Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Mai 2008 - VI ZB 16/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter ärztlicher Fehlbehandlung in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 1.000 € Schmerzensgeld verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen das ihr am 20. März 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 7. April 2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und angekündigt , die Berufungsbegründung erfolge mit gesondertem Schriftsatz. Auf Antrag der Klägerin wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. Juni 2006 verlängert. Mit am 22. Juni 2006 eingegangenem Schriftsatz beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf den Entwurf einer Berufungsbegründung Prozesskostenhilfe und stellte klar, dass die Berufung nur im Umfang der Bewilligung durchgeführt werde; sie beabsichtige nach Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen. Dem Schriftsatz lag die vollständige 14-seitige und unterschriebene Berufungsbegründung vom 22. Juni 2006 bei, die mit der Überschrift "Entwurf einer Berufungsbegründung" versehen ist. Das Berufungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen , weil die Berufung als unzulässig zu verwerfen sein werde. Einen Wiedereinsetzungsantrag und einen erneuten Prozesskostenhilfeantrag hat das Berufungsgericht ebenfalls zurückgewiesen. Die Berufung hat es als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, für die sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt.
II.
- 2
- Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe liegen nicht vor, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft, weil das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen hat (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch gebieten die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hier keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
- 3
- 1. Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht in der gesetzten Frist begründet worden, weil der Entwurf der Berufungsbegründung zwar grundsätzlich den formalen Anforderungen genüge, insbesondere auch unterzeichnet worden sei, der Schriftsatz jedoch offensichtlich nicht zur Begründung der Berufung bestimmt gewesen sei. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass dann, wenn die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründungsschrift erfüllt sind, die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufungsbegründung bestimmt sei, gerechtfertigt ist, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. BGHZ 165, 318, 320 f.; BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537; vom 25. September 2007 - XI ZB 6/07 - zitiert nach Juris, jeweils m.w.N.). Das Berufungsgericht stellt insoweit ohne Rechtsfehler darauf ab, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht nur in seinem Antragsschriftsatz hervorgehoben habe, die Berufung solle noch nicht begründet werden , sondern die Berufungsbegründung auch mit einer entsprechenden Überschrift versehen habe.
- 4
- 2. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht auch den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf dem wirtschaftlichen Unvermögen der Klägerin beruht habe und daher nicht ohne Verschulden (§ 233 ZPO) eingetreten sei. Versäumt eine mittellose Partei eine Frist, so kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1965 - IV ZR 229/64 - NJW 1966, 203 f.; Beschluss vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 - NJW 1999, 3271; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233 Rn. 45; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 234 Rn. 11). Entscheidend für die Frage der Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist, ob der beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt bereit war, die Berufung auch ohne die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu begründen (BGH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 - aaO; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO; Stein/Jonas/Roth, aaO).
- 5
- Dass dies hier der Fall war, entnimmt das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die vollständige - wenn auch als vorläufige bezeichnete - Berufungsbegründung noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gefertigt und bei Gericht eingereicht hat. Zwar steht der Umstand, dass die Berufungsbegründung ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt, der Annahme, dass sie zunächst wegen der Mittellosigkeit der Partei nicht oder später nicht rechtzeitig erfolgt sei, nicht entgegen. Holt die Partei die Prozesshandlung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nach, so ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Prozesshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist, wobei es einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe begründet werden konnte, nicht bedarf (BGH, Beschluss vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 - aaO, m.w.N.).
- 6
- Anders verhält es sich indes, wenn der Prozessbevollmächtigte seine Tätigkeit entfaltet, während die Frist noch läuft (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1965 -IVZR 229/64- aaO; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO; Stein/Jonas/Roth, aaO). Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass das wirtschaftliche Unvermögen der Partei und eine Weigerung des Prozessbevollmächtigten , seine Leistung wegen ausbleibender Vorschusszahlung zu erbringen, offenkundig als Ursache der Fristversäumung ausscheiden, wenn die Berufungsbegründung vollständig erstellt und - als "Entwurf" gekennzeichnet - bei Gericht eingereicht wird, der Prozessbevollmächtigte also tatsächlich seine (wegen der Berufungseinlegung vergütungspflichtige) Leistung in vollem Umfang bereits erbracht hat. Mit Recht führt das Berufungsgericht auch aus, das Prozesskostenhilfeverfahren diene der Gleichstellung der armen Partei und nicht dazu, der armen Partei gegenüber der nicht armen Partei eine deutlich verlängerte Berufungsbegründungsfrist zu ermöglichen, wie es hier vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin gehandhabt werde, wenn er das Erforderliche erbringe und zudem seine Arbeit zunächst unabhängig von der Entscheidung des Gerichts über die Prozesskostenhilfe fortsetze.
- 7
- 3. Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht auch an, dass den Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der Verkennung dieser Rechtslage ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden trifft. Die von dem Prozessbevollmächtigten für die Berechtigung seines Vorgehens genannten Belege sind, wie das Berufungsgericht zutreffend im Einzelnen ausführt, ungeeignet; die Rechtslage ergibt sich ohne Weiteres aus der oben zitierten Rechtsprechung und Kommentarliteratur. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
LG Berlin, Entscheidung vom 28.02.2006 - 9 O 538/01 -
KG Berlin, Entscheidung vom 02.04.2007 - 20 U 55/06 -
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Annotations
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.