Bundesgerichtshof Urteil, 27. Okt. 2005 - 1 StR 218/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags zum Nachteil seiner Tochter L. freigesprochen. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten bleibt erfolglos.
I.
1. In der durch Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 2. August 2004 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Deggendorf vom 25. März 2003 war dem Angeklagten vorgeworfen worden, er habe am Abend des 2. Oktober 2002 zusammen mit seiner am 23. Mai 2002 geborenen Tochter L. auf der Couch im Wohnzimmer aufgehalten und dabei gegen 22.00 Uhr im Fernsehen ein Fuß-ballspiel angesehen. Im Zeitraum zwischen 22.30 Uhr und 24.00 Uhr habe er dann seine Tochter erstickt, indem er ihr entweder Mund und Nase zugehalten oder den Brustkorb des Kleinkindes mit erheblichem Kraftaufwand zusammengepresst habe, wobei er den Erstickungstod des Kindes zumindest billigend in Kauf genommen habe. L. verstarb am 3. Oktober 2002 gegen 0.45 Uhr. 2. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts hat in der angefochtenen Entscheidung folgende Feststellungen getroffen: Den Abend des 2. Oktober 2002 verbrachte der Angeklagte mit seiner Ehefrau, dem gemeinsamen Kind L. sowie seiner zweijährigen Stieftochter A. damit, das um 20.45 Uhr beginnende Fußballspiel Dortmund - Eindhoven im Fernsehen anzuschauen. Beide Kinder kränkelten und L. hatte Fieber. Die Ehefrau des Angeklagten zog sich mit A. gegen 22.00 Uhr ins elterliche Schlafzimmer zurück, während der Angeklagte mit dem Säugling L. im Wohnzimmer zurückblieb, um dem Kind noch die Flasche zu geben, was er kurz nach 22.00 Uhr machte. Kurz vor Mitternacht eilte der Angeklagte mit dem Säugling in den Händen in das elterliche Schlafzimmer und schrie seiner Frau zu,L. sei leblos und würde nicht mehr atmen. Der nur wenige Minuten später eintreffende Notarzt stellte einen Atemund Herzkreislaufstillstand fest und begann unverzüglich mit Wiederbelebungsversuchen durch Herzdruckmassage. Zusammen mit den eingetroffenen Rettungssanitätern wurde das Kind auch an ein EKG angeschlossen und intubiert. Trotz fortgeführter Wiederbelebungsmaßnahmen auf dem Transport in die Kinderklinik D. konnte dort nur noch der Tod des Säuglings festgestellt werden.
Die am 4. Oktober 2002 durchgeführte Obduktion der Leiche ergab zahllose Punktblutungen in der Gesichtshaut von L. , kräftige Punktblutungen in der Kopfschwarte und der Beinhaut des Schädels sowie weitere Punktblutungen im Bereich der Augenlid- und bindehäute sowie Mundschleimhäute, jedoch keine sonstigen äußeren Verletzungshinweise. Der Obduzent Prof. Dr. P. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München traf die vorläufige Feststellung , dass sich die zahllosen Punktblutungen im Gesamtkopfbereich in erster Linie durch einen Erstickungsvorgang im Sinne einer gewaltsamen Bedeckung der Atemöffnungen oder durch eine Brustkorbkompression erklären lassen. Der zunächst als Zeuge vernommene Angeklagte gab am 3. Oktober 2002 an, er habe L. , nachdem er ihr die Flasche gegeben habe und das Kind eingeschlafen sei, auf die Couch im Wohnzimmer gelegt. Er selbst sei dann ebenfalls eingeschlafen, jedoch nach etwa einer Stunde wieder aufgewacht. L. habe immer noch auf der Couch gelegen, jedoch seltsam leblos gewirkt. Daraufhin habe er nachgeschaut und kein Atmen von L. mehr feststellen können. Nachdem ihm zuvor das vorläufige Obduktionsergebnis bekannt gegeben und er festgenommen worden war, gab der Angeklagte gegenüber dem Ermittlungsrichter an, er sei mit L. im Arm vor dem Fernseher eingeschlafen. Als er wieder aufgewacht sei, habe L. vor ihm auf dem Boden gelegen und leblos gewirkt. In der Hauptverhandlung hat der Sachverständige Prof. Dr. P. seinen Obduktionsbefund im Wesentlichen bestätigt. Zwar sei es zunächst unterblieben , die an sich gebotene Untersuchung des Lungengewebes des Kindes vorzunehmen; bei der Nachholung der Untersuchung sei der Münchener Pathologe Prof. Dr. Lö. zum Ergebnis gekommen, dass das Kind an einer nicht
