Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 28. Jan. 2014 - 1 BvR 573/11
Gericht
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist.
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1. Die Beschwerdeführer zu 2 und zu 3 sind nicht beschwerdebefugt. Jedenfalls sind sie weder selbst noch unmittelbar durch die Genehmigungsvorschriften des § 40 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BNatSchG und die Soll-Vorschrift in § 40 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 Halbsatz 2 BNatSchG betroffen. Sie sind Prokurist beziehungsweise Geschäftsführer der Beschwerdeführerin zu 1. Sie wollen nicht in eigenem Namen und auf eigene Rechnung "Pflanzen gebietsfremder Arten" (vgl. § 40 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG) beziehungsweise "Gehölze und Saatgut" (vgl. § 40 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 Halbsatz 2 BNatSchG) zur Ausbringung in der freien Natur veräußern und erst recht nicht selbst eine von der Genehmigungspflicht in § 40 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG oder der Soll-Vorschrift in § 40 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 Halbsatz 2 BNatSchG erfasste Handlung vornehmen. Betroffen sind sie von den angegriffenen Vorschriften allenfalls, weil diese für den Verkaufserfolg ihres Unternehmens jedenfalls nach ihren Angaben von Bedeutung sind. Dies genügt nicht zur Begründung einer Beschwerdebefugnis gegen die Norm.
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2. An der Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerinnen zu 1, zu 4 und zu 5 bestehen ebenfalls erhebliche Zweifel (a); dies kann jedoch letztlich offen bleiben, weil ihre Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht dem Grundsatz der Subsidiarität genügt (b). Deshalb bedarf es auch keiner Entscheidung, ob die Verfassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig ist, weil die Beschwerdeführerinnen ihre Schlechterstellung durch die angegriffene Norm gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht näher darlegen.
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a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 102, 197 <206>; 108, 370 <384>; stRspr).
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Das Erfordernis der Selbstbetroffenheit verlangt, dass gerade der Beschwerdeführer in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 108, 370 <384>).
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Das ist der Fall, wenn der Beschwerdeführer Adressat der angegriffenen Vorschrift ist (vgl. BVerfGE 108, 370 <384>). Die Beschwerdeführerinnen sind nicht Adressatinnen der Genehmigungsvorschriften in § 40 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BNatSchG oder der Soll-Vorschrift in § 40 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 Halbsatz 2 BNatSchG; sie wollen nicht selbst die von ihnen angezogenen Pflanzen in der freien Natur ausbringen, sondern lediglich an andere, insbesondere öffentliche Auftraggeber veräußern.
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Eine Selbstbetroffenheit ist allerdings auch dann gegeben, wenn der Hoheitsakt an Dritte gerichtet ist und eine hinreichend enge Beziehung zwischen der Grundrechtsposition des Beschwerdeführers und der Maßnahme besteht. Es muss eine rechtliche Betroffenheit vorliegen; eine nur faktische Beeinträchtigung im Sinne einer Reflexwirkung reicht nicht (vgl. BVerfGE 108, 370 <384> sowie bereits BVerfGE 13, 230 <232 f.>).
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Dass die Beschwerdeführerinnen durch die angegriffenen Vorschriften rechtlich betroffen sind, ist zweifelhaft.
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Die Beschwerdeführerinnen sehen sich durch § 40 Abs. 4 BNatSchG - wie sie in der Begründung ihrer Verfassungsbeschwerde betonen - dadurch belastet, dass diese Vorschrift Wirkungen auf die Leistungsinhalte öffentlicher Ausschreibungen entfaltet; sie halten hierdurch ihr bisheriges Geschäftsmodell als Baumschulen, die einen überregionalen Markt beliefern, für gefährdet oder sehen sich zu umfangreichen Umstellungen ihres Betriebs, insbesondere zur Bereithaltung eines weiter ausdifferenzierten Angebots gezwungen. Sie machen allerdings nicht geltend, dass die nach ihrer Auffassung bestehende Teilnichtigkeit des § 40 Abs. 4 BNatSchG zwangsläufig dazu führen würde, dass öffentliche Auftraggeber Leistungen zum Inhalt ihrer Ausschreibungen machen müssten, die ihnen die Abgabe eines Erfolg versprechenden Angebots ermöglichte.
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Dass die Beschwerdeführerinnen ihre eigentliche Belastung im Ausschreibungsverhalten öffentlicher Auftraggeber sehen, schließt möglicherweise auch die Annahme einer unmittelbaren Betroffenheit aus.
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b) Jedenfalls steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerinnen zu 1, zu 4 und zu 5 der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.
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Der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität gilt auch für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze. Nach diesem Grundsatz ist auch die Verfassungsbeschwerde eines von der angegriffenen Vorschrift selbst, gegenwärtig und unmittelbar Betroffenen unzulässig, wenn er vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die allgemein zuständigen Gerichte erlangen kann. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheiden muss, sondern die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufgearbeitet haben (vgl. BVerfGE 102, 197 <207> m.w.N.).
