berichte vorliegen, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen habe (z.B. Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung; so auch UNHCR vom April 2017, S. 24 f., Fn. 118). Bei der Einberufung von Reservisten sei das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person sowie ihr Rang und ihre Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der die Person gedient habe (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf DRC vom 26. Februar 2015 und vom August 2017, S. 10). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe gibt an, dass „verschiedenen Quellen“ zufolge Männer bis zum 54. Lebensjahr eingezogen werden (Auskunft an VG Wiesbaden vom 17. Januar 2017). Dem Auswärtigen Amt liegen Berichte vor, wonach die Wehrpflicht in der Praxis bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet werde (Auskunft an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, S. 3). Nach einer weiteren Auskunft könnten Männer bis zum 52. Lebensjahr einberufen werden (Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2). Vereinzelt werden demgegenüber Berichte über die Einziehung jenseits der Altersgrenze von 42 Jahren als „Gerüchte“ bezeichnet (DRC vom August 2017, S. 40).

94

Über die aktuelle (allgemeine) Praxis der Rekrutierung wird berichtet (vgl. insgesamt zum Nachfolgenden: BFA vom 25. Januar 2018, S. 38 ff., und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC, August 2017, S. 8, 13), dass es im Zeitraum von März 2016 bis März 2017 keine Generalmobilmachung gegeben habe. Jedoch seien offenbar in verschiedenen Wellen die Bemühungen intensiviert worden, Wehrpflichtige und Reservisten einzuziehen; nach einigen Quellenangaben erfolgte dies deshalb, weil nur wenige Männer auf die Einberufung reagiert und sich zum Dienst eingefunden haben (DRC vom August 2017, S. 8). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet: Das syrische Regime habe seit Herbst 2014 die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgten örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gebe es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten und erstmals wehrdienstpflichtigen jungen Männern, die bei Aufgreifen verhaftet würden (SFH vom 23. März 2017, S. 6 f., und vom 28. März 2015, S. 2 ff.). Die regulären Rekrutierungsmethoden würden immer noch angewendet, weil das Regime zeigen wolle, dass sich nichts verändert habe. So würden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Es gebe aber auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die, ohne einberufen worden zu sein, in Syrien lebten (BFA vom 5. Januar 2017, S. 23). Insgesamt sei schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee tatsächlich durchgesetzt werde. In der syrischen Armee herrsche zunehmende Willkür und die Situation könne sich von einer Person zur anderen unterscheiden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 22 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 5 ff.). So wird beispielsweise über die im Land errichteten Kontrollstellen berichtet (UNHCR, vom April 2017, S. 24 ff.; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 2), dass an diesen in großem Maße Männer im wehrdienstfähigen Alter, die einen Einberufungsbescheid erhalten hätten, aber auch solche, bei denen dies noch nicht der Fall gewesen sei, eingezogen würden. Während an anderer Stelle berichtet wird, an den Kontrollstellen würden Bestechungsgelder verlangt (vgl. SFH vom 28. März 2015, S. 4), um sich vom Militärdienst freizukaufen. Es gebe weitere Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft hätten, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden könne, sondern schlicht Willkür darstelle. So sei es vor dem Bürgerkrieg gängige Praxis gewesen, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was aber nicht davor schütze, im Zuge des aktuellen Konflikts – manchmal sogar Jahre danach – dennoch eingezogen zu werden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 41).

95

Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie von der Wehrpflicht bzw. vom Militärdienst freigestellt sind, ausreisen. Seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH vom 23. März 2017, S. 13 f., SFH vom 28. März 2015, S. 4 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres werde die Ausreise erschwert, indem ihnen Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt würden (BFA vom 5. Januar 2017, S. 24). Männer, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet hätten, könnten eine Ausreisegenehmigung einfacher bekommen (BFA, August 2017, S. 24). Die Ausreise ohne die erforderliche Genehmigung bzw. über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt sei strafbar. Einschätzungen des UNHCR zufolge sei es jedoch unklar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt werde und Rückkehrer entsprechender Strafverfolgung ausgesetzt seien, da die Gesetzesumsetzung in Syrien willkürlich und nicht vorhersehbar sei (UNHCR vom April 2017, S. 2 f.).

96

Wehrdienstverweigerung wird in Syrien nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4 f.; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 2; SFH, vom 30. Juli 2014, S. 3 f. und vom 23. März 2017, S. 8 f.). Dessen Artikel 98 bestimmt, dass derjenige, der sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre. Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch illegale Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen mit Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden (AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zum Az. 5 K 7480/16.A, S. 5).

97

Die Umsetzung der Bestrafung scheint nach den vorliegenden Erkenntnisquellen willkürlich zu sein (siehe SFH, 23. März 2017, S. 10 f. mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen). In diesem Zusammenhang gibt es etwa Stellungnahmen, dass zurückkehrenden Wehrdienstpflichtigen Haft, Folter, Misshandlungen, Einsatz an der Front sowie dauerhaftes Verschwinden bzw. Tod drohe (vgl. beispielhaft DOI an OVG Schleswig vom 8. November 2016; Deutsche Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, S. 1 f., wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien bzw. verlässlichen Berichten zufolge inhaftierte Personen aus dem Gefängnis heraus zum Militärdienst eingezogen wurden; IRB vom 19. Januar 2016, wonach Wehrdienstpflichtige eine sehr vulnerable Gruppe darstellen; SFH vom 28. März 2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme).

98

Zum anderen ergibt sich aus den zur Verfügung stehenden Berichten auch, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betroffenen, seinem Profil, der Herkunftsregion aber auch dem Bedarf an der Front abhänge. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und die Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf weitere Quellen, u.a. FIS vom 23. August 2016, S. 12 f.; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Es wird auch dargestellt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4; BFA, 5. Januar 2017, S. 27). Nach dem UNHCR würden Wehrdienstentzieher in der Praxis eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft würden, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt, oft nach nur minimaler Ausbildung (UNHCR, November 2017, S. 40). Der Danish Refugee Council (August 2017, S. 13 f., Fn. 62) berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie aufgegriffen werden, riskierten, in den Militärdienst gesandt zu werden, während Deserteuren härtere Strafen drohten, wie z.B. Haft oder Todesstrafe. Nach anderen Berichten gebe es aber auch Deserteure, die nachdem sie wieder aufgegriffen worden seien, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC vom August 2017, S. 14, Fn. 67 – 69, SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.).

99

bb) Hiervon ausgehend ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr nach Syrien als Reservist zum Militärdienst einberufen würde. Auch dürfte er sich wegen seines längeren Aufenthalts im westlichen Ausland der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung strafbar gemacht haben.

