Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Nov. 2009 - XII ZB 174/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht - Familiengericht - hat durch Urteil vom 29. April 2008 die Ehe der Parteien geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und in den Folgesachen Unterhalt und Zugewinnausgleich den Antragsgegner jeweils zur Zahlung an die Antragstellerin verurteilt. Das Urteil ist den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 2. Mai 2008 zugestellt worden. Mit vom 2. Juni 2008 datierenden Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der Schriftsatz trägt den Eingangsstempel des Ober- landesgerichts vom 3. Juni 2008. Nach Hinweis des Oberlandesgerichts auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners erklärt, er habe die Berufungsschrift am Vormittag des 2. Juni 2008 persönlich in den Gerichtsbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen , und zur Glaubhaftmachung unter anderem seine eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Vorsorglich hat er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Berichterstatter des Oberlandesgerichts hat sodann eine Stellungnahme der Wachtmeisterei eingeholt, die durch den Geschäftsleiter des Oberlandesgerichts ergänzt worden ist.
- 2
- Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Antragsgegners durch den angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen und sein Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
- 3
- Die Rechtsbeschwerde richtet sich gemäß der Übergangsregelung in Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG noch nach dem bis August 2009 geltenden Verfahrensrecht. Sie ist nach §§ 574 Abs. 1, 522 Abs. 1, 238 Abs. 2 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf der Zugang zu einer in der Verfah- rensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227; Senatsbeschlüsse vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 f. und vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192). Dagegen hat das Oberlandesgericht hier verstoßen, indem es die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsschrift nicht ausreichend aufgeklärt hat.
III.
- 4
- 1. Das Oberlandesgericht hat den fristgerechten Eingang der Berufungsschrift nicht feststellen können. Die Beweislast treffe den Antragsgegner als Berufungskläger. Die Richtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels sei als öffentliche Urkunde nicht widerlegt worden. Die eidesstattliche Versicherung reiche als Glaubhaftmachung nicht aus. Ausweislich der vom Oberlandesgericht angestellten Ermittlungen trage ein dem Gerichtsbriefkasten entnommener Schriftsatz einen Eingangsstempel mit dem Zusatz "Nachtbriefkasten", was bei der Berufungsschrift nicht der Fall sei. Das vorsorglich gestellte Wiedereinsetzungsgesuch sei nicht begründet, weil der Antragsgegner keine Tatsachen dafür vorgetragen habe, dass er unverschuldet zur rechtzeitigen Einlegung der Berufung nicht in der Lage gewesen sei.
- 5
- 2. Das hält hinsichtlich der Wahrung der Berufungsfrist den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
- 6
- Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, dass der auf dem Schriftsatz aufgebrachte Eingangsstempel nach § 418 ZPO die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde genießt. Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner allerdings keine hinreichende Gelegenheit gegeben, den Beweis zu entkräften. Es hat zwar weitere vom Antragsgegner angeführte Indizien (etwa die Mitteilung von der Berufungseinlegung an den gegnerischen Verfahrensbevollmächtigten ) als nicht aussagekräftig eingeschätzt und hervorgehoben , dass der Schriftsatz nicht in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden sein könne, weil der Stempel den entsprechenden Zusatz nicht aufweise und der den Empfang quittierende Wachtmeister mit der Leerung des Nachtbriefkastens nicht befasst gewesen sei.
- 7
- Die eidesstattliche Versicherung des Verfahrensbevollmächtigten hat es indessen bei der Frage, ob sich die Richtigkeit des Eingangsstempels widerlegen lässt, offensichtlich nicht in Betracht gezogen. Vielmehr hat es sich insoweit mit einem Kommentarzitat (Zöller/Gummer/Heßler ZPO 25. Aufl. § 519 Rdn. 20) darauf berufen, dass die Glaubhaftmachung nicht genüge. Damit hätte es - abgesehen von einem gebotenen Hinweis - seine Aufklärung allerdings nicht bewenden lassen dürfen.
