Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2003 - II ZR 340/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Klage gegen den Beklagten zu 1 wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen ; ausgenommen hiervon sind die dem Beklagten zu 2 durch seine zurückgenommene Revision erwachsenen eigenen außergerichtlichen Kosten sowie ein Betrag von 198,13 von den Gerichtskosten, die er selbst zu tragen hat.
Von den Kosten des 1. und des 2. Rechtszuges hat die Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 in voller Höhe sowie von den eigenen außergerichtlichen und den Gerichtskosten 23 % zu tragen, während die in diesen Rechtszü- gen entstandenen Kosten im übrigen dem Beklagten zu 2 zur Last fallen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten waren seit April 1994 Geschäftsführer der R. GmbH, über deren Vermögen im Juni 1997 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden ist. Gegenstand der Klage sind Schadenersatzansprüche der klagenden Sozialkasse gegen die Beklagten wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung von Bediensteten der R. GmbH. Betroffen sind Rückstände für die Monate April, Mai, Juli, August und September 1996 sowie Februar und März 1997. Während der Beklagte zu 2 für sämtliche offenen Beträge (123.237,13 DM) haften soll, hat die Klägerin von dem Beklagten zu 1 lediglich Ersatz für die auf die Monate April bis August 1996 entfallenden Rückstände (55.088,37 DM) gefordert; dies beruht darauf, daß der Beklagte zu 1 unstreitig jedenfalls ab 30. September 1996 nicht mehr Geschäftsführer der R. GmbH war.
Demgegenüber hat der Beklagte zu 1 die Ansicht vertreten, er hafte der Klägerin nicht, weil er sein Amt mit Wirkung zum 30. April 1996 niedergelegt habe und deswegen bei Fälligwerden der Arbeitnehmeranteile für den Monat April, das war der 15. Mai 1996, nicht mehr Geschäftsführer der R. GmbH gewesen sei. In diesem Zusammenhang beruft er sich auf ein Schreiben, das er
unter dem 6. April 1996 an die Geschäftsführung der Alleingesellschafterin der R. GmbH gerichtet hat und in dem es u.a. heißt:
"Nachdem Sie die personellen Voraussetzungen für einen Wechsel in der Geschäftsführung bei dem genannten Unternehmen geschaffen haben, möchte ich meine Funktion als Geschäftsführer zum 30.04.1996 niederlegen. Ich bitte Sie, die gesellschaftsrechtlich erforderlichen Schritte zu veranlassen, damit die Veränderung in der Geschäftsführung zu dem genannten Zeitpunkt vollzogen werden kann." Landgericht und Oberlandesgericht haben in diesem Schreiben keine Amtsniederlegung, sondern allein die Bitte um Abberufung gesehen, die erst am 30. September 1996 beschlossen worden sei. Dementsprechend haben sie den Beklagten zu 1 antragsgemäß verurteilt.
Während der Beklagte zu 2 seine Revision gegen das Berufungsurteil vor der Bestellung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und der Entscheidung über die Annahme zurückgenommen hat, verfolgt der Beklagte zu 1 sein Klageabweisungsbegehren im dritten Rechtszug weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten zu 1 ist begründet und führt zur Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage. Als am 15. Mai 1996 die Beiträge für den Monat April 1996 zur Abführung an die Klägerin fällig wurden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), war der Beklagte zu 1 nicht mehr Normadressat des als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB einzuordnenden § 266 a i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Er hat nämlich seine Stellung als organschaftlicher Vertreter der R. GmbH nicht erst mit Wirkung vom 30. September 1996 verloren, wie das Berufungsgericht
angenommen hat, sondern hat das Geschäftsführeramt bereits zum 30. April 1996 wirksam niedergelegt.
Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, das Schreiben des Beklagten zu 1 vom 6. April 1996 enthalte lediglich eine Absichtserklärung, beruht auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung, weil es unter Verletzung allgemeiner Auslegungsregeln dem Wortlaut eines Teils dieses Schreibens überragende Bedeutung beimißt, den anderen Teil der Urkunde und unstreitige Umstände aber in seine Erwägungen nicht einbezieht. Da weitere tatrichterliche Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen.