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Würde eine Person, die Pflanzen gebietsfremder Art in der freien Natur ausbringen möchte, Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 40 Abs. 4 Satz 1 bis 3 BNatSchG erheben, so wäre ihr entgegenzuhalten, dass sie aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zunächst verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen die Versagung einer Genehmigung oder auf Feststellung, dass die beabsichtigte Betätigung keiner Genehmigung bedarf, in Anspruch nehmen müsste. Stünde im Streit, ob eine Person in dem in § 40 Abs. 4 Satz 4 Nr. 4 Halbsatz 2 BNatSchG genannten Zeitraum Gehölze und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausbringen dürfte, so erscheint auch insoweit eine gerichtliche Feststellung - etwa des Inhalts, dass die beabsichtigte Ausbringung zulässig ist - nicht von vornherein ausgeschlossen. Diese gerichtlichen Klärungsmöglichkeiten dürften den Beschwerdeführerinnen zu 1, 4 und 5 allerdings versperrt sein, weil sie als Baumschulbetriebe nicht Adressatinnen der Vorschriften sind.
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Die Beschwerdeführerinnen müssen sich allerdings darauf verweisen lassen, sich vorrangig dagegen gerichtlich zur Wehr zu setzen, worin sie ihre eigentliche Belastung sehen, nämlich in den von öffentlichen Auftraggebern ausgeschriebenen Leistungen. Dass Rechtsschutz dagegen von vornherein nicht gegeben oder nicht zumutbar ist, tragen sie nicht vor. Sie haben vielmehr sogar selbst einen Beschluss einer Vergabekammer des Landes Brandenburg vorgelegt, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass durchaus eine inhaltliche Überprüfung der ausgeschriebenen Leistungen in Betracht kommt. Nicht ausgeschlossen erscheint auch, dass - im sogenannten unterschwelligen Bereich - ein Gericht eine Klage mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der ausgeschriebenen Leistungen für zulässig halten würde. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen in seiner Entscheidung zum unterschwelligen Bereich darauf hingewiesen, dass es dem Justizgewährungsanspruch entspricht, dass dem erfolglosen Bieter die Feststellungsklage eröffnet ist (vgl. BVerfGE 116, 135 <159>).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Annotations
(1) Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr vorkommt, sowie von Tieren bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde. Dies gilt nicht für künstlich vermehrte Pflanzen, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten der Mitgliedstaaten nicht auszuschließen ist. Von dem Erfordernis einer Genehmigung sind ausgenommen
- 1.
der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft, - 2.
der Einsatz von Tieren zum Zweck des biologischen Pflanzenschutzes - a)
der Arten, die in dem betreffenden Gebiet in freier Natur in den letzten 100 Jahren vorkommen oder vorkamen, - b)
anderer Arten, sofern der Einsatz einer pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung bedarf, bei der die Belange des Artenschutzes berücksichtigt sind,
- 3.
das Ansiedeln von Tieren, die dem Jagd- oder Fischereirecht unterliegen, sofern die Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur in den letzten 100 Jahren vorkommt oder vorkam, - 4.
das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete bis einschließlich 1. März 2020; bis zu diesem Zeitpunkt sollen in der freien Natur Gehölze und Saatgut vorzugsweise nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden.
(2) Genehmigungen nach Absatz 1 werden bei im Inland noch nicht vorkommenden Arten vom Bundesamt für Naturschutz erteilt.
(3) Die zuständige Behörde kann anordnen, dass ungenehmigt ausgebrachte Tiere und Pflanzen oder sich unbeabsichtigt in der freien Natur ausbreitende Pflanzen sowie dorthin entkommene Tiere beseitigt werden, soweit es zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten erforderlich ist.
(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.
(1) Das Ausbringen von Pflanzen in der freien Natur, deren Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur nicht oder seit mehr als 100 Jahren nicht mehr vorkommt, sowie von Tieren bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde. Dies gilt nicht für künstlich vermehrte Pflanzen, wenn sie ihren genetischen Ursprung in dem betreffenden Gebiet haben. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten der Mitgliedstaaten nicht auszuschließen ist. Von dem Erfordernis einer Genehmigung sind ausgenommen
- 1.
der Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft, - 2.
der Einsatz von Tieren zum Zweck des biologischen Pflanzenschutzes - a)
der Arten, die in dem betreffenden Gebiet in freier Natur in den letzten 100 Jahren vorkommen oder vorkamen, - b)
anderer Arten, sofern der Einsatz einer pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung bedarf, bei der die Belange des Artenschutzes berücksichtigt sind,
- 3.
das Ansiedeln von Tieren, die dem Jagd- oder Fischereirecht unterliegen, sofern die Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur in den letzten 100 Jahren vorkommt oder vorkam, - 4.
das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ihrer Vorkommensgebiete bis einschließlich 1. März 2020; bis zu diesem Zeitpunkt sollen in der freien Natur Gehölze und Saatgut vorzugsweise nur innerhalb ihrer Vorkommensgebiete ausgebracht werden.
(2) Genehmigungen nach Absatz 1 werden bei im Inland noch nicht vorkommenden Arten vom Bundesamt für Naturschutz erteilt.
(3) Die zuständige Behörde kann anordnen, dass ungenehmigt ausgebrachte Tiere und Pflanzen oder sich unbeabsichtigt in der freien Natur ausbreitende Pflanzen sowie dorthin entkommene Tiere beseitigt werden, soweit es zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten erforderlich ist.