- 8
- Zur Widerlegung des Beweises der Richtigkeit des Eingangsstempels ist der Freibeweis zulässig (BGH Beschluss vom 15. September 2005 - III ZB 81/04 - NJW 2005, 3501). Zwar reicht in diesem Rahmen die eidesstattliche Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung in der Regel nicht aus, um den Nachweis zu erbringen, dass der Schriftsatz entgegen dem Eingangsstempel bereits am Vortag eingegangen sei (BGH Beschluss vom 15. September 2005 - III ZB 81/04 - NJW 2005, 3501 f.).
- 9
- An der Form des Beweisantritts hätte das Oberlandesgericht den Nachweis der Unrichtigkeit aber nicht scheitern lassen dürfen. Vielmehr war es nach der Rechtsprechung des Senats gehalten, in der anwaltlichen Versicherung auch ein Angebot zur Vernehmung des Anwalts als Zeugen zu sehen und ihn entsprechend zu vernehmen (Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1992 - XII ZB 100/92 - FamRZ 1993, 313, 314; BGH Beschluss vom 8. Mai 2007 - VI ZB 80/06 - NJW 2007, 3069, 3070; vgl. auch BGH Urteil vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 33/04 - NJW-RR 2005, 75). Das Oberlandesgericht hätte aufgrund dessen prüfen müssen, ob es aufgrund der Angaben des Verfahrensbevollmächtigten zu der Überzeugung gelangt, dass die Berufungsschrift abweichend vom Eingangsstempel bereits am Vortag eingegangen ist. Dafür, dass die Berufungsschrift noch am letzten Tag der Frist eingeworfen wurde und erst den Eingangsstempel des Folgetags erhielt, bleibt etwa die nicht ausgeräumte Möglichkeit , dass der Schriftsatz im Zusammenhang mit der übrigen Post aus dem Nachtbriefkasten zunächst versehentlich ungestempelt blieb und erst später den Eingangsstempel für die beim Oberlandesgericht abgegebene Post erhielt.
- 10
- Das Oberlandesgericht wird nach Zurückverweisung der Sache die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben und gegebenenfalls auch erneut über die Wiedereinsetzung zu entscheiden haben. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass die Glaubhaftmachung der unverschuldeten Fristversäumung vom Oberlandesgericht zu Recht für unzureichend gehalten worden ist (vgl. BGH Urteil vom 27. September 2001 - IX ZR 471/00 - BGH-Report 2002, 258), weil auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners die Berufung entweder rechtzeitig eingegangen ist oder aber der rechtzeitige Eingang aus Gründen gescheitert ist, die bei seinem Verfahrensbevollmächtigten liegen. Der von der Rechtsbeschwerde angestellte Vergleich mit einer Übersendung per Post passt hier deswegen nicht, weil bei persönlicher Ablieferung der Schriftsatz mit dem Einwurf in den Nachtbriefkasten bereits beim Oberlandesgericht eingegangen ist und weitere Umstände, die die Verspätung verursacht haben könnten, damit ausscheiden.
Vorinstanzen:
AG Neuss, Entscheidung vom 29.04.2008 - 48 F 326/04 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 06.10.2008 - II-7 UF 122/08 -
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Annotations
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Auf Verfahren, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde, sind weiter die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Auf Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren finden die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften Anwendung, wenn die Abänderungs-, Verlängerungs- und Aufhebungsverfahren bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beantragt wurde.
(2) Jedes gerichtliche Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ist ein selbständiges Verfahren im Sinne des Absatzes 1 Satz 1.
(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren in Familiensachen, die am 1. September 2009 ausgesetzt sind oder nach dem 1. September 2009 ausgesetzt werden oder deren Ruhen am 1. September 2009 angeordnet ist oder nach dem 1. September 2009 angeordnet wird, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.
(4) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, die am 1. September 2009 vom Verbund abgetrennt sind oder nach dem 1. September 2009 abgetrennt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen werden im Fall des Satzes 1 als selbständige Familiensachen fortgeführt.
(5) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen am 31. August 2010 im ersten Rechtszug noch keine Endentscheidung erlassen wurde, sowie auf die mit solchen Verfahren im Verbund stehenden Scheidungs- und Folgesachen ab dem 1. September 2010 die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.