Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2000 - X ZR 145/98

published on 07/11/2000 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Nov. 2000 - X ZR 145/98
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
Berichtigt durch Beschluß
vom 9. Januar 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 145/98 Verkündet am:
7. November 2000
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brieflocher
EPÜ Art. 52 Abs. 1, 54 Abs. 1, 56, 69 Abs. 1
Sowohl für die Prüfung der Patentfähigkeit als auch für die Bestimmung des Schutzbereichs
sind Begriffe in den Patentansprüchen so zu deuten, wie sie der angesprochene
Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung
der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht .
BGH, Urteil vom 7. November 2000 - X ZR 145/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom
7. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Melullis,
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin werden das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats II) des Bundespatentgerichts vom 4. März 1998 (2 Ni 16/97 (EU)) teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt. Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Teils des am 6. Juli 1990 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 14. August 1989 angemeldeten europäischen Patents 487 542 (Streitpatents). Das Streitpatent, das einen Brieflocher betrifft, umfaßt zehn Patentansprüche, von denen die Ansprüche 3 und 6 wie folgt lauten:
"3. Brieflocher mit einem Unterteil (10), einem an seitlichen Lagerbökken (14) des Unterteils schwenkbar gelagerten, auf am Unterteil ver-
schiebbar geführten Lochstempel gegen die Rückstellkraft einer Feder einwirkenden Druckhebel (18), wobei der Druckhebel seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen (28) und eine stirnseitig am Druckhebel im Bereich zwischen den Lagerlappen nach unten gebogene, unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlagende Schürze (30) aufweist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß an den Lagerböcken (14) stirnseitig nach oben weisende, die Schürze (30) untergreifende Ausleger (50) angeordnet sind, deren Oberkante (32) rückseitig überstehende Anschläge (54) für die Oberkanten (52) der Ausleger (50) aufweist.
...
6. Brieflocher nach einem der Ansprüche 3 bis 5, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß im Bereich zwischen der Schürzenunterkante (32) und den Anschlägen (54) ein zwischen zwei Endstellungen quer verschiebbarer, in der einen Endstellung in den Schwenkweg einer der Auslegeroberkanten (52) eingreifender, als Niederhalter für den Druckhebel (18) ausgebildeter Anschlagschieber (56) angeordnet ist."
Wegen des Wortlauts der weiteren Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat mit den vom Bundespatentgericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Nichtigkeitsklagen zum einen die Patentansprüche 3 bis 5, zum anderen die Patentansprüche 6 bis 9 angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei in dem angegriffenen Umfang nicht patentfähig. Ein Locher nach Anspruch 3 sei nicht neu, weil er durch einen von ihr selbst durch Lieferung an die ...-Fabrik offenkundig vorbenutzten Locher (...Locher ) vorweggenommen werde, und ergebe sich jedenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, nämlich der US-Patentschrift 2 244 660. Anspruch 6 des Streitpatents stelle einen Nebenanspruch zu Anspruch 3 dar, da er keine zweckmäßige Ausgestaltung des Lochers nach Anspruch 3 enthalte; seine - von der Klägerin allein für relevant gehaltenen - kennzeichnenden Merkmale seien durch einen von dem englischen Unternehmen V. Ltd. offenkundig vorbenutzten Locher (V.-Locher) bekannt gewesen.
Die Beklagte ist der Nichtigkeitsklage entgegengetreten.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Streitpatent im Umfang seiner Patentansprüche 3 bis 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Nichtigkeitsklage insgesamt abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit der Maßgabe, daß der erste Halbsatz des kennzeichnenden Teil des Anspruchs 3 lautet:
"daß an den Lagerböcken (14) stirnseitig nach oben weisende, die Schürze (30) über den gesamten Schwenkbereich des Druckhebels un- tergreifende Ausleger (50) angeordnet sind,"
weiter hilfsweise mit der Maßgabe, daß zusätzlich zu dieser Einfügung am Ende des Kennzeichens angefügt wird:
"wobei beim Betätigen des Druckhebels zwischen Schürze (30) und Ausleger (50) ein über den Schwenkweg konstanter Spalt mit einer Weite von weniger als 4 mm auftritt" (Abweichungen vom geltenden An- spruch kursiv).
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und verfolgt mit der Anschlußberufung ihren erstinstanzlichen Antrag weiter,
das Streitpatent auch im Umfang der Patentansprüche 6 bis 9 für nichtig zu erklären.