mehr frischen, bereits chronischen Bronchitis erkrankt gewesen sei, welche aber auf die Einordnung der Todesursache keinen Einfluss habe. Die von ihm festgestellten Punktblutungen im Kopfbereich könne er sich nur im Falle einer äußeren, mechanischen Erstickung erklären. Die Frage der Schwurgerichtskammer , ob auf Grund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse eine natürliche Todesursache bei L. H. ausgeschlossen werden könne, "beantwortete Prof. Dr. P. nicht direkt". Der in der Hauptverhandlung ebenfalls gehörte Sachverständige Prof. Dr. B. aus M. bestätigte zwar, dass die Anzahl der Punktblutungen den Verdacht auf einen gewaltsamen Erstickungstod begründen könne. Jedoch würden solche Punktblutungen aufgrund Blutrückstauung, ausgehend vom rechten Herzen nach Herzversagen, entstehen. Stärkste Erscheinungen von Punktblutungen seien nach Strangulationen und Brustkorbkompressionen (auch durch Reanimationsmaßnahmen) zu beobachten. Die Gesamtschau aller im Falle von L. H. gegebenen Befunde und Umstände würde außer den zahlreichen Punktblutungen keinen Hinweis auf einen äußeren oder inneren Erstickungsvorgang ergeben. Im Falle von L. H. habe die zugleich durchgeführte Untersuchung des Lungengewebes vielmehr eine Lungenentzündung (nicht lediglich eine Bronchitis) ergeben. Indikatoren für einen plötzlichen Säuglingstod seien mit Überwärmung/Rauchen im Wohnzimmer von der einen Tag zuvor stattgefundenen Geburtstagsfeier und dem vorzeitigen Abstillen gegeben gewesen, sodass letztlich sämtliche Befunde und Umstände einen plötzlichen Säuglingstod von L. H. nahe legen würden. Dies würde auch dann gelten, wennL. anstelle einer Lungenentzündung nur an Bronchitis vorerkrankt gewesen wäre.
Nach alledem konnte sich die Schwurgerichtskammer von einer Schuld des Angeklagten am Tod seines Kindes L. nicht überzeugen und sprach ihn aus tatsächlichen Gründen frei, wobei auch das zunächst widersprüchliche Aussageverhalten des Angeklagten gewürdigt wurde.
II.
Die Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft betreffen im Wesentlichen abgelehnte Anträge auf Beiziehung weiterer Sachverständiger, die Sachrüge wendet sich gegen einzelne Feststellungen sowie gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Die Revision wird vom Generalbundesanwalt insoweit vertreten , als die Staatsanwaltschaft die Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. E. beanstandet. Außerdem ergibt sich nach Auffassung des Generalbundesanwalts aus den Ausführungen des Gerichts eine mangelnde Sachkunde des Tatrichters, welche im Rahmen der Sachrüge den Bestand der Entscheidung gefährde. 1. Der bezeichneten Verfahrensrüge liegt zu Grunde, dass die Staatsanwaltschaft die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. E. , des Leiters des Instituts der Rechtsmedizin der Universität München, dem der Obduzent und Sachverständige Prof. Dr.P. ebenfalls angehört, zum Beweis dafür beantragt hatte, dass Punktblutungen in dem bei der Obduktion vorhandenen Ausmaß noch nie bei natürlichem Tod bzw. bei Lungenentzündung oder nach vorausgegangener Reanimation festgestellt worden seien und somit aus wissenschaftlicher Sicht ein vernünftiger Anhaltspunkt für einen natürlichen Tod nicht vorliege. Das Landgericht hat den Antrag auf Einvernahme des weiteren Sachverständigen Prof. Dr. E. abgelehnt. Zur Begründung hat es ausge-führt, dass die behauptete Beweistatsache zwar nicht bewiesen sei, jedoch beide in der Hauptverhandlung einvernommenen Sachverständigen Stellung zur Beweisfrage bezogen hätten. Durch die Aussage des Institutsleiters Prof. Dr. E. - , der das schriftliche Vorgutachten nicht selbst angefertigt und lediglich als Institutsleiter mitunterzeichnet habe, würde sich am Beweisergebnis nichts ändern. Im Übrigen habe Prof. Dr. E. gegenüber den beiden anderen Sachverständigen keine überlegene Sachkunde, weshalb auch die richterliche Aufklärungspflicht die Einvernahme des benannten Sachverständigen nicht gebiete. 2. Die Verfahrensrüge ist unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Nach dieser Bestimmung muss die Revision die den Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen angeben. Das hat so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 344 Rdn. 21 m.w.N.). Dabei genügt es nicht, auf Fundstellen in den Akten Bezug zu nehmen, auch wenn es - wie hier durch die Bezugnahme auf in den Akten befindliche Gutachten unter Benennung der Blattzahlen (RB 16, 19 f.) - geschieht. Vielmehr müssen solche Stellen, wenn sie für die Beurteilung der Rüge von Bedeutung sein können (hier Vorerkrankung der Lunge als Begründung für eine natürliche Todesursache bzw. deren Ausschluss), in ihrem Wortlaut oder ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Rechtfertigungsschrift wiedergegeben werden (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 208; BGHSt 40, 3,
5).
