Bundesgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2012 - III ZR 293/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
- Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter BSE-Tests.
- 2
- Die Klägerin, ein Mühlenbetrieb in H. , vertreibt Vogelfutter, das sie von ihrem ungarischen Tochterunternehmen V. produzieren lässt. Dieses enthält Rindertalg, den die Klägerin von der Streithelferin zu 1 und diese wiederum von der Streithelferin zu 2, einem Schlachthofbetreiber, bezieht. Bei dem Schlachthof unterhält das Veterinäramt des M. -Kreises eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Im Schlachthof wird eine Software benutzt, die die Streithelferin zu 3 programmiert hat. Der Schlachtablauf - pro Tag werden etwa 200 Rinder geschlachtet - ist wie folgt organisiert: Zunächst finden eine visuelle Prüfung der Rinder auf Gesundheit sowie des Transporters auf Hygiene und eine Kontrolle der Ohrmarke, des Anlieferungsscheins und des Rinderpasses statt; hierbei werden äußerlich auffällige Tiere ausgesondert. Danach erfolgt die Freigabe zur Schlachtung durch Abzeichnung des Anlieferungsscheins. In der Betäubungsstation gleicht ein Schlachthofmitarbeiter die Ohrmarke mit dem Rinderpass ab, scannt den Pass und teilt eine Schlachtnummer zu. Die hierbei eingesetzte Software verarbeitet die zuvor eingescannten Daten des Passes, teilt die Tiere Altersklassen zu und markiert die testpflichtigen Tiere mit "T". Die eingescannten Daten einschließlich des Geburtsdatums und der Altersklasse werden auf einen Bildschirm in die Fleischhygienestelle übertragen und dort von einem Veterinär eingesehen. Dieser stellt sodann die testpflichtigen Tiere fest und gibt Anweisung zur Entnahme einer Probe an einen Schlachthofmitarbeiter. Die Proben werden danach von dem Veterinär mit einem Barcode versehen und an ein Untersuchungslabor weitergeleitet. Dieses wertet die Proben aus und gibt das Ergebnis an die bundesweite sogenannte HIT-Datei (Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere) in München weiter. Bei dieser werden die vom Labor übermittelten Untersuchungsergebnisse mit den vom Schlachthof gelieferten Daten zusammengeführt und überprüft, ob Proben in ausreichendem Umfang entnommen wurden. Die Ergebnisse werden dem Regierungspräsidium T. mitgeteilt, das die Informationen an das Veterinäramt M. -Kreis weitergibt.
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- Bis zum 31. Dezember 2008 mussten solche Rinder auf BSE kontrolliert werden, die zum Zeitpunkt der Schlachtung über 30 Monate alt waren. Ab 1. Januar 2009 bestand nach dem neu eingefügten § 1 Abs. 1a der BSE-Untersuchungsverordnung die Testpflicht für im Inland geborene und gehaltene Rinder nur noch, wenn sie älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 schlachtete die Streithelferin zu 2 unter anderem sieben Rinder , die älter als 48 Monate waren. Aufgrund eines Systemfehlers, der auftrat, weil die Geburtsdaten dieser Tiere von Hand eingegeben worden waren, wurden die Rinder der ab dem 1. Januar 2009 neu definierten Altersklasse 3 (30 bis 48 Monate) zugeordnet und daher nicht mit "T" markiert. Obwohl eine Testpflicht auf BSE bestand, ordnete der Veterinär eine Probeentnahme nicht an. Das Veterinäramt M. -Kreis erteilte Negativtestate und hob die Beschlagnahme der Tiere auf. Den aus den Schlachtungen stammenden Rindertalg lieferte die Streithelferin zu 2 an die Streithelferin zu 1 und diese auf Veranlassung der Klägerin an die V. , die ihn unter Verwendung weiterer Zutaten zumindest teilweise zu Meisenknödeln verarbeitete. Nachdem der Fehler bei der Altersklassenzuordnung festgestellt worden war, beschlagnahmte das Veterinäramt M. -Kreis bei der Streithelferin zu 1 den restlichen von der Streithelferin zu 2 gelieferten Rindertalg. Hiervon machte die Streithelferin zu 1 der Klägerin Mitteilung. In der Zwischenzeit hatte die V. der Klägerin insgesamt 98 Tonnen Meisenknödel geliefert. Die Stadt W. verlangte von der Streithelferin zu 1 die Beseitigung des beschlagnahmten Rindertalgs. Diese Aufforderung gab die Streithelferin zu 1 an die Klägerin weiter. Auf Verlangen des Veterinäramts H. veranlasste die Klägerin den Rücktransport der Meisenknödel nach Ungarn, wohin rund 78 Tonnen gelangten. Am 12. Mai 2009 erließ das Veterinäramt H. gegenüber der Klägerin einen Vernichtungsbescheid über die Meisenknödel. Daraufhin wurden 20 Tonnen in Deutschland und 78 Tonnen in Ungarn vernichtet.
