Bundesgerichtshof Beschluss, 30. März 2001 - StB 5/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Der Generalbundesanwalt legt dem Angeschuldigten S. mit der Anklage vom 28. Januar 2001 zur Last, er sei von 1985 bis 1990 Rädelsführer der "Berliner Zelle" der "Revolutionären Zellen (RZ)" gewesen und habe an dem Sprengstoffanschlag in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1987 auf das Gebäude der Zentralen Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin mitgewirkt. Wegen dieses Sachverhalts hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 15. Dezember 1999 - 1 BGs 284/99 - Haftbefehl gegen den bereits in anderer Sache in Haft befindlichen Angeschuldigten erlassen und die Notierung von Überhaft angeordnet. Diese wurde seit 15. Februar 2001 vollzogen.
Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 28. Februar 2001 die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegenstehe, den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeschuldigten angeordnet.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
In einem Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main (51 Js 118/96) war dem Angeschuldigten mit Anklage vom 16. November 1999 zur Last gelegt worden, er habe als Mitglied der "Revolutionären Zelle" Beihilfe zu dem Anschlag auf die Teilnehmer an der OPEC-Konferenz in Wien am 21. Dezember 1975 geleistet. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main beantragte die Staatsanwaltschaft, das Verfahren gemäß § 270 StPO an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu verweisen, weil die Beweisaufnahme den Verdacht ergeben habe, der Angeschuldigte sei jedenfalls seit Dezember 1975 bis zu seinem Ausstieg im Jahre 1990 ununterbrochen Mitglied der Revolutionären Zellen gewesen. Diesen Antrag hat die Strafkammer abgelehnt , da ein hinreichend wahrscheinlicher Tatverdacht für eine fortlaufende Mitgliedschaft nicht bestehe, vielmehr sei 1978 durch das Abtauchen des Angeschuldigten ins Ausland eine Unterbrechung mit der Folge einer neuen selbständigen Tat des § 129 a StGB für die Zeit nach seiner Rückkehr im Jahre 1985 erfolgt. Mit Urteil vom 15. Februar 2001 hat es ihn sodann wegen des angeklagten Tatvorwurfs freigesprochen; hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.
Das Kammergericht hält die Auffassung des Landgerichts für unzutreffend, weil eine Mitgliedschaft nach § 129 a Abs. 1 StGB auch bei längerer Untätigkeit fortbestehe und es im übrigen auch für die Zeit von 1978 bis 1985 konkrete
Hinweise auf mitgliedschaftliche Betätigungsakte des Angeschuldigten gebe. Er habe damit der "(Gesamt-) Vereinigung Revolutionäre Zellen" von 1975 bis 1990 ohne Unterbrechung angehört, weshalb nur eine einzige Straftat nach § 129 a StGB vorliege, die bereits Gegenstand des Verfahrens bei dem Landgericht Frankfurt am Main sei und sich auch auf den tateinheitlichen Vorwurf des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion erstrecke.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts ist begründet.
I. Das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit ist nicht gegeben , weil der Angeschuldigte nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht von 1975 bis 1990 ununterbrochen der gleichen terroristischen Vereinigung angehörte und damit nicht vom Vorliegen einer einzigen Tat nach § 129 a StGB für den gesamten Zeitraum ausgegangen werden kann.
1. Der Senat hat im Verfahren auf die Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 210 Abs. 2 StPO in vollem Umfang zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Eröffnung nach § 203 StPO gegeben sind und insbesondere nicht das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit entgegensteht.
