Bundesgerichtshof Urteil, 14. Mai 2003 - IV ZR 140/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines vereinbarten Selbstbehaltes.Dem Versicherungsvertrag lag der Tarif BSS zugrunde, der von der Beklagten nur in den neuen Bundesländern wohnhaften Versicherungsnehmern angeboten wurde. Bezüglich der Erstattungsfähigkeit von stationären Behandlungen enthielt der Tarif die folgende bis zum 1. Juni 1999 gültige Klausel: "Erstattet werden hundert Prozent der Kosten der allgemeinen Krankenhausleistungen bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung wegen Krankheit, Unfall, Schwangerschaft oder Entbindung mit der Maßgabe, daß sich der Versicherte bei einer stationären Behandlung im
Gebiet der bisherigen Bundesrepublik Deutschland - Stand vor dem 3.10.1990 - ... mit 20% des Rechnungsbetrages an den Kosten beteiligt..." Am 15. Dezember 1998 erlitt der Kläger lebensgefährliche Verbrennungen. Die Erstbehandlung erfolgte im Städtischen Krankenhaus W. . Da eine Weiterbehandlung in einer Fachklinik für Schwerbrandverletzte notwendig war, wurde der Kläger, sobald er transportfähig war, in das nächstgelegene Zentrum für Schwerbrandverletzte gebracht, das sich in der im Westen gelegenen Universitätsklinik L. befand. In den neuen Bundesländern hätte er in der weiter entfernten Fachklinik in B.-M. behandelt werden können. Die Beklagte hat unter Berufung auf die Selbstbeteiligungsklausel nur 80% der von der Universitätsklinik L. in Rechnung gestellten Krankenhauskosten übernommen.
Mit der Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung der restlichen 20% in Anspruch, die sich auf 38.432,15 DM belaufen. Er vertritt die Auffassung, die Selbstbeteiligung könne nur bei einer freiwilligen Wahl des Behandlungsortes durch den Versicherten eingreifen, zu der er aufgrund der Schwere seiner Verletzungen nicht mehr in der Lage gewesen sei. Abgesehen davon sei die Berufung der Beklagten auf die Eigenbeteiligung wegen des fehlenden Kostenunterschiedes zwischen den Kliniken in L. und B.-M. treuwidrig. Im Behandlungszeitpunkt seien die Krankenhausbehandlungskosten in den neuen Ländern ganz allgemein schon auf westdeutsches Niveau angestiegen gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen
richtet sich die zugelassene Revision des Klägers, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers an der mit der streitbefangenen Klausel vereinbarten Selbstbeteiligung scheitern lassen.
1. a) Zur Auslegung der Klausel hat das Berufungsgericht ausgeführt : Die Klausel erfasse auch solche Behandlungen, die nicht auf einer frei verantwortlichen Willensbestimmung des Versicherten beruhten. Sie differenziere bei der Bestimmung einer Selbstbeteiligung nicht danach, ob die stationäre Heilbehandlung von einer Willensentscheidung des Versicherten getragen werde, die Selbstbeteiligung erfasse vielmehr alle Fälle einer stationären medizinisch notwendigen Heilbehandlung in den alten Bundesländern. Insbesondere der Umstand, daß die Klausel bei den Behandlungsursachen auch den Fall einer wegen eines Unfalls notwendigen Behandlung erwähne, widerspreche einem auf eine Willensentscheidung abstellenden Klauselverständnis. Denn gerade bei Unfällen liege eine Notaufnahme des nicht mehr zur freien Willensentscheidung fähigen Unfallopfers nicht fern. Aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers schließe der Wortlaut der Klausel mithin das Risiko ein, sich auch bei einer "unfreiwilligen" stationären Heilbehandlung an den Kosten beteiligen zu müssen. Auch der Sinn und Zweck der Klausel rechtfertigten es nicht, ihre Anwendung auf freiwillige Behandlungen zu beschränken. Der Tarif beruhe auf der Idee, die Kostenvorteile einer Be-
handlung in den neuen Bundesländern durch günstige Tarife an die Versicherungsnehmer weiterzugeben. Die niedrigere Prämie werde deshalb allein durch die Lage des Behandlungsortes, nicht durch die Freiwilligkeit seiner Auswahl kompensiert.
b) Mit diesen Erwägungen hat das Berufungsgericht die streitbefangene Klausel rechtsfehlerfrei ausgelegt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision verfangen nicht.
Entgegen ihrer Auffassung ist der Klausel keine verhüllte Obliegenheit dahin zu entnehmen, kein Krankenhaus in den alten Bundesländern aufzusuchen; sie gewährt Kostenerstattung vielmehr von vornherein nur in den von ihr beschriebenen Grenzen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Unterscheidung zwischen Obliegenheit und Risikobegrenzung entscheidend nicht der Wortlaut, vielmehr der materielle Gehalt der einzelnen Klausel, ob sie nämlich eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das (allein) der Versicherer Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise Deckung gewährt und nicht ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen, so handelt es sich um eine Risikobegrenzung (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1994 - IV ZR 3/94 - VersR 1995, 328 unter II 2 a unter anderem auch zur Einschränkung der Leistungspflicht des Versicherers für Zahnersatz auf 80% des Rechnungsbetrages
).