Unabhängig davon wäre die Rüge jedenfalls im Ergebnis auch nicht begründet gewesen. Es bestehen weder Zweifel an der Sachkunde der beidenvom Landgericht angehörten Sachverständigen noch verfügt der in dem abgelehnten Beweisantrag benannte Sachverständige Prof. Dr. E. über Forschungsmittel, die denen der beiden anderen Sachverständigen überlegen sind, und schließlich gebot auch die Aufklärungspflicht vorliegend nicht dessen Vernehmung. Unbeschadet der Frage, ob es sich bei dem abgelehnten Antrag der Staatsanwaltschaft überhaupt um einen Beweisantrag handelte, ist vorliegend entscheidend, dass jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der benannte Sachverständige den mit der Beweisbehauptung aufgestellten Erfahrungssatz bestätigen würde. Vielmehr wird das Gegenteil durch seine dienstliche Erklärung belegt. So hat Prof. Dr. E. aufgeführt, dass er noch vor dem Hauptverhandlungstermin gegenüber dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft geäußert hat, dass "die Stauungsblutungen wohl nicht ausreichen würden, um ein Gericht von dem Ersticken L. H. s zu überzeugen". Danach drängte sich auf, dass der von der Staatsanwaltschaft benannte Sachverständige den unter Beweis gestellten Erfahrungssatz nicht bestätigen würde. Der Beschluss der Strafkammer hat diesen Umstand zwar nicht ausdrücklich angesprochen, jedoch im Ergebnis zu Recht den Antrag ablehnend beschieden; denn es ist nicht ersichtlich, dass überhaupt irgendein Sachverständiger ausschließen könnte, dass für den Tod von L. H. auch natürliche Ursachen in Betracht kommen. Auch die Staatsanwaltschaft hat hierzu keinen anderen Sachverständigen benannt, so dass das Gericht hier letztlich nicht zu weiteren Aufklärungsbemühungen gezwungen war. Danach kommt es vorliegend auch nicht auf die divergierenden dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer u nd des Leitenden Oberstaatsanwalts an.
3. Die weiteren von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen sind entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinem Antragsschreiben vom 4. Juli 2005 offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
III.
Die erhobene Sachrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Soweit der Generalbundesanwalt mit der Revisionsführerin die Sachkunde des Gerichts bezweifelt hat, ist nicht ersichtlich, dass diese Zweifel ihre Grundlage in der gerichtlichen Abwägung der sich widersprechenden Sachverständigengutachten haben. Vielmehr ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Schwurgericht feststellt, dass nicht erkennbar ist, welche der möglichen, aber sich widersprechenden Schlussfolgerungen der beiden Sachverständigen zutreffend ist. Nachdem die Schwurgerichtskammer auch keinen weiteren Sachverständigen gefunden bzw. von den Prozessbeteiligten benannt erhalten hat, der die verbliebenen erheblichen Zweifel des Gerichts an einer gewaltsamen Tötung vonL. H. hätte beseitigen können, ergibt sich kein Umstand, der die Sachkunde des Gerichts zur Bewertung der Gutachten und deren unterschiedlicher Ergebnisse in Frage stellt. Nack Wahl Kolz Elf GrafmoreResultsText
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.