Ein Strafverfahren darf grundsätzlich nur durchgeführt werden, wenn feststeht , daß die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen vorliegen und Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, die erforderlichen Feststellungen hierfür sind im Wege des Freibeweises zu treffen (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 203 Rdn. 16, § 206 a Rdn. 28 ff., 59). Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten zweifelhaft, ob ein Prozeßhindernis vorliegt, ist nach
der h.M. nach der Art des Prozeßhindernisses oder der Prozeßvoraussetzung zu differenzieren (vgl. BGHSt 18, 274, 277 f.; Überblick bei Paeffgen in SKStPO 15. Lfg. § 206 a Rdn. 16 f.). In einigen älteren Entscheidungen ist zur Frage des Strafklageverbrauchs noch die Auffassung vertreten worden, daß hier der Zweifelssatz nicht anwendbar sei und nur eine nachgewiesene vorhergehende Verurteilung die erneute Aburteilung hindere (OGHSt 1, 207; BGH, Urt. vom 9. Oktober 1952 - 4 StR 124/52; Urt. vom 19. Februar 1954 - 2 StR 581/53). Diese Entscheidungen sind jedoch durch BGHSt 18, 274 überholt (vgl. BayObLG NJW 1968, 2118). Allerdings erfordert die Anwendung des Zweifelssatzes konkrete tatsächliche Umstände; bloß theoretische, nur denkgesetzlich mögliche Zweifel reichen nicht aus (vgl. Rieß aaO). Dabei ist es in aller Regel ohne praktische Bedeutung, ob dogmatisch von der Funktion der Prozeßvoraussetzung als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils oder von der Anwendung des Zweifelssatzes ausgegangen wird (Kleinknecht/MeyerGoßner , StPO 44. Aufl. § 206 a Rdn. 7).
Etwas anderes muß jedoch gelten, wenn das Vorliegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht nach Aktenlage geklärt werden kann, sondern von Tatsachen abhängt, die die angeklagte Straftat betreffen. Deren Feststellung muß dem Strengbeweis in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben (Loos, JuS 1979, 702; vgl. auch Rieß aaO § 203 Rdn. 8; Paeffgen aaO § 203 Rdn. 13). Würden solche Fragen bereits im Eröffnungsverfahren mit der erforderlichen Vollständigkeit geprüft werden, müßte ein unter Umständen wesentlicher Teil der Hauptverhandlung vorweggenommen werden, wobei der Angeklagte im Freibeweisverfahren eine schlechtere verfahrensrechtliche Position besitzt. Die - im Falle einer Verneinung eines Prozeßhindernisses - erforderliche Wiederholung dieser Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nach den Regeln des Strengbeweises würde nicht nur prozeßunökonomisch
und für die Beteiligten zusätzlich belastend sein, sie würde auch die Gefahr widersprüchlicher Ergebnisse in sich bergen und letztlich dem Prinzip des Strafverfahrens , wonach der Schwerpunkt in der Hauptverhandlung liegen soll, zuwiderlaufen (vgl. dazu Loos aaO: keine Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung , diese solle "Premiere", nicht "Reprise" sein). Daß eine solche doppelte Beweisaufnahme in hohem Maße unzuträglich sein kann, zeigt gerade das vorliegende Verfahren. Die abschließende Klärung der Frage, ob eine anderweitige Rechtshängigkeit gegeben sein könnte, würde auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zum prozessualen Tatbegriff eine umfassende Beweisaufnahme über die Einbindung des Angeklagten in die verschiedenen Ausformungen der "Revolutionären Zellen" in der Zeit von 1975 bis 1990 und über seine Tätigkeit im Zeitraum von 1978 bis 1985 voraussetzen. Dafür müßte neben zahlreichen anderen Beweiserhebungen der Zeuge M. umfangreich vernommen werden, dessen Glaubwürdigkeit die Verteidiger mit zahlreichen Einwänden in Frage stellen würden. Damit müßte ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung vorweggenommen werden, was hier voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen würde.
Diese Auffassung entspricht auch der Praxis des Bundesgerichtshofs in Revisionsverfahren, in denen die Frage des Vorliegens eines Strafklageverbrauchs von den bislang ungenügend aufgeklärten tatsächlichen Umständen der abgeurteilten Tat abhängt, etwa weil in Frage steht, ob ein Handel mit Betäubungsmitteln Teil einer bereits anderweitig abgeurteilten Bewertungseinheit ist. In solchen Fällen wird diese Frage nicht im Revisionsverfahren im Wege des Freibeweises geklärt, sondern die Sache zu erneuter tatrichterlicher Feststellung im Wege des Strengbeweises zurückverwiesen (BGH, Beschl. vom 16. November 2000 - 3 StR 457/00).
Für die Frage der Eröffnung muß demnach eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür genügen, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ein solches Verfahrenshindernis nicht ergeben werde.