100

Zwar hat der Kläger zu 1) zwischenzeitlich das gesetzliche Höchstalter für den Militärdienst von 42 Jahren überschritten. Dieser Umstand allein steht der Einberufung jedoch nicht entgegen. Zum einen ergibt sich aus den dargestellten Erkenntnissen, dass dem gesetzlichen Höchstalter für den Militärdienst angesichts des hohen Personalbedarfs in der syrischen Armee keine bzw. nur eine geringfügige Relevanz zukommt. Zum anderen ist der Kläger zu 1) im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 43 Jahre alt. Er überschreitet das gesetzliche Höchstalter daher nur geringfügig. Ferner befand er sich im Zeitpunkt der Ausreise mit 39 Jahren noch im Reservistenalter und unterlag somit den dargestellten gesetzlichen Pflichten. Die berufliche Qualifikation und die bisherige Verwendung im Militär lassen demgegenüber keine unmittelbaren Schlussfolgerungen auf die Wahrscheinlichkeit einer Einziehung zum Reservedienst zu. Den Angaben des Klägers zufolge habe er bei seinem Wehrdienst in den Jahren 1995 bis 1997 eher einfache Bürotätigkeiten in der Personalverwaltung im Generalkommando in Damaskus ausgeübt. Er sei vorwiegend als Schreibkraft an PCs tätig gewesen. An Kampfeinsätzen habe er nicht teilgenommen. Vor seiner Ausreise hätte er zudem als angelernter Drucker gearbeitet. Gleichwohl könnten die vom Kläger zu 1) geschilderten Tätigkeiten im EDV-Bereich zu einem erhöhten Rekrutierungsinteresse führen. Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Rekrutierung des Klägers zu 1) lässt sich auch nicht anführen, dass sich der Kläger zu 1) seinen Angaben zufolge im Jahr 2002 von einem weiteren Wehrdienst „freigekauft“ habe. Sollte es sich hierbei um eine gültige bzw. offizielle Befreiung gehandelt haben, wäre das Einholen einer Genehmigung der Militärbehörden für die Ausreise in den Irak im Jahr 2013 wohl nicht erforderlich gewesen. Zudem ergibt sich aus den Erkenntnisquellen, dass man trotz eines „Freikaufens“ vom Wehrdienst vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs nicht davor geschützt sei, im Zuge des aktuellen Konflikts eingezogen zu werden.

101

Der Kläger zu 1) ist nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung legal über den Flughafen von Damaskus und mit einer Genehmigung der Militärbehörden im Jahr 2013 in den Irak ausgereist. Insofern liegt zwar kein Verstoß gegen die dargestellten gesetzlichen Vorgaben zur Verfügbarkeit für das syrische Militär vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass die spätere Weiterreise des Klägers zu 1) in das westliche Europa nicht von der ursprünglichen Ausreisegenehmigung gedeckt gewesen ist und er sich durch die unterlassene Mitteilung einer Anschrift nach den dargestellten syrischen Vorschriften strafbar gemacht hat bzw. gesetzeswidrig verhalten hat.

102

cc) Unter Zugrundelegung der Annahme, das syrische Regime werde den Kläger zu 1) aufgrund seines längeren Auslandsaufenthalts im wehrdienstfähigen Alter bei einer hypothetischen Rückkehr wie einen Wehr- bzw. Militärdienstentzieher behandeln, der der Einberufung nicht gefolgt ist bzw. ohne eine Genehmigung des Militärs das Land verlassen und keine Adresse hinterlassen hat, unter der er für die Militärbehörden erreichbar ist, hat sich der Kläger zwar strafbar gemacht. Der Senat hält es gleichwohl schon nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass ihm eine Verfolgungshandlung (1), insbesondere eine Bestrafung aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründen (2), etwa wegen einer unterstellten Regimegegnerschaft, droht.

103

Voranzustellen ist dabei, dass die Heranziehung zur Wehrpflicht bzw. Rekrutierung volljähriger Männer als solche keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung darstellt, weil diese nicht wegen eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, sondern alle Männer trifft, die den Wehrdienst abzuleisten haben oder als Reservist wieder eingezogen werden könnten. Auch die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen wegen Kriegsdienstverweigerung oder Desertion, selbst wenn sie von weltanschaulich totalitären Staaten ausgehen, stellen nicht schon für sich allein eine politische Verfolgung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – juris, Rn. 11; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 – juris, Rn. 63). Anderes gilt nur dann, wenn beides nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dient, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (stRspr., vgl. BVerwG, Urteile vom 19. August 1986 – 9 C 322.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 54 = DVBl 1987, 47, vom 6. Dezember 1988 – 9 C 22.88 – BVerwGE 81, 41 <44> und vom 25. Juni 1991 – 9 C 131.90 – Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 21 = InfAuslR 1991, 310 <313>; zuletzt Beschluss vom 24. April 2017 – 1 B 22.17 – juris, Rn. 14; allgemein zur Erforderlichkeit der Anknüpfung an die politische Überzeugung als Grundlage eines zielgerichteten Eingriffs in ein flüchtlingsrechtlich geschütztes Rechtsgut s.a. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 <335>; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – BVerwGE 133, 55 <60 f.>).

104

Es kann daher offen bleiben, ob die Rekrutierung des Klägers eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG darstellte. Jedenfalls fehlt es in Bezug auf die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft daran, dass die Rekrutierung zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt wird, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe getroffen werden sollen. Insbesondere stellt die Gruppe der Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, keine soziale Gruppe im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Insoweit fehlt es jedenfalls daran, dass die Gruppe dieser Männer in Syrien eine abgegrenzte Identität hat (vgl. zu den Maßstäben bei einer Gruppenverfolgung auch OVG Schleswig, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 1 LB 67/05 – juris, Rn. 30 m.w.N.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Gesellschaft die Männer, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, als soziale Gruppe wahrnimmt. Auch liegt insoweit keine Anknüpfung an das (männliche) Geschlecht vor. Sanktionen wegen Verletzung dieser Pflicht richten sich ausschließlich nur deshalb gegen Männer, weil eine Wehrdienstpflicht in Syrien nur für Männer besteht (vgl. zuletzt DOI, Auskunft an VGH Kassel vom 22. Februar 2018, S. 4; AA an VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zu Az. 5 K 7480/16.A, S. 4).

105

(1) Für die Frage des Vorliegens einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ist zu bewerten, ob sich aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in hinreichender Dichte Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger zu 1) bei der gedanklich zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien bestraft bzw. inhaftiert werden würde (mit der damit verbundenen Gefahr der Folter oder Misshandlung), wenn ihm das syrische Regime die Erfüllung der Straftatbestände der Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehung unterstellt. Ob einem Wehr- bzw. Militärdienstentzieher allein die Einziehung zum Wehrdienst und ein Militäreinsatz oder zusätzlich eine Inhaftierung bzw. ein Strafverfahren drohen, wird in den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht einheitlich beurteilt. Der Senat ist nach der Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände jedoch der Auffassung, dass keine hinreichenden Erkenntnisse dafür vorliegen, dass (ggf. zurückkehrenden) Wehr- bzw. Militärdienstdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, sofern keine weiteren individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten. Vor allem im Hinblick auf den weiterhin hohen Personalbedarf in der syrischen Armee und die Rekrutierungsbemühungen des Assad-Regimes fallen selbst die geschilderten – wenn auch nur zum Teil belegten – Verfolgungsfälle nicht im erforderlichen Maße ins Gewicht (so ebenfalls OVG Hamburg, Urteil vom
11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 107 ff.; die Frage einer Verfolgungshandlung ebenfalls verneinend OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 94 ff.; die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung im Ergebnis wohl bejahend: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 41; OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 147, 152).

106

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus, dass bei Einreisen nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft werde, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst absolviert hätten, komme es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert würden (BFA vom 25. Januar 2018, S. 40 mit Verweis auf IRB vom 19. Januar 2016, S. 6 f.).

