Bundessozialgericht Beschluss, 03. Feb. 2010 - B 6 KA 45/09 B

published on 03/02/2010 00:00
Bundessozialgericht Beschluss, 03. Feb. 2010 - B 6 KA 45/09 B
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Tatbestand

1

Der als Arzt für Gefäßchirurgie- und Phlebologie an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger wendet sich gegen Bescheide der Rechtsvorgängerin der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (künftig: Beklagte), mit denen Kürzungen bei den Sprechstundenbedarfsverordnungen des Klägers für die Quartale 3/2001 und 4/2001 in Höhe von insgesamt 13.746,52 Euro vorgenommen worden sind.

2

Im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung stellte die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden fest, dass die vom Kläger verordneten Mittel Lipo Cordes Creme, Dermatop Fettsalbe, Promogran Protease Modulierende Matrix und Ethiloop Retraktionsschläuche gar nicht und von den verordneten 800 Perfusionsbestecken 300 nicht als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig seien. Das nach erfolglosem Widerspruchsverfahren angerufene Sozialgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, es liege kein ordnungsgemäßer Prüfantrag der beigeladenen AOK vor. Im Berufungsverfahren ist der entsprechende Prüfantrag vorgelegt worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat sodann über die Verordnungsfähigkeit der genannten Mittel Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Orthopäden Dr. T. Nachdem die Beklagte Einwendungen gegen dessen Gutachten erhoben hatte, hat das LSG von diesem Sachverständigen eine ergänzende Stellungnahme eingeholt.

3

Das LSG hat sodann das sozialgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, die vom Kläger verordneten Gegenstände hätten nicht als Sprechstundenbedarf verordnet werden dürfen. Soweit der Sachverständige Dr. T. das anders gesehen habe, seien dessen Ausführungen teilweise "nicht nachvollziehbar" (Urteil vom 3.9.2009).

4

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil rügt der Kläger Verfahrensmängel, auf denen die Entscheidung beruhe (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Entscheidungsgründe

5

Die Beschwerde hat mit ihrer Rüge Erfolg, das LSG habe den Anspruch des Klägers auf Gewährung angemessenen rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verletzt. Das Urteil kann auf diesem Gehörsverstoß beruhen.

6

Der Kläger rügt zu Recht, das LSG hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass es den Schlussfolgerungen des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens sowie den Ergänzungen des Sachverständigen in der vom Gericht selbst veranlassten ergänzenden Stellungnahme nicht folgen wolle, weil es die Schlussfolgerung des Sachverständigen für nicht nachvollziehbar gehalten hat.

7

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) darf ein Urteil nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (BVerfG NJW 2003, 2524; vgl auch BSG, Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - RdNr 17 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Auch eine dem bisherigen Verlauf des Verfahrens widersprechende Beweiswürdigung, die dem Verfahren eine überraschende Wende gibt, kann eine unzulässige Überraschungsentscheidung sein, wenn die Beteiligten nicht auf diese Beweiswürdigung hingewiesen werden und ihnen damit die Möglichkeit eingeräumt wird, dazu näher Stellung zu nehmen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 8b). Wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte, muss vor der den Rechtszug abschließenden Entscheidung ein Hinweis gegeben worden sein (vgl Bundesverwaltungsgericht vom 27.11.2008 - 5 B 54/08 - RdNr 8 mwN, in juris dokumentiert; BSG, Urteil vom 2.9.2009, aaO, RdNr 17).