2. Bei der "Revolutionären Zelle", der der Angeschuldigte von 1975 bis 1978 im Bereich Frankfurt am Main angehört hat, und der "Berliner Zelle der Revolutionären Zellen" im Tatzeitraum der Anklage zum Kammergericht von 1985 bis 1990 handelt es sich nach Aktenlage um unterschiedliche terroristische Vereinigungen. Eine den gesamten Zeitraum von 1975 bis 1990 und gleichzeitig auch die verschiedenen regionalen Gruppierungen umfassende einheitliche Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB ("Gesamtvereinigung") war entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht gegeben. Zwar erscheint es grundsätzlich vorstellbar, daß sich eine terroristische Gruppierung in der Art organisiert und strukturiert, daß neben einzelnen regionalen Vereinigungen auch eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, die ihrerseits ebenfalls die Kriterien einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB erfüllt, wobei einzelne Mitglieder sowohl der regionalen, als auch der Dach-Vereinigung angehören und sich an ihnen aktiv beteiligen können. Hier ergibt sich jedoch aus den Ermittlungen, daß nach der Umstrukturierung der "Revolutionären Zelle" im Zeitraum von 1976 bis 1981 keine solche Dach-Vereinigung vorhanden war, die selbst als terroristische Vereinigung nach § 129 a StGB angesehen werden könnte. Dazu wäre Voraussetzung gewesen, daß sich mehrere Personen zu einer Vereinigung zusammenschließen, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet war, bestimmte Straftaten der in § 129 a Abs. 1 StGB genannten Art zu begehen, wobei die Unterwerfung der Mitglieder unter eine organisierte Willensbildung notwendig ist, was innerhalb der Vereinigung bestehende, von den Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen voraussetzt (BGHSt 10, 16 f.; 28, 147 f.; 31, 202, 205).
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Beschwerdebegründung vom 5. März 2001 unter Hinweis auf Fundstellen in dem publizistischen Organ "Revolutionärer Zorn" der "Revolutionären Zelle" im einzelnen belegt, hat sich die "Revolutionäre Zelle" im September 1976 in "Revolutionäre Zellen" umbenannt und mehrere einzelne selbständige, regional aufgeteilte Zellen mit eigenen Entscheidungs - und Handlungsbefugnissen gebildet. Dabei wird zur Eigenständigkeit dieser Zellen betont, daß "jeder selbst entscheiden kann" ... "ohne auf die Bestätigung oder das Dementi eines nicht vorhandenen ZK's zu warten" (Revolutionärer Zorn Nr. 5, April 1978). Dies belegt das Fehlen einer übergeordneten Vereinigung mit eigener Entscheidungsstruktur, der sich die einzelnen Mitglieder der Zellen unterworfen hätten. Dem entspricht, daß es nach der Aussage des Zeugen M. , der zu der Zusammensetzung und Struktur der "Revolutionären Zellen" in dem fraglichen Zeitraum ab Mitte der 80-er Jahre umfangreiche und umfassende Angaben gemacht hatte, an überregionalen Tätigkeiten lediglich einmalige jährliche Treffen von Abgesandten der einzelnen Zellen gegeben hatte, die "Miez" oder auch "Asamblea" genannt wurden. Daß dort verbindliche Entscheidungen für die Durchführung von Straftaten im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB getroffen worden wären, die dann auch unter der Verantwortung einer solchen überregionalen Vereinigung verübt worden wären, hat er nicht berichtet; auch sonst fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte. Daß die einzelnen Zellen gelegentlich zusammenarbeiteten, z.B. durch die Überlassung von Sprengstoff aus einem Diebstahl, oder daß sie ein einheitliches Symbol verwendeten, vermag daran nichts zu ändern, da dies die fehlenden Merkmale einer Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB für die angebliche "Gesamt-Vereinigung" nicht ersetzen kann.
