Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZB 37/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- 1. Die Parteien machen gegenseitige Ansprüche aus einer Kfz-Reparatur geltend. Die Klägerin verlangt Reparaturkosten in Höhe von 2.241,69 €. Der Beklagte verlangt widerklagend unter anderem Sachverständigen- und Untersuchungskosten in Höhe von 2.547,26 €.
- 2
- Das Landgericht hat mit Urteil vom 19. Februar 2009 der Klage in Höhe von 2.133,23 €, der Widerklage in Höhe von 866,62 € stattgegeben und im Übrigen Klage und Widerklage abgewiesen.
- 3
- Gegen das am 3. März 2009 dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugestellte Urteil hat dieser am 20. März 2009 Berufung eingelegt. Seinem Antrag vom 30. April 2009 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (Fristablauf: Montag, 4. Mai 2009) um einen weiteren Monat hat der Vorsitzende stattgegeben. Dies wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 11. Mai 2009 mitgeteilt.
- 4
- Am 26. Juni 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet. Er hat gemeint, die Berufungsbegründungsfrist habe am 29. Mai 2009 geendet. Es sei versäumt worden , die Berufung innerhalb der Frist zu begründen.
- 5
- Hierzu hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht: In der Kanzlei würde ein Fristenkalender in elektronischer Form und einer in Papierform geführt. Eine langjährige gut ausgebildete Fachangestellte habe die am 29. Mai 2009 ablaufende Frist nach der bewilligten Verlängerung im Kalender in Papierform mit zwei Vorfristen (15. Mai 2009 und 22. Mai 2009) notiert. Die beiden Vorfristen seien von ihr auch im EDV-System eingetragen worden. Bedauerlicherweise habe sie es versäumt, die Frist vom 29. Mai 2009 in den elektronischen Kalender einzutragen. Die Kanzlei sei so organisiert, dass anhand des elektronischen Kalenders regelmäßig Ausdrucke der Fristen vorgenommen würden. Diese würden dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt regelmäßig an einem Freitag der Woche für die kommende Woche vorgelegt. Dies sei auch hier so geschehen. Es sei irrtümlich nur eine Kontrolle des elektronischen Kalenders, nicht aber anhand der handschriftlichen Eintragungen vorgenommen worden. Anlässlich eines zufälligen Gesprächs mit dem Beklagten in der Woche vor dem 26. Juni 2009 sei die Fristversäumung festgestellt worden.
- 6
- Nach Hinweis des Klägers auf organisatorische Mängel hinsichtlich der eingetragenen Vorfristen hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ergänzend vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die Akten bei Ablauf der notier- ten Vorfristen dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt von unterschiedlichen Mitarbeitern vorgelegt würden. Der Unterzeichner habe auch die Vorfrist in dieser Sache ordnungsgemäß kontrolliert, leider nicht aber den endgültigen Fristablauf , der bekanntlich nicht im EDV-System eingetragen gewesen sei. Auf Anfrage des Landgerichts hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten weiter mitgeteilt , dass Fristablauf und Vorfristen in den Handakten notiert würden, und die Handakten anlässlich der Vorfristen vorgelegt würden. Grundsätzlich würden zwei Vorfristen notiert, jeweils in den Handakten und auch im Kalender. Zuständig für die Fristüberwachung sei der sachbearbeitende Rechtsanwalt.
- 7
- Das Landgericht hat mit Beschluss vom 31. März 2010 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und ausgeführt:
- 8
- Da die Berufungsbegründungsfrist bereits falsch berechnet worden sei, bestünden Bedenken, ob tatsächlich entsprechend ausgebildete Fachkräfte eingesetzt worden seien. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben. Das Versehen hätte spätestens erkannt werden müssen, wenn - wie vorgetragen - die Akten zu den Vorfristen vorgelegt worden seien. Dies könne nur einen Sinn haben , wenn entweder zu diesem Zeitpunkt eine Bearbeitung in der Sache stattfinde oder wenigstens geprüft werde, ob die weiteren Fristen entsprechend eingetragen worden seien. Zudem sei nicht ersichtlich, warum die Frist nicht eingehalten worden sei, wenn sie in Papierform festgehalten worden sei. Bei Überprüfung dieses Kalenders wäre keine Fristversäumung zu besorgen gewesen. Offensichtlich habe kein Abgleich stattgefunden. Somit sei die Kontrolle nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auch dies spreche gegen eine ordnungsgemäße Organisation.
II.
- 9
- Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich, da das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.
- 10
- 1. Nicht zu beanstanden ist, worauf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu Recht hinweist, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist und die Führung des Fristenkalenders einer langjährig erprobten, gut ausgebildeten Fachangestellten überlassen hat; denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Anwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen (BGH, Beschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01, NJW-RR 2001, 1072 = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 77). Nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung ist es, dass die Berufungsbegründungsfrist fälschlich auf den 29. Mai 2009 und nicht auf den 4. Juni 2009 notiert worden ist.
- 11
- 2. Das Beschwerdegericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Beklagte hat eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten nicht dargetan.
- 12
- a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09, MDR 2010, 533 m.w.N.).
- 13
- b) Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Werden im Büro eines Anwalts zwei Fristenkalender geführt, die für die Fristenkontrolle maßgeblich sind, so darf ein Erledigungsvermerk in die Handakte erst dann aufgenommen werden, wenn die Fristen in beiden Kalendern eingetragen sind. Das ist durch entsprechende organisatorische Anweisungen des Anwalts sicher zu stel- len. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits nach der Eintragung in einen Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle des Anwalts versagt, weil er nicht beurteilen kann, ob die Fristen in beiden Kalendern notiert sind.
- 14
- c) Dem Wiedereinsetzungsvorbringen des Beklagten lässt sich nicht entnehmen , dass die Fristenkontrolle in dieser Weise organisiert worden ist. Der Beklagte hat schon nicht dargetan, dass in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Er hat nichts dazu vorgetragen , in welcher Weise er die Gegenkontrolle in den Handakten zur Eintragung der Fristen organisiert hat. Der wiederholte Hinweis auf eine doppelte Fristenkontrolle reicht dazu nicht.
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 19.02.2009 - 92 C 499/08-12 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 31.03.2010 - 5 S 10/09 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.