Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die vom Kläger erhobene Klage durch Urteil vom 22. Mai 2002 abgewiesen. Die Zustellung dieses Urteils an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers erfolgte mittels Empfangsbekenntnis gemäß § 212a ZPO a.F.. Das zu den Akten zurückgelangte, von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnete Empfangsbekenntnis trägt das aufgestempelte Datum vom 1. Juni 2002; dabei handelte es sich um einen Samstag. Die Berufung des Klägers ist am 2. Juli 2002 beim Landgericht eingegangen und mit einem am 8. Juli 2002 eingegangenen Schriftsatz begründet worden.Auf den Hinweis des Landgerichts, die Berufungseinlegung dürfte verfristet sein, hat der Kläger vorgetragen, die Berufung sei nicht verfristet und hilfsweise beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das amtsgerichtliche Urteil sei - wie auch in der Berufungsschrift angegeben - am 3. Juni 2002 zugestellt worden. Am Freitag, den 31. Mai 2002 habe eine Angestellte den Poststempel versehentlich auf den 1. Juni 2002 statt auf Montag, den 3. Juni 2002 umgestellt. Der das Empfangsbekenntnis unterzeichnende Rechtsanwalt habe das Versehen am Montag, den 3. Juni 2002, bei Vorlage der Akten mit der eingegangenen Tagespost nicht bemerkt. Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Das angefochtene Urteil sei dem Klägervertreter ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 1. Juni 2002 zugestellt worden. Wenn sich der Kläger nunmehr darauf berufe, dieses Datum sei versehentlich aufgestempelt worden, während die Zustellung tatsächlich erst am 3. Juni 2002 erfolgt sei, so vermöge dies den Wiedereinsetzungsantrag nicht hinreichend zu begründen. Die Fristversäumung sei gerade nicht ohne Verschulden im Sinne des § 233 ZPO erfolgt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; NJW-RR 2002, 1004).2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht durfte nicht offenlassen, ob das Berufungsurteil dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers wie im Empfangsbekenntnis ausgewiesen bereits am 1. Juni 2002 oder - wie vom Kläger vorgetragen – tatsächlich erst am 3. Juni 2002 zugestellt worden ist. Eines Wiedereinsetzungsantrags bedarf es nur dann, wenn eine der in § 233 ZPO genannten Fristen versäumt wurde, hier also die Berufung verspätet eingelegt worden ist. Nur dann wäre über den hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden. Der ergangene Beschluß ist demgemäß schon deswegen aufzuheben, weil das Berufungsgericht insoweit keine Beweiswürdigung vorgenommen und keine Feststellungen getroffen hat. Die Auffassung des Berufungsgerichts, aus dem Versäumnis des Klägervertreters , das von seiner Angestellten versehentlich aufgestempelte Datum zu überprüfen, sei zu folgern, daß er das zugestellte Urteil mit dem Willen entgegengenommen habe, es als unter dem 1. Juni 2002 zugestellt gegen sich gelten zu lassen, ist bereits im Ansatz verfehlt. Die nach § 212a ZPO a.F. vorzunehmende Zustellung kann erst dann als bewirkt angesehen werden, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1984 - VI ZR 2/83 - VersR 1985, 142, 143; BGH, Beschluß vom 15. Juli 1998 - XII ZB 37/98 - NJWRR 1998, 1442, 1443 und Urteil vom 28. September 1994 - XII ZR 250/93 - FamRZ 1995, 799). Hierzu hat der Kläger unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen dargelegt, daß die Zustellung tatsächlich erst am 3. Juni 2002 erfolgt sei.
Zwar erbringt das Empfangsbekenntnis grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 24. April 2001 - VI ZR 258/00 - VersR 2001, 1262, 1263 und vom 18. Juni 2002 - VI ZR 448/01 - VersR 2002, 1171; BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 1996 - VII ZB 12/96 - NJW 1996, 2514, 2515 und vom 15. Juli 1998 - XII ZB 37/98 - aaO). Der Beweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben ist jedoch zulässig. An ihn sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Er verlangt, daß die Beweiswirkung des § 212a ZPO a.F. vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist der Beweis des Gegenteils nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. z.B. Senatsurteile vom 24. April 2001 - VI ZR 258/00 - aaO und vom 18. Juni 2002 - VI ZR 448/01 - VersR 2002, 1171 f.). Bloße Zweifel an der Richtigkeit des Zustellungsdatums genügen nicht (BVerfG NJW 2001, 1563, 1564). Bei dieser Sachlage hatte das Berufungsgericht zu würdigen, ob der Kläger den Beweis für die Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustellungsdatums geführt hat mit der Folge, daß in diesem Fall die Berufungsfrist nicht versäumt worden wäre. Diese Prüfung wird das Berufungsgericht nachzuholen und dabei folgendes zu beachten haben: Eidesstattliche Versicherungen können als Beweismittel berücksichtigt werden, da für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels - auch soweit es um die Rechtzeitigkeit der Einlegung und in diesem Rahmen um die Entkräftung des aus einem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Zustellungsdatums geht - der sogenannte Freibeweis gilt. Ihr Beweiswert, der le-
diglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, wird aber zum Nachweis der Frist- wahrung regelmäßig nicht ausreichen. Insoweit muß dann auf die Vernehmung der Beweispersonen - etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals - als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (vgl. Senatsbeschluß vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - VersR 2000, 1129).
Müller Greiner Wellner
Pauge Stöhr
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.