- 4
- Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Schadensersatz aus Amtshaftung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
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- Die Revision der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
I.
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- Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die für das beklagte Land tätigen Bediensteten des Veterinäramts ihre Amtspflichten bei der Auswahl der auf BSE zu testenden Rinder verletzt und dadurch das Fleisch sowie die sonstigen Nebenprodukte der geschlachteten Tiere freigegeben hätten, obwohl die aufgrund des Alters vorgeschriebenen Laboruntersuchungen nicht vorgenommen worden seien. Es habe sich insoweit jedoch nicht um Pflichten gehandelt, die der Klägerin gegenüber bestanden hätten. Die im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests bestehenden Amtspflichten dienten in erster Linie dem Gesundheitsschutz von Mensch und Tier. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass drittgerichtete Amtspflichten auch im Verhältnis zu den Unternehmen bestehen könnten, die die Schlachtungen selbst durchführten. Es sei aber nicht gerechtfertigt, die Schutzrichtung der Amtspflichten auch auf Unternehmen auszuweiten, die mit den Tierprodukten lediglich als Weiterverarbeiter oder Händler in Berührung kämen. Den einschlägigen nationalstaatlichen und europarechtlichen Regelungen sei kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die Amtspflichten den zuständigen Behörden gegenüber sämtlichen Unternehmen in der Lieferkette von Fleischprodukten obliegen sollten. Für Unternehmen, die an einem entfernteren Punkt der Verwertungskette stünden, stelle sich im Falle der BSE-Tests allerdings die Schwierigkeit, dass sie durch eine privatgutachterliche Untersuchung des Fleisches möglicherweise nicht abwenden könnten, dass eine Beschlag- nahme angeordnet werde, weil die amtliche Kontrolle zuvor nicht oder fehlerhaft durchgeführt worden sei. Dem damit verbundenen wirtschaftlichen Risiko könnten sie allerdings durch entsprechende Gestaltung ihrer Verträge mit dem Vorlieferanten begegnen; dadurch könne erreicht werden, dass derjenige Lieferant, der eigene Untersuchungsmöglichkeiten habe oder dem bei einer mangelhaften behördlichen Kontrolle Amtshaftungsansprüche zustünden, eine verschuldensunabhängige Haftung für die Verkehrsfähigkeit der von ihm gelieferten Produkte übernehme. Eine Ausweitung der Drittbezogenheit der Amtspflichten in Fällen der vorliegenden Art würde zudem zu einer Konturlosigkeit der Haftung führen. Die Anstellungskörperschaft des Veterinärs müsste dann nämlich Schadensersatz jedem leisten, der - sei es auch nur in entfernter Weise und mit geringen Mengen - mit dem Produkt in Berührung gekommen und dem durch die Amtspflichtverletzung ein Schaden entstanden sei.
II.
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- Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
- 8
- 1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG die Verletzung einer gerade einem Dritten gegenüber bestehenden Amtspflicht voraussetzen.
