Bundesgerichtshof Urteil, 11. Mai 2016 - 5 StR 456/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Mai 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin F.
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten bei Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich nach teilweiser Revisionsrücknahme mit der Sachrüge lediglich gegen den Schuld- und Strafausspruch im Fall 1. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- 1. a) Das Landgericht hat zu Fall 1 folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Frühjahr 2012 begab sich der damals 13-jährige M. gemeinsam mit einem Spielkameraden zu dem Angeklagten in ein Speichergebäude. Der Angeklagte schickte den anderen Jungen nach draußen und schloss das Gebäude von innen ab, um ihn an einem erneuten Hineinkommen zu hindern. Sodann fragte er den Zeugen M. , ob er – der Angeklagte – ihm „einen blasen“ könne. Der Zeuge gab dem Drängen des Angeklagten nach und zog sich die Hose herunter. Der Angeklagte vollzog an dem Zeugen, dessen Alter von unter 14 Jahren er zumindest billigend in Kauf nahm, den Oralverkehr bis zum Samenerguss und befriedigte sich dabei mit der Hand.
- 4
- b) Das Landgericht hat die Tat als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet. Bei der Strafzumessung hat es einen minder schweren Fall gemäß § 176a Abs. 4 Halbsatz 2 StGB angenommen.
- 5
- 2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
- 6
- a) Der Schuldspruch im Fall 1 kann keinen Bestand haben. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu diesem Fall begegnet – auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich als lückenhaft, soweit neben der Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern eine tateinheitliche Verurteilung wegen Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3, Abs. 2 StGB nicht geprüft worden ist.
- 7
- Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt: „Zwar belegen die Feststellungen (UA S. 3) die Tatbestandsvo- raussetzungen des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Vor dem Hintergrund der Angaben des Geschädigten (UA S. 5), die die Strafkammer uneingeschränkt für glaubhaft erachtet hat (UA S. 9), fehlt es jedoch an einer hinreichenden Auseinandersetzung im Hinblick auf eine tateinheitliche Verwirklichung des § 177 Abs. 2 in Verbindung mit § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB. Das Urteil ist insoweit lückenhaft und nicht nachvollziehbar. Insbesondere lassen sich die Feststellungen zu Tat 1 nicht mit der Beweiswürdigung in Übereinstimmung bringen. Im Einzelnen: Nach den Feststellungen (UA S. 3) gab der Geschädigte dem Verlangen des Angeklagten, ihm „einen blasen“ zu können, nach und ließ deshalb den Oralverkehr an sich bis zum Samenerguss zu. Gewaltbehaftetes Vorgehen des Angeklagten ist hier nicht beschrieben. Der Geschädigte, ein damals 13-jähriger Junge, hat insoweit jedoch bekundet (UA S. 5), zuerst im abgeschlossenen Raum an die Fensterscheibe geklopft und um Hilfe gerufen zu haben, um auf diese Weise von außen Hilfe zu erlangen. Seinen sodann laut geäußerten entgegenstehenden Willen zum Oralverkehr habe der Angeklagte missachtet und ihn schließlich so fest angefasst, dass er sich gegen ihn nicht habe zur Wehr setzen können. Dieser im Hinblick auf eine Gewaltkomponente wesentliche Handlungsabschnitt ist mit den Feststellungen auf Seite 3 des Urteils nicht in Übereinstimmung zu bringen. Das ist insbesondere deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Strafkammer keinen Zweifel an der Richtigkeit und Erlebnisbasiertheit der Angaben des Zeugen hatte (UA S. 9). Feststellungen und Beweiswürdigung sind hier offensichtlich inkongruent. (…) Zwar könnte das Fehlen der Feststellung einer Gewalt- komponente (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und gegebenenfalls des Ausnutzens einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) auf eine abweichende Einlassung des Angeklagten zu diesen Punkten zurückzuführen sein. In diesem Fall fehlte es jedoch an beweiswürdigenden Erwägungen zur Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten und derjenigen des Zeugen, die sich in diesem Punkt diametral widersprechen müssten. Die Feststellung der uneingeschränkten Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten (UA S. 9) wäre damit im Übrigen unver- einbar.“
- 8
- Dem schließt sich der Senat an.
- 9
- b) Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 zieht die Aufhebung der für diese Tat festgesetzten Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe und damit auch der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
- 10
- 3. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird im Rahmen der Gesamtstrafenbildung den Vollstreckungsstand der an sich einbeziehungsfähigen Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 15. August 2013 zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils zu prüfen und gegebenenfalls § 55 StGB anzuwenden haben.
Bellay Feilcke
moreResultsText
Annotations
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.