Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2008 - IX ZB 92/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gegenstandswert: 8.000 €
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung die Zahlung von 8.000 € zuzüglich Zinsen. Das Landgericht hat den Beklagten bis auf einen Teil der Zinsforderung antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist dem Beklagten am 12. Januar 2006 zugestellt worden. Sein Prozessbevollmächtigter hat am 6. Februar 2006 Berufung eingelegt und diese am 31. März 2006 begründet, nachdem er am 17. März 2006 durch das Berufungsgericht auf die Fristversäumung hingewiesen worden war. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den zugleich gestellten Wiedereinset- zungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
- 2
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 3 und 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), aber unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Beklagten eine Entscheidung nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der Beschluss des Berufungsgerichts verletzt weder den Anspruch des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Oktober 2006 - XI ZB 27/05, NJW 2007, 601, 602) noch weicht die Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab.
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- 1. Der Kläger hat zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages ausgeführt: Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte G. habe anlässlich der Eingangsbearbeitung des landgerichtlichen Urteils Vorfrist und Frist nur in Bezug auf die Berufungsfrist in den Fristenkalender eingetragen. Diese Frist sei am 6. Februar 2006 gestrichen worden, nachdem die Berufungsschrift vor Erreichen der Vorfrist zur Post aufgegeben worden sei. Am 7. Februar 2006 sei die Handakte mit dem Eingangsnachweis der Berufungsschrift dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgelegt worden, der bemerkt habe, dass auf der Seite 1 der Kopie des Urteils die Berufungsbegründungsfristen (Vorfrist und Frist) noch nicht vermerkt gewesen seien. Er habe deshalb das "Stempelvordruck- feld" markiert und die Akte der Bürofachangestellten mit der mündlichen Anweisung zurückgegeben, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen. Am 9. Februar 2006 sei ihm die Handakte erneut vorgelegt worden. Bei dieser Gelegenheit habe er gegenüber der Bürokraft nachgefragt, ob sie beide Fristen für die Berufungsbegründung gemäß seiner Anweisung vom 7. Februar 2006 in das "Fristenbuch" eingetragen habe, was diese bejaht habe. Der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe die Handakte letztmalig am 2. März 2006 (elf Tage vor dem Fristablauf am 13. März 2006) in der Hand gehabt. Von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist habe er erst am 17. März 2006 erfahren.
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- 2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet erachtet, weil die Frist zur Begründung der Berufung durch Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten versäumt worden sei. Dieses liege darin , dass er die Ausführung seiner Anweisung vom 7. Februar 2006 nicht noch einmal überprüft habe. Hierzu habe angesichts des vorausgegangenen schwerwiegenden Versäumnisses der Bürokraft Veranlassung bestanden. Das Berufungsgericht hat damit entsprechend der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden.
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- a) Ein Rechtsanwalt darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs, z.B. BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361, 1362; v. 13. September 2006 - XII ZB 103/06, BGHReport 2006, 1493; v. 21. Dezember 2006 - IX ZB 309/04, AnwBl 2007, 236; v. 4. April 2007 - III ZB 85/06, BGHReport 2007, 623, 624; Beschl. v. 15. November 2007 - IX ZB 219/06, 526, 527).
- 6
- In einer Anwaltskanzlei müssen jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Einzelanweisung über die Eintragung oder Einhaltung einer wichtigen Frist nicht in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung oder rechtzeitige Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes unterbleibt (vgl. BGH, Beschl. v. 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689; v. 15. November 2007 - IX ZB 219/06, aaO Rn. 11). In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeglicher Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (BGH, Beschl. v. 13. September 2006, aaO; v. 21. Dezember 2006, aaO; v. 4. April 2007, aaO; v. 15. November 2007, aaO).
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- b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsgericht zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, der Beklagte habe die Fristversäumung verschuldet. Eine der Sicherungen bestand im Streitfall darin, dass die Vorfrist und die Frist nicht nur im Fristenkalender, sondern auch in den Handakten zu vermerken waren. Auch dies war zunächst unterblieben. Der Kläger hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass eine nachträgliche Eintragung der Berufungsbegründungsfrist sowie der Vorfrist am 7. Februar 2006 oder in der Folgezeit nachgeholt worden sind. Der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten kann im Gegenteil entnommen werden, dass der ihr am 7. Februar 2006 mündlich erteilte Auftrag, die Berufungsbegründungsfrist nebst Vorfrist einzutragen, bei ihr aus nicht mehr aufklärbaren Gründen gänzlich in Vergessenheit geraten ist.
- 8
- Bei der Vorlage der Akten am 9. Februar 2006 und nochmals am 2. März 2006 hätte dem Prozessbevollmächtigten daher auffallen müssen, dass der für seine Kontrolle bestimmte Vermerk betreffend den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist immer noch nicht neben den Eingangsstempel auf das erste Blatt des landgerichtlichen Urteils gesetzt worden war. Bei dieser Sachlage durfte er es nicht bei einer mündlichen Nachfrage belassen, ob die Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch eingetragen worden war, sondern musste dafür sorgen, dass seine Weisungen vom 7. Februar 2006 zur Behebung der von ihm festgestellten Versäumnisse nun endlich ausgeführt wurden.
- 9
- Dies ist nicht geschehen. Der Prozessbevollmächtigte hat nicht sichergestellt , dass die Einhaltung der von ihm erteilten Weisungen beachtet wurde. Er hat sich weder den Fristenkalender vorlegen lassen noch Nachfrage gehalten, aus welchen Gründen die Frist dort angeblich eingetragen worden war, ohne dies anschließend in der Handakte zu vermerken. Dieses Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich der Beklagte zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Kayser Gehrlein
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 29.03.2006 - 2 O 285/05 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 08.05.2006 - 22 U 40/06 -
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(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.