Dabei kommt hinzu, daß mit der Umstrukturierung der "Revolutionären Zelle" auch ein inhaltlicher und programmatischer Wandel verbunden war, der zu Spaltungen und Trennungen führte, wie in der Beschwerdebegründung im einzelnen dargestellt und belegt wird. Bei dieser Sachlage braucht der Senat daher nicht zu entscheiden, ob die Frage der Fortdauer einer einheitlichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegebenenfalls dann anders zu beurteilen ist, wenn sich eine Vereinigung aus taktischen Gründen einvernehmlich umstrukturiert und nahtlos ihre bisherigen Zwecke weiterverfolgt, sei es, daß sich eine bislang einheitliche Organisation in mehrere einzelne Vereinigungen aufspaltet oder umgekehrt bisher selbständige Gruppierungen sich zu einer einheitlichen Vereinigung mit gleichbleibender Zielrichtung zusammenschließen.
3. Zudem ist durch das Abtauchen des Angeschuldigten im August 1978 nach dem bisherigen Kenntnisstand seine mitgliedschaftliche Beteiligung an der "Revolutionären Zelle", der er bis dahin angehört hatte, beendet worden. Darin liegt eine Zäsur, die der Annahme einer einzigen Tat nach § 129 a StGB entgegensteht.
Der Angeschuldigte selbst erklärte hierzu in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen der Schilderung seines Lebenslaufes : "In der Zeit von August 1978 bis zur Wiederaufnahme meiner politischen Aktivitäten Mitte der 80er Jahre habe ich keine strafbaren Handlungen begangen und keiner verbotenen Organisation angehört." Mag diese Erklärung auch prozeßtaktischen Erwägungen entspringen, so stimmt sie jedenfalls insoweit mit den Ermittlungsergebnissen überein, als für die Zeit nach dem Abtauchen im August 1978 bis jedenfalls 1981 keinerlei Anhaltspunkte für eine Fortsetzung der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an der "Revo-
lutionären Zelle" gegeben sind; solche hat auch das Kammergericht nicht festgestellt.
Wenn es gleichwohl diesem Umstand für die Fortdauer der Mitgliedschaft keine maßgebliche Bedeutung beimißt, weil nach BGHSt 29, 288, 294 die Mitgliedschaft auch in Zeiten fortbestehe, in denen gerade keine Tätigkeit entfaltet werde, wird es weder dem Sinn dieser Entscheidung, noch dem Begriff der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 a Abs. 1 StGB gerecht. Danach genügt eben nicht eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft, vielmehr ist erforderlich, daß diese auf eine aktive Teilnahme am Verbandsleben gerichtet sein muß (BGHSt 29, 114, 120 f.). Gerade weil in BGHSt 29, 288, 294 dieser Grundsatz unter Verweis auf die vorgenannte Entscheidung wiederholt wird, kann die nachfolgende Erwägung, die Mitgliedschaft bestehe auch in Zeiten, in denen keine Tätigkeit für die Vereinigung ausgeübt werde, nur dahin verstanden werden, daß es bei einer solchen aktiven Beteiligung naturgemäß zwischen den einzelnen Betätigungsakten zu Pausen kommen kann, die ohne Einfluß auf das Andauern der Mitgliedschaft bleiben. Daraus hat der Senat gefolgert, daß diese Tatbestandsstruktur dazu führe, daß sich die Strafbarkeit der mitgliedschaftlichen Beteiligung auf Jahre erstrecken könne (BGHSt 29, 288, 294). Umgekehrt durfte daraus das Kammergericht jedoch nicht den Schluß ziehen, daß selbst eine jahrelange Unterbrechung der aktiven Betätigung die Fortdauer der Mitgliedschaft im Sinne des § 129 a Abs. 1 StGB ohne weiteres unberührt lasse. Wenn das Kammergericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, daß der Wechsel des Angeklagten nach Berlin (nach mehreren Jahren) als "Wiederaufleben der zuvor ruhenden Mitgliedschaft" (BA S. 5) anzusehen sei, beschreibt es gerade nicht eine aktive, sondern allenfalls eine zwischenzeitliche passive Mitgliedschaft, die für die Erfül-
lung des Tatbestandes des § 129 a Abs. 1 StGB nach dem Wortlaut des Gesetzes und auch nach der Rechtsprechung nicht ausreicht.