8

Nach dem Verlauf des Berufungsverfahrens dürfte der Kläger davon ausgehen, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidend auf die Verordnungsfähigkeit der in Rede stehenden Salben und Medizinprodukte ankommen würde, und dass das LSG dies als eine dem Beweis durch Sachverständigengutachten zugängliche Frage ansehen würde. Letzteres steht zwar mit der Rechtsprechung des Senats nicht in Einklang (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 15, ausdrücklich zur Verordnung von Sprechstundenbedarf), doch hindert das nicht notwendig die Annahme einer Verletzung des Anspruchs auf angemessenes rechtliches Gehör. Soweit das Berufungsgericht davon ausgeht, die Frage der Verordnungsfähigkeit der umstrittenen Präparate könne nur auf der Grundlage von Sachverstand in medizinischer Hinsicht abschließend beurteilt werden, über die das Gericht nicht verfügt, muss die Beweiserhebung und die Verwertung der erhobenen Beweise den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Daraus folgt, dass das Gericht spätestens in der mündlichen Verhandlung den anwaltlich vertretenen Kläger darauf hätte hinweisen müssen, dass es im Ausgangspunkt weder den Feststellungen im Gutachten des Sachverständigen noch in dessen ergänzender Stellungnahme folgen werde. Dann hätte der Kläger Gelegenheit gehabt, aus seiner Sicht die Schlüssigkeit der Darlegung des Sachverständigen zu bekräftigen oder - was nahegelegen hätte - den Antrag zu stellen, diesen zur mündlichen Verhandlung zu laden, um die ersichtlich eklatanten Widersprüche zwischen der Auffassung des Senats, der seine spezifische medizinische Sachkunde zumindest nicht prozessordnungsmäßig in das Verfahren eingeführt hat, und der Ansicht des vom Gericht selbst bestellten Sachverständigen aufzuklären (§ 411 Abs 3 ZPO iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGG). Wenn sich das LSG dagegen der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung naheliegenden Auffassung hätte anschließen wollen, wonach die Verordnungsfähigkeit von Präparaten über den Sprechstundenbedarf keine dem Beweis zugängliche Frage ist, hätte auch darüber nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens, das auf eine Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht hingedeutet hat, ein entsprechender Hinweis erfolgen müssen.

9

Der Kläger hat jedenfalls nach der Einholung der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen im Februar 2009 nicht von sich aus damit rechnen müssen, dass das Gericht die genannte Beweisaufnahme nunmehr für überflüssig halten würde. Darauf hätte der Kläger nach dem Prozessverlauf hingewiesen werden müssen. Der Kläger hätte einen solchen Hinweis zum Anlass nehmen können, substantiiert zur Verordnungsfähigkeit der betroffenen Präparate Stellung zu nehmen. Das Berufungsgericht hat weder den einen noch den anderen Weg gewählt, und auch dem Urteil ist nicht mit letzter Sicherheit zu entnehmen, ob das Gericht tatsächlich seine eigene Sachkunde in medizinischer Hinsicht für ausreichend hielt, um den Schlussfolgerungen des von ihm selbst bestellten Sachverständigen entgegentreten zu können, oder ob es zumindest stillschweigend zu der Auffassung gelangt ist, auf die Beurteilung eines Sachverständigen komme es für die Verordnungsfähigkeit von Sprechstundenbedarf nicht entscheidend an. Beide Entscheidungen hätten jedoch dem Rechtsstreit im Berufungsverfahren eine Wendung gegeben, mit der nach der bisherigen Führung des Verfahrens durch den Berichterstatter auch ein sorgfältig arbeitender und über die Sach- und Rechtslage ausreichend orientierter Bevollmächtigter nicht ohne Weiteres hätte rechnen müssen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger auf den gerichtlichen Hinweis in der einen oder anderen Richtung Wesentliches hätte vortragen können, beruht das Berufungsurteil auch auf dem dargelegten Rechtsverstoß.

10

Zur Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Möglichkeit des § 160a Abs 5 SGG Gebrauch und verweist den Rechtsstreit unmittelbar im Beschwerdeverfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Dieses wird anlässlich seiner neuen Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder
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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder
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published on 07/08/2018 00:00

Tenor Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 12. Dezember 20
published on 01/02/2017 00:00

Tenor Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
published on 04/03/2014 00:00

Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. September 2013 wird als unzulässig verworfen.
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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.