Bundesgerichtshof Urteil, 06. Feb. 2002 - 2 StR 507/01
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen hat es ihn freigesprochen. Die gegen den Freispruch gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die - inzwischen geschiedene - Ehe des Angeklagten durch dessen Eifersucht und besitzergreifendes Verhalten gegenüber seiner Ehefrau geprägt. Er bestand unter anderem auf einer jederzeitigen Erfüllung seines Wunsches nach geschlechtlichemVerkehr. Häufig kam es, wenn die Geschädigte sich seinen Wünschen nicht fügte, zu verbalen und auch tätlichen Attacken des Angeklagten. Die Geschädigte hatte seinen tätlichen Übergriffen infolge ihrer körperlichen Unterlegenheit wenig entgegenzusetzen und fügte sich daher seinen Forderungen, wobei sie bis zum Jahr 1997 hierin möglicherweise auch eine schmeichelhafte Bestätigung ihrer Attraktivität erblickte. Nachdem es im Sommer 1998 zu erheblichen Streitigkeiten und gravierenden Tätlichkeiten des Angeklagten gekommen war, zog dieser im September 1998 auf Bitten der Geschädigten aus dem gemeinsam bewohnten Haus aus. Etwa zwei Wochen später beschloß der Angeklagte, mit seiner Ehefrau geschlechtlich zu verkehren. Er drang deshalb nachts mit Hilfe eines in seinem Besitz befindlichen Hausschlüssels in das Haus ein, begab sich in das Schlafzimmer seiner Ehefrau und erklärte dieser, er beabsichtige, mit ihr geschlechtlich zu verkehren. Die Geschädigte erklärte, daß sie sich weigere, und kauerte sich in den oberen Teil des Bettes, wo sie sich am Bettgestell festhielt. Gegen ihren Willen zog der Angeklagte sie gewaltsam nach unten, hielt ihre Hände fest, entkleidete sie, legte sich auf sie und führte den Geschlechtsverkehr aus. Die Geschädigte war aufgrund ihrer körperlichen Unterlegenheit zu weitergehender Gegenwehr nicht in der Lage. Wenige Tage später drang der Angeklagte erneut in das Schlafzimmer der schlafenden Geschädigten ein. Er entkleidete sie gewaltsam, wobei er ihr eine Schürfwunde am Oberschenkel zufügte. Als sie sich weigerte, mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuführen, und um sich trat, drückte er gewaltsam die Beine der Geschädigten auseinander, legte sich auf sie und führte den Geschlechtsverkehr durch. Er bemerkte dann: "So hat es Dir wohl nicht gefallen";
anschlieûend äuûerte er: "Solange du in meinem Hause lebst, ficke ich dich, ob du willst oder nicht", und verlieû das Haus. 2. Das Landgericht hat den äuûeren Sachverhalt als durch die glaubhafte Aussage der Geschädigten und weiterer Beweismittel erwiesen angesehen. Es hat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können, daû der Angeklagte vorsätzlich gehandelt habe, und hierzu in den Urteilsgründen ausgeführt (UA S. 20), "daû letztlich nicht ausgeschlossen werden kann, daû der Angeklagte im Hinblick auf seine egozentrische Sicht und unter Berücksichtigung der Tatsache, daû sich die Zeugin ... vor September 1998 immer seinen Wünschen gebeugt hat, möglicherweise nicht erkannt hat, daû die Zeugin bei den beiden Vorfällen Ende September 1998 tatsächlich nicht mit ihm verkehren wollte. Er kann die Weigerung der Zeugin und ihre Abwehrhandlungen als besonders reizvolles Spiel der Zeugin gewertet haben." 3. Gegen diese Beweiswürdigung wendet sich die Revision zu Recht: Die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht beruht auf einer unzureichenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen. Der Zweifelssatz , der keine Beweisregel ist, greift erst nach abgeschlossener Beweiswürdigung ein (vgl. BGH NStZ 1999, 205). Spricht das Gericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so sind die der Beweiswürdigung zugrunde liegenden wesentlichen Erwägungen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH NStZ 1990, 448; BGH wistra 1991, 63; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; st. Rspr.; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. Rdn. 33 zu § 267; Hürxthal in KK 4. Aufl. Rdn. 41 zu § 267, jew. m.w.N.). Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung. Hat der Tatrichter die
zur Verurteilung erforderliche Überzeugung vom Vorliegen eines äuûeren oder inneren Tatmerkmals nicht gewonnen, so müssen die Urteilsgründe in überprüfbarer Weise belegen, daû er die gegen die Schuld des Angeklagten sprechenden ebenso wie entgegenstehende Beweisergebnisse in ihrer Bedeutung zutreffend gewertet hat und daû die Anwendung des Zweifelssatzes auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung dieser Ergebnisse erfolgt ist. Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts nicht gerecht. Einen Anhaltspunkt dafür, der Angeklagte könne möglicherweise irrtümlich angenommen haben, die Geschädigte sei mit den sexuellen Handlungen einverstanden, sieht das Landgericht darin, daû sich die Geschädigte früher seinen Wünschen gebeugt hatte. Unberücksichtigt bleibt hierbei aber, daû dieses frühere Verhalten der Geschädigten darauf beruhte, daû sie den tätlichen Übergriffen des Angeklagten infolge ihrer körperlichen Unterlegenheit wenig entgegenzusetzen hatte (UA S. 10). Zu berücksichtigen wäre hier überdies gewesen , daû zum Zeitpunkt der Taten eine wesentliche Veränderung im Verhältnis der Ehegatten eingetreten war, die gerade aufgrund der häufigen Übergriffe des Angeklagten getrennt lebten. Daû die Zeugin bei früheren Gelegenheiten jemals ihre Weigerung als "besonders reizvolles Spiel" verstanden hatte , was das Landgericht zugunsten des Angeklagten erwägt, oder daû der Angeklagte dies angenommen habe, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Vor diesem Hintergrund kam schon dem äuûeren Tatablauf - nächtliches Eindringen in die Wohnung der Geschädigten, Anwendung nicht unerheblicher Gewalt - eine Indizwirkung für den Vorsatz des Angeklagten zu, die zu erörtern gewesen wäre. Soweit das Landgericht die "egozentrische Sicht" des Angeklagten als mögliche Ursache eines Irrtums erwägt, hat es gewichtige Anhaltspunkte nicht
bedacht, welche dieser Annahme entgegenstehen. Der Angeklagte zeigte nach den Feststellungen ein "besitzergreifendes Verhalten"; er gestand seiner Ehefrau kein Recht zur Selbstbestimmung zu, wenn dies seinen Wünschen entgegenstand (UA S. 10). Seine Bemerkungen unmittelbar im Anschluû an die zweite Tat, es habe der Nebenklägerin "wohl keinen Spaû gemacht", und er vollziehe mit ihr den Geschlechtsverkehr, "ob sie wolle oder nicht", sind gewichtige Beweisanzeichen dafür, daû der Angeklagte den entgegenstehenden Willen der Geschädigten kannte und daû seine Vorstellung nicht etwa dahin ging, die Geschädigte sei mit den sexuellen Handlungen einverstanden. Wem aus egoistischer, allein auf die Durchsetzung eigener Wünsche gerichteter Gesinnung ein möglicherweise entgegenstehender Wille des Opfers einer sexuellen Nötigung von vornherein gleichgültig ist, handelt nicht im vorsatzausschlieûenden Irrtum, sondern zumindest bedingt vorsätzlich. Mit den für ein vorsätzliches Handeln sprechenden Umständen hat sich das Landgericht weder einzeln noch in ihrem Gesamtgewicht auseinandergesetzt ; zugleich fehlt es an der Darlegung hinreichend konkreter Anhaltspunkte für die vom Landgericht als möglich angesehene Irrtumslage. Dies führt zur Aufhebung des Freispruchs.
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äuûeren Tatgeschehen konnten aufrechterhalten werden. Bode Detter Rothfuû Ri'inBGH Elf ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Fischer Bode
Annotations
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.