Bundesgerichtshof Beschluss, 03. März 2010 - XII ZB 219/09

published on 03/03/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 03. März 2010 - XII ZB 219/09
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Amtsgericht Haldensleben, 8 F 95/08, 04/03/2009
Oberlandesgericht Naumburg, 8 UF 57/09, 10/08/2009

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 219/09
vom
3. März 2010
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. März 2010 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer und Dr. Günter

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. August 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: bis 2.500 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger begehrt die Abänderung einer Urkunde auf Zahlung von Kindesunterhalt. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat der Klage durch ein dem Beklagten am 6. März 2009 zugestelltes Urteil teilweise stattgegeben. Der Beklagte hat hiergegen am 6. April 2009 Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufungsbegründungsfrist bis 8. Juni 2009 verlängert. Der Beklagte hat die Berufung mit einem am 9. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz begründet (per Fax; Absendung oder Eingang ab 00.00 Uhr oder 00.01 Uhr; Übersendungsdauer 3 Minuten 20 Sekunden).
2
Auf einen telefonischen Hinweis des Oberlandesgerichts vom 9. Juni 2009 hat der Beklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Nach einer dem Antrag beigefügten "persönlichen Erklärung" der Kanzleikraft seiner Verfahrensbevollmächtigten habe die Kanzleikraft im Lauf des 8. Juni 2009 wiederholt versucht, die Berufungsbegründung per Fax an das Oberlandesgericht zu senden, was jedoch gescheitert sei. Sie habe bei Dienstschluss die Kanzlei verlassen; die ablaufende Frist sei ihr aufgrund der an diesem Tage herrschenden Hektik schlechthin entfallen. Nach ihrer - dem Wiedereinsetzungsgesuch ebenfalls beigefügten - "anwaltlichen Versicherung" hat die Verfahrensbevollmächtigte des Beklagten am 8. Juni 2009 gegen 23.30 Uhr ihre Kanzlei noch einmal betreten, um einen Anruf auf dem Anrufbeantworter abzuhören. Dabei habe sie durch Zufall gesehen, dass die Berufungsbegründung noch im Eingangsschacht des Telefaxgerätes gelegen habe, ohne dass ein Faxprotokoll über eine Absendung vorfindlich gewesen sei. Sie habe daraufhin selber versucht, die Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht noch vor Fristablauf zu übermitteln. Durch die verlangsamte Übertragung sei ihr dies dann allerdings nur mit einer Überschreitung der Frist um eine Sekunde gelungen.
3
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
5
a) Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die vom Beklagten vorgelegte persönliche Erklärung der Kanzleikraft seiner Verfahrensbevollmächtigten ohne Relevanz. Entscheidend sei hier das eigene Verhalten der Verfahrensbevollmächtigten. Da die Übersendung der Berufungsbegründung ausweislich des späteren Fax-Protokolls nur 3 Minuten und 20 Sekunden gedauert habe , hätte die Verfahrensbevollmächtigte, als sie um ca. 23.30 Uhr nochmals ihre Kanzleiräume aufgesucht habe, in den ihr bis zum Fristablauf verbleibenden 30 Minuten den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung ohne weiteres noch rechtzeitig übermitteln können. Der Beklagte habe nicht nachvollziehbar dargelegt, welche konkreten Übersendungsversuche seine Verfahrensbevollmächtigte , die ersichtlich im Umgang mit dem Faxgerät vertraut gewesen sei, unternommen habe und aus welchem Grund eine rechtzeitige Übersendung gescheitert sei.
6
b) Es ist zweifelhaft, ob die vorstehend wiedergegebenen Umstände für sich genommen ausreichen, um ein dem Beklagten zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO) Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen. Das Oberlandesgericht weist im Ergebnis zu Recht darauf hin, dass die als Grund für die Fristversäumung angeführte "verlangsamte Übertragung" allein noch nicht hinreichend nachvollziehbar verdeutliche, warum der Verfahrensbevollmächtigten in der ihr bis zum Fristablauf verbleibenden Zeit eine Übersendung nicht möglich gewesen sei.
7
Die Frage kann indes dahinstehen. Zwar müssen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO mit dem Wiedereinsetzungsgesuch alle Umstände, die für die Frage der Fristversäumung und des Verschuldens von Bedeutung sind, vollständig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, können allerdings Angaben , die - wie hier der genaue Zeitpunkt des Auffindens der Berufungsbegründung im Einzugsschacht des Faxgerätes und der Hinweis auf die "verlangsamte Übertragung" - unklar und ergänzungsbedürftig sind, insbesondere solche, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, auch nach Fristablauf noch erläutert und vervollständigt werden (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - zitiert nach juris, dort Rdn. 10, vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - FamRZ 2007, 1458, 1459, vom 16. August 2000 - XII ZB 136/00 - FuR 2001, 285 und vom 20. Mai 1992 - XII ZB 43/92 - BGHR ZPO § 234 Abs. 1 Begründung 6). Das ist hier - nach Erlass der angefochtenen Entscheidung - mit der Gegenvorstellung des Beklagten geschehen. Darin hat der Beklagte nachvollziehbar dargelegt, dass seine Verfahrensbevollmächtigte den Schriftsatz mit der Berufungsbegründung nicht sofort beim Betreten der Kanzleiräume, sondern erst während des Abhörens einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter, das aufgrund von Unklarheiten ein wiederholtes Zurückspulen erforderlich gemacht und deshalb einige Zeit in Anspruch genommen habe, bemerkt habe. Die Verfahrensbevollmächtigte habe daraufhin zunächst geprüft, ob ein positives Faxprotokoll vorliege und sodann - mithin erst kurz vor Mitternacht - versucht, den Schriftsatz selbst zu übersenden. Angesichts der nunmehr vorgerückten Zeit sei sie "dermaßen nervös" geworden, dass sie bei ihrem ersten Übersendungsversuch wahrscheinlich die notwendige Freischaltung durch Vorwahl einer "0" vergessen habe. Sodann habe sie bei mehrmaligem Anwählen festgestellt , dass eine Übertragung nicht zeitnah eingeleitet worden sei. Schließlich habe sie - jedenfalls noch vor Mitternacht - einen weiteren erfolgreichen Übersendungsversuch gestartet, der zur - allerdings nicht mehr rechtzeitigen - Übersendung des Schriftsatzes an das Oberlandesgericht geführt habe. Bei Zugrun- delegung dieses vom Beklagten geschilderten Geschehensablaufs ist nicht ersichtlich , dass seiner Verfahrensbevollmächtigten hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein ihm zuzurechnendes Verschulden angelastet werden könnte. Die Zurückweisung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründung kann deshalb mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben.
8
c) Der Senat vermag über die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nicht selbst abschließend zu entscheiden. Vielmehr ist es Sache des Berufungsgerichts, die weiteren vom Beklagten zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens vorgetragenen Umstände , wie sie sich namentlich aus der "persönlichen Stellungnahme" der Kanzleiangestellten der Verfahrensbevollmächtigten ergeben, einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen. Der das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten zurückweisende und seine Berufung verwerfende Beschluss war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Hahne Wagenitz Vézina Klinkhammer Günter
Vorinstanzen:
AG Haldensleben, Entscheidung vom 04.03.2009 - 8 F 95/08 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 10.08.2009 - 8 UF 57/09 -
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(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw
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(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.