107

Der UNHCR führt in seinen Stellungnahmen aus November 2017 (S. 40, Fn. 227 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des UNHCR aus Februar 2017) und vom 30. Mai 2017 (S. 2) aus, dass Berichten zufolge Wehr- bzw. Militärdienstentziehern eher als strafrechtliche Sanktionen (Inhaftierung) nach dem Militärstrafgesetz innerhalb von Tagen bzw. Wochen nach ihrer Festnahme ein Einsatz an vorderster Front drohe, oft nur mit einer minimalen Ausbildung. In der deutschen Übersetzung von April 2017 (S. 23 und Fn. 113) der in Bezug genommenen Stellungnahme vom Februar 2017 heißt es, dass Wehrdienstentzieher Berichten zufolge in der Praxis festgenommen und unterschiedlich lange inhaftiert würden, sie müssten danach in ihrer militärischen Einheit Dienst leisten. Aus Berichten gehe weiter hervor, dass sie während der Haft dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt seien. Als Referenz wird eine Anwältin von Human Rights Watch mit der Äußerung zitiert, Human Rights Watch wisse, dass Menschen in Syrien aufgrund ihrer Weigerung, in der Armee zu dienen, inhaftiert seien. Zudem wird ein Bericht aus Al Jazeera vom Juni 2016 angeführt, wonach mögliche Folgen für Wehrdienstentzieher umgehende Einziehung nach der Festnahme, Einsatz an vorderster Front, Untersuchung und Folter und/ oder Inhaftierung seien. Welche Konsequenz(en) die Wehrdienstentziehung habe, könne vom Profil der betreffenden Person, ihren Verbindungen und dem Gebiet abhängen (siehe auch UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 4 Fn. 15: „…Die Quellen sprechen von mehreren möglichen Konsequenzen, wenn ein Wehrdienstentzieher von den Behörden gefasst wird; unmittelbar nach der Festnahme verordnete Einberufung in den Wehrdienst, Einsatz an vorderster Front, Ermittlungen und Folter, und/ oder Inhaftierung. Welche dieser Konsequenzen oder welche Kombination an aufgeführten Konsequenzen eine Person zu befürchten hat, hängt vom persönlichen Profil der Person, ihren Verbindungen und ihrem Wohnort ab. Wenn die Behörden besagte Person verdächtigen, in Verbindung mit Oppositionsgruppen zu stehen und mit diesen womöglich zu kooperieren, wird sie Ermittlungen und Misshandlungen einschließlich Folter unterzogen werden. …“.).

108

Der Bericht von Al Jazeera und die weiteren Ausführungen im Bericht des UNHCR deuten eher darauf hin, dass eine Inhaftierung mit Misshandlung und Folter dann droht, wenn aufgrund weiterer Umstände von einer oppositionellen Haltung der betroffenen Person ausgegangen wird. Dem Bericht der Anwältin hingegen ist nicht zu entnehmen, auf welche Tatsachengrundlage er gestützt wird. Auch eine bezifferte Dimension von Inhaftierungs- bzw. von Folterfällen kann dem Bericht nicht entnommen werden.

109

Soweit von einem Einsatz an vorderster Front innerhalb von wenigen Tagen und Wochen nach der Festnahme berichtet wird, führt der UNHCR in seiner Stellungnahme aus April 2017 an anderer Stelle (S. 25 und Fn. 122) aus, es sei gängige Praxis, Wehrpflichtige und Reservisten nach begrenzter Ausbildung oder ganz ohne militärische Ausbildung an den Frontlinien einzusetzen. Als Referenz wird in der Fußnote 122 der Syrienexperte des Institute for the Study of War (ISW), Herr Kozak, zitiert, wonach Reservisten fast grundsätzlich an die vorderste Front und neu eingezogene Wehrdienstleistende fast ohne Ausbildung in den Kampf geschickt würden. Aufgrund dessen kann nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass Militärdienstentzieher nach ihrer Festnahme härter behandelt werden als Personen, die der Einberufung zum Wehrdienst bzw. der Einberufung als Reservist gefolgt sind (vgl. zum sog. Politmalus: BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 – juris, Rn.18 m.w.N.).

110

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Inhaftierung lässt sich auch nicht aus der Stellungnahme von Herrn Kozak gewinnen, die in den Berichten des UNHCR vom November 2017 sowie vom 30. Mai 2017 wiedergegeben wird (UNHCR vom November 2017, S. 40, Fn. 226 - E-Mail von C. Kozak vom 6. Oktober 2017 -; UNHCR, Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 Fn. 14 - E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017 -, vgl. auch S. 6, E-Mail vom 24. Mai 2017). Herr Kozak wird dahingehend zitiert, er habe Berichte gehört, wonach das Verhalten eingezogener Wehrdienstentzieher durch Militäroffiziere und andere Offizielle als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen würde. In der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) wird er dahingehend zitiert, dass die Regierung in der Praxis aufgrund des anhaltenden Bedarfes an Streitkräften ein begrenztes Interesse daran zeige, Wehrdienstentzieher den geltenden rechtlichen Sanktionen zu unterziehen. Anstatt langjähriger Gefängnisstrafen scheine die rasche Einberufung in den Wehrdienst die bevorzugte Reaktion auf Wehrdienstentziehung zu sein und zwar selbst bei Personen, die in Regionen wohnten, die zuvor unter der Kontrolle von Oppositionsgruppen gestanden hätten. Die meisten Wehrdienstentzieher befänden sich daher vermutlich nicht für lange Zeit im Strafverfolgungssystem. Die brutalen Bedingungen der Einziehung zum Militärdienst mit haftähnlicher Internierung auf Militärstützpunkten und minimalem Training vor dem Fronteinsatz blieben jedoch bestehen.

111

Auch wenn sich die verschiedenen Äußerungen inhaltlich nicht widersprechen, lassen sie hinsichtlich der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgungshandlung verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. Den Äußerungen von Herrn Kozak kann zudem nicht entnommen werden, auf welchen tatsächlichen Grundlagen sie beruhen, ob es sich um eine eigene Bewertung handelt oder diesen Äußerungen Erkenntnisse über entsprechende Vorgänge und ggf. in welcher Dimension bzw. unter welchen Umständen zugrunde liegen. Die weiteren vom UNHCR in der Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 6 f.) genannten Referenzquellen (J. Landis, R. Davis und L. Fakih) gehen nach ihrem Verständnis des Assad-Regimes bzw. auf der Grundlage von nicht näher genannten Interviews davon aus, dass Wehrdienstverweigerung als regierungsfeindlich angesehen werde. Den Äußerungen lässt sich ebenfalls – soweit es sich nicht nur um Wertungen handelt – keine Tatsachengrundlage entnehmen.

112

Der Danish Refugee Council (vom August 2017, S. 13 unter Hinweis auf C. Kozak) geht davon aus, dass die individuelle Verfolgung von einzelnen Personen, die sich dem Wehrdienst bzw. dem Militärdienst entzogen hätten, auch angesichts der Vielzahl derjenigen, die der Einberufung nicht gefolgt seien, nicht im Vordergrund stehe. Weiter wird dort (S. 13 f., Fn. 62) unter Berufung auf C. Kozak und andere Quellen ausgeführt, dass Wehrdienstentzieher, wenn sie festgenommen werden, riskierten zum Militärdienst eingezogen zu werden, während Deserteuren eher schwerere Konsequenzen drohten, wie Inhaftierung (imprisonment) oder die Todesstrafe.