- 9
- Die Regelung in § 839 BGB, Art. 34 GG beruht insoweit auf der Vorstellung eines Drei-Personen-Verhältnisses, an dem der Beamte, sein Dienstherr und der Geschädigte beteiligt sind. Nur die Verletzung solcher Pflichten, die dem Beamten nicht nur seinem Dienstherrn, sondern einem Dritten gegenüber obliegen, begründen eine Ersatzpflicht. Alle Amtspflichten bestehen zunächst im Interesse des Staates und der Allgemeinheit. Dient eine Pflicht nur dem allgemeinen öffentlichen Wohl oder dem Schutz der öffentlichen Ordnung, scheidet auch bei deren schadensauslösender Verletzung eine Haftung aus. Die Drittgerichtetheit hat damit sowohl haftungsbegründende als auch -begrenzende Funktion: begründend, soweit klargestellt wird, gegenüber welchem Geschädigten die Verantwortlichkeit des Staates eintritt, begrenzend, soweit anderen Personen, die nicht zum Kreis der Dritten zählen, ein Anspruch auch dann versagt bleibt, wenn sich das pflichtwidrige Handeln des Amtsträgers für sie nachteilig ausgewirkt hat.
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- Ob der Geschädigte dabei Dritter ist, bestimmt sich danach, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch gegebenenfalls neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke auch - den Sinn hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts muss sich ergeben, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen; darüber hinaus kommt es darauf an, ob in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Hierfür ist die unmittelbare Beteiligung am Amtsgeschäft allerdings ebenso wenig notwendige Voraussetzung wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen auf die streitgegenständliche Amtshandlung. Allerdings genügt es nicht allein, dass sich die Verletzung der Amtspflicht für den Geschädigten nachteilig ausgewirkt hat. Da im Übrigen eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als Dritter anzusehen sein muss, ist jeweils zu prü- fen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt sein soll (ständige Senatsrechtsprechung , vgl. nur Urteile vom 6. Mai 1993 - III ZR 2/92, BGHZ 122, 317, 320 f; vom 18. Februar 1999 - III ZR 272/96, BGHZ 140, 380, 382; vom 1. Februar 2001 - III ZR 193/99, BGHZ 146, 365, 368; vom 20. Januar 2005 - III ZR 48/01, BGHZ 162, 49, 55 f und vom 15. Oktober 2009 - III ZR 8/09, BGHZ 182, 370 Rn. 14).
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- 2. Den Bestimmungen über die Durchführung von BSE-Tests lässt sich insoweit kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass durch diese die hier betroffenen wirtschaftlichen Interessen der Klägerin geschützt werden sollen.
- 12
- a) Zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Amtshandlungen im Januar 2009 galt die BSE-Untersuchungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. September 2002 (BGBl. I S. 3730), zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem Bovinen Virusdiarrhoe-Virus und zur Änderung TSE-rechtlicher Verordnungen vom 11. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2461). Ermächtigungsgrundlage für den Erlass und die folgenden Änderungen der BSE-Untersuchungsverordnung waren die Vorschriften des Fleischhygienegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juli 1993 (BGBl. I S. 1189), insbesondere die §§ 5, 22d, 22e. Die Befugnis des zuständigen Ministeriums zum Erlass von Rechtsverordnungen war daran geknüpft, dass die Regelung zum Schutz des Verbrauchers oder zur Durchführung von Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaft erforderlich ist. Die derzeit gültigen Vorschriften der BSE-Untersuchungsverordnung (siehe Bekanntmachung der Neufassung vom 30. November 2011, BGBl. I S. 2404) sind nach dem Außerkrafttreten des Fleischhygienegesetzes im Jahre 2005 (unter anderem) auf Bestimmungen des Lebensmittel- und Fut- termittelgesetzbuchs vom 1. September 2005 (BGBl. I S. 2618) - dort vor allem § 13 - gestützt; im Mittelpunkt des Gesetzes steht insoweit die Abwehr von Gefahren für die menschliche Gesundheit beziehungsweise der Schutz der Verbraucher (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1).
- 13
- b) Die BSE-Untersuchungsverordnung selbst nimmt in § 1 bezüglich der Durchführung der BSE-Tests Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 999/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien (ABl. L 147 vom 31. Mai 2001, S. 1) sowie auf die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs" (ABl. L 139 vom 30. April 2004, S. 206, L 226 vom 25. Juni 2004, S. 83).