Als vom Senat bestellter Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. J. H. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten des Professors Dr. B. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg, während die Anschlußberufung unbegründet ist. Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, daß dem Gegenstand der Patentansprüche 3 bis 9 die Patentfähigkeit fehlt.
I. Das Streitpatent betrifft einen Brieflocher mit einem Unterteil und einem Druckhebel, der an seitlichen Lagerböcken des Unterteils schwenkbar gelagert ist und gegen die Rückstellkraft einer Feder auf am Unterteil verschiebbar geführte Lochstempel einwirkt. Der Druckhebel weist dabei seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen und an seiner Stirnseite zwischen den Lagerlappen eine nach unten gebogene Schürze auf, die unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlägt. Ein solcher Locher ist - wie die Streitpatentschrift ausführt, ohne hierzu eine bestimmte Druckschrift anzugeben - vor dem Prioritätstag bekannt gewesen.
Die Streitpatentschrift bemängelt eine bei dem bekannten Locher bestehende Verletzungsgefahr. Wenn beim Niederdrücken des Druckhebels die Schürze von
ihrer Anschlagkante abgehoben werde, bilde sich ein von außen zugänglicher Spalt, in den ein Finger oder Handteil eindringen und beim Zurückfedern des Druckhebels eingeklemmt werden könne. Die aus der großen Rückstellkraft resultierende erhebliche Verletzungsgefahr werde dabei noch dadurch verstärkt, daß die gegeneinander anschlagenden Locherteile oft recht scharfkantig ausgebildet seien.
Diesen Nachteil soll nach dem - dem nicht in Streit stehenden Anspruch 1 nebengeordneten - Patentanspruch 3 ein Locher mit folgenden Merkmalen vermeiden:
1. Der Brieflocher besteht aus einem Unterteil und einem Druckhebel.
2. Der Druckhebel
2.1 ist an seitlichen Lagerböcken des Unterteils schwenkbar gelagert und
2.2 wirkt gegen die Rückstellkraft einer Feder auf am Unterteil verschiebbar geführte Lochstempel ein.
3. Der Druckhebel weist auf
3.1 seitlich nach unten gebogene, die Lagerböcke außenseitig überlappende Lagerlappen und
3.2 eine Schürze, die
3.2.1 an der Stirnseite des Druckhebels zwischen den Lagerlappen nach unten gebogen ist,
3.2.2 unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Feder gegen Anschlagkanten an den Lagerböcken anschlägt und
3.2.3 hierzu im Abstand von ihrer Unterkante rückseitig überstehende Anschläge aufweist.
4. An den Lagerböcken sind Ausleger angeordnet, die
4.1 stirnseitig nach oben weisen,
4.2 die Schürze untergreifen und
4.3 mit ihren Oberkanten die Anschlagkanten bilden.
Patentanspruch 3 des Streitpatents enthält keine ausdrückliche Definition des Abstandes der Anschläge von der Unterkante der Schürze (Merkmal 3.2.3) und sagt auch nicht ausdrücklich, daß die an den Lagerböcken stirnseitig nach oben weisenden Ausleger (Merkmal 4) die Schürze, wie die Beklagte in ihrem ersten Hilfsantrag formuliert, über den gesamten Schwenkbereich des Druckhebels untergreifen. Begriffe in den Patentansprüchen sind jedoch - unabhängig davon, ob der Inhalt des Patentanspruchs für die Prüfung seiner Patentfähigkeit oder als Grundlage für die Schutzbereichsbestimmung festgestellt wird - so zu deuten, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung
der in ihr objektiv offenbarten Lösung versteht (Sen., BGHZ 98, 12, 19 - Formstein; 105, 1, 10 - Ionenanalyse; Urt. v. 26.9.1996 - X ZR 72/94, GRUR 1997, 116, 117 f. - Prospekthalter; Urt. v. 29.4.1997 - X ZR 101/93, GRUR 1998, 133, 134 - Kunststoffaufbereitung; Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube). Maßgeblich ist, welchen Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen Merkmal zuweist (Sen.Urt. v. 4.11.1997 - X ZR 18/95 - Sämaschine, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Bd. I, S. 424, 428). Das Verständnis des Fachmanns wird sich dabei entscheidend an dem in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck dieses Merkmals orientieren (Sen.Urt. v. 2.3.1999, aaO - Spannschraube; Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz , 9. Aufl., § 14 PatG Rdn. 72). Der Sachverständige hat hierzu überzeugend ausgeführt, daß der Fachmann den Anspruch dahin versteht, daß der Abstand ausreichend groß sein muß, um bei der Betätigung des Druckhebels die Entstehung eines Spalts zu verhindern, in den Handteile eindringen können. Denn das Untergreifen der Schürze und die Verlagerung der Anschlagkanten auf die Oberkanten der Ausleger, die wiederum mit den im Abstand von der Schürzenunterkante angeordneten Anschlägen zusammenwirken, sollen gerade bewirken, daß der am Stand der Technik bemängelte, beim Abheben der Schürze von den Anschlagkanten entstehende , von außen zugängliche Spalt vermieden wird. Das setzt voraus, daß die Schürze nicht nur in einer bestimmten Position, sondern stets von den Auslegern untergriffen wird und daß der Abstand der Anschläge von der Schürzenunterkante so gewählt wird, daß dies möglich ist.