113

Das Auswärtige Amt (Auskunft an VG Düsseldorf zu Az. 5 K 7221/16 A vom 2. Januar 2017, S. 2 f.) berichtet – wie bereits ausgeführt – allgemein über Befragungen von Rückkehrern aus dem Ausland und führt gleichzeitig aus, dass zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen bei derartigen Befragungen keine Erkenntnisse vorlägen. Zur speziellen Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Wehrdienstentzieher äußert sich das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 13. September 2017 an das Verwaltungsgericht Köln (S. 1). Es führt aus, dass über die Exekution von desertierten Soldaten berichtet werde, sowie über willkürliche Verhaftungen von Männern, die sich nicht ausweisen könnten und aus umkämpften Gebieten geflohen seien. „Dies gilt auch für Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich dem Militärdienst entzogen haben“. Unabhängig von der genauen semantischen Bedeutung der zitierten Formulierung, ist die Belastbarkeit dieser weiter nicht belegten Äußerung vor allem angesichts der gegenteiligen Erkenntnisse, dass die Rekrutierung von Wehrpflichtigen im Vordergrund stehe, zumindest fraglich. In der Auskunft der deutschen Botschaft Beirut an das BAMF (3. Februar 2016, S. 1) wird von Fällen – auch im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst – berichtet, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert und dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe aber überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten.

114

Das Deutsche Orient-Institut führt in seiner Auskunft vom 8. November 2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (S. 1, 2) zwar aus, dass, wenn die Ausreise u.a. dem Zweck gedient habe, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dies eine harte Bestrafung nach sich ziehe. Allerdings wird weiter ausgeführt, dass die zur Verfügung stehende Datenlage aufgrund der aktuellen Lage in Syrien hinsichtlich behördlicher Aktivitäten und Vorgehensweisen des syrischen Staates nicht immer belastbar sei.

115

Das IRB berichtet in seiner Stellungnahme vom 19. Januar 2016 (S. 5 f. dt. Übersetzung) von einer Gefährdung nicht gedienter Männer bei einer Einreise über die Flughäfen. Verschiedene Quellen hätten festgestellt, dass Männer im wehrfähigen Alter besonders gefährdet seien, von Sicherheitsbehörden am Flughafen und anderen Grenzübergangsstellen misshandelt zu werden. Es ist jedoch unklar, auf welcher Datenlage die benannten Quellen zu der Einschätzung gekommen sind und ob es bei den inhaftierten Personen weitere Anhaltspunkte für eine mögliche oppositionelle Einstellung oder das Zuschreiben einer regimefeindlichen Einstellung gab. So wird an anderer Stelle im Bericht auch ausgeführt (S. 4 f. dt. Übersetzung), dass es nur „limitierte“ Informationen bezüglich der Behandlung von syrischen Rückkehrern seit 2011 gebe bzw. es „sehr schwer“ sei, Informationen über die Behandlung von Rückkehrern durch Grenzbeamte zu erhalten, da die Presse darüber nicht berichten könne. Die im Weiteren geschilderten Einzelfälle können nach Ansicht des Senats schon angesichts der Vielzahl von Wehrdienstentziehern nicht als ausreichende Faktenlage für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgung dienen.

116

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Auskunft vom 21. März 2017, S. 8) zitiert im Wesentlichen den Bericht des IRB vom 19. Januar 2016 (S. 8 f. dt. Übersetzung), wonach Männer im wehrdienstfähigen Alter besonders gefährdet seien, Opfer von Misshandlungen zu werden. Auf die vorstehenden Ausführungen zu dieser Stellungnahme wird Bezug genommen. Wehrdienstentziehern drohe je nach Profil und Umständen sofortiger Einzug zum Militär, Einzug an die Front oder Haft und Folter (SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Mit Verweis auf den Finish Immigration Service führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) weiter aus, dass die Umsetzung der Bestrafung willkürlich sei. Die Bestrafung hänge von der Position und dem Rang des Deserteurs wie auch dem Bedarf an der Front ab. In einer Stellungnahme vom 18. Januar 2018 (S, 7 f.) führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe unter Verweis auf den UNHCR weiter aus, dass Wehrdienstentziehung als oppositionelle Handlung bewertet und Wehrdienstentzieher in der Praxis zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt würden. In der Haft komme es zu Folter und anderen Misshandlungen.

117

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA vom 5.1.2017, S. 27) führt unter Berufung auf den Danish Immigration Service aus, dass ein Wehrdienstverweigerer, der aufgegriffen würde, zum Dienst in der Armee geschickt werden könnte. Die Konsequenzen hingen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gebe, wären die Folgen ernster. Im Bericht des Bundesamtes aus August 2017 (S. 20 und Fn. 51) geht dieses unter Berufung auf Interviews mit einer europäischen diplomatischen Quelle in Beirut am 18. Mai 2017 sowie vom selben Tag mit Lama Fakih davon aus, dass bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung die Meinungen der Quellen auseinandergingen. Während die einen darin eine „Foltergarantie“ und ein „Todesurteil“ sähen, würden andere sagen, dass Verweigerer sofort eingezogen würden.

118

In der schriftlichen Auskunft an das Verwaltungsgericht Dresden (Az. 5 A 1337/17.A) vom 6. Februar 2017 gibt die als Sachverständige beauftrage Petra Becker an, dass derjenige, der sich dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzieht, bei seiner Rückkehr mit Gefängnis und Folter rechnen müsse, auch wenn sie es für das Wahrscheinlichste halte, dass ein rückkehrender Wehrpflichtiger bei seiner Einreise direkt dem Wehrdienst zugeführt wird.

119

Abgesehen von der danach unklaren und mit nur wenig Fakten belegten Erkenntnislage sind nach Auffassung des Senats zudem die nachfolgenden Erwägungen bei der Beurteilung, ob zurückkehrenden Wehrdienstverweigerern beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung und/ oder Inhaftierung droht, wenn keine individuellen Anhaltspunkte auf eine Regimegegnerschaft hindeuten, zu berücksichtigen:

120

Die syrische Armee ist durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erheblich geschwächt und hat einen Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Es wird berichtet (BFA vom 25. Januar 2018, S. 23 und vom 5. Januar 2017, S. 23; DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), dass viele Männer ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Auskünften zufolge sollen die kampffähigen Truppen der syrischen Armee von ehemals 300.000 Soldaten auf ca. 125.000 bis 175.000, nach anderen Angaben auf 80.000 bis 100.000 reduziert worden sein. Bereits im Jahr 2014 soll das Assad-Regime nur noch über 100.000 Soldaten verfügt haben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 2, Fn. 7 unter Verweis auf C. Kozak), von denen nur 30.000 bis 40.000 Soldaten den Eliteeinheiten angehören, die tatsächlich in der Lage gewesen seien, militärische Operationen durchzuführen (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Anderen Angaben zufolge soll die syrische Armee im November 2016 nur noch über 50.000 Soldaten verfügt haben (SFH vom 23. März 2017, S. 2, Fn. 6).

121

Hinzu kommt, dass diverse Quellen berichten, die syrische Armee sei inzwischen nur teilweise in große Militäroperationen involviert. Bei diesen verlasse sich das Assad-Regime auf eine Mischung aus Elite-Einheiten, loyalen Milizen und ausländischer Unterstützung, insbesondere die iranischen „Islamischen Revolutionsgarden“, afghanische und irakische schiitische Milizen und die libanesischen Hisbollah-Milizen. Diejenigen Einheiten, in denen Wehrpflichtige überwiegend eingesetzt würden, seien daran nicht beteiligt (DRC vom August 2017, S. 9; zum militärischen Einfluss von Russland, dem Iran anderen internationalen Akteuren vgl. BFA vom 25. Januar 2018, S. 9, 13, 19; Bundeszentrale für politische Bildung vom 20. Oktober 2017, Syrien – Die aktuelle Situation; SFH vom 23. März 2017, S. 3 f.; Spiegel-Online vom 4. April 2018 – Dreigipfel zu Syrien – Teile und herrsche).