Insofern ist die Tatbestandsstruktur des Organisationsdeliktes der mitgliedschaftlichen Beteiligung nach § 129 a Abs. 1 StGB dem Tatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB vergleichbar. Auch dort stellt sich das Problem, ob und unter welchen Voraussetzungen Zeiten der Inaktivität eines Agenten noch als tatbestandsimmanentes Verhalten anzusehen sind oder ob ein späteres erneutes Tätigwerden eine neue Tat im Sinne des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt (vgl. dazu Rissing–van Saan in FS 50 Jahre BGH, S. 485 f.). So hat der Senat die vorübergehende "Abschaltung" eines Agenten für die Dauer eines Jahres nach der Enttarnung eines anderen Agenten zur Vermeidung einer Entdeckung als für eine geheimdienstliche Agententätigkeit typisch bewertet (BGHR StGB § 99 Ausüben 2). Ähnliches dürfte für das Mitglied einer terroristischen Vereinigung gelten, das sich etwa dem verstärkten Fahndungsdruck der Polizei nach einem spektakulären Anschlag durch ein vorübergehendes Untertauchen entzieht, um danach seine Tätigkeit wieder ungefährdet fortsetzen zu können. Dabei wird man aber ebenso wie bei der geheimdienstlichen Agententätigkeit für die Frage einer Tatbeendigung nicht allein auf die Dauer der zeitlichen Zäsur abstellen dürfen, sondern eine Gesamtbetrachtung der Umstände, insbesondere der Ausgestaltung der weiteren Beziehungen zu der Vereinigung anzustellen haben (vgl. Rissing–van Saan aaO, S. 486). Hier ist zu berücksichtigen, daß der Angeschuldigte im August 1978 abtauchte, als gegen ihn wegen Mitgliedschaft in der "Revolutionären Zelle" ermittelt worden war, was zum Erlaß eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. September 1978 geführt hatte. Dies und der Umstand, daß bis 1981 keinerlei Anhaltspunkte für eine weitere Tätigkeit vorliegen, ferner daß der Angeklagte nach der oben dargelegten Umstruk-
turierung der "Revolutionären Zelle" nicht in seiner alten Frankfurter Gruppe, sondern in der "Berliner Zelle" aktiv geworden ist, belegt zur Überzeugung des Senats, daß er seine mitgliedschaftliche Betätigung mit dem Abtauchen beendet und danach an anderer Stelle und für eine andere Vereinigung neu aufgenommen hat.
4. Unabhängig von den vorgenannten Erwägungen neigt der Senat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGHSt 29, 288 ff.) dazu, auch bei einem Organisationsdelikt mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen eines Mitglieds einer solchen Organisation (kriminelle oder terroristische Vereinigung, Verein i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG ) Gegenstand der früheren Anklage und gerichtlichen Untersuchung waren und der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte, daß durch das frühere Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfaßt wurden (Urt. des Senats vom heutigen Tage - 3 StR 342/00, vgl. dazu Krauth in FS für Kleinknecht, 1985, S. 215, 229 ff.). Der 2. Strafsenat hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die uferlose Ausdehnung der Kognitionspflicht des Tatrichters durch den prozessualen Tatbegriff bei derartigen langgestreckten Delikten (Organisationsdelikte , Dauerdelikte, Bewertungseinheiten) dessen Leistungsfähigkeit übersteige und eine den Grundsätzen des Strafverfahrens widersprechende Verlagerung von Ermittlungstätigkeit in das gerichtliche Hauptverfahren zur Folge habe. Gleichzeitig würden die auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Verfahrensinstitute wie Anklage und Eröffnungsverfahren ausgehöhlt (BGHSt 43, 252, 257).
II. Da der Angeschuldigte im übrigen der angeklagten Tat hinreichend verdächtig ist, war die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Kammergericht zu eröffnen. Im
einzelnen wird hierzu auf die Anklage und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO, die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts zu eröffnen, keinen Gebrauch gemacht.
