Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Apr. 2009 - IX ZB 245/08

published on 02/04/2009 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Apr. 2009 - IX ZB 245/08
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Amtsgericht Mühlhausen, 8 IN 16/08, 29/08/2008
Landgericht Mühlhausen, 2 T 215/08, 17/10/2008

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 245/08
vom
2. April 2009
in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 2. April 2009

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 17. Oktober 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts Mühlhausen vom 29. August 2008 bleibt bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt.

Gründe:


I.


1
Wegen rückständiger Erbschaftsteuer in Höhe von 27.232,28 € hat der Freistaat Thüringen, Finanzamt Gotha (fortan: Gläubiger), am 14. Januar 2008 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners be- antragt. Am 29. August 2008 ist das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 (fortan: Verwalter) zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Am 16. September 2008 veranlasste der Schuldner die Überweisung eines Betrages von 29.104,20 € (der den bis zu diesem Tag aufgelaufenen Rückständen entsprach) an das zuständige Finanzamt. Mit Schriftsatz vom 22. September 2008 erklärte der Gläubiger seinen Antrag für erledigt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Eröffnungsbeschluss ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner weiterhin die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erreichen. Durch Beschluss vom 5. Februar 2009 hat der Senat die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses vorläufig ausgesetzt.

II.


2
Rechtsbeschwerde Die führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
3
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Schuldner sei im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. August 2008 zahlungsunfähig gewesen. Er sei bereits im Jahre 2007 nicht in der Lage gewesen, die Forderung des antragstellenden Gläubigers zu begleichen, und habe seine Zahlungsfähigkeit vor der im September 2008 erfolgten Überweisung auch nicht wiedergewonnen. Dass der Schuldner zu 1/3 an einer Erbengemeinschaft beteiligt gewesen sei, der ein Hausgrundstück gehört habe, ändere daran nichts, weil bis zuletzt unsicher gewesen sei, ob der Gläubiger aus der Auseinandersetzung Geld erhalten werde.
4
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie lassen wesentliches Vorbringen des Schuldners außer acht (Art. 103 Abs. 1 GG).
5
a) Der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag ein Gutachten des jetzigen Insolvenzverwalters zugrunde, nach welchem der Schuldner Verbindlichkeiten gegenüber dem antragstellenden Gläubiger in Höhe von 27.232,20 € hatte, jedoch nur über liquide Mittel in Höhe von 300 € verfügte. Der Schuldner sei außerdem zu einem Drittel an einer Erbengemeinschaft beteiligt, der ein Haus im Wert von 60.000 € gehöre. Ob dieses verkauft werden könne, sei nicht absehbar.
6
b) Im Beschwerdeverfahren hat der Schuldner jedoch vorgetragen, das Hausgrundstück sei mit notariellem Vertrag vom 10. März 2008 zum Preis von 132.000 € verkauft worden. Eine Kopie des Vertrages befindet sich bei den Akten. Der Kaufpreis sei im August 2008 in zwei Raten von 40.000 € (am 15. August 2008) und 92.000 € (am 18. August 2008) auf dem Fremdgeldkonto des Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners eingegangen. Dem Schuldner habe davon ein Drittel, mithin ein Betrag von 44.000 €, zugestanden. Die Zahlung an das Finanzamt habe sich nur deshalb verzögert, weil der aktuelle Forderungsstand neu habe berechnet werden müssen.
7
c) Die sofortige Beschwerde eröffnet eine vollständige zweite Tatsacheninstanz (BGH, Beschl. v. 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, ZIP 2007, 188, 190 Rn. 20). Neues Vorbringen im Beschwerdeverfahren ist deshalb uneingeschränkt zu berücksichtigen (§ 571 Abs. 2 ZPO; vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 113; BGH, Beschl. v. 27. März 2008 - IX ZB 144/07, NZI 2008, 391 Rn. 6). Das gilt auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Eröffnungs- beschluss. Nach §§ 16, 17 InsO kommt es zwar auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Eröffnung an. Neues Vorbringen in der Beschwerdeinstanz, welches sich auf diesen Zeitpunkt bezieht, ist jedoch bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu beachten (BGHZ 169, 17, 20 f Rn. 9 f). Dass dies geschehen wäre, lässt der angefochtene Beschluss nicht erkennen. Der Schuldner hat vorgetragen, ab Eingang der zweiten Rate auf dem Anderkonto habe er über 44.000 € verfügen können; traf dies zu, war er im Zeitpunkt der Eröffnung nicht zahlungsunfähig, weil die festgestellten Verbindlichkeiten nur etwa 30.000 € betrugen.
8
d) Entgegen der Ansicht des Verwalters ist das Vorbringen des Schuldners nicht von vorneherein aus Rechtsgründen unerheblich. Der Schuldner war zwar nicht selbst Verkäufer des Nachlassgrundstücks. Über seinen Anteil an den einzelnen Nachlassgegenständen kann ein Miterbe nicht verfügen (§ 2033 Abs. 2 BGB). Das galt nicht nur für das Hausgrundstück, sondern auch für den Kaufpreisanspruch und den schließlich gezahlten Kaufpreis. Feststellungen zu weiterem Vermögen der Erbengemeinschaft oder vorab zu begleichenden Nachlassverbindlichkeiten (§ 2046 Abs. 1 BGB) gibt es jedoch nicht. Dann ist nicht ersichtlich, was einer sofortigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch Teilung des auf dem Anderkonto verwahrten Geldbetrages nach dem Verhältnis der Erbteile entgegengestanden hätte (§§ 2042, 2047 BGB). Sie hat ja auch tatsächlich bereits im September 2008 stattgefunden, unmittelbar nach der Neuberechnung der Forderung des Finanzamts. Erforderlichfalls hätte der Schuldner den Erbteil außerdem als Finanzierungsgrundlage einsetzen können.