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- Beide Verordnungen verweisen einleitend als Rechtsgrundlage auf Art. 152 Abs. 4 Buchst. b EGV (jetzt Art. 166 AEUV). Diese Norm hat im Rahmen des Abschnitts Gesundheitspolitik Maßnahmen des Rates im Bereich Veterinärwesen zum Gegenstand, "die unmittelbar den Schutz der Bevölkerung zum Ziel haben". In den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 - Nr. 2, 3; siehe auch Nr. 4, 5 und 10 - sowie der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 - Nr. 4 und 6 - wird insoweit auf die Gesundheit der Bevölkerung beziehungsweise auf die Gesundheit von Mensch und Tier als Schutzgut verwiesen.
- 15
- Die Erwähnung auch des Binnenmarktes im Erwägungsgrund Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 ("Diese Verordnung ist von unmittelbarem Belang für die Gesundheit der Bevölkerung und bezieht sich auf das Funktionieren des Binnenmarktes") sowie der Lebensmittelunternehmen im Erwägungsgrund Nr. 6 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 ("Art und Umfang der amtlichen Überwachung sollten von einer Bewertung der Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung , der Tiergesundheit, gegebenenfalls des Wohlbefindens der Tiere sowie der Art und des Umfangs der durchgeführten Prozesse und des Lebensmittelunternehmers abhängen") besagen demgegenüber nichts über eine Einbeziehung der klägerischen Vermögensinteressen in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht. Dass die Verordnung Nr. 999/2001 den Binnenmarkt betrifft, folgt aus ihrem Regelungsgegenstand, nämlich der Produktion und dem Inverkehrbringen von lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen innerhalb der Gemeinschaft (Erwägungsgrund Nr. 5, Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. b). Mit der Bezugnahme auf den Binnenmarkt wird verdeutlicht, dass sich jede Umsetzung der Verordnung auch auf dessen Funktionsfähigkeit auswirkt, lebensmittelrechtliche Kontrollen insoweit wirtschaftliche Implikationen haben und eine einheitliche Regelung der BSE-Untersuchungspflichten für das Funktionieren des Binnenmarkts von Bedeutung ist. Kein Anhaltspunkt besteht aber für die Annahme, diese Bezugnahme solle zum Ausdruck bringen, dass durch die Einführung der BSE-Untersuchung die wirtschaftlichen Interessen aller unternehmerischen Teilnehmer des Binnenmarkts einen besonderen Schutz genießen. Vielmehr wird im Erwägungsgrund Nr. 3 selbst noch einmal ausdrücklich auf den Schutz der Bevölkerung Bezug genommen ("Es empfiehlt sich daher, Art. 152 Abs. 4 Buchstabe b des Vertrags als Rechtsgrundlage zu wählen."). Die Erwähnung des Lebensmittelunternehmers im Erwägungsgrund Nr. 6 erfolgt mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Vorschrift, um zu verdeutlichen, dass bei der Umsetzung der Verordnung in konkrete Handlungsanweisungen eine ausgewogene Zweck-Mittel-Relation beachtet werden muss. Ohne das Ziel des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier aus den Augen zu verlieren , soll vermieden werden, dass die wirtschaftliche Freiheit des Lebensmittelunternehmers durch besonders engmaschige Kontrollen erstickt wird. Der europäische Verordnungsgeber wollte mithin bei der Ausgestaltung der BSEUntersuchungspflichten in diesem Punkt auch auf die Belange der Unternehmen Rücksicht nehmen, sie also nicht übermäßig mit Pflichten belasten. Ein besonderer Schutz der Handelsunternehmen oder der weiterverarbeitenden Betriebe in dem hier betroffenen vermögensrechtlichen Bereich war damit aber erkennbar nicht intendiert.
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- c) Soweit die Klägerin - im Übrigen erstmals in der Revisionsinstanz (§ 559 Abs. 1 ZPO) - auf zwei Artikel zur BSE-Krise in Spiegel Online vom 28. November 2000 und 19. Januar 2001 verweist, lässt sich aus deren Inhalt nichts für ihre Auffassung ableiten, sie sei bezüglich des entstandenen Schadens in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht einbezogen; dies gilt unabhängig davon, dass auf dem Höhepunkt der BSE-Krise der deutsche Fleischmarkt vor dem Zusammenbruch stand und insoweit durch die gesetzlichen Maßnahmen das Vertrauen der Verbraucher in die gesundheitliche Unbedenklichkeit des zum Verkauf angebotenen Fleisches gestärkt und damit letztlich auch der Fleischabsatz wiederbelebt wurde.