III. Der Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 Abs. 1 StPO wird durch die vorliegende Beschwerdeentscheidung die Grundlage entzogen. Gemäß § 207 Abs. 4 StPO ordnet der Senat die weitere Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters vom 15. Dezember 1999 an. Der dringende Tatverdacht beruht auf der umfangreichen Aussage des Zeugen M. . Es besteht weiterhin neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO der Haftgrund der Fluchtgefahr , nachdem der Angeschuldigte bereits im August 1978 zur Vermeidung seiner Festnahme untergetaucht, einige Jahre später zwar wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, aber hier illegal bis zum vermeintlichen Verjährungseintritt gelebt hatte. Dies belegt die Gefahr, daß er sich auch jetzt dem nunmehr drohenden Strafverfahren durch Flucht entziehen werde. Diese Gefahr wird nicht dadurch ausgeräumt, daß er nach dem Nichteröffnungsbeschluß und der Aufhebung des Haftbefehls sich verfügbar gehalten hat, da er bislang darauf hoffen konnte, von einem weiteren Strafverfahren verschont zu bleiben. Unter den gegebenen Umständen kann gegenwärtig der Fluchtgefahr auch nicht durch Maßnahmen nach § 116 StPO begegnet werden. Da der Angeschuldigte innerhalb der "Berliner Zelle" eine führende Rolle eingenommen hat und auch in maßgeblicher Weise an den begangenen Taten beteiligt war, hat er trotz der zwischenzeitlichen Beendigung der Tätigkeit dieser Vereinigung und des Zeitabstandes zwischen den Taten und ihrer Verfolgung eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten.
Kutzer Miebach Winkler
Pfister von Lienen
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja __________________
StPO § 203; StGB § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 1 1. Kommt es im Eröffnungsverfahren bei der Prüfung des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit auf die Klärung von Tatsachen an, die die angeklagte Straftat betreffen, so erfolgt diese nicht im Freibeweisverfahren, sondern ist dem Strengbeweisverfahren der Hauptverhandlung vorbehalten. Für die Eröffnung des Hauptverfahrens genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ein solches Verfahrenshindernis nicht ergeben werde. 2. Die vom Senat für die Unterbrechung von geheimdienstlicher Agententätigkeit entwickelten Grundsätze gelten auch für die mitgliedschaftliche Betätigung in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung.
BGH, Beschl. vom 30. März 2001 - StB 4 und 5/01 - Kammergericht Berlin
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Annotations
(1) Hält ein Gericht nach Beginn einer Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluß an das zuständige Gericht; § 209a Nr. 2 Buchstabe a gilt entsprechend. Ebenso ist zu verfahren, wenn das Gericht einen rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten nach § 6a für begründet hält.
(2) In dem Beschluß bezeichnet das Gericht den Angeklagten und die Tat gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1.
(3) Der Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses. Seine Anfechtbarkeit bestimmt sich nach § 210.
(4) Ist der Verweisungsbeschluß von einem Strafrichter oder einem Schöffengericht ergangen, so kann der Angeklagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist.
(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.
(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.
(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
(1) Wer
- 1.
für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder - 2.
gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt,
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er
- 1.
eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder - 2.
durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.
(3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend.
(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit
- 1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, - 2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt, - 3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt, - 4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder - 5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn
- 1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder - 2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.
(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.
(1) Der Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, kann von dem Angeklagten nicht angefochten werden.
(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu.
(3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.
(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.
(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.
(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.
(1) In dem Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet wird, läßt das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll.
(2) Das Gericht legt in dem Beschluß dar, mit welchen Änderungen es die Anklage zur Hauptverhandlung zuläßt, wenn
- 1.
wegen mehrerer Taten Anklage erhoben ist und wegen einzelner von ihnen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, - 2.
die Verfolgung nach § 154a auf einzelne abtrennbare Teile einer Tat beschränkt wird oder solche Teile in das Verfahren wieder einbezogen werden, - 3.
die Tat rechtlich abweichend von der Anklageschrift gewürdigt wird oder - 4.
die Verfolgung nach § 154a auf einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Straftat begangen worden sind, beschränkt wird oder solche Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbezogen werden.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 reicht die Staatsanwaltschaft eine dem Beschluß entsprechende neue Anklageschrift ein. Von der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen kann abgesehen werden.
(4) Das Gericht beschließt zugleich von Amts wegen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich
- 1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden, - 2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen, - 3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen, - 4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.
(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.
(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.
(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn
- 1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt, - 2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder - 3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.
(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.
(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
- 1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat, - 2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder - 3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.
(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.
(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.
(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.
(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.