Allein der zweite, in höflicher Form als Wunsch formulierte Satz des genannten Schreibens kann - für sich allein betrachtet - in dem ihm von dem Berufungsgericht beigelegten Sinn verstanden werden, daß der Beklagte zu 1 nicht sein Amt niedergelegt, sondern um seine Abberufung gebeten habe. Bezieht man jedoch das gesamte Schreiben in die Auslegung ein, verbietet sich dieses Verständnis. Denn der Beklagte zu 1 teilt der Geschäftsführung der Alleingesellschafterin der R. GmbH - sie bildet den Willen der nach dem Gesetz für alle Fragen des Organ- und Anstellungsverhältnisses eines GmbHGeschäftsführers zuständigen Gesellschafterversammlung der einhundertprozentigen Tochtergesellschaft - mit, daß er das Amt über den 30. April 1996 hinaus nicht weiter ausüben will. Daß es nicht um die Erfüllung eines in der Zukunft liegenden Wunsches ging, sondern bereits die Amtsniederlegung erklärt worden ist, ergibt sich daraus, daß das Schreiben nicht, was nach der Auslegung des Berufungsgerichts erwartet werden müßte, damit eingeleitet wird, "sobald" die Gesellschafterversammlung die Nachfolgefrage geregelt haben werde, solle das Organverhältnis durch einen entsprechenden Akt der Ge-
schäftsführung der Muttergesellschaft beendet werden. Das genannte Schreiben knüpft mit seinen einleitenden Worten, "nachdem Sie die personellen Voraussetzungen für einen Wechsel in der Geschäftsführung geschaffen haben", an einen in der Vergangenheit liegenden, bereits abgeschlossenen Sachverhalt an, aus dem der Beklagte zu 1 die Folgerungen zieht. Das deckt sich mit dem von der Klägerin bereits im ersten Rechtszug zugestandenen, von dem Berufungsgericht aber nicht gewürdigten Vortrag des Beklagten zu 1, er habe bereits im August 1995 Gespräche mit der "Gesellschafterversammlung" der späteren Gemeinschuldnerin mit dem Ziel geführt, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden , die Geschäftsführung der Muttergesellschaft sei hiermit grundsätzlich einverstanden gewesen, habe aber zunächst die Nachfolgefrage regeln wollen. Da die Alleingesellschafterin diese Frage inzwischen hat regeln können ("nachdem ..."), ist aus der Sicht des Beklagten zu 1 der Grund dafür entfallen, weiterhin seinen Wunsch zurückzustellen, von seinen Aufgaben als Geschäftsführer entbunden zu werden, so daß er nunmehr - in Ausführung der früher getroffenen Absprachen - das Amt niederlegen konnte. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Bitte des Beklagten zu 1, die Alleingesellschafterin möge die "gesellschaftsrechtlich erforderlichen Schritte" ergreifen, "damit die Veränderung zu dem genannten Zeitpunkt vollzogen werden kann", einen anderen Inhalt, als ihn das Berufungsgericht für allein möglich gehalten hat. Da der Beklagte zu 1 - wie schon im August 1995 angekündigt und vorabgesprochen worden war - sein Amt niederlegen wollte und in dieser Weise handeln durfte, sobald die Nachfolgefrage geklärt war, zielte die genannte "Bitte" nicht darauf, einen Abberufungsbeschluß herbeizuführen, sondern legte der Geschäftsführung der Alleingesellschafterin nahe, rechtzeitig vor dem 30. April 1996 den Nachfolger zu bestellen und für den handelsregisterlichen Vollzug des Wechsels in der Geschäftsführung Sorge zu tragen.
Allein mit diesem Verständnis des genannten Schreibens steht in Einklang , daß der Beklagte zu 1 - unstreitig und entgegen den auf ein offenkundiges Schreibversehen zurückzuführenden Ausführungen im Berufungsurteil - nach dem 30. April 1996 für die R. GmbH nicht mehr, vor allem auch nicht mehr gegenüber der Klägerin, tätig geworden ist und keinerlei Bezüge mehr erhalten hat. Aus dem Umstand, daß die Gesellschafterversammlung der R. GmbH unter dem 30. September 1996 die "Abberufung" des Beklagten zu 1 beschlossen hat, kann demgegenüber nicht hergeleitet werden, daß er erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr organschaftlicher Vertreter und damit bis dahin Normadressat der in § 266 a StGB angesprochenen Pflichten war; unter den gegebenen Umständen ging dieser Abberufungsbeschluß vielmehr ins Leere und konnte nur noch als Grundlage für die deklaratorisch wirkende Eintragung der Änderung in der Geschäftsführung in das Handelsregister dienen.
Röhricht Goette Kurzwelly
Kraemer Graf
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Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 38 Widerruf der Bestellung
(1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen.
(2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den Fall beschränkt werden, daß wichtige Gründe denselben notwendig machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen.