Die streitbefangene Klausel bietet keinerlei Anhalt dafür, der Versicherer wolle den Versicherten zu einem bestimmten Verhalten, etwa zur Behandlung in Krankenhäusern im Beitrittsgebiet anhalten und demgemäß - wie die Revision aber meint - den Versicherten nur dann einer Eigenbeteiligung aussetzen, wenn er sich freiwillig - mit Blick auf eine Obliegenheit also schuldhaft - in einem Krankenhaus auf dem Gebiet der alten Bundesländer behandeln läßt. Sie geht vielmehr von Kostenunterschieden bei der stationären Heilbehandlung in den beiden Teilbereichen Deutschlands aus und trägt den vermeintlich höheren Kosten in einem Teilbereich von vornherein und generell, also ohne Rücksicht auf die im Einzelfall anfallenden tatsächlichen Kosten, durch eine feste Selbstbeteiligungsquote Rechnung. Mit der Regelung wird demnach bei stationären Behandlungen im Gebiet der früheren Bundesrepublik von vornherein nur eingeschränkter Versicherungsschutz - nämlich bis zu 80% der Kosten - versprochen, nicht aber wird bereits gewährter Versicherungsschutz wegen eines Verhaltens des Versicherten wieder entzogen.
2. In dieser Auslegung hält die Klausel auch einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.
Allein der Umstand, daß sich der Versicherungsnehmer nach der Klausel in bestimmtem Umfang an den Krankenhauskosten zu beteiligen hat, begründet keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 9 AGBG. Die Selbstbeteiligung beruht auf der zu respektierenden eigenverantwortlichen Entscheidung des Versicherungsnehmers. Auch nach § 178b Abs. 1 VVG haftet der Versicherer bei der Krankheitskostenversicherung (nur) im "vereinbarten Umfang" für die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen; die Möglichkeit einer lediglich
teilweisen Kostendeckung ist also auch gesetzlich anerkannt. Soweit die Revision meint, in der Krankheitskostenversicherung stellten sich jedenfalls solche Selbstbeteiligungsklauseln als vertragszweckwidrig dar, die die Eigenbeteiligung nach einem bestimmten Prozentsatz der angefallenen Kosten festlegten, ist ihr nicht zu folgen. Zwar kann eine solche Re- gelung bei sehr hohen Behandlungskosten dazu führen, daß der Versicherungsnehmer im Einzelfall finanziell überfordert werden kann, der Versicherungsvertrag also insoweit seine Funktion nicht mehr erfüllt. Das ist aber Folge der eigenverantwortlichen Risikoeinschätzung durch den Versicherungsnehmer, der - soweit er nicht der Pflichtversicherung unterliegt - von einer Krankheitskostenversicherung auch vollständig absehen kann. Die streitbefangene Klausel legt dem verständigen Versicherungsnehmer dieses Risiko - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend anmerkt - auch mit der gebotenen Deutlichkeit offen. Denn es liegt auch für den Versicherungsnehmer auf der Hand, daß eine Kostenbeteiligung mit 20% bei hohen Behandlungskosten zu erheblichen finanziellen Belastungen führen kann.
3. Die auf die vereinbarte Selbstbeteiligung gestützte Ablehnung weiterer Leistungen durch die Beklagte widerspricht entgegen der Auffassung der Revision den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht. Das mit Eingehung des Vertrages mit einem Quotentarif vom Kläger selbst übernommene Kostenrisiko bei Behandlungen in den alten Bundesländern hat sich im konkreten Fall nicht zu seinen Lasten verschoben, ist vielmehr unverändert geblieben. Sollten sich die Krankenhauskosten in den neuen Bundesländern denen im früheren Bundesgebiet angenähert haben, hat sich bei unveränderter Prämie allenfalls die Leistungsverpflichtung der Beklagten zu deren Ungunsten geändert. Mit Recht hebt
das Berufungsgericht insoweit hervor, daß sich daraus gerade unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben keine Verpflichtung der Beklagten ergeben kann, auf die Selbstbeteiligung des Klägers nach einer stationären Behandlung in den alten Bundesländern zu verzichten. Der Hinweis der Revision, die Beklagte habe schließlich von der Möglichkeit Gebrauch machen können zum Ausgleich der erhöhten Kosten die Prämien zu erhöhen, verfängt in diesem Zusammenhang ersichtlich nicht. Ein solches Unterlassen ist keinesfalls geeignet, im vorliegenden Fall den Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung zu stützen.
Terno Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch
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(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.
(2) Für die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür gilt § 6a.
(3) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung und Dokumentation nach den Absätzen 1 und 2 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherer ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf seine Möglichkeit auswirken kann, gegen den Versicherer einen Schadensersatzanspruch nach Absatz 5 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des Versicherungsnehmers erkennbar ist; Absatz 3 Satz 2 gilt entsprechend. Der Versicherungsnehmer kann im Einzelfall auf eine Beratung durch schriftliche Erklärung verzichten.
(5) Verletzt der Versicherer eine Verpflichtung nach Absatz 1, 2 oder 4, ist er dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(6) Die Absätze 1 bis 5 sind auf Versicherungsverträge über ein Großrisiko im Sinn des § 210 Absatz 2 nicht anzuwenden, ferner dann nicht, wenn der Vertrag mit dem Versicherungsnehmer von einem Versicherungsmakler vermittelt wird.