Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2008 - IX ZR 203/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 700 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger ist Verwalter in dem am 13. September 2004 beantragten und am 12. November 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des F. (fortan: Schuldner). Der Beklagte hat gegen den Schuldner eine titulierte Forderung. Am 16. April 2003 hatte er den Anspruch des Schuldners auf Arbeitslohn gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. In den Monaten Juni, Juli und August 2004 hatte der Arbeitgeber des Schuldners an ihn jeweils 350 € ausgekehrt.
- 2
- Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger Rückgewähr von insgesamt 1.050 € verlangt. Die Klage hatte wegen der in den Monaten Juli und August 2004 abgeführten Beträge, also in Höhe von 700 € nebst Zinsen, Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
- 3
- Die Revision bleibt ohne Erfolg.
- 4
- 1. Das Berufungsgericht hat in den im Wege der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Beträgen inkongruente Deckungen gesehen und § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO angewandt. Das ist richtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Sicherung oder Befriedigung, die im Wege der Zwangsvollstreckung nicht früher als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags erlangt worden ist, inkongruent (BGHZ 136, 309, 311 ff; 155, 75, 80; 157, 350, 353; 162, 143, 149; 167, 11, 14 f Rn. 9).
- 5
- 2. Bei Prüfung der Frage, ob der Beklagte zuvor infolge des Pfändungsund Überweisungsbeschlusses vom 16. April 2003 ein anfechtungsfestes Absonderungsrecht (§ 50 Abs. 1 InsO) an den gepfändeten Lohnforderungen erlangt hatte (§ 129 Abs. 1 InsO), hat das Berufungsgericht den für die Anfechtung maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen Wirkungen der Pfändung (§ 140 Abs. 1 InsO) - ebenfalls in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 157, 350, 353 f m.w.Nachw.) - als denjenigen der Entstehung der gepfändeten Forderung bestimmt. Es hat angenommen , der Anspruch des Arbeitnehmers auf monatlichen Arbeitslohn entstehe zum Anfang jeden Monats neu, so dass auch das Pfändungspfandrecht an den Lohnansprüchen für Juli und August 2004 anfechtbar gewesen sei. Auch das entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (RGZ 142, 291, 295; BGHZ 167, 363, 366 Rn. 7; BGH, Urt. v. 30. Januar 1997 - IX ZR 89/96, ZIP 1997, 513, 514; v. 26. Juni 2008 - IX ZR 87/07, z.V.b.; BAG NJW 1993, 2699, 2700). Entgegen der Ansicht der Revision entstehen die Lohnansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nicht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages. Der Vertragsschluss als solcher reicht nicht aus. Der Vertrag kann durch Kündigung beendet werden; bei Nichterfüllung seiner Arbeitspflicht hat der Schuldner ebenfalls keinen Anspruch auf Arbeitslohn. Aus diesem Grund findet auch die Vorschrift des § 140 Abs. 3 InsO keine Anwendung. Der Arbeitnehmer hat nicht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages einen gesicherten , durch spätere Ereignisse nicht mehr entziehbaren Anspruch auf künftigen Arbeitslohn.
- 6
- 3. Die Anfechtbarkeit des durch Pfändung künftiger Lohnansprüche entstandenen Pfändungspfandrechts widerspricht weder § 832 ZPO noch § 114 Abs. 3 InsO.
- 7
- a) Nach § 832 ZPO erstreckt sich das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, auch auf die "nach der Pfändung fällig werdenden Beträge". Die Vorschrift erfasst nach allgemeiner Meinung nicht nur bestehende, erst künftig fällig werdende, sondern auch künftige Forderungen (vgl. etwa BAG NJW 1993, 2699, 2700 f; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 832 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO 26. Aufl. § 832 Rn. 2). Die Verwendung des Begriffs "fällig werden" steht nicht entgegen. Auch künftige Forderungen werden erst in der Zukunft fällig. Für die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage, ob ein Lohnanspruch (§ 611 Abs. 1 BGB) bereits mit Vertrags- schluss oder monatlich fortlaufend entsteht, lässt sich aus § 832 ZPO folglich nichts herleiten.
- 8
- b) Die Vorschrift des § 114 Abs. 3 InsO schließt eine Anfechtung von Lohnpfändungen nicht aus. Sie hat einen anderen Anwendungsbereich als die Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff InsO, betrifft nämlich die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Frage eines „Wertungswiderspruchs“ stellt sich ebenso im Hinblick auf § 88 InsO, der die Unwirksamkeit der im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag und im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Eröffnung erlangten Pfändungspfandrechte anordnet, obwohl diese nach § 114 Abs. 3 InsO im Monat der Eröffnung und gegebenenfalls im Folgemonat Bestand haben. Gleichwohl bleibt die Vorschrift des § 88 InsO nach § 114 Abs. 3 Satz 2 InsO "unberührt". Nichts anderes gilt im Verhältnis zum Insolvenzanfechtungsrecht. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das nach Erlass der angefochtenen Entscheidung ergangene, zur Veröffentlichung bestimmte Senatsurteil vom 26. Juni 2008 (IX ZR 87/07) Bezug genommen.
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- 4. Die Revision war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Bonn, Entscheidung vom 27.02.2007 - 2 C 373/06 -
LG Bonn, Entscheidung vom 24.10.2007 - 5 S 44/07 -
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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte,
- 1.
wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, - 2.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder - 3.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, daß sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte.
(2) Für die Anwendung des Absatzes 1 Nr. 3 steht der Kenntnis der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen. Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger kannte.
(1) Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht, ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht oder ein gesetzliches Pfandrecht haben, sind nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Pfandgegenstand berechtigt.
(2) Das gesetzliche Pfandrecht des Vermieters oder Verpächters kann im Insolvenzverfahren wegen der Miete oder Pacht für eine frühere Zeit als die letzten zwölf Monate vor der Eröffnung des Verfahrens sowie wegen der Entschädigung, die infolge einer Kündigung des Insolvenzverwalters zu zahlen ist, nicht geltend gemacht werden. Das Pfandrecht des Verpächters eines landwirtschaftlichen Grundstücks unterliegt wegen der Pacht nicht dieser Beschränkung.
(1) Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 anfechten.
(2) Eine Unterlassung steht einer Rechtshandlung gleich.
(1) Eine Rechtshandlung gilt als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.
(2) Ist für das Wirksamwerden eines Rechtsgeschäfts eine Eintragung im Grundbuch, im Schiffsregister, im Schiffsbauregister oder im Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen erforderlich, so gilt das Rechtsgeschäft als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung gestellt hat. Ist der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf die Rechtsänderung gestellt worden, so gilt Satz 1 mit der Maßgabe, daß dieser Antrag an die Stelle des Antrags auf Eintragung der Rechtsänderung tritt.
(3) Bei einer bedingten oder befristeten Rechtshandlung bleibt der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht.
Das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, erstreckt sich auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge.
Das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, erstreckt sich auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge.
Das Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen bestehenden Forderung erworben wird, erstreckt sich auch auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge.
(1) Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam.
(2) Die in Absatz 1 genannte Frist beträgt drei Monate, wenn ein Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 eröffnet wird.
(1) Hat ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung eine Sicherung an dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen des Schuldners erlangt, so wird diese Sicherung mit der Eröffnung des Verfahrens unwirksam.
(2) Die in Absatz 1 genannte Frist beträgt drei Monate, wenn ein Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 eröffnet wird.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)