122

Gleichzeitig hat das syrische Regime verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die personellen Verluste zu kompensieren. Es wird beispielsweise über Verhaftungen von Deserteuren und von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, sowie Zwangsrekrutierungen berichtet (SFH vom 23. März 2017, S. 2). Darüber hinaus wird geschildert, das Assad-Regime verlange bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten. Nach der Eroberung von Ost-Aleppo sollen etwa 5000 Männer in den Wehrdienst eingezogen worden sein. Selbst Häftlinge sollen unter Druck gesetzt werden, in die syrische Armee einzutreten (vgl. SFH vom 23. März 2017, S. 7). Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten (SFH vom 28. März 2015 [Mobilisierung], S. 2). Andererseits versucht das Assad-Regime, mit Amnestien und der Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen (SFH vom 23. März 2017, S. 3, 12; BFA vom August 2017, S. 23).

123

Dem Bestreben des Assad-Regimes nach einer Erhöhung der Zahl seiner Militärangehörigen durch Rekrutierung dürfte es auch angesichts der Berichte darüber, dass den Einberufungen im großem Umfang (nach Angaben der SFH sollen zwischen 70.000 bis 110.000 Soldaten desertiert sein oder sich dem Wehrdienst entzogen haben) nicht Folge geleistet wird (DRC vom August 2017, S. 8; SFH vom 23. März 2017, S. 2), widersprechen, wenn die so rekrutierten Soldaten zunächst inhaftiert und dann gegebenenfalls misshandelt und im schlimmsten Fall getötet würden. So wird auch berichtet, dass dem Regime nicht daran liege, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es würden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (BFA vom 25.Januar 2018 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016).

124

Diese Einschätzung wird nicht dadurch entkräftet, dass ein hoher Vertreter des syrischen Militärs eine harte Bestrafung der Zurückkehrenden angekündigt hat (Spiegel vom 11. September 2017, Assads Top-General droht Flüchtlingen). Es fehlen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Einzeläußerung repräsentativ für das syrische Regime gestanden hat. So hat Präsident Assad Ende 2015 in einem TV-Interview Gegenteiliges erklärt (vgl. hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/1 – juris, Rn. 50 f.; OVG Münster, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16 – juris, Rn. 66 f.). Nach einer Auskunft der Deutschen Orient-Stiftung (an VG Freiburg zum Az. 4 A 3 K 3579/16 vom 29. November 2017) seien die Äußerungen des Generals nicht über das offizielle Sprachrohr der syrischen Regierung erfolgt. Neben verschiedenen Medienberichten würden von offizieller Seite keine Stellungnahmen, Bestätigungen oder Dementi vorliegen. Nach einem englischen Zeitungsbericht habe sich der zwischenzeitlich Verstorbene Issam Zaherddine später für seine Äußerung entschuldigt und klargestellt, dass er Kämpfer des IS und Rebellen gemeint habe, die syrische Truppen getötet hätten (vgl. The Telegraph vom 18. Oktober 2017, zitiert nach https://www.telegraph.co.uk/news/ 2017/10/18/top-syrian-general-killed-isil-landmine-near-deir-ezzor/).

125

Bei der vom Senat anzustellenden Prognose ist zudem die große Anzahl von syrischen Flüchtlingen im (benachbarten) Ausland zu berücksichtigen (siehe oben zu den konkreten Zahlen). Allein unter den vom UNHCR erfassten 5,6 Mio. Flüchtlingen befinden sich circa 25 % männliche Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. Bei der bei der Prognose zu unterstellenden Rückkehr einer Vielzahl dieser Flüchtlinge nach Syrien kann nicht sicher vorhergesagt werden, wie sich das syrische Regime diesen gegenüber verhalten wird. Insbesondere eine Bestrafung auch nur eines beachtlichen Teils dieser mehr als 1,5 Millionen männlichen Rückkehrer ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Ergänzend ist – wie bei der allgemeinen Rückkehrfrage – darauf hinzuweisen, dass auch der Umstand, dass seit 2015 rund 260.000 Syrer, davon 31.000 im 1. Halbjahr 2017, zumindest zeitweise nach Syrien zurückgekehrt sind – darunter dürften auch Männer im wehrdienstfähigen Alter sein – Zweifel daran begründet, dass eine Inhaftierung einer signifikanten Zahl von Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter beachtlich wahrscheinlich ist.

126

Angesichts der dargestellten Erwägungen zum Personalbedarf in der syrischen Armee und der hohen Zahl von ausgereisten männlichen syrischen Bürgern sowie den Auskünften, die dafür sprechen, dass Wehrdienstentzieher nach einer Festnahme ohne vorangegangenes Strafverfahren oder Strafhaft umgehend zum Militärdienst eingezogen werden, sind für den Senat die (vereinzelten) Berichte über konkrete Verfolgungsfälle im Zusammenhang mit der Wehr- bzw. Militärdienstentziehung quantitativ und qualitativ nicht ausreichend, um eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung annehmen zu können. Diversen Berichten fehlt vor allem die Angabe einer die jeweiligen Einschätzungen stützenden Tatsachengrundlage. Eine solche wäre angesichts der dargestellten entgegenstehenden Gesichtspunkte jedoch erforderlich.

127

(2) Ungeachtet der Bewertung, dass danach bereits eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich angenommen werden kann, lassen sich den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach Ansicht des Senats keine hinreichend verlässlichen und ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass Wehrdienst- bzw. Militärdienstentziehern beachtlich wahrscheinlich durch das syrische Regime eine regimefeindliche Haltung unterstellt wird und ihnen daher in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung droht. Es fehlt mithin auch an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund.

128

Neben den bereits Eingangs (oben cc) vor (1), S. 37 f.) dargestellten Erwägungen sind folgende Erkenntnisse und Gesichtspunkte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen:

129

Die syrische Armee rekrutiert Berichten zufolge grundsätzlich unabhängig von ethnischen oder religiösen Hintergründen (SFH vom 28. März 2015, S. 2 f.). Bei der Einberufung, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird zudem keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30. Juli 2014, S. 7). Dies zeigt sich auch daran, dass bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt wird, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten (SFH vom 23. März 2017, S. 7, und vom 28. März 2015, S. 2 f.).

130

Wie bereits dargestellt, ergibt sich aus einer Vielzahl der vom Senat ausgewerteten Erkenntnisquellen, dass die Bestrafung von Wehrdienstverweigerern willkürlich erfolgt und häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, der Herkunftsregion aber auch von dem Bedarf an der Front abhängig ist. Bestehe der Verdacht, dass Kontakte zur Opposition bestehen, würden die Untersuchungen und Folter intensiviert (SFH vom 23. März 2017, S. 10 mit Verweis auf FIS vom 23. August 2016, S. 12 f. und weitere Quellen; BFA vom 5. Januar 2017, S. 27). Ebenfalls wird berichtet, dass einige der Festgenommenen zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH vom 28. März 2015, S. 4). An anderer Stelle weist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (vom 21. März 2017, S. 10) darauf hin, dass prinzipiell davon ausgegangen werden müsse, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehre, verhaftet und misshandelt werden könne. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich Einzelne mit Bestechung freikaufen könnten. Amnesty International beschreibe den weit verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden ließen. Auch seien viele Menschen in Haft, weil sie aus persönlichen Gründen von Informanten diffamiert worden seien. Diese Willkür spiegele sich auch in der Struktur der Sicherheitsdienste wieder (SFH vom 21. März 2017, S. 10).

