Bundesgerichtshof Urteil, 22. Okt. 2013 - 5 StR 297/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
- 1
- Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten u.a. sexuellen Missbrauch eines Kindes in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen (Tatvorwürfe 1 bis 5 der Anklage), zur Last. Nachdem insoweit wiederholt nach § 206a StPO ergangene Einstellungsbeschlüsse des Landgerichts in der Beschwerdeinstanz aufgehoben worden waren, hat das Landgericht die Tatvorwürfe 1 bis 5 nunmehr durch das angefochtene Urteil eingestellt, weil die Anklageschrift – entgegen der letzten Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts – insofern nicht den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO genüge. Allein hierauf hat die Staatsanwaltschaft ihre Revision beschränkt. Eine weitergehende Verfah- renseinstellung und die Freisprechung des Angeklagten von weiteren Tatvorwürfen wird nicht mehr angefochten.
- 2
- Im Umfang der Durchführung hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Die Anklage konkretisiert die Tatvorwürfe 1 bis 5 noch hinreichend und ist insoweit wirksam.
- 3
- Bei einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegenüber Kindern, die häufig – soauch im vorliegenden Fall – erst nach längerer Zeit angezeigt werden, ist eine Individualisierung nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oftmals nicht möglich. Das darf einer Anklageerhebung nicht entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfüllt die Anklageschrift in diesen Fällen bereits dann ihre Umgrenzungsfunktion, wenn sie den Verfahrensgegenstand durch den zeitlichen Rahmen der Tatserie, die Nennung der Höchstzahl der nach dem Anklagevorwurf innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, das Tatopfer und die wesentlichen Grundzüge des Tatgeschehens bezeichnet (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46 f.; vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f. mwN).
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- Diesen Anforderungen wird die Anklage noch gerecht. Sie geht davon aus, dass es in den Tatzeiträumen zu einer Vielzahl ähnlicher sexueller Übergriffe des Angeklagten auf seine Tochter C. gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb – unter Bezeichnung des Opfers, des Tatortes und der Tatzeiträume – nur Taten angeklagt, die sich in ihrer konkreten Ausführungsart unterscheiden. Die individualisierenden Merkmale lassen trotz der zum Teil langen Tatzeiträume konkrete Lebenssachverhalte erkennen und die Taten von anderen möglichen Übergriffen abgrenzen. Dass die Taten auch etwa detailreicher hätten dargestellt werden können (vgl. wesentliches Ergebnis der Ermittlungen, S. 20 der Anklageschrift) steht dem nicht entgegen. Eine Begrenzung der Anklage auf den Initialfall und jeweils einen Fall mit einer weitergehenden, je individuell unterschiedlichen Modalität hat – worauf das Oberlandesgericht in seiner Beschwerdeentscheidung zu Recht hingewiesen hat – zur Folge, dass nach einem Sachurteil auf der Grundlage dieser Anklage auch für weitere gleichartige oder ähnliche Taten in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von einem Strafklageverbrauch auszugehen sein wird.
- 5
- Eine Verurteilung wegen eines tateinheitlichen Vergehens nach § 174 StGB wird nach dem Zweifelsgrundsatz nur dann möglich sein, wenn sich sicher feststellen lässt, dass die entsprechende individualisierte Tat nach dem 9. Juni 1999 begangen worden ist (vgl. zur Verjährung S. 21 der Anklageschrift
).
Basdorf Sander Schneider Dölp König
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Annotations
(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.
(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.
(1) Wer sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, - 2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder - 3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen
- 1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2
- 1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder - 2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.