Bundesgerichtshof Urteil, 29. Jan. 2004 - I ZR 162/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts Darmstadt - 2. Kammer für Handelssachen - vom 17. November 1998 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt: Der Klageantrag ist dem Grunde nach im Rahmen der Haftungshöchstsumme gemäß Art. 23 CMR gerechtfertigt.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Revision, bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Das beklagte Speditionsunternehmen wurde unter dem 25. Mai 1993 von der I. GmbH (im weiteren: I. GmbH) beauftragt , eine von dieser zum Preis von 1,2 Mio. DM verkaufte M. Vierfarben -Offsetpresse zu fixen Kosten vom Hersteller in O. zu der Käuferin, der in Istanbul/Türkei ansässigen G. A.S. (im weiteren: G. A.S.) zu transportieren. Die von der Beklagten am 1. Juni 1993 übernommene Sendung bestand aus 21 Kisten mit einem Gesamtgewicht von 26.470 kg und erfolgte deshalb in zwei Partien. Der zweite Teiltransport betraf die Kiste mit der sogenannten "Maschine 2" der Offsetpresse mit einem Gewicht von 6.940 kg. Er wurde von der T. GmbH (im weiteren: T. GmbH) durchgeführt, an die der Transportauftrag über die auf seiten der Beklagten dem Rechtsstreit beigetretenen Streithelferinnen zu 1 und 2 weitergereicht worden war.
Auf dem zweiten Teiltransport kam es am 15. Juni 1993 in Rumänien im Bereich der Gemeinde Birzava zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Lastzug der T. GmbH nach rechts von der Fahrbahn abkam und hierdurch bedingt sein Anhänger, auf dem sich die Maschine 2 befand, umkippte.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei mit 40 % beteiligter und führender Warentransportversicherer der I. GmbH und habe an die G. A.S. Schadensersatz in Höhe von 1.135.177 DM geleistet. Die Ansprüche gegen die Beklagte seien kraft Gesetzes und infolge vorgelegter Abtretungen auf die Klägerin übergegangen. Die Beklagte hafte unbeschränkt, weil der Fahrer der T.
GmbH (im weiteren: der Fahrer) den Schaden grob fahrlässig verursacht habe.
Das Landgericht hat die von der Klägerin deswegen erhobene, auf Zahlung von 1.135.177 DM nebst Zinsen gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die hiergegen von der Beklagten und der Streithelferin zu 2 eingelegten Berufungen sind ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:
Die Haftung der Beklagten sei, da es sich um eine Beförderung im grenzüberschreitenden Verkehr mit Kraftfahrzeugen gehandelt habe, nach den Vorschriften der CMR zu beurteilen. Die Aktivlegitimation der Klägerin in Höhe ihrer Beteiligung von 40 % ergebe sich daraus, daß die I. GmbH ihre Ansprüche konkludent an die G. A.S. abgetreten habe und diese unter der von der Klägerin vorgelegten Versicherungspolice versichert gewesen sei. Die Sachbefugnis der Klägerin für die weitergehenden Ansprüche folge aus den Abtretungserklärungen der übrigen Versicherer. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus Art. 17 Abs. 1 CMR. Sie sei, da kein unabwendbares Ereignis
vorgelegen habe, nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ausgeschlossen und auch unbeschränkt, weil der Fahrer, dem entweder wegen Übermüdung oder wegen eines enormen Zeitdrucks ein Fahrfehler unterlaufen sei, den Schaden grob fahrlässig verursacht habe. Die Möglichkeit einer anderen Unfallursache habe die Beklagte nicht plausibel dargetan, obwohl die entsprechende Vortragslast ihrer Sphäre zuzuordnen sei.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht war zwar nicht gehindert, ein uneingeschränktes Grundurteil zu erlassen (dazu nachstehend 1.). Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Revision gegen die von den Vorinstanzen bejahte Aktivlegitimation der Klägerin (dazu nachstehend 2.). Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte könne sich weder auf ein unabwendbares Ereignis i.S. des Art. 17 Abs. 2 CMR noch auf Haftungsausschlüsse und Haftungsbegrenzungen berufen, weil sie den Schaden grob fahrlässig verursacht habe (dazu nachstehend 3.).
