Bundesgerichtshof Urteil, 11. Nov. 2009 - VIII ZR 11/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger war vom 26. März 2003 bis zum 31. März 2006 Mieter einer Wohnung des Beklagten in D. . Mit der im November 2006 erhobenen Klage hat der Kläger Rückzahlung der Kaution sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten - insgesamt 8.045,66 € nebst Zinsen - begehrt. Das Amtsgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 1.766,36 € nebst Zinsen verurteilt. Das Landgericht hat die Berufungen beider Parteien durch Urteil als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage insgesamt erstrebt.
Entscheidungsgründe:
- 2
- Die Revision hat Erfolg.
I.
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- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
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- Die Berufung des Beklagten sei beim unzuständigen Gericht eingelegt und deshalb unzulässig. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sei nicht das angerufene Landgericht, sondern das Oberlandesgericht zuständig.
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- Unstreitig habe der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung keinen Wohnsitz im Inland gehabt. Auch aus § 16 ZPO ergebe sich kein allgemeiner Gerichtsstand des Klägers im Inland, denn diese Vorschrift setze voraus, dass die Partei gänzlich wohnsitzlos sei. Insoweit sei der Nachweis erforderlich, dass der jetzige Aufenthalt des Klägers bei den gebotenen Nachforschungen nicht zu ermitteln sei. Dies sei indes nicht der Fall, da das Gericht aus allgemein zugänglichen Quellen (Internet) die Anschrift des Klägers in H. , California (USA) ermittelt habe; diese Anschrift habe der Kläger auch bei Abschluss des Mietvertrages angegeben. Der Beklagte könne, wie er selbst eingeräumt habe, nicht widerlegen, dass der Kläger keinen Wohnsitz im Sinne des deutschen Rechts an der angegebenen Anschrift in Kalifornien unterhalte. Der Beklagte trage aber als Berufungsführer die Vortrags- und Beweislast für die funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
II.
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- Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht seine funktionelle Zuständigkeit verneint und die bei ihm eingelegte Berufung des Beklagten aus diesem Grund als unzulässig verworfen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich die funktionelle Zuständigkeit des Oberlandesgerichts hier nicht aus § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG.
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- 1. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sind die Oberlandesgerichte zuständig für Berufungen gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von oder gegen eine Person erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Berufungsverfahren der vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen; nur so kann dem Erfordernis der Rechtssicherheit wirksam Rechnung getragen werden (Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2004 - VIII ZB 66/03, NJW-RR 2004, 1073, unter II 2 c bb; vom 1. Juni 2004 - VIII ZB 2/04, NJW-RR 2004, 1505, unter II 2 b; vom 10. Juli 2007 - VIII ZB 73/06, NJW-RR 2008, 144, Tz. 4, sowie vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610, Tz. 8).
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- 2. Hiernach hat das Berufungsgericht seine Zuständigkeit rechtsfehlerhaft verneint. In der ersten Instanz ist von keiner Partei vorgebracht worden, dass der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung der Klagschrift einen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte. Der Kläger hat in der Klagschrift (nur) die Adresse der bis Ende März 2006 vom Beklagten gemieteten Wohnung als seine ehemalige Wohnanschrift angegeben. Auf die Aufforderung des Beklagten, seine aktuelle Anschrift mitzuteilen, hat der Kläger erklärt, dass er derzeit keinen festen Wohnsitz habe und geschäftlich "weltweit unterwegs" sei. Dem ist der Beklagte nicht entgegengetreten.
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- Nach diesen Angaben hatte der Kläger bei Klageerhebung einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand. Denn gemäß § 16 ZPO wird der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die keinen Wohnsitz hat und für die ein Aufenthaltsort im Inland nicht bekannt ist, durch ihren letzten Wohnsitz bestimmt, hier also durch den (unstreitigen) Wohnsitz des Klägers während der Mietzeit in D. . Der sich daraus ergebende inländische Gerichtsstand des Klägers ist während des Verfahrens vor dem Amtsgericht unangegriffen geblieben, denn keine der Parteien hat geltend gemacht, dass der Kläger im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit einen ausländischen Wohnsitz hatte.
- 10
- Das Berufungsgericht hatte deshalb bei der Beurteilung der funktionellen Zuständigkeit einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand des Klägers zu Grunde zu legen. Damit liegen die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht vor und ist das angerufene Landgericht gemäß § 72 Abs. 1 GVG selbst zuständig.
III.
- 11
- Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen in der Sache selbst getroffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.11.2007 - 47 C 15554/06 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.11.2008 - 21 S 519/07 -
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Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die keinen Wohnsitz hat, wird durch den Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt.
(1) Die Zivilkammern, einschließlich der Kammern für Handelssachen und der in § 72a genannten Kammern, sind die Berufungs- und Beschwerdegerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist. Die Landgerichte sind ferner die Beschwerdegerichte in Freiheitsentziehungssachen und in den von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen.
(2) In Streitigkeiten nach § 43 Absatz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes ist das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts, in dem das Amtsgericht seinen Sitz hat. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung anstelle dieses Gerichts ein anderes Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts zu bestimmen. Sie können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.