Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2011 - 4 StR 428/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses entstandenen notwenigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
- 2
- 1. Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
- 3
- Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt. Den dort allein geführten Angriffen gegen den Rechtsfolgenausspruch ist - auch soweit die Unvollständigkeit der Feststellungen geltend gemacht wird - ein auf diesen bezogener Beschränkungswille der Beschwerde- führerin zu entnehmen (vgl. Nr. 156 Abs. 2 RiStBV; zur Auslegung in solchen Fällen BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 - 1 StR 48/02 mwN).
- 4
- 2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 1. September 2011 bemerkt der Senat:
- 5
- a) Die Strafkammer durfte strafmildernd berücksichtigen, dass die Taten für die Opfer keine psychischen oder physischen Auswirkungen hatten und haben (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1986 - 2 StR 608/85).
- 6
- Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts beruhen auch auf einer tragfähigen Grundlage. Die Strafkammer stützt sie - anders als die Revisionsführerin vorträgt - nicht nur auf die Angaben der Heimerzieherin und der Heimpädagogin, sondern zudem unter anderem auf die Aussagen der Mütter der missbrauchten Kinder sowie die Angaben der Opfer selbst. Soweit die Staatsanwaltschaft meint, die Erzieherinnen könnten mangels fachlicher Qualifikation die seelischen Folgen der Taten für die Opfer nicht beurteilen, zeigt sie einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils nicht auf; eine zulässige Aufklärungsrüge hat sie hierzu nicht erhoben.
- 7
- b) Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht bei der Zumessung der Strafe im Fall 1 "positiv bewertet" hat, dass vom Angeklagten "keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt … ausging" (UA S. 23).
- 8
- Die fehlende Gewaltanwendung darf einem Angeklagten im Fall einer Verurteilung nach § 176 oder § 176a StGB als solche zwar nicht strafmildernd zugutegehalten werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1997 - 2 StR 641/96). Die den oben zitierten Ausführungen voranstehenden Darlegungen, wonach die Durchführung des Oralverkehrs an dem Jungen für diesen nicht mit "besonderen Schmerzen aufgrund der Länge und/oder Intensität oder des Einsatzes von Gewalt (in welcher Form auch immer) [verbunden war], die über das durchschnittliche Maß hinausgehen, das mit dem Strafrahmen abgedeckt werden soll", insbesondere aber die Darlegungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der von der Staatsanwaltschaft beanstandeten Formulierung ("… konnte die Kammer im unteren Bereich des Strafrahmens bleiben, da sie auch hier positiv bewertet hat, dass … [vom Angeklagten] keinerlei direkter körperlicher Zwang oder Gewalt" ausging), belegen indes, dass es der Strafkammer an dieser Stelle darauf ankam, die von ihr abzuurteilende Tat in den hierfür zur Verfügung stehenden Strafrahmen einzuordnen. Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 497/07, StraFo 2008, 172).
- 9
- c) Soweit der der Revision der Staatsanwaltschaft beigetretene Generalstaatsanwalt meint, das Landgericht hätte die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten sowie die dem Angeklagten in der Nachtragsanklage (deren Einbeziehung der Angeklagte nicht zugestimmt hat) zur Last gelegten Taten strafschärfend berücksichtigen müssen, fehlt es an einer zulässigen Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174, 175). Aus dem Urteil selbst ergibt sich weder, dass die Strafkammer diese Taten - wie erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2009 - 1 StR 470/08, StraFo 2009, 154 mwN) - festgestellt hat, noch dass sie den Angeklagten auf deren strafschärfende Berücksichtigung hingewiesen hat.
- 10
- d) Die Verhängung von Einzelstrafen in den Fällen II.3. und 4. der Urteilsgründe (Griff an das Geschlechtsteil der Jungen über der Kleidung und - im Fall II.4. - ein Kuss auf die Nase) in Höhe der Mindeststrafe des § 176 Abs. 1 StGB von sechs Monaten gegen den nunmehr knapp 85jährigen Angeklagten ist angesichts von der Strafkammer hervorgehobenen Besonderheiten des Falles nicht unvertretbar. Sie weist - wie auch die weiteren Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und auch die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung - keinen Rechtsfehler auf.
- 11
- 3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat auch zugunsten des Angeklagten keinen Erfolg (§ 301 StPO).
- 12
- Die mehrfache Erörterung der Verurteilung des Angeklagten wegen "Unzucht mit Kindern" im Jahr 1957 in dem Urteil, etwa im Rahmen der Strafzumessung (UA S. 23 f.), begegnet Bedenken und gibt Anlass zu dem Hinweis, dass das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG auch dann besteht, wenn der Angeklagte eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe von sich aus mitgeteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - 1 StR 398/00, NStZ-RR 2001, 237; vom 20. August 2002- 5 StR 259/02, StV 2003, 444 jeweils mwN).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin
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Annotations
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.
(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.