1. Die Revision rügt, das Berufungsgericht hätte selbst von seinem Standpunkt aus kein uneingeschränktes Grundurteil erlassen dürfen, sondern die auf Zahlung von 1.135.177 DM gerichtete Klage in der den Betrag von 1.129.514,97 DM übersteigenden Höhe abweisen müssen. Denn nach den getroffenen Feststellungen habe die Klägerin lediglich 1.131.217 DM gezahlt, wobei der G. A.S. nach Abzug der Bankgebühren lediglich 1.129.514,97 DM gutgeschrieben worden und die Bankgebühren als Regulierungskosten nicht Bestandteil des ersatzfähigen Schadens seien. Damit hat die Revision keinen Erfolg.
Allerdings kann bei einem Klagebegehren, das sich aus mehreren - wenn auch in einem einzigen Leistungsantrag zusammengefaßten - Teilansprüchen zusammensetzt, ein einheitliches Grundurteil nur dann ergehen, wenn feststeht, daß jeder Teilanspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist (vgl. BGHZ 89, 383, 388; 139, 116, 117; BGH, Urt. v. 2.10.2000 - II ZR 54/99, NJW 2001, 224, 225). Darum geht es im Streitfall jedoch nicht. Vielmehr ist gemäß dem Vorbringen der Revision ein gewisser Teil der einheitlichen Klageforderung von der Klägerin nicht schlüssig dargelegt worden bzw. aus Rechtsgründen (eindeutig) unbegründet. Da es sich insoweit um einen abgegrenzten Teil der Klageforderung handelte, berechtigte dieser Umstand das Berufungsgericht zwar, die Klage nach seinem Ermessen durch Teilurteil abzuweisen, verpflichtete es aber nicht dazu (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO).
2. Im Ergebnis ebenfalls ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht hat.
a) Nach der Auffassung des Berufungsgerichts war, da eine Verfügungsberechtigung der G. A.S. als der Empfängerin des Gutes gemäß Art. 12 CMR nicht festgestellt werden konnte, zunächst nur von einer Anspruchsberechtigung der I. GmbH als der Versenderin auszugehen. Diese Beurteilung läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.
b) Das Berufungsgericht hat eine konkludente Abtretung der Ansprüche der I. GmbH an die G. A.S. bejaht. Es ist dabei zum einen davon ausgegangen, daß die I. GmbH gemäß ihrer Pro-forma-Rechnung vom 10. Mai 1993 der G. A.S. die Versicherungskosten in Rechnung ge-
stellt hat, weil diese in dem für die Offsetpresse zu zahlenden Kaufpreis enthalten gewesen sind, und daß die Klägerin ausweislich ihres Entschädigungsscheins die Abtretung akzeptiert habe. Zum anderen hat es unter Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 21. November 1996 (I ZR 139/94, TranspR 1997, 164, 165 = VersR 1997, 385) angenommen, nach den tatsächlichen Gesamtumständen sei davon auszugehen, daß die Absenderin des Gutes der Empfängerin alle Versicherungsunterlagen zur Begründung und Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber der Beklagten übergeben habe.
Gegen das letztere wendet die Revision zu Recht ein, dem Parteivortrag lasse sich nicht entnehmen, daß tatsächlich eine Übergabe von Schadensunterlagen von der I. GmbH an die G. A.S. stattgefunden habe. Die entsprechende Annahme des Berufungsgerichts stellt sich daher als bloße Spekulation dar. Der vorliegende Sachverhalt ist nicht mit demjenigen zu vergleichen , der der Senatsentscheidung vom 21. November 1996 zugrunde gelegen hat. In dem damals entschiedenen Fall war ausdrücklich festgestellt worden , daß Schadensunterlagen zum Zwecke der Klageerhebung an die dortige Klägerin überlassen worden waren.
