Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - VI ZB 10/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der vorgenannte Beschluß aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 4.500,00 €.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Juli 2004 abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 26. Juli 2004 zugestelltworden. Mit Schriftsatz vom 26. August 2004 hat der Kläger Berufung eingelegt, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26. Oktober 2004 beantragt und um Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren gebeten. Dieser Schriftsatz trägt einen Eingangsstempel des Landgerichts in blauer Farbe mit dem Datum 27. August 2004 und den Namenszug des Wachtmeisters G.. Auf Hinweis des Gerichts, daß die Berufung verspätet eingegangen sei, haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers Gegenvorstellung erhoben und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, die Rechtsmittelschrift sei zusammen mit zwei weiteren Schriftsätzen aus anderen Verfahren in einen Sammelumschlag gesteckt und von der Angestellten W. am Abend des 26. August 2004 nach Dienstschluß in den Briefkasten der Justizbehörden B. eingeworfen worden. Zur Glaubhaftmachung hat sich der Kläger auf eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterinnen P., W. und T. seiner Prozeßbevollmächtigten bezogen. Er hat geltend gemacht, die Schriftsätze aus den anderen Verfahren seien ausweislich der Eingangsstempel jeweils am 26. August 2004 bei Gericht eingegangen.
Das Landgericht hat nach Rücksprache mit dem Wachtmeister G. durch Beschluß vom 20. Oktober 2004, den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 29. Oktober 2004, die Gegenvorstellung und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt , die Gegenvorstellung sei, sofern sie überhaupt zulässig sei, jedenfalls unbegründet. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei. Die eidesstattliche Versicherung von Frau W. stoße auf durchgreifende Zweifel. Schriftsätze, die nach Dienstschluß (in der Regel 15:30 Uhr) in den Nachtbriefkasten eingeworfen würden, erhielten am nächsten Morgen keinen blauen, sondern einen roten Eingangsstempel. Auch die beiden Schriftsätze der Prozeßbevollmächtigten des Klägers aus den anderen beiden Verfahren trügen rote Eingangsstempel. Am 26. Okto-
ber 2004 haben die Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Zustimmung der Gegenseite um nochmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26. November 2004 gebeten. Die Berufungsbegründung ist am 22. November bei Gericht eingegangen.
Mit Beschluß vom 6. Dezember 2004 hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beschluß, mit dem die Gegenvorstellung des Klägers und sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen worden seien, sei seit dem 29. November 2004 rechtskräftig, weil der Kläger dagegen keine Rechtsbeschwerde eingelegt habe.
Dem Kläger ist durch Beschluß des Senats vom 1. März 2005 - VI ZA 1/05 - für die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluß des Landgerichts Bückeburg Prozeßkostenhilfe bewilligt worden. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, dem der Beschluß des Senats am 8. März 2005 zugestellt worden ist, hat mit einem am 11. März 2005 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt, diese mit einem weiteren , am 1. April 2005 beim Bundesgerichtshof eingegangen Schriftsatz begründet und beantragt, dem Kläger wegen der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
II.
Dem Kläger ist auf seinen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu ge-
währen, da er ohne sein Verschulden, nämlich wegen seiner Mittellosigkeit, verhindert war, diese Fristen einzuhalten (§ 233 ZPO).
III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen, daß der Beschluß, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen worden sei, rechtskräftig geworden sei, weil der Kläger dagegen keine Rechtsbeschwerde eingelegt habe. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß es eines Wiedereinsetzungsantrags nur dann bedarf, wenn eine der in § 233 ZPO genannten Fristen versäumt wurde, hier also die Berufung verspätet eingelegt worden ist. Diese Frage ist vor der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zu klären (vgl. Senatsbeschluß vom 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02 - VersR 2004, 625). Nur im Falle der Fristversäumung wäre über den hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden gewesen. Der angefochtene Beschluß ist demgemäß schon deswegen aufzuheben, weil das Berufungsgericht in dieser Entscheidung keine Beweiswürdigung bezüglich der Rechtzeitigkeit des Rechtsmitteleingangs vorgenommen und dazu keine Feststellungen getroffen hat.
b) Soweit das Berufungsgericht in seinem Beschluß vom 20. Oktober 2004 gemeint hat, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen sei, verkennt es, daß für die Entscheidung der Frage, ob eine Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist, die allgemeinen Regeln der Tatsachenfeststellung gelten. Dabei können zwar eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel berücksichtigt werden, denn für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels - auch soweit es um die Rechtzeitigkeit der Einlegung geht - gilt der sogenannte Freibeweis. Der Beweiswert eidesstattlicher Versicherungen, der lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, wird aber zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht ausreichen. Insoweit muß dann auf die Vernehmung der Beweispersonen - etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals - als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - VersR 2000, 1129 und vom 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02 - VersR 2004, 625). Müller Greiner Wellner
Pauge Stöhr
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(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.