(3) Der Geschäftsführer hat das Recht, um den Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen, wenn er wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbundenen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann und mindestens ein weiterer Geschäftsführer bestellt ist. Macht ein Geschäftsführer von diesem Recht Gebrauch, muss die Bestellung dieses Geschäftsführers
- 1.
widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach Ablauf des Zeitraums der in § 3 Absatz 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes genannten Schutzfristen zugesichert werden, - 2.
in den Fällen der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder der Krankheit widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach einem Zeitraum von bis zu drei Monaten entsprechend dem Verlangen des Geschäftsführers zugesichert werden; von dem Widerruf der Bestellung kann abgesehen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
(1) Laufende Beiträge, die geschuldet werden, werden entsprechend den Regelungen der Satzung der Krankenkasse und den Entscheidungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen fällig. Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt; ein verbleibender Restbeitrag wird zum drittletzten Bankarbeitstag des Folgemonats fällig. Der Arbeitgeber kann abweichend von Satz 2 den Betrag in Höhe der Beiträge des Vormonats zahlen; für einen verbleibenden Restbetrag bleibt es bei der Fälligkeit zum drittletzten Bankarbeitstag des Folgemonats. In den Fällen des Satzes 3 sind Beiträge, die auf eine Einmalzahlung im Vormonat entfallen, nicht zu berücksichtigen. Sonstige Beiträge werden spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den sie zu entrichten sind. Die erstmalige Fälligkeit der Beiträge für die nach § 3 Satz 1 Nummer 1a des Sechsten Buches versicherten Pflegepersonen ist abhängig von dem Zeitpunkt, zu dem die Pflegekasse, das private Versicherungsunternehmen, die Festsetzungsstelle für die Beihilfe oder der Dienstherr bei Heilfürsorgeberechtigten die Versicherungspflicht der Pflegeperson festgestellt hat oder ohne Verschulden hätte feststellen können. Wird die Feststellung in der Zeit vom Ersten bis zum Fünfzehnten eines Monats getroffen, werden die Beiträge erstmals spätestens am Fünfzehnten des folgenden Monats fällig; wird die Feststellung in der Zeit vom Sechzehnten bis zum Ende eines Monats getroffen, werden die Beiträge erstmals am Fünfzehnten des zweiten darauffolgenden Monats fällig; das Nähere vereinbaren die Spitzenverbände der beteiligten Träger der Sozialversicherung, der Verband der privaten Krankenversicherung e. V. und die Festsetzungsstellen für die Beihilfe.
(2) Die Beiträge für eine Sozialleistung im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 3 des Sechsten Buches einschließlich Sozialleistungen, auf die die Vorschriften des Fünften und des Sechsten Buches über die Kranken- und Rentenversicherung der Bezieher von Arbeitslosengeld oder die Krankenversicherung der Bezieher von Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches entsprechend anzuwenden sind, werden am Achten des auf die Zahlung der Sozialleistung folgenden Monats fällig. Die Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit können unbeschadet des Satzes 1 vereinbaren, dass die Beiträge zur Rentenversicherung aus Sozialleistungen der Bundesagentur für Arbeit zu den vom Bundesamt für Soziale Sicherung festgelegten Fälligkeitsterminen für die Rentenzahlungen im Inland gezahlt werden. Die Träger der Rentenversicherung mit Ausnahme der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung, die Bundesagentur für Arbeit und die Behörden des sozialen Entschädigungsrechts können unbeschadet des Satzes 1 vereinbaren, dass die Beiträge zur Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung aus Sozialleistungen nach dem sozialen Entschädigungsrecht in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens zum 30. Juni des laufenden Jahres und ein verbleibender Restbetrag zum nächsten Fälligkeitstermin gezahlt werden.
(2a) Bei Verwendung eines Haushaltsschecks (§ 28a Absatz 7) sind die Beiträge für das in den Monaten Januar bis Juni erzielte Arbeitsentgelt am 31. Juli des laufenden Jahres und für das in den Monaten Juli bis Dezember erzielte Arbeitsentgelt am 31. Januar des folgenden Jahres fällig.
(3) Geschuldete Beiträge der Unfallversicherung werden am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem der Beitragsbescheid dem Zahlungspflichtigen bekannt gegeben worden ist; Entsprechendes gilt für Beitragsvorschüsse, wenn der Bescheid hierüber keinen anderen Fälligkeitstermin bestimmt. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft kann in ihrer Satzung von Satz 1 abweichende Fälligkeitstermine bestimmen. Für den Tag der Zahlung und die zulässigen Zahlungsmittel gelten die für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltenden Bestimmungen entsprechend. Die Fälligkeit von Beiträgen für geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten, die nach § 28a Absatz 7 der Einzugsstelle gemeldet worden sind, richtet sich abweichend von Satz 1 nach Absatz 2a.
(4) Besondere Vorschriften für einzelne Versicherungszweige, die von den Absätzen 1 bis 3 abweichen oder abweichende Bestimmungen zulassen, bleiben unberührt.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Handelt jemand
- 1.
als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, - 2.
als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder - 3.
als gesetzlicher Vertreter eines anderen,
(2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebs oder einem sonst dazu Befugten
- 1.
beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder - 2.
ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen,
(3) Die Absätze 1 und 2 sind auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist.