Bundesgerichtshof Urteil, 30. Apr. 2003 - 2 StR 503/02
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich die vom Generalbundesanwalt (in der Hauptverhandlung) vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie beanstandet die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke und die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit.Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der zur Tatzeit 22-jährige Angeklagte, der als Kind von seinem Stiefvater sexuell mißbraucht wurde und sich seit seinem 18. Lebensjahr offen zu homosexuellen Neigungen bekennt, lernte 1996 das spätere Tatopfer P. kennen. Zwischen beiden entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, sexuelle Annäherungsversuche des ebenfalls homosexuell veranlagten über 30 Jahre älteren P. wies der Angeklagte jedoch bis August 2001 zurück. In dieser Zeit zog er vorübergehend in die Einzimmerwohnung des Tatopfers ein. Da der Angeklagte den vereinbarten Mietanteil nicht zahlte, aber auch wegen seiner Unordentlichkeit und seines Drogenkonsums kam es bald zu Streitigkeiten, bei denen P. dem Angeklagten androhte, ihn aus der Wohnung zu werfen. Der Angeklagte warf P. seinerseits dessen seit langem bestehenden sexuellen Beziehungen zu einem 18-jährigen vor und beschimpfte ihn als „Kinderficker“. Auch am 9. September 2001 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und P., der gegen 18.00 Uhr begann und sich über mehrere Stunden hinzog. Um sich zu beruhigen und den Streit zu beenden, verließ der Angeklagte mehrfach die Wohnung, wobei er außerhalb der Wohnung einige Male Crack zu sich nahm. Nach seiner Rückkehr setzte sich der Streit jeweils wieder fort. P. hielt dem Angeklagten u. a. vor, daß er gar kein richtiger Homosexueller sei und ihm die als Kind erlittenen Mißbrauchstaten offensichtlich Spaß gemacht hätten. Der Angeklagte, der P. diese als traumatisch empfundenen Erlebnisse einmal erzählt hatte, empfand dies als groben Vertrauensbruch. Als er wiederum die Wohnung verlassen wollte, stellte sich P., um ihn darin zu hindern, vor die Wohnungstür. Der Angeklagte, der immer wütender wurde, ergriff schließlich eine an der Wand in einer Lederscheide hängende Machete und stieß insgesamt 33 mal mit direktem Tötungsvorsatz auf P. ein. Ein Stich, der das Tatopfer traf, als es bereits aufgrund seiner Verletzungen zu Boden gestürzt war, führte
innerhalb kürzester Zeit zum Tod. Auch die anderen Verletzungen waren lebensgefährlich. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Zwar habe sich das Tatopfer keines tätlichen Angriffs versehen, der Angeklagte habe aber aufgrund seiner affektiven Erregung bei der Tatbegehung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers (ebenso wie Umstände, die niedrige Beweggründe ausmachen könnten) möglicherweise nicht hinreichend in sein Bewußtsein aufgenommen und gebilligt.
Eine affektbedingte tiefgreifende Bewußtseinsstörung mit der Folge eines völligen Ausschlusses der Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - abgelehnt. Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit hat das Landgericht hingegen nicht ausgeschlossen , "unabhängig davon, ob sie erst nach Tatbeginn eingetreten ist (und damit möglicherweise im Augenblick des tödlichen Stichs vorlag) oder schon vor dem ersten Stich vorlag“.
II.
Die Ausführungen zur Verneinung der subjektiven Tatseite des Mordmerkmals der Heimtücke und die Annahme einer nicht ausschließbaren verminderten Schuldfähigkeit sind - worauf die Revision zu Recht hinweist - nicht rechtsbedenkenfrei.
1. Der Tatbestand des Heimtückemordes setzt in subjektiver Hinsicht voraus, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers kennt und sich bewußt ist, daß er diese zur Tat ausnutzt. Hierfür genügt es, daß der Täter die
Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (NStZ-RR 2000, 166 f.; NStZ 1999, 506 f.). Dabei steht nicht jede affektive Erregung der Annahme eines Ausnutzungsbewußtseins in diesem Sinne entgegen. Kommt der Tatrichter zu dem Ergebnis, daß der Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewußtsein aufgenommen hat, so muß er die Beweisanzeichen dafür darlegen und würdigen.
Schon eine solche umfassende Würdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. So hat es sich nicht mit den - zum Ausschluß der Schuldunfähigkeit des Angeklagten - getroffenen Feststellungen zur Wahrnehmungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung auseinandergesetzt, die mit acht konkreten Einzelbeobachtungen des Angeklagten während der Tat belegt wird (UA S. 23 und 26). Zudem hat es die Annahme einer affektiv bedingten Erregung ersichtlich allein auf die vorhergehenden Feststellungen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund einer affektiv bedingten tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gestützt. Für die Annahme der subjektiven Seite des Heimtückemords kommt es aber nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB an, sondern darauf, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewußtsein hatte (BGH NStZ-RR 2000, 166 f.). Abgesehen davon sind diese Feststellungen hier aber auch schon deshalb nicht geeignet, das fehlende Ausnutzungsbewußtsein zu belegen, weil sie ihrerseits - wie noch auszuführen ist - unklar sind. Angesichts der vom Landgericht vorgenommenen Verknüp-
fung zwischen den Feststellungen zur affektbedingten tiefgreifenden Bewußtseinsstörung im Sinne von § 21 StGB und den subjektiven Voraussetzungen der Heimtückemordmerkmale kann nicht ausgeschlossen werden, daß Rechtsfehler zum Ausmaß und insbesondere auch zum Zeitpunkt des Eintritts des Affekts, den das Landgericht im Rahmen seiner Feststellungen zur verminderten Schuldfähigkeit offen gelassen hat, sich auch auf die Beurteilung des affektbedingten Fehlens des Ausnutzungsbewußtseins ausgewirkt haben.
2. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft offen gelassen, zu welchem Zeitpunkt die affektbedingt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten eingetreten ist. Zwar könnten die weiteren Ausführungen des Landgerichts zur Persönlichkeitsfremdheit der Tat, zu der vorangegangenen stundenlangen verbalen "Aufheizung“, zu den den Angeklagten sehr verletzenden Vorhalten seiner Mißbrauchserlebnisse durch das Tatopfer sowie zum Drogenkonsum des Angeklagten dafür sprechen, daß das Landgericht einen die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Affekt schon bei Tatbeginn nicht auszuschließen vermochte. Andererseits meinte das Landgericht, sich in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zu befinden, der aber eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit "allenfalls für den Zeitraum nach Eintritt in die Tat“ für möglich gehalten hat. Danach ist zu besorgen, daß es von einem verfehlten Ansatz bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit ausgegangen ist. Denn wäre der Angeklagte nicht bereits bei Eintritt in das Versuchsstadium affektbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen, sondern erst - wie der Sachverständige angenommen hat - nach Tatbeginn beim Einschlagen auf das Tatopfer in eine Art "Entfesselungsaffekt" geraten, hätte eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht durchgehend bei der gesamten Tatbegehung vorgelegen. Welche Folgen sich ergeben, wenn der Täter erst während der Tat-
handlung in einen Zustand nach §§ 20, 21 StGB gerät, hat die Rechtssprechung bisher insbesondere für den Eintritt eines völligen Ausschlusses der Schuldfähigkeit nach Tatbeginn entschieden (BGHSt 7, 325, 328, 329; 23, 133, 135, 136; siehe auch BGHR StGB § 21 Vorverschulden 3; BGH, Urt. vom 14. Dezember 1976 - 1 StR 568/76). Danach sind einem Täter Handlungen auch dann zuzurechnen, wenn sie vom Vorsatz erfaßt waren und der Tatablauf der Vorstellung entsprach, die der Täter noch vor Eintritt der Schuldunfähigkeit sich von dem Tatgeschehen gemacht hatte. Der Eintritt der Schuldunfähigkeit während der Tatbegehung stellt sich dann als unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar. Dabei genügt es, daß der Zustand der Schuldunfähigkeit sich aus dem vorausgehenden Handeln entwickelt hat und nicht durch äußere Einflüsse ausgelöst worden ist. In einem solchen Fall ist der Täter wegen vollendeter Tat, begangen im schuldfähigen Zustand, zu bestrafen. Nichts anderes kann für den Eintritt der erheblich verminderten Schuldfähigkeit erst während der Tatausführung gelten (vgl. auch Jähnke in LK, 11. Aufl. § 21 Rdn. 23). Die Versagung einer Strafmilderung in diesem Fall steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung zum Vorverschulden und zur actio libera in causa, bei der jeweils an ein Verschulden oder an Verhaltensweisen des Täters vor Tatbeginn angeknüpft und eine Strafmilderung trotz Tatbegehung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit nicht gewährt wird. Hingegen hat der Täter, wenn er erst während der Tat - bei ansonsten planmäßiger Durchführung der Tat - erheblich vermindert schuldfähig geworden ist, seinen Tatentschluß nicht nur im voll schuldfähigen Zustand gefaßt, sondern sogar noch in diesem Zustand über die Versuchsgrenze hinaus umgesetzt.
Das Landgericht durfte deshalb nicht offen lassen, ab wann die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert war.
3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben.
Bode RiBGH Dr. Kuckein ist durch Otten Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode Rothfuß Roggenbuck
moreResultsText
Annotations
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.