Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2007 - VIII ZB 107/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 7. Juli 2006 fristgemäß Berufung beim Oberlandesgericht Celle ein. Ihm wurde vom Berufungsgericht antragsgemäß eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Oktober 2006 gewährt. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2006 beantragte der Prozessbevollmächtigte eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Oktober 2006. Dieser Schriftsatz war an das Landgericht Hannover adressiert, ging dort per Fax am 5. Oktober 2006 ein und wurde durch Verfügung des Einzelrichters vom 6. Oktober 2006 an das Oberlandesgericht Celle weitergeleitet.
- 2
- Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts wegen Versäumung der Berufungsbegrün- dungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
- 3
- Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht durfte die Berufung der Klägerin nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen. Denn der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren , weil sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten überspannt.
- 4
- Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter kurz nach der Unterzeichnung des Fristverlängerungsantrags vom 5. Oktober 2006 festgestellt, dass dieser fälschlich an das Landgericht Hannover adressiert war, und die Rechtsanwaltsfachangestellte B. daraufhin gebeten, diesen Schriftsatz zu schreddern und einen entsprechenden Verlängerungsantrag an das Oberlandesgericht Celle zu richten. Dem ist die Angestellte insoweit auch nachgekommen, als sie den neuen, an das Oberlandesgericht adressierten Schriftsatz erstellt und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt hat. Der Rechtsanwalt brauchte, nachdem er den nunmehr zutreffend adressierten Verlängerungsantrag unterschrieben hatte, nicht damit zu rechnen, dass die bislang zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin diesen Schriftsatz nicht an das Berufungsgericht faxen, sondern vernichten würde und statt- dessen den an das Landgericht Hannover gerichteten Schriftsatz, den sie hatte vernichten sollen, absenden würde. Die der Angestellten erteilte Weisung, den an das Landgericht adressierten Schriftsatz zu vernichten und den an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz abzusenden, hatte einfache Aufgaben zum Gegenstand, bei denen der Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass ein ansonsten zuverlässig arbeitender Angestellter sie richtig erledigt (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 1981 - VIII ZB 59/81 und VIII ZB 60/81, NJW 1982, 2670, unter II 2 a). Die ordnungsgemäße Ausführung einfacher Aufgaben muss der Rechtsanwalt bei solchen Mitarbeitern nicht persönlich überwachen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 76/81, NJW 1982, 2670, unter II 2 b cc).
- 5
- Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, der Prozessbevollmächtigte hätte den an das Landgericht adressierten Schriftsatz, nachdem er ihn zunächst unterschrieben hatte, persönlich vernichten müssen oder zumindest im Adressfeld das unzuständige Gericht durchstreichen und das zuständige Gericht kennzeichnen müssen, überspannt es die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts. Dieser durfte mit der Vernichtung des unrichtig adressierten Schriftsatzes auch seine Mitarbeiterin betrauen und sich darauf verlassen, dass sie auch diesen Teil seiner Weisung ausführen würde, nachdem sie ihm den neu erstellten, nunmehr zutreffend adressierten Schriftsatz zur Unterschrift vorgelegt hatte.
- 6
- Ebenso wenig ist ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten daraus herzuleiten, dass dieser zunächst den falsch adressierten Schriftsatz unterschrieben hatte. Dieses Versehen ist vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig bemerkt und dadurch korrigiert worden, dass er einen neuen Schriftsatz an das Berufungsgericht hat erstellen lassen, den er sodann auch unterschrieben und seiner Mitarbeiterin zur Weiterleitung an das Berufungsgericht übergeben hat. Ball Dr.Frellesen Hermanns Dr.Hessel Dr.Milger
LG Hannover, Entscheidung vom 07.07.2006 - 8 O 292/03 -
OLG Celle, Entscheidung vom 26.10.2006 - 5 U 147/06 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.