Bundessozialgericht Beschluss, 29. Apr. 2010 - B 9 SB 47/09 B
Gericht
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Juni 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Streitig ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin in der Zeit ab November 2006.
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Auf den im September 2003 gestellten Antrag der Klägerin stellte das beklagte Land mit Bescheid vom 21.1.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2004 wegen einer Gonarthrose rechts sowie eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms den GdB der Klägerin auf 30 fest. Nach umfangreicher Beweisaufnahme durch Einholung ärztlicher Gutachten verschiedener Fachgebiete von Amts wegen und nach § 109 SGG hat das Sozialgericht Koblenz (SG) durch Urteil vom 26.10.2007 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, den GdB ab November 2006 auf 40 "zu bemessen". Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Nachdem der Beklagte im Berufungsverfahren durch von der Klägerin angenommenes Teilanerkenntnis festgestellt hatte, dass der GdB ab Oktober 2007 50 beträgt, hat die Klägerin beantragt,
den GdB ab November 2006 auf 50 und ab Oktober 2007 auf 60 festzustellen.
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Durch Urteil vom 17.6.2009 hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) ohne mündliche Verhandlung das Urteil des SG neu gefasst und den Beklagten verurteilt, den GdB ab November 2006 auf 40 und ab Oktober 2007 auf 50 festzustellen. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG auf das Urteil des SG Bezug genommen und weiter ausgeführt: Wegen einer rezidivierenden depressiven Störung sei der GdB zu erhöhen gewesen. Soweit die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit von November 2006 bis September 2007 und eines GdB von 60 ab Oktober 2007 geltend mache, sei die Berufung nicht begründet. Weitere Ermittlungen von Amts wegen seien nicht erforderlich, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt sei.
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Mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG nach § 103 SGG. Sie habe mit Schriftsatz vom 30.5.2009 das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen sowie ihren Sachantrag und hilfsweise Beweisanträge gestellt. Nachdem das LSG zutreffend mitgeteilt habe, dass sich beide Beteiligte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hätten, habe sie - die Klägerin - mit Schriftsatz vom 16.6.2009 erklärt, sämtliche Sach- und Beweisanträge von Seite 2 des Schriftsatzes vom 30.5.2009 aufrechtzuerhalten und zu wiederholen. Ihren Beweisanträgen sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.
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Der Beklagte hält die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin für unzulässig.
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG vom 17.6.2009 ist unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz ergangen. Dieser von der Klägerin schlüssig gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
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Das LSG hat seine in § 103 SGG normierte Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts dadurch verletzt, dass es entgegen dem von der Klägerin bis zur Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten von Amts wegen zum Beweis der Tatsache, dass ihre bereits festgestellte Adipositas permagna die Voraussetzungen für eine Bewertung des GdB mit 50 ab November 2006 und mit 60 ab Oktober 2007 erfülle, ohne hinreichende Begründung nicht entsprochen hat. Die Wendung "ohne hinreichende Begründung" in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht formell, sondern materiell iS von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen(BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Es kommt darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben. Die Amtsermittlungspflicht ist verletzt, wenn Tatsachen, die nach der rechtlichen Sicht des LSG entscheidungserheblich waren, offen geblieben sind, weil die notwendigen Feststellungen überhaupt fehlen oder weil sie nicht prozessordnungsgemäß zustande gekommen sind.
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Das Fehlen notwendiger Feststellungen macht die Klägerin hier mit Recht geltend. Das LSG hätte sich entsprechend den von ihr hilfsweise gestellten Beweisanträgen gedrängt fühlen müssen, Beweis über die Auswirkungen der von der Klägerin geltend gemachten Adipositas permagna auf ihre Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erheben. Auf dieser unterlassenen Beweiserhebung kann das angefochtene Urteil beruhen.
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Der Beklagte hat zur Begründung des GdB der Klägerin Verschleißveränderungen des rechten Knies sowie der Wirbelsäule berücksichtigt. Das SG hat darüber hinaus, eine "Fußbehinderung und eine Krampfaderbildung" beidseits, eine Verschlimmerung des Wirbelsäulenschadens sowie eine Funktionsstörung beider Schultergelenke und beider Hände festgestellt und in die Bewertung des GdB einbezogen. Ferner hat das SG eine depressive Anpassungsstörung berücksichtigt. Das LSG hat sich dem angeschlossen. Zu den funktionellen Auswirkungen, der von der Klägerin als erwiesen bezeichneten Adipositas permagna (siehe Nr 26.15 AHP 2004 und 2008/B Nr 15.3 Versorgungsmedizin-Verordnung
) haben sich die Tatsachengerichte nicht geäußert. Insbesondere hat das LSG, welches, wie auch das SG, rechtlich - zutreffend - von der Notwendigkeit der Berücksichtigung aller die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dauerhaft beeinträchtigenden Funktionsstörungen ausgegangen ist, nicht begründet, warum eine Adipositas permagna entweder bei der Klägerin tatsächlich nicht vorliege oder keine Auswirkungen auf den GdB iS der Nr 26.15 AHP/ B 15.3 VersmedV habe bzw haben könne. Das LSG war daher gehalten, darüber entsprechend dem Beweisantrag der Klägerin Beweis zu erheben. Diese Beweisaufnahme wird es im nunmehr wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.
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Dabei wird das LSG auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.
(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.