II. Die Voraussetzungen einer Nichtigerklärung des Patentanspruchs 3 des Streitpatents gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52 ff. EPÜ können nicht festgestellt werden.

1. Die technische Lehre ist neu, weil keine der Entgegenhaltungen sämtliche erfindungsgemäßen Merkmale aufweist (Art. 52 Abs. 1, 54 EPÜ).

a) Der nach ihrem Vortrag von der Klägerin offenkundig vorbenutzte ...-Locher läßt die den Oberbegriff des Patentanspruchs 3 bildenden, vom Streitpatent als bekannt vorausgesetzten Merkmale 1 bis 3.2.2 erkennen. An der Schürze sind ferner rückseitig überstehende Anschläge vorhanden, die mit einer stirnseitig nach oben weisenden Metallplatte zusammenwirken, die mit den Lagerböcken verbunden ist und deren Oberkante die Anschlagkante bildet. Die Anschläge sind insofern in einem geringfügigen Abstand von der Schürzenunterkante angeordnet, als auf den metallenen Druckhebel, bis zu dessen Unterkante sie reichen, eine Kunststoffschale aufgesetzt ist, die den Metallhebel etwas nach unten überragt. Infolge der nur um dieses geringe Maß gegenüber der Schürzenunterkante zurückversetzten Anschläge bildet sich bei Betätigung des Druckhebels ein größer werdender Spalt, in dem bei Zurückfedern des Hebels ein Finger eingeklemmt werden kann. Die Schürze wird somit nicht i.S.d. Merkmals 4.2 untergriffen, weil es an einem hierfür ausreichenden Abstand der Anschläge von der Schürzenunterkante i.S.d. vorstehend erläuterten Merkmals 3.2.3 ebenfalls fehlt.

b) Der Brieflocher nach der US-Patentschrift 2 244 660 weist in Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Streitpatents ein Unterteil in Gestalt einer Stanzplatte (punch plate 12) und einen Druckhebel (hand lever 60) auf. Der Druckhebel ist an mit dem Unterteil fest verbundenen, den Lagerböcken vergleichbaren Haltern (punch holders 18) um Gelenkstellen (pivotal points 48) schwenkbar gelagert und wirkt auf verschiebbar geführte als Stanzelemente (punch members 10) bezeichnete Lochstempel gegen die Rückstellkraft einer Feder (30) ein. Es ist ferner ein hauben-
artiger Schild (shield 64) vorhanden, der seitlich nach unten gebogene Lagerlappen und eine stirnseitige Schürze umfaßt, die von an den Haltern nach oben weisenden Auslegern (40) untergriffen wird.
An den Haltern sind jedoch keine Anschlagkanten vorgesehen, gegen die die Schürze unter der Einwirkung der Rückstellkraft der Federn anschlagen könnte. Der Federweg wird nach oben vielmehr durch einen an den Lochstempeln befindlichen Bund (shouldered portion 34) begrenzt, der gegen die Unterseite eines Führungsarms (guide arm 20) der Halter anschlägt. Bei Betätigung des Druckhebels entstehen Spalte zwischen Druckhebel (Schürze) und Stanzplatte und zwischen Schürze und Auslegern.

c) Die im Prüfungsverfahren berücksichtigten Entgegenhaltungen liegen von der Lehre des Patentanspruchs 3 noch weiter ab und offenbaren nichts, was zusätzlich in Richtung der Erfindung nach dem Streitpatent wiese; auch die Klägerin macht insoweit nichts geltend. Diese Schriften bedürfen daher keiner weiteren Erörterung.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat auch nicht die Überzeugung gewonnen, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 3 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ).