c) Kann danach von einer Anspruchsabtretung der I. GmbH an die G. A.S. nicht ausgegangen werden, so war die I. GmbH noch berechtigt, den der Empfängerin entstandenen Schaden im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Dementsprechend sind mit der von der I. GmbH am 23. März 1994 erklärten Abtretung die dieser insoweit gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche auf die Klägerin übergegangen. Die Beklagte ist zwar der Auffassung der Klägerin entgegengetreten, die Versenderin sei berechtigt gewesen, den Schaden der Empfängerin gegenüber der
Beklagten im Wege der Drittschadensliquidation geltend zu machen. Sie hat sich dabei aber maßgeblich auf die Annahme gestützt, daß der G. A.S. selbst eigene Ansprüche aus dem Frachtvertrag zustünden, was jedoch, wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhang zutreffend und von der Revision auch unangegriffen festgestellt hat, gerade nicht der Fall gewesen ist (vgl. zu vorstehend a)).
d) Da mithin davon auszugehen ist, daß die Klägerin aufgrund der Forderungsabtretung durch die I. GmbH aktivlegitimiert ist, kommt es für die Beurteilung des Klageanspruchs auch nicht darauf an, daß die Klägerin an der Versicherungspolice nur mit einem Anteil von 40 % beteiligt war. Da kein Forderungsübergang gemäß § 67 VVG in Rede steht, ist es ferner unerheblich, ob das Schadensereignis einen Versicherungsfall im Sinne der Versicherungspolice der Klägerin vom 21. Juli 1992 darstellte.
3. Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte könne sich gemäß Art. 29 CMR weder auf ein unabwendbares Ereignis i.S. des Art. 17 Abs. 2 CMR noch auf Haftungsausschlüsse und Haftungsbegrenzungen berufen, weil sie den Schaden grob fahrlässig verursacht habe.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, es sei von einer grob fehlerhaften Organisation der Transportdurchführung durch die Beklagte auszugehen. Dieser sei es nicht gelungen, die Übermüdung oder den enormen Zeitdruck des Fahrers als die von der Klägerin plausibel aufgezeigten Möglichkeiten , die zu einem Fahrfehler geführt hätten, als Folge einer grob mangelhaften
Transportorganisation zu widerlegen oder auch nur zu entkräften oder in Zweifel zu ziehen.
b) Diese Beurteilung hat, wie die Revision mit Erfolg rügt, keine hinreichende Stütze im Prozeßstoff.
aa) So fehlt es entgegen der Annahme des Berufungsgerichts an konkreten Anhaltspunkten dafür, daß der Fahrer nach dem Unfall gegenüber der Polizei in Rumänien tatsächlich unzutreffende Angaben gemacht hat. Ebensowenig kann es als gesichert angesehen werden, daß sich die dortige Befundaufnahme allein auf die Einlassung des Fahrers stützte. Der Umstand, daß die von der Polizei erstellte Unfallskizze mit den vom Fahrer seinerzeit gemachten Angaben offenbar vereinbar war, spricht allenfalls für die Glaubhaftigkeit dieser Angaben.
bb) Das Berufungsgericht konnte sich auch für den von ihm angenommenen besonderen Zeitdruck, unter dem der Fahrer gestanden habe, nicht auf eine tragfähige Grundlage stützen. Es ist insoweit dem Vortrag der Klägerin gefolgt, der zweite Teiltransport habe nach den im Hinblick auf das Akkreditiv gemachten Vorgaben der Beklagten innerhalb einer Zeit von nur fünf Tagen bewältigt werden müssen. Die Revision weist unter Hinweis auf insoweit von der Beklagten bereits in den Vorinstanzen gehaltenen Vortrag mit Recht darauf hin, daß das Akkreditiv eine Laufzeit bis zum 30. Juni 1993 hatte und als letztes Verladedatum den 21. Juni 1993 vorsah. Nach den Akkreditiv-Bestimmungen hätte es somit ausgereicht, die Maschine erst nach dem Unfalltag zu verladen. Das Berufungsgericht hat ferner nicht berücksichtigt, daß in dem von der Klägerin vorgelegten Transportauftrag an die Beklagte lediglich auf das Akkreditiv
Bezug genommen und eine Abholung in der 22. Kalenderwoche 1993 erbeten wurde, ein Liefertermin dagegen nicht enthalten war. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht als unstreitig zugrunde legen dürfen, daß die Beklagte die Durchführung des Transports innerhalb von fünf Tagen vorgegeben habe.