- 17
- 3. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 2. Februar 2006 - III ZR 131/05, VersR 2006, 698 Rn. 12, Beschluss vom 15. Februar 2007 - III ZR 137/06, VersR 2007, 1372 Rn. 6; siehe auch Urteil vom 14. Oktober 2004 - III ZR 169/04, BGHZ 161, 6; vgl. aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung OLG Stuttgart OLGR 2005, 580, 584, OLG München , Urteil vom 27. April 2006 - 1 U 2537/05, juris Rn. 94 ff, OLG Bremen OLGR 2009, 250, 253 f), wonach die bei der Durchführung einer BSE-Untersuchung an einem testpflichtigen Rind bestehenden Amtspflichten im Verhältnis zum betroffenen Schlachtbetrieb drittbezogen sind und insoweit der Veterinär beziehungsweise etwaige mit der Laboruntersuchung beauftragte Verwaltungshelfer bei ihrer Tätigkeit auch und gerade auf die Interessen des Schlachthofs in individualisierter und qualifizierter Weise Rücksicht zu nehmen haben. Vorliegend geht es nicht darum, dass ein Schlachthofbetreiber durch Fehler der zuständigen Behörden oder ihrer Verwaltungshelfer (Untersuchungslabors) unmittelbar an der (gewinnbringenden) Verwertung seines Eigentums gehindert wurde , sei es, dass Fleisch zu Unrecht beschlagnahmt und in der Folge verdorben oder vernichtet worden ist (so der den Senatsurteilen vom 14. Oktober 2004 und vom 2. Februar 2006 zugrunde liegende Sachverhalt), sei es, dass vorläufig sichergestelltes Fleisch zu Unrecht freigegeben und in der Folge nicht mehr verkauft werden durfte beziehungsweise bereits vollzogene Kaufverträge rückabgewickelt werden mussten (vgl. die Entscheidung des OLG München vom 27. April 2006; die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch den Senatsbeschluss vom 15. Februar 2007 zurückgewiesen). Vielmehr ist Streitgegenstand der Schaden eines in der weiteren Abnehmer- und Verarbeitungskette stehenden Unternehmens. Insoweit besteht aber regelmäßig keine Drittwirkung der verletzten Amtspflicht; diese schützt nicht die individuellen Vermögensinteressen dieser Gruppe am Absatz von Tierprodukten zum Zwecke der Gewinnerzielung. Die Haftung des Staates würde ansonsten - obwohl mit dem Kriterium, dass drittbezogen Amtspflichten sind, bei denen in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist - konturlos und wäre letztlich nur noch eine Frage der Kausalität. Allein der Umstand, dass jemand durch eine Amtspflichtverletzung kausal geschädigt wird, genügt aber nicht, um ihn als Dritten anzusehen. Insbesondere bei denjenigen, die in ihren eigenen Interessen erst als Folge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu den unmittelbar von der Ausübung der Amtspflicht betroffenen Personen und Unternehmen berührt werden, hat der Senat regelmäßig keine Drittwirkung zuerkannt ; denn grundsätzlich hat es der geschützte Dritte nicht in der Hand, durch den Abschluss von Verträgen den Schutzbereich der ihm gegenüber obliegenden Amtspflichten auf den Vertragspartner zu erstrecken (vgl. nur Urteile vom 23. Oktober 1958 - III ZR 91/57, VersR 1958, 886; vom 17. November 1958 - III ZR 123/57, VersR 1959, 194; vom 14. Juni 1962 - III ZR 57/61, NJW 1962, 2100, 2102 und vom 8. Mai 1980 - III ZR 27/78, NJW 1980, 2578, 2579). Auch wären vorliegend die potentiellen Schäden und die damit verbundenen Haftungsrisiken kaum absehbar und ausufernd, da die Verarbeitung selbst geringer Mengen von verkehrsunfähigen Fleischbestandteilen oder Nebenprodukten dazu führen kann, dass große Mengen der mit Hilfe dieser Stoffe hergestellten End- oder Fertigprodukte unbrauchbar werden. Dass die Klägerin beim Erwerb des Rindertalgs auf die