Als Durchschnittsfachmann ist nach den überzeugenden und mit dem angefochtenen Urteil übereinstimmenden Ausführungen des Sachverständigen ein erfahrener Konstrukteur für Bürogeräte anzusehen, der entweder Maschinenbautechniker
oder – was das Bundespatentgericht nicht in Betracht gezogen hat – auch Konstruktionsingenieur mit Fachhochschulausbildung sein kann.
Befaßt sich der Fachmann – sei es, weil er mögliche Gefahrenquellen beseitigen will, sei es, weil die Ursache aufgetretener Verletzungen behoben werden soll – näher mit dem ...-Locher, erkennt er, wie das Bundespatentgericht zutreffend angenommen hat, daß beim Niederdrücken des Druckhebels zwischen der Unterkante der Schürze und den Anschlagkanten ein Spalt entsteht, in dem ein Finger eingeklemmt oder gequetscht werden kann, wenn der Druckhebel zurückfedert und den Spalt wieder schließt.
Der Stand der Technik vermittelt dem Fachmann jedoch keine Anregung, die es ihm erlaubte, von dieser Erkenntnis des technischen Problems zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Weder die Schürze und die an ihr angebrachten Anschläge noch die Anschlagkanten am Unterteil haben bei dem ...-Locher die Funktion, einer Verletzungsgefahr durch Einklemmen von Gliedmaßen vorzubeugen. Der Fachmann muß daher, wie es der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgedrückt hat, zu der neuen Überlegung finden, die Anschläge der Schürze und die Anschlagkanten der Ausleger "in die Maßnahme 'Ausleger untergreift Schürze' während der gesamten Schwenkbewegung des Druckhebels zu integrieren". Dafür gibt es kein Vorbild, und dazu vermittelt auch die US-Patentschrift 2 244 660 keine Anregung, weil dort die Anschlagbegrenzung ganz anders gelöst ist und überdies die Schürze auch keinen zuverlässigen Klemmschutz bietet.
Das Bundespatentgericht hat demgemäß nur das allgemeine Fachwissen und -können des Fachmanns herangezogen, um zu begründen, warum sich für ihn, ausgehend von einem Locher mit den Merkmalen 1 bis 3.2.2, die Gesamtkombination
des Streitpatents in naheliegender Weise ergebe. Es hat gemeint, im Rahmen rein handwerklicher Tätigkeit ergreife er Maßnahmen, um den bei Betätigung des Druckhebels entstehenden Spalt auch im gedrückten Zustand zu vermeiden. Im Rahmen konstruktiver Weiterentwicklung ordne er an den Lagerböcken Elemente an, die den Spalt in jedem Zustand des Lochers verschließen, beispielsweise in Form von Auslegern (Merkmal 3.6), die die Schürze untergreifen (Merkmal 3.6.1). Durch diese Ä nderung werde die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern, die ja einen Spalt voraussetze, verhindert, so daß er in Anpassung der Konstruktion an die geänderten Verhältnisse die Anschlagkante an einer anderen Stelle vorsehen müsse. Es biete sich dann von selbst an, die Oberkanten der Ausleger als Anschläge zu verwenden (Merkmal 3.6.2) und entsprechende Gegenanschläge an der Schürze im Abstand von ihrer Unterkante anzuordnen (Merkmal 3.7), um auf diese Weise die Anschlagkanten insgesamt weiter zum Innern des Druckhebels zu verlagern.
Das ist jedoch eine unzulässige Ex-post-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung , wie insbesondere an der Erwägung deutlich wird, der Fachmann müsse die Anschlagkante an einer anderen Stelle vorsehen, da durch die Anordnung von die Schürze untergreifenden Auslegern die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern, die ja einen Spalt voraussetze, verhindert werde. Denn wenn - was richtig ist - die Bildung einer Anschlagkante zwischen Schürze und Auslegern (richtiger: Lagerböcken) einen Spalt voraussetzt, kann es nicht ohne irgendeine Anregung im Stand der Technik als naheliegend angesehen werden, eben diesen Spalt durch die Schürze untergreifende Ausleger zu verschließen. Bei den schrittweisen Überlegungen, die das Bundespatentgericht dem Fachmann zutraut, hat es nicht berücksichtigt, daß das, was die Notwendigkeit des zweiten Schrittes
(Verlagerung von Anschlägen und Anschlagkanten) begründet, den Fachmann schon davon abhalten kann, den ersten zu gehen.