131

Der UNHCR gibt an, dass nach Stellungnahmen unabhängiger Beobachter Wehrdienstentziehung „wahrscheinlich“ als politischer Akt gegen die Regierung aufgefasst werde, was die Behandlung, der Wehrdienstentzieher ausgesetzt seien, ganz oder teilweise motivieren könne. Es könne zur einer Bestrafung kommen, die über die strafrechtlich vorgesehenen Sanktionen hinausgehe, einschließlich härtere Behandlung bei der Inhaftierung, während der Haft und Befragungen sowie während des militärischen Einsatzes (Bericht vom November 2017, S. 39 unten/ S. 40 oben mit Fn. 224; Auskunft an VGH Kassel vom 30. Mai 2017, S. 3 mit Fn. 13 und 14, S. 6 f.). Wie bereits oben dargestellt, führt der UNHCR allerdings in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2017 (S. 3) weiter aus, dass „oft nicht zu unterscheiden und festzustellen“ sei, ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgten. Auch im Bericht vom November 2017 wird ausgeführt, dass Berichten zufolge Wehrdienstentzieher aber eher, als dass sie nach dem Militärstrafgesetzbuch bestraft, innerhalb von Tagen oder Wochen nach ihrer Verhaftung an die Front geschickt würden, oft nur nach minimaler Ausbildung. Anderen Berichten zufolge gebe es auch Deserteure, die nachdem sie aufgegriffen wurden, in den Militärdienst bzw. an die Front geschickt worden seien (DRC, August 2017 S. 14 Fn. 67 – 69; SFH vom 23. März 2017, S. 10 m.w.N.). Die vom UNHCR angeführten Referenzquellen lassen – auch dies ist bereits oben festgestellt worden – zudem nicht erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage die Einschätzung der Unterstellung einer regimefeindlichen Haltung beruht.

132

Der vom UNHCR als Referenzquelle genannte Herr Kozak hat angegeben (UNHCR vom 30. Mai 2017, S. 3, Fn. 14, E-Mail von C. Kozak vom 18. Mai 2017), er habe gehört, dass das Verhalten von bereits einberufenen Wehrdienstverweigerern von Militäroffizieren und anderen Beamten als verräterisch und regierungsfeindlich angesehen werde könne. In der Stellungnahme des UNHCR vom November 2017 (S. 39, Fn. 224) wird Herr Kozak dahingehend zitiert (E-Mail vom 6. Oktober 2017), dass nach seiner Einschätzung die Regierung Sanktionen gegen Wehrdienstentzieher als strafrechtliche Ahndung verhänge, aber auch weil sie die Wehrdienstentziehung als politische oder regierungsfeindliche Tätigkeit ansehe.

133

Die in der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 6) aufgeführten weiteren Referenzquellen (J. Landes, R. Davis und L. Fakih) geben z.T. ihre subjektive Einschätzung wieder. Es ist nicht erkennbar, auf Grundlage welcher Fakten (genannt werden von R. Davis „Interviews“) diese Einschätzung erlangt worden ist. Bei der Bewertung der Stellungnahme des UNHCR vom 30. Mai 2017 (S. 4) ist weiterhin zu beachten, dass dort die Relevanz des Vorliegens weiterer Risikofaktoren herausgestellt wird, mithin das persönliche Profil der jeweiligen Person die Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein, maßgeblich mitbestimmt (weitere Ausführungen hierzu siehe oben und Fn. 18 auf S. 4 der Stellungnahme des UNHCR, wo es heißt: „Berichten zufolge verhaftete die Regierung Männer im wehrdienstfähigen Alter, bei denen eine Verbindung mit Oppositionsgruppen vermutet wurde, insbesondere Sunniten.“).

134

Weiter wird berichtet, dass die Ausbildungszeit der Wehrpflichtigen oft kurz (45 Tage) sei (BFA vom August 2017, S. 18) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt würden (UNHCR vom April 2017, S. 25 f.). Angesichts der Schilderungen, dass dies scheinbar alle Wehrpflichtigen und Reservisten treffe (vgl. UNHCR vom April 2017, S. 25 und Fn. 122), ist die Annahme nicht belastbar, wonach dies nur Wehrdienstverweigerer oder Reservisten treffe, die sich der Einberufung entzogen haben. Es ist daher auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dies in Anknüpfung an eine aufgrund der Wehrdienstentziehung dem Kläger zu 1) zugeschriebene regimefeindliche Haltung erfolgt.

135

Die Unabhängige Untersuchungskommission für Syrien führt im Bericht vom 11. August 2016 (A/HRC/33/55, S. 13 Rn. 75) aus, dass Zivilisten, hauptsächlich Männer im kampffähigen Alter, weiterhin von den Straßen Syriens verschwinden würden. Zehntausende von Syrern würden vermisst, viele unter Umständen, die vermuten ließen, dass sie gewaltsam verschwunden seien. Nicht weiter erläutert wird, ob es sich um (Zwangs-)Rekrutierungen oder Inhaftierungen handelt und aus welchen Gründen diese erfolgten.

136

Insbesondere das dargestellte (Rekrutierungs-)Verhalten des syrischen Regimes scheint insoweit primär durch Überlegungen zur Erhaltung seiner Macht gekennzeichnet zu sein. Demgegenüber fehlen nach Auffassung des Senats jedenfalls hinreichend verdichtete Erkenntnisse darüber, wie das syrische Regime mit der bei der Prognose zu unterstellenden Vielzahl zurückkehrender Männer, die sich der Einberufung zum Wehrdienst oder dem Wehrdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, umgehen würde und ob ihnen allein wegen der Wehrdienstentziehung eine oppositionelle Haltung unterstellt würde. Darüber hinaus ist berücksichtigen, dass sich wehrpflichtige Männer durch eine Flucht aus einem „Oppositions-Gebiet“ auch einem etwaigen Einsatz in Einheiten, die gegen das syrische Herrschaftsregime kämpfen, entzogen haben.

137

Die gebotene Gesamtwürdigung der dargelegten Auskünfte, die in erheblichem Umfang von willkürlichen Verhaltensweisen des Regimes und seiner Vertreter berichten, der bereits zu der Frage einer Verfolgungshandlung ausgewerteten Erkenntnislage sowie der dargelegten Interessenlage des syrischen Regimes im Hinblick auf die Rückführung der Vielzahl von Wehr- und Militärdienstentziehern in die syrische Armee führt nach Auffassung des Senats zu der Schlussfolgerung, dass eine Inhaftierung und anschließende Misshandlung und damit eine Verfolgungshandlung wegen einer (unterstellten) regimefeindlichen Haltung nicht als beachtlich wahrscheinlich anzusehen ist, sofern nicht weitere risikoerhöhende Faktoren in der jeweiligen Person vorliegen (so im Ergebnis auch OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 139 ff.; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 53 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 85 ff.; OVG Hamburg, Urteil vom 11. Januar 2018 – 1 Bf 81/17.A – juris, Rn. 131 ff.; bejahend, wenn auch nicht entscheidungserheblich OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris, Rn. 71).

