Bundessozialgericht Beschluss, 14. Apr. 2010 - B 8 SO 22/09 B

published on 14/04/2010 00:00
Bundessozialgericht Beschluss, 14. Apr. 2010 - B 8 SO 22/09 B
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Gericht

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Tatbestand

1

Im Streit sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe.

2

Den am 7.1.2004 gestellten Antrag des Klägers, Mietrückstände zu übernehmen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19.1.2004; Widerspruchsbescheid vom 14.2.2005). Die hiergegen erhobene Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Mietrückstände betreffend die Wohnung in der K. Straße in Darmstadt für den Zeitraum vom 1.1.2001 bis 29.2.2004 in Höhe von 6.581,78 Euro und Gerichtskosten in Höhe von 651,65 Euro zu übernehmen, wies das Sozialgericht (SG) Darmstadt ab (Urteil vom 29.2.2008). In dem sich anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger seine Klage "auf alle VA bzw Bescheide, die vor dem 30. Juni 2003 ergangen sind", erweitert und "eine Kostenerstattung von 4.000 Euro für einen Umzug; und noch einmal 5.000 Euro für einen weiteren Umzug" sowie einen "60-prozentigen Zuschlag, den zwei alleinerziehende Erwachsene erhalten", beantragt. Des weiteren hat er beantragt festzustellen, welcher Anteil seines damaligen Einkommens von 986,73 Euro für den Regelbedarf und welcher Anteil als Kosten für die Unterkunft hätte verwendet werden müssen.

3

Dem Hinweis des Hessischen Landessozialgerichts (LSG), dass die Möglichkeit bestehe, nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden(Verfügung vom 13.2.2009), hat der Kläger mit einem am 5.3.2009 eingegangenen Schreiben ausdrücklich widersprochen. Das LSG hat (dennoch) die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen und hinsichtlich der Übernahme von Mietschulden auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen. Hinsichtlich der übrigen Berufungsanträge sei die Berufung unzulässig. Diese Anträge seien weder Gegenstand des Verwaltungsverfahrens noch des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens gewesen. Es handele sich insoweit um eine unzulässige Klageänderung gemäß § 153 Abs 1 in Verbindung mit § 99 Abs 1 und 2 SGG. Weder habe die Beklagte in die Klageänderung eingewilligt, noch sei diese sachdienlich.

4

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger einen Verfahrensfehler. Er habe mit Schriftsatz vom 18.4.2009 eine Klageerweiterung vorgenommen. Das LSG habe deshalb unter Beachtung des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren und unter Beachtung von Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG entscheiden dürfen, sondern über die neu gestellten Anträge mündlich verhandeln müssen, um ihm insoweit rechtliches Gehör zu verschaffen und die Sache im Rahmen der Amtsermittlungspflicht mit ihm zu erörtern.

Entscheidungsgründe

5

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 in Verbindung mit § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Der Kläger macht mit seiner Beschwerde zunächst geltend, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein, weil das LSG ermessensfehlerhaft durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden habe.

6

Die Möglichkeit, nach § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, ist zwar unter Beachtung des nach Art 6 Abs 1 EMRK anerkannten Rechts auf (mindestens) eine mündlichen Verhandlung eng und in einer für die Beteiligten möglichst schonenden Weise auszulegen und anzuwenden. Wenn allerdings - wie hier - erstinstanzlich schon eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist, muss ein Beschwerdeführer zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Verfahrensmangels konkret darlegen, weshalb auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG eine erneute mündliche Verhandlung vor dem LSG zwingend durchzuführen ist. Hierfür genügt es nicht, allein auf die vorgenommene Klageerweiterung zu verweisen. Zwar kann das LSG verpflichtet sein, eine erneute mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn das Berufungsgericht über einen Anspruch erstmals entscheiden muss, zB weil sich der Streitgegenstand durch Klageänderung (§ 99 SGG) wesentlich verändert hat und sich das Berufungsgericht deshalb erstmals in der Berufungsinstanz mit neuen Rechts- und Tatsachenfragen konfrontiert sieht, weil den Beteiligten anderenfalls (ohne eine erneute mündliche Verhandlung) die Möglichkeit genommen würde, ihren Standpunkt zum geänderten oder erweiterten Streitgegenstand in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vorzutragen (vgl BVerwG Buchholz 401.9 Beiträge Nr 40). Das LSG hat aber gerade nicht über die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachten Ansprüche in der Sache entschieden, sondern die Berufung mangels zulässiger Klageerweiterung als unzulässig verworfen. Der Kläger hätte deshalb zur Bezeichnung des Verfahrensmangels darlegen müssen, weshalb das LSG auch unter Berücksichtigung dieser besonderen Konstellation verpflichtet gewesen wäre, erneut mündlich zu verhandeln. Hierzu wäre insbesondere erforderlich gewesen, die Voraussetzungen für eine zulässige Klageänderung aufzuzeigen, diese auf den konkreten Einzelfall zu übertragen und sich mit der vom LSG hierzu vertretenen Rechtsauffassung auseinanderzusetzen.

7

Der behauptete Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann, ist bzgl des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG muss - außer bei absoluten Revisionsgründen, um die es sich vorliegend nicht handelt - die Möglichkeit bestehen, dass das LSG ohne den behaupteten Verfahrensmangel zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte gelangen können. Hierzu hätte der Kläger zumindest vortragen müssen, welche korrigierten Anträge gestellt bzw wie sie formuliert worden wären, wenn das LSG in einer mündlichen Verhandlung bei entsprechender Erörterung der Sach- und Rechtslage auf eine sachdienliche Antragstellung hingewirkt hätte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des erst vor dem LSG geäußerten umfassenden Begehrens, das den Eindruck rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erwecken könnte, weil das LSG nach der Vorstellung des Klägers alle bisherigen Entscheidungen überprüfen sollte. Ob der Kläger ausreichend dargetan hat, dass das LSG das rechtliche Gehör verletzt hat oder unfair verfahren ist, ist damit nicht entscheidungserheblich.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
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Tenor Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Annotations

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.