cc) Ebensowenig sind objektive Anhaltspunkte für eine Übermüdung des Fahrers ersichtlich. Die Möglichkeit allein, daß dieser entgegen seinen Angaben die Ruhezeiten nicht eingehalten haben könnte, kann zumal deshalb nicht zu Lasten der Beklagten gehen, weil die rumänische Polizei, obwohl sie die Angaben des Fahrers protokolliert, eine Unfallskizze gefertigt und einen Alkoholtest vorgenommen hat, soweit ersichtlich keine Veranlassung gesehen hat, die Übermüdung des Fahrers als Unfallursache in Betracht zu ziehen. Denn es hätte gegebenenfalls - namentlich unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Polizei offenbar die Tachographenscheibe des Unfallfahrzeugs sichergestellt hat - nach der Lebenserfahrung nahegelegen, einen entsprechenden Vermerk zu fertigen und/oder ein Verfahren gegen den Fahrer einzuleiten.
dd) Das Berufungsgericht hätte im übrigen auch zu erwägen gehabt, daß ein etwaiger Fahrfehler ein Augenblicksversagen des Fahrers darstellen konnte, das als solches weder mit überhöhter Geschwindigkeit noch mit Übermüdung im Zusammenhang stand.
III. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht angenommen hat, daß der Unfall grob fahrlässig verursacht worden und deshalb der Klageantrag dem Grunde nach gerechtfertigt ist, ohne daß die Haftungshöchstsumme gemäß Art. 23 CMR zum Tragen kommt.
Da im Hinblick auf den Vortrag der Parteien auch nicht zu erwarten ist, daß die Klägerin den Beweis der groben Fahrlässigkeit noch anderweitig oder die Beklagte den ihr gemäß Art. 18 Abs. 1 CMR obliegenden Beweis der Unabwendbarkeit des Schadens i.S. des Art. 17 Abs. 2 CMR führen kann, ist unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen und unter Abänderung des Urteils des Landgerichts der Klageantrag dem Grunde nach im Rahmen der Haftungshöchstsumme gemäß Art. 23 CMR für gerechtfertigt zu erklären.
Dies gilt auch insoweit, als die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat. Die Aktivlegitimation der Klägerin ergab sich aus der Forderungsabtretung der I. GmbH vom 23. März 1994. Die einjährige Verjährung gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 1 CMR hat nach Art. 32 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a CMR mit der Ablieferung der 2. Maschine am 23. Juni 1993 zu laufen begonnen und war gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR in der Zeit vom 9. Februar 1994 bis zur schriftlichen Zurückweisung der Reklamation, d.h. bis (mindestens) zum Eingang der Verteidigungsanzeige der Beklagten bei der Klägerin am 30. Oktober 1994, gehemmt. Sie wäre daher frühestens am 15. März 1995 abgelaufen und ist somit durch die Klageerhebung am 18. Oktober 1994 rechtzeitig unterbrochen worden.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits - einschließlich der Kosten der Revision - bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Ullmann Bornkamm Büscher
Schaffert Bergmann
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(1) Ist ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig, so kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden.
(2) Das Urteil ist in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen; das Gericht kann jedoch, wenn der Anspruch für begründet erklärt ist, auf Antrag anordnen, dass über den Betrag zu verhandeln sei.
(1) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.
(2) Der Erlass eines Teilurteils kann unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.
Von den §§ 60 bis 66 kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.