Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Jan. 2012 - VIII ZB 95/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin begehrt Zahlung von Miete und Räumung einer Mietwohnung. Im Verfahren vor dem Amtsgericht hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 8. Februar 2011 darauf hingewiesen, dass der ihm übermittelten Abschrift des gegnerischen Schriftsatzes vom 20. Januar 2011 ein darin als Anlage genann- tes Schreiben der Klägerin vom 3. September 2009 nicht beigefügt gewesen sei; zu einer nachträglichen Übersendung der Anlage kam es nicht. Das der Klage stattgebende, dem Beklagten am 25. Februar 2011 zugestellte Urteil des Amtsgerichts nimmt in den Entscheidungsgründen auf das Schreiben der Klägerin vom 3. September 2009 Bezug.
- 2
- Die zunächst am 26. April 2011 (Dienstag nach Ostern) ablaufende Begründungsfrist ist antragsgemäß um einen Monat verlängert worden und endete deshalb am 26. Mai 2011. Eine am 23. Mai 2011 begehrte Akteneinsicht konnte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht gewährt werden, weil die Akten noch nicht beim Berufungsgericht eingegangen waren. Mit Schreiben vom 25. Mai 2011, das noch am selben Tag per Fax eingegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte unter Hinweis darauf, dass die Prozessakten auch beim Amtsgericht nicht greifbar seien, die nochmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat dies mangels Zustimmung des Gegners abgelehnt. Die Akten, die sich wegen einer Richterbeurteilung in der Präsidialabteilung befunden hatten, sind dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten erst am 28. Juni 2011 zur Verfügung gestellt worden. Die Berufungsbegründung nebst Wiedereinsetzungsantrag ist am 1. Juli 2011 beim Berufungsgericht eingegangen.
- 3
- Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
- 4
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt , die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei. Wiedereinsetzung könne dem Beklagten nicht gewährt werden, weil die Fristversäumung auf einem ihm nach § 85 Abs. 2 BGB zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe. Es sei mit anwaltlicher Sorgfalt nicht zu vereinbaren , erst wenige Tage vor Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist die Bearbeitung der Rechtsmittelbegründung in Angriff zu nehmen und Akteneinsicht zu beantragen. Anwaltlicher Sorgfalt hätte es entsprochen, sich wenigstens um die Erfüllung der Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO innerhalb der bereits verlängerten Berufungsbegründungsfrist zu bemühen.
III.
- 5
- Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Sie ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Unrecht Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zu Begründung der Berufung versagt, weil es die an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu stellenden Sorgfaltsanforderungen bezüglich der Akteneinsicht überspannt hat; damit ist auch der Verwerfung des Rechtsmittels die Grundlage entzogen.
- 6
- 1. Der Beklagte war ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Begründung der Berufung gehindert. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht darin, dass dieser Akteneinsicht erst am 23. Mai 2011 und somit wenige Tage vor dem Ende der am 26. Mai 2011 ablaufenden (verlängerten) Rechtsmittelbegründungsfrist beantragt und mit der Anfertigung der Berufungsbegründung nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt begonnen hat.
- 7
- Allerdings hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2007 - VIII ZB 40/06, NJW 2007, 2559 Rn. 7; vom 2. Dezember 1996 - II ZB 19/96, NJW-RR 1997, 562 unter II; st. Rspr.). Hierzu gehört selbstverständlich auch, dass er mit der Bearbeitung einer Rechtsmittelbegründung so rechtzeitig beginnt, dass sie innerhalb der Frist fertiggestellt und dem Gericht übermittelt werden kann. Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten aber nicht verstoßen. Grundsätzlich dürfen Fristen bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden (BVerfG, NJW 1991, 2076 mwN). Anhaltspunkte dafür, dass der bis zum Fristablauf verbleibende Zeitraum von drei Tagen nach dem gewöhnlichen Verlauf nicht zur Erstellung und Übermittlung der Berufungsbegründung ausgereicht hätte, sind nicht erkennbar. Insbesondere durfte der Prozessbevollmächtigte angesichts des Zeitablaufs seit Rechtsmitteleinlegung davon ausgehen, dass sich die Prozessakten beim Berufungsgericht befanden und ihm kurzfristig zur Verfügung gestellt werden konnten. Wie der weitere Ablauf zeigt, war die rechtzeitige Einsichtnahme nur deshalb nicht möglich , weil die Akten weder beim Berufungsgericht noch beim Amtsgericht greifbar waren; dies kann dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht angelastet werden.
- 8
- Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch nicht gehalten, sich ungeachtet der nicht gewährten Akteneinsicht um die Erstellung einer fristgerechten Rechtsmittelbe- gründung zu bemühen. Denn dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten lagen nicht sämtliche der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Unterlagen vor, so dass eine sachgerechte Bearbeitung der Rechtsmittelbegründung ohne Akteneinsicht schon aus diesem Grund nicht möglich war.
- 9
- 2. Der Beklagte hat innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragt und die versäumte Berufungsbegründung nachgeholt. Das Hindernis ist mit der am 28. Juni 2011 gewährten Akteneinsicht weggefallen; die Berufungsbegründung und der Wiedereinsetzungsantrag sind am 1. Juli 2011 und somit rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen.
- 10
- 3. Über den - mit Schriftsatz vom 17. November 2011 wiederholten - Antrag des Beklagten auf Vollstreckungsschutz hat das Berufungsgericht zu entscheiden , bei dem der Rechtsstreit nach der Beendigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch diesen Beschluss wieder anhängig ist. Ball Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Bünger
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 17.02.2011 - 214 C 290/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 30.08.2011 - 65 S 145/11 -
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(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.