Einhaltung der BSE-Untersuchungsverordnung bei der Schlachtung vertraut hat und für sie - wie die Revision unter Hinweis darauf geltend macht, dass ein BSE-Test nur anhand einer Probe aus dem Stammhirn möglich ist und das Hirn als sogenanntes Risikomaterial im Anschluss an die Entnahme der Probe regelmäßig sofort vernichtet wird - keine Möglichkeit bestand , vor dem Kauf einen solchen Test nachholen zu lassen, ändert hieran nichts. Die Freigabe des Schlachtfleisches stellte für die Klägerin keine geschützte Verlässlichkeitsgrundlage für ihre wirtschaftlichen Dispositionen dar. Auch wenn die Prüfungen des Veterinärs, soweit sie ordnungsgemäß vorgenommen werden, für diejenigen, die mit den Tierprodukten als Händler oder weiterverarbeitender Betrieb in Berührung kommen, die für sie erfreuliche Nebenwirkung haben, dass sie nur BSE-freie Produkte vermarkten und insoweit der Gefahr enthoben sind, wegen des Inverkehrbringens von genussuntauglichen Produkten von den Konsumenten, Vertragspartnern oder den staatlichen Aufsichtsbehörden belangt zu werden, genügt dies nicht, um aus dieser reflexhaften Wirkung der einem anderen Zweck - Gesundheit von Mensch und Tier - dienenden Untersuchung eine Amtspflicht zum Schutz der wirtschaftlichen Belange dieser Personen zu begründen. Die Klägerin ist insoweit auf ihre etwaigen kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen ihren Vorlieferanten zu verweisen. Soweit dies ihren Schaden nicht abdeckt, muss sie versuchen, sich zukünftig gegen eine fehlende Verkehrsfähigkeit der erworbenen Tierprodukte vertraglich ausreichend abzusichern. Etwaige Schwierigkeiten dabei rechtfertigen es jedenfalls nicht, die hier im Streit stehende Amtspflicht als zugunsten der Klägerin drittgerichtet einzustufen.
- 18
- 4. Der Senat ist im Parallelverfahren III ZR 151/12 - Klägerin dort ist die hiesige Streithelferin zu 1 (aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht verschiedener Kunden) - in seinem Urteil vom heutigen Tag (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) im Zusammenhang mit dem Inhalt der von den Veterinären des beklagten Landes im Zuge der Auslieferung des Rohfetts von der Streithelferin zu 2 an die Streithelferin zu 1 ausgestellten Begleitscheine von einer Verletzung zu Gunsten der Streithelferin zu 1 drittgerichteter Amtspflichten ausgegangen. Die Kunden der Streithelferin zu 1 hat der Senat jedoch nicht in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht einbezogen. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, dass die Begleitscheine den Kunden im Zusammenhang mit dem Kauf der Produkte vorgelegt worden waren - auch die Revision hat insoweit keinen entsprechenden, vom Berufungsgericht übergangenen Sachvortrag aufgezeigt -, waren die Begleitscheine beziehungsweise die diesbezüglich erteilten Auskünfte des Veterinäramts unmittelbar nur an die Streithelferin zu 1 sowie den Schlachthof (hier: Streithelferin zu 2) gerichtet. Diese wurden damit hinreichend individualisiert und aus der Allgemeinheit derjenigen Personen, die später mit den Tierprodukten in Berührung gekommen sind, herausgehoben. Nach Maßgabe dessen spielen die Begleitscheine im hiesigen Verfahren keine entscheidungserhebliche Rolle.
Hucke Seiters
Vorinstanzen:
LG Mosbach, Entscheidung vom 18.03.2011 - 1 O 211/10 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 15.11.2011 - 12 U 85/11 -
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Annotations
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.
(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.