Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 23. Mai 2012 - 1 BvR 359/09
Gericht
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfahrensdauer eines Zivilprozesses.
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1. Der Beschwerdeführer erhob im Juli 2003 vor dem Landgericht eine Schadensersatzklage gegen einen Architekten (im Folgenden: Beklagter) wegen behaupteter fehlerhafter Planung und Überwachung eines gewerblichen Bauvorhabens.
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Nachdem mehrfach mündlich verhandelt und ein Sachverständigengutachten eingeholt worden war, wurde im April 2005 ein weiterer Sachverständiger mit einem Gutachten zu den im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Vergütungsansprüchen des Beklagten beauftragt. Nachfolgend versäumte es der Beklagte, dem Sachverständigen notwendige Unterlagen innerhalb der vom Gericht formlos gesetzten Fristen zu übermitteln und einen weiteren Kostenvorschuss zu zahlen. Nach weiteren Verzögerungen bei der Fertigstellung des Gutachtens wurde dieses im August 2007 erstattet. Im September 2010 wurde der Rechtsstreit dann nach weiteren Ergänzungsgutachten durch Vergleich beendet.
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2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) wegen überlanger Verfahrensdauer.
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3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
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Die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht ist zwar mit dem Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar (1.). Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel des Beschwerdeführers, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zu beschleunigen, hat sich jedoch erledigt, nachdem der Rechtsstreit beendet worden ist. Damit ist für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen (2.).
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1. Die Dauer des zivilgerichtlichen Verfahrens von über sieben Jahren genügt nicht den Anforderungen von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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a) Für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip einen wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>). Die Fachgerichte müssen Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falls zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>); weder das Bundesverfassungsgericht noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte machen in ihrer Rechtsprechung insofern allgemein gültige Zeitvorgaben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11-, juris, Rn. 6 m.w.N.; EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 27. Juni 2000 - 30979/96 - Frydlender/Frankreich, Tz. 43).
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Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die Schwierigkeit der Sachmaterie, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Parteien zu berücksichtigen sowie das ihnen zuzurechnende Verhalten, vor allem Verfahrensverzögerungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, juris, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, juris, Rn. 7 m.w.N.).
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Im Hinblick auf Verzögerungen durch die Tätigkeit von Sachverständigen müssen die Gerichte die gutachterliche Tätigkeit zeitnah überwachen und gegebenenfalls gemäß § 411 Abs. 1 und 2 ZPO Bearbeitungsfristen setzen und Ordnungsgelder androhen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, juris, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2009 - 1 BvR 3171/08 -, juris, Rn. 35; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2010 - 1 BvR 324/10 -, juris, Rn. 10).
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b) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht mit dem Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar.
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aa) Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsstreit - wie regelmäßig bei Bauprozessen - in tatsächlicher Hinsicht komplex und in der Verfahrensführung aufwändig war. Es mussten mehrere Sachverständigengutachten nebst Ergänzungsgutachten eingeholt werden. Das Gericht hat trotz dieser Schwierigkeiten durch Beweisbeschlüsse, Stellungnahmefristen und Fortsetzungstermine zunächst eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Verfahrensförderung erzielt.
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bb) Nach Aktenlage ergeben sich aber Verzögerungen im weiteren Prozessverlauf, die mit den Schwierigkeiten der Rechtssache nicht erklärt werden können und die auch nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen sind.
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Unter anderem wurde das zweite Gutachten erst mehr als zwei Jahre nach dem Beweisbeschluss vorgelegt. Grund dafür war zum einen, dass der Beklagte die notwendigen Unterlagen anfangs nicht zur Verfügung stellte und den weiteren Kostenvorschuss verspätet überwies. Mangels Fristsetzung durch Beschluss gemäß § 356 ZPO blieben diese Fristversäumnisse jedoch beweisrechtlich ohne Folgen. Zum anderen verzögerte sich die Erstellung des Gutachtens selbst, ohne dass das Gericht die prozessualen Möglichkeiten des § 411 Abs. 1 und 2 ZPO genutzt und dem Sachverständigen Bearbeitungsfristen gesetzt oder unter Nachfristsetzung die Festsetzung eines Ordnungsgelds angedroht hätte. Insofern hat das Landgericht das Verfahren nicht in ausreichendem Maße betrieben und gefördert. Insbesondere verdichtete sich mit zunehmender Dauer des Verfahrens auch die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/05 -, juris, Rn. 12 m.w.N.).
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2. Nach Abschluss des streitgegenständlichen Rechtsstreits fehlt dem Beschwerdeführer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rechtsschutzbedürfnis.
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a) Nach Beendigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur unter besonderen Umständen fort, etwa dann, wenn die beeinträchtigenden Wirkungen andauern, wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; BVerfGK 2, 33 <35> m.w.N.) oder wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <233>).
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b) Anhaltspunkte für eine Fortdauer des Rechtsschutzbedürfnisses in diesem Sinne hat der Beschwerdeführer weder schlüssig vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Die vage Möglichkeit, erneut einen Rechtsstreit vor dem betreffenden Landgericht führen zu müssen, reicht nicht aus.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Annotations
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.
(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
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soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, - b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
Steht der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, so ist durch Beschluss eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert wird.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.
(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.
(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.