138

Andere Obergerichte (VGH München, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – juris; VGH Kassel, Urteil vom 6. Juni 2017 – 3 A 3040/16.A – juris, für rückkehrende Wehrdienstentzieher, die aus einem regierungsfeindlichen Gebiet stammen; OVG Bautzen, Urteil vom 7. Februar 2018 – 5 A 1245/17.A – juris, Rn. 38 ff.) sind zu der Überzeugung gelangt, dass nach Syrien zurückkehrenden Männern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Inhaftierung und menschenrechtswidrige Misshandlung droht, weil ihnen vom syrischen Regime eine regimefeindliche Haltung zugeschrieben werde. Zum Teil wird dies, da keine hinreichenden Erkenntnisse über nach Syrien zurückkehrende Männer vorliegen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, aus der Brutalität des Vorgehens des Assad-Regimes gegenüber Regimegegnern, insbesondere aus dem Vorgehen der Geheimdienste, geschlossen sowie aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates zur Wiederherstellung seines Herrschaftsmonopols abgeleitet (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 83 ff.; dort heißt es wörtlich: „Vor diesem Hintergrund [Anmerkung: Das Vorliegen nur vereinzelter Fallbeispiele und dass von Referenzfällen nicht ausgegangen werden könne, siehe Rn. 82] ergibt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale vornehmlich aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen.“). Andererseits wird angenommen, dass eine harte und menschenrechtswidrige Bestrafung von Männern, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, belegt sei, und von der erforderlichen Gerichtetheit auf Merkmale i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Hinblick auf den gegen die Zivilbevölkerung geführten Vernichtungskrieg, das dominierende Freund-/ Feind-Schema und wegen der Intensität der Verfolgungsmaßnahmen auszugehen sei (VGH Mannheim, Urteil vom 28. Juni 2017 – A 11 S 664/17 – Rn. 59 ff.; an diese Bewertung schließt sich das OVG Bautzen, a.a.O, juris, Rn. 40 ff. an; dieses geht weiterhin davon aus [a.a.O. Rn. 35], dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter nicht nur die gesetzlich dafür vorgesehene Bestrafung und/ oder die Einziehung droht, sondern insbesondere im Zusammenhang mit den drohenden Verhören und Bestrafungen auch Folter und der Einsatz an der Front mit oft nur minimaler Ausbildung, d. h. als „Kanonenfutter“.).

139

Der Einschätzung der benannten Obergerichte ist nicht zu folgen. Es ist – wie bereits dargestellt – schon zweifelhaft, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungshandlung ausgegangen werden kann oder ob nicht vielmehr den Erkenntnisquellen in erforderlichem Maße entnommen werden kann, dass Personen, die sich dem Wehr- bzw. Militärdienst entzogen haben, im ausgeführten Gesamtkontext und angesichts des Bedarfs an Soldaten (nur) in das Militär eingezogen werden bzw. eine Inhaftierung nur beim Vorliegen von risikoerhöhenden Faktoren erfolgt. Zudem werden das nach dem dargestellten Erkenntnisstand beachtliche Interesse des syrischen Regimes an einer Truppenverstärkung und die schon immer praktizierte Einbindung auch oppositioneller Gruppen in die syrische Armee sowie der Umstand, dass sich die Betreffenden durch Flucht aus einer regierungsfeindlichen Zone dem Konflikt und damit der Einnahme durch den Regierungsgegner gerade entzogen haben, nicht zureichend in die Bewertung aufgenommen (ebenso OVG Lüneburg, zuletzt mit Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123, dessen Würdigung sich der Senat anschließt).

140

Jedenfalls das Fehlen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfende Verfolgungshandlung beruht auf einer anderen Bewertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und den dem syrischen Regime zu unterstellenden Handlungsmotiven. Es ist nämlich fraglich, ob als handlungsleitendes Muster des Assad-Regimes ein solches Freund-/ Feind-Schema vorliegt, welches darauf schließen lässt, dass im Grunde jeder Wehrdienstentzieher als Gegner des Herrschaftsregimes angesehen wird. Neben der sich aus den Erkenntnisquellen ergebenden Willkür einzelner staatlicher Akteure dürften die Handlungen des syrischen Regimes vor allem dadurch bestimmt sein, was der Machterhaltung bzw. dem Vorteil des Regimes dient.

141

Des Weiteren ist bei der Gesamtwürdigung Folgendes zu berücksichtigen: Angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten dürfte es für jedermann auf der Hand liegen, dass Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger in der Regel nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit – verständlicher – Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat. Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen würde, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu. Für eine solche Annahme des Regimes gibt es keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Sie ist zudem nicht derartig verifiziert, dass darauf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gestützt werden kann (so ausdrücklich OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris Rn. 70; ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 153; OVG Saarlouis, Urteil vom 2. Februar 2017 – 2 A 515/16 – juris, Rn. 31; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 99).

142

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof benennt zu dem entscheidenden Punkt, dass der syrische Staat Wehrdienstentziehern eine oppositionelle Gesinnung unterstelle (VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 72, 78 f.) keine tatsächlichen Anhaltspunkte, sondern beschränkt sich auf eine Spekulation. Die von ihm festgestellten Tatsachen, dass der syrische Staat wegen des bürgerkriegsbedingt hohen Bedarfs an Soldaten versucht, wehrdienstpflichtige Männer im Lande zu halten, Reservisten einzuberufen und nach ungedienten Wehrpflichtigen zu fahnden (vgl. VGH München, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris, Rn. 60 ff.), erklären das brutale Vorgehen gegen Wehrdienstentzieher ohne jeden Zusammenhang mit der politischen Gesinnung der Wehrpflichtigen. Soweit eingewandt wird, das syrische Regime sei unberechenbar, rationale Überlegungen könnten ihm nicht unterstellt werden, so mag das zutreffen (zur willkürlichen Gewaltanwendung syrischer Sicherheitskräfte vgl. SFH vom 21. März 2017, S. 8 f). Daraus folgt aber lediglich, dass mit willkürlicher Anwendung von Folter und willkürlichen Misshandlungen gerechnet werden muss, also gerade nicht mit (systematischen) Verfolgungshandlungen in Verknüpfung mit spezifischen Verfolgungsgründen. Solche willkürliche, von den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG losgelöste Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung begründen jedoch keinen Flüchtlingsschutz, sondern einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, den der Kläger zu 1) bereits von der Beklagten zuerkannt bekommen hat (ebenso zum Ganzen: OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 76 ff.).

143

Auch der im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg enthaltene Hinweis auf „Willkür“, extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen „von Personen jeder Herkunft ungeachtet des konkreten Hintergrundes“ weist nach den vorangehenden Ausführungen nicht auf eine politische Gerichtetheit, sondern vielmehr auf das Fehlen eines Verfolgungsgrundes hin. Es fehlt für die Flüchtlings-anerkennung mithin an der erforderlichen Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommen muss (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 – 10 C 52.07 – juris, Rn. 22, 24). Nach Auffassung des Senats ist auch die besondere Intensität der drohenden Verfolgungshandlungen angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates nicht geeignet, die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund zu indizieren (ebenso ausdrücklich OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 123). Angesichts der in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar (ebenso OVG Koblenz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 – juris, Rn. 154).

144

dd) Ein Anspruch des Klägers zu 1) auf Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung im Zusammenhang mit einer möglichen Rekrutierung als Reservist folgt auch nicht aus § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG.

145

Nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

146

Es ist bereits fraglich, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass dem Kläger zu 1) überhaupt Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG droht. Nach dem oben Gesagten hat der Kläger durch seine Ausreise und den längeren Auslandsaufenthalt sich zwar einer Wehrdienstentziehung strafbar gemacht, es ist jedoch schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er deshalb auch tatsächlich mit einer Verfolgungshandlung zu rechnen hat. Unabhängig davon hat der Kläger zu 1) zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich oder sinngemäß mitgeteilt, dass er im Falle einer sich der Rückkehr nach Syrien anschließenden Rekrutierung den Militärdienst deshalb verweigern werde, weil dieser Handlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde. Lediglich der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu 1) hat im Rahmen der Erörterungen zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG in der mündlichen Verhandlung angemerkt, dass sich sein Mandant hierauf berufe. Der Kläger zu 1) hat auch nicht in Syrien den Wehrdienst verweigert, sondern sich diesem „nur“ durch Flucht entzogen. Ob diese Fallgestaltung – Entziehung durch Flucht – überhaupt dem Begriff der Wehrdienstverweigerung i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfällt, ist zumindest zweifelhaft (verneinend OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 95). Der Senat kann die Beantwortung dieser Frage aufgrund der nachfolgenden Erwägungen jedoch offenlassen.