Ergänzend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, daß die Lehre nach Anspruch 3 des Streitpatents einerseits einen wichtigen Sicherheitsaspekt für eine Massenware betrifft, dem sie zuverlässig genügt, andererseits bei der Fertigung der Bauelemente des Brieflochers mit relativ geringen Kosten verbunden ist. In Anbetracht dessen bildet der Umstand, daß die erfindungsgemäße Lösung vor dem Prioritätstag des Streitpatents über Jahrzehnte der Entwicklung von Brieflochern der gattungsgemäßen Art nicht verwirklicht worden ist, ein zusätzliches Indiz gegen die Richtigkeit der Annahme, der Fachmann habe zu der ebenso technisch vorteilhaften wie kostengünstigen Maßnahme ohne erfinderische Tätigkeit finden können.
III. Die mit der Nichtigkeitsklage ebenfalls angegriffenen, in der Berufungsinstanz noch zur Entscheidung stehenden weiteren Patentansprüche haben weitere Ausgestaltungen der Lehre des Patentanspruchs 3 zum Gegenstand, sind auf diesen rückbezogen und werden daher durch dessen Patentfähigkeit ebenfalls getragen.
Das gilt auch für Anspruch 6 des Streitpatents. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob ein Brieflocher mit den kennzeichnenden Merkmalen dieses Anspruchs die Patentierungsvoraussetzungen erfüllt. Denn da der Anspruch formell auf die Ansprüche 3 bis 5 rückbezogen ist, umfaßt er neben seinen kennzeichnenden Merkmalen sämtliche Merkmale des Anspruchs 3 des Streitpatents. Da er damit als Unteranspruch dessen Lehre umfaßt, stellt sich Anspruch 6 notwendigerweise als weitere Ausgestaltung der Lehre des Patentanspruchs 3 dar, die schon deswegen neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht,
weil dies für Anspruch 3 gilt. Inwieweit es technisch für die Funktion und die Brauchbarkeit des in Anspruch 6 beschriebenen, als Niederhalter für den Druckhebel ausgebildeten Anschlagschiebers darauf ankommt, ob der mit einem solchen Anschlagschieber ausgestattete Brieflocher sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 3 erfüllt , ist unerheblich; es genügt, daß nur diese Kombination geschützt ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 2, 110 Abs. 3 Satz 2 PatG in der nach Art. 29 2. PatGÄ ndG weiter anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Rogge Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck BESCHLUSS X ZR 145/98 vom 9. Januar 2001 in der Patentnichtigkeitssache

Bundespatentgericht Entsch. v. 04.03.98 - 2 Ni 16/97 (EU) X ZR 145/98
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Das Urteil des Senats vom 7. November 2000 wird, da der Tatbestand insoweit eine offenbare Unrichtigkeit in Gestalt einer Auslassung enthält, dahin berichtigt, daß in dem auf Seite 3 des Urteils wiedergegebenen Patentanspruch 3 in der vorletzten Zeile das Wort "Oberkante (32)" ersetzt wird durch
"Oberkanten (52) die Anschlagkanten bilden, und daß die Schürze (30) im Abstand von ihrer Unterkante (32)".
Rogge Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Über die Klage wird durch Urteil entschieden. Über die Zulässigkeit der Klage kann durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnun
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Über die Klage wird durch Urteil entschieden. Über die Zulässigkeit der Klage kann durch Zwischenurteil vorab entschieden werden. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnun
7 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 07/11/2000 00:00

Berichtigt durch Beschluß vom 9. Januar 2001 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 145/98 Verkündet am: 7. November 2000 Fritz Justizangestell
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 11/11/2003 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 61/99 Verkündet am: 11. November 2003 Mayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtsh
published on 17/04/2007 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 9/06 vom 17. April 2007 in der Rechtsbeschwerdesache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Informationsübermittlungsverfahren GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; PatG 2002/2004 § 147 Abs. 3; PatG § 1, § 21 Abs.
published on 12/10/2004 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 176/02 vom 12. Oktober 2004 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Staubsaugersaugrohr ZPO 2002 § 91 a, § 572 Zur Zulässigkeit und Behandlung übereinstimmend erklärter Erledigung des Pa
published on 24/09/2003 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 7/00 Verkündet am: 24. September 2003 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Über die Klage wird durch Urteil entschieden. Über die Zulässigkeit der Klage kann durch Zwischenurteil vorab entschieden werden.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen sind entsprechend anzuwenden. § 99 Abs. 2 bleibt unberührt.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.