III.


9
Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Dieses wird zu prüfen haben, ob der Vortrag des Schuldners zutrifft, er habe im Zeitpunkt der Eröffnung über einen die Forderung des Gläubigers deckenden Geldbetrag verfügen können.

IV.


10
Die Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses bleibt bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt (vgl. dazu BGHZ 169, 17, 29 Rn. 30 f). Ganter Gehrlein Vill Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
AG Mühlhausen, Entscheidung vom 29.08.2008 - 8 IN 16/08 -
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 17.10.2008 - 2 T 215/08 -
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit. (2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner sei
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published on 24/03/2016 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 32/15 vom 24. März 2016 in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GmbHG § 35 Abs. 2 Satz 1, §§ 38, 49, 51; AktG §§ 241 ff Gesellschafterbeschlüsse, d
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Beschwerde soll begründet werden.

(2) Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Sie kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

(3) Der Vorsitzende oder das Beschwerdegericht kann für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln eine Frist setzen. Werden Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht innerhalb der Frist vorgebracht, so sind sie nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Verfahrens nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

(4) Ordnet das Gericht eine schriftliche Erklärung an, so kann diese zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, wenn die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden darf (§ 569 Abs. 3).

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt voraus, daß ein Eröffnungsgrund gegeben ist.

(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.

(2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

(1) Jeder Miterbe kann über seinen Anteil an dem Nachlass verfügen. Der Vertrag, durch den ein Miterbe über seinen Anteil verfügt, bedarf der notariellen Beurkundung.

(2) Über seinen Anteil an den einzelnen Nachlassgegenständen kann ein Miterbe nicht verfügen.

(1) Aus dem Nachlass sind zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen. Ist eine Nachlassverbindlichkeit noch nicht fällig oder ist sie streitig, so ist das zur Berichtigung Erforderliche zurückzubehalten.

(2) Fällt eine Nachlassverbindlichkeit nur einigen Miterben zur Last, so können diese die Berichtigung nur aus dem verlangen, was ihnen bei der Auseinandersetzung zukommt.

(3) Zur Berichtigung ist der Nachlass, soweit erforderlich, in Geld umzusetzen.

(1) Jeder Miterbe kann jederzeit die Auseinandersetzung verlangen, soweit sich nicht aus den §§ 2043 bis 2045 ein anderes ergibt.

(2) Die Vorschriften des § 749 Abs. 2, 3 und der §§ 750 bis 758 finden Anwendung.

(1) Der nach der Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibende Überschuss gebührt den Erben nach dem Verhältnis der Erbteile.

(2) Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers, auf dessen Familie oder auf den ganzen Nachlass beziehen, bleiben gemeinschaftlich.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.