147

Zwar ist bekannt, dass die verschiedenen, teilweise durch Interessen von außen gesteuerten Konfliktparteien des Bürgerkriegs in Syrien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben (vgl. UNHCR vom November 2017, S. 9, AI, Report Syrien 2018, S. 2 ff.; Human Rights Watch vom 13. Februar 2017, Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo; OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 92; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 2 LB 1789/17 – juris, Rn. 104 m.w.N.). Auch kann sich grundsätzlich jeder Militärangehörige auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen, auch derjenige, der lediglich logistische oder unterstützende Funktionen hat; die Vorschrift ist damit nicht darauf beschränkt, dass der betreffende Militärangehörige persönlich Verbrechen der genannten Art begehen müsste (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – Shepherd, juris, Rn. 33, 37 zu dem der Regelung zugrunde liegenden Artikel 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG).

148

Jedoch kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union der Schutz auf nicht den Kampftruppen angehörende Personen nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 38). Folglich obliegt es demjenigen, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen möchte, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Einheit, der er angehört, die Einsätze, mit denen sie betraut wurde, unter Umständen durchführt oder in der Vergangenheit durchgeführt hat, unter denen Handlungen der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder wurden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 43). Es muss also der geleistete Militärdienst selbst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen, einschließlich der Fälle, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Begehrende nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-472/13 – juris, Rn. 46).

149

Hiervon ist im Falle des Klägers zu 1) nicht auszugehen. Nach den Äußerungen des Klägers zu 1) im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung, ist völlig offen, in welcher Funktion und welcher Einheit er bei einer hypothetischen Rückkehr und einer ebenfalls hypothetischen Heranziehung zum Militärdienst zugeordnet würde. Ginge man beispielsweise davon aus, dass der Kläger in ähnlicher Funktion eingesetzt werden wird wie bei seinem Militärdienst in den Jahren 1995 - 1997, sprechen seine Angaben dagegen, dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an entsprechenden Handlungen beteiligen müsste. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nämlich geschildert, dass er als einfacher Soldat vor allem im Verwaltungsbereich (Personalverwaltung) eingesetzt worden sei. An Kampfeinsätzen habe er nicht teilgenommen. Beim Bundesamt hat er zudem die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder andere Misshandlungen) von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung, Hinrichtungen bzw. Massengräbern oder Einsätzen von Chemiewaffen gewesen ist, verneint (siehe Bl. 106 des Verwaltungsvorgangs). Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass mehrere Quellen angeben, die syrische Armee setze für Kampfeinsätze vorrangig auf Elitetruppen, loyale Milizen und Unterstützung aus dem Ausland. Wehrpflichtige Syrer seien hieran wenig beteiligt, sondern viele würden insbesondere für administrative und logistische Tätigkeiten verwendet (DRC vom August 2017, S. 9, 67, 85). Bei vernünftiger Betrachtung ist es demnach nicht wahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) durch die Ausübung seiner (wahrscheinlichen) Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde.

150

Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob es im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG ebenso wie bei den übrigen Verfolgungshandlungen einer Verknüpfung gemäß § 3a Abs. 3 AsylG bedarf (bejahend u.a. OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A – juris, Rn. 87, und Beschluss vom 7. November 2017 – 14 A 2295/17.A – juris, Rn. 16; vgl. zum Meinungsstand OVG Lüneburg, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – juris, Rn. 97 ff.), die voraussetzen würde, dass dem Kläger zu 1) wegen einer unterstellten Wehrdienstverweigerung beachtlich wahrscheinlich eine an die ihm zugeschriebene politische Überzeugung anknüpfende Bestrafung droht, die sich als härter als üblich darstellt (sog. Politmalus).

151

d) Selbst wenn man bei den Klägern alle vorgenannten Umstände – die illegale Ausreise und/ oder den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung, die Glaubenszugehörigkeit, die regionale Herkunft sowie bei dem Kläger zu 1) die Frage der Wehrdienstentziehung – zusammen in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei den Klägern liegen keine besonderen, individuell gefahrerhöhenden Umstände vor, weshalb ihnen vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten.

152

II. Der erstmals im Berufungsverfahren gestellte Feststellungsantrag für die Kläger zu 2) bis 6) hat ebenfalls keinen Erfolg. Da die Beklagte weder ausdrücklich noch konkludent ihre Einwilligung zur Änderung der Klage erklärt hat (§ 91 Abs. 2 VwGO), kommt es für deren Zulässigkeit auf ihre Sachdienlichkeit an. Eine solche Sachdienlichkeit liegt nicht vor. Einer geänderten (neuen) Klage fehlt die Eignung zur endgültigen Beilegung des Streitstoffs, wenn sie erkennbar unzulässig ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Oktober 1980 – 6 C 39.80 – juris, Rn. 13 und vom 3. Juli 1987 – 4 C 12.84 – juris, Rn. 7). Die hier um eine allgemeine Feststellungsklage erweiterte Klage müsste als unzulässig abgewiesen werden. Sie ist jedenfalls mangels erforderlichen Rechtschutzbedürfnisses offensichtlich unzulässig.

153

Das Rechtsschutzbedürfnis ist etwa dann zu verneinen, wenn der angestrebte Rechtsschutz die Rechtsstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessern kann (vgl. Ehlers, in: Schoch/ Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, Vorbemerkung § 40 Rn. 94). Eine solche Verbesserung der Rechtsstellung der Kläger zu 2) bis 6) ist in diesem Verfahren offensichtlich nicht möglich. § 26 AsylG erfordert zunächst einen gesonderten Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Einen solchen Antrag haben die Kläger zu 2) bis 6) (noch) nicht gestellt. Hierfür bestand bislang auch kein Bedürfnis, da die Beklagte vom Verwaltungsgericht zur Gewährung des Flüchtlingsstatus auch für die Kläger zu 2) bis 6) verpflichtet wurde. Allerdings scheitert ein positiver Ausspruch zum Familienflüchtlingsschutz zum jetzigen Zeitpunkt schon daran, dass entgegen den in § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AsylG enthaltenen Vorgaben keine unanfechtbare Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Klägers zu 1) vorliegt. Unabhängig von den weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 26 Abs. 1 AsylG handelt es sich hierbei um einen ohne erhebliche Schwierigkeiten zu prüfenden Umstand. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage in der vorliegenden Art besteht daher nur dann, wenn die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Stammberechtigten unanfechtbar ist (vgl. im Übrigen Marx, Asylgesetz, 9. Auflage 2016, § 26 Rn. 47, wonach eine Feststellungsklage wegen Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig sei). Dies würde auch dann gelten, wenn der Senat entgegen den obigen Ausführungen einen solchen Anspruch des Klägers zu 1) bejaht hätte. Die Unanfechtbarkeit der Verpflichtung zur Gewährung der Flüchtlingseigenschaft würde auch dann erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist aus § 133 Abs. 2 VwGO eintreten.

154

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

155

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

156

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.