Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Apr. 2010 - IX ZB 217/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 1.205.641 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Unter dem 24. September 2008 beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der sich im November 2007 von seinem bisherigen Wohnsitz in D. nach S. / Frankreich abgemeldet hatte. Um die Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen und zu ermitteln, ob das Insolvenzgericht international zuständig ist, ordnete das Insolvenzgericht am 25. November 2008 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
- 2
- Mit Beschluss vom 23. März 2009 hat das Insolvenzgericht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse und zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Die Beschwerde des Schuldners gegen diese Anordnungen ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde macht der Schuldner weiter geltend, einen Wohnsitz in Frankreich zu haben. Neben der Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen begehrt er die Zurückweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig.
II.
- 3
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie auf Zurückweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerichtet ist. Insoweit fehlt es an einem tauglichen Angriffsgegenstand (MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 6 Rn. 12, 14). Das Insolvenzgericht hat über den Antrag der Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bislang nicht entschieden.
- 4
- 2. Die im Übrigen gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die nach § 574 Abs. 2 ZPO geltend gemachten Zulässigkeitsgründe liegen nicht vor; weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.
- 5
- a) Zwar setzt die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich einen zulässigen Insolvenzantrag voraus. Bei zweifelhaftem Gerichtsstand kön- nen aber berechtigte Sicherungsinteressen der Insolvenzgläubiger es gebieten, Sicherungsmaßnahmen vor der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags zu treffen, wenn sich das Insolvenzgericht letzte Gewissheit erst im weiteren Verfahrensablauf verschaffen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner bei der Aufklärung der zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungstatsachen nicht mitwirkt (BGH, Beschl. v. 22. März 2007 - IX ZB 164/06, ZInsO 2007, 440, 441 Rn. 11 ff). Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung wäre vorliegend gegen die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen selbst dann nichts einzuwenden, wenn die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, die von der Rechtsbeschwerde allein gerügt wird, noch nicht abschließend geklärt wäre.
- 6
- b) Soweit die Rechtsbeschwerde sich mit dem Verfahren auseinandersetzt und Rügen zur Annahme der internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts erhebt, aus denen wohl die Unzulässigkeit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen folgen soll, haben die aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Senats besteht nicht. Verfahrensgrundrechte des Schuldners hat das Beschwerdegericht nicht verletzt.
- 7
- aa) Dass bei Verfahren mit internationalem Bezug die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zu prüfen ist, bedarf keiner Klärung. Eine Abweichung des Beschwerdegerichts von dieser Vorschrift ist nicht festzustellen. Das Beschwerdegericht hat sich auf mehreren Seiten seiner Entscheidung ausführlich mit der Frage der Zuständigkeit französischer Gerichte für ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners auseinandergesetzt.
- 8
- bb) Die Sache erfordert auch nicht die Aufstellung neuer Leitsätze zu den Maßstäben, die an die Bejahung der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das Insolvenzgericht zu stellen sind. Diese sind geklärt. Nach einhelliger Meinung muss sich das Insolvenzgericht insoweit eine persönliche Überzeugung verschaffen , die dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO entspricht (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 2009 - IX ZB 113/08, Rn. 2 f). Dieses Beweismaß hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat die Feststellungen des Insolvenzgerichts zur internationalen Zuständigkeit umfassend gewürdigt.
- 9
- cc) Die von der Rechtsbeschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob § 16 ZPO im Rahmen des Insolvenzverfahrens anwendbar sein kann, wenn die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedsstaates nach Art. 3 EuInsVO in Betracht kommt, ist nicht klärungsbedürftig. Der Senat hat hierzu bereits ausgeführt, wenn Art. 3 EuInsVO nicht anwendbar sei, richte sich die Zuständigkeit gemäß § 13 ZPO nach dem Wohnsitz des Schuldners. Bei wohnsitzlosen Personen sei gemäß § 16 ZPO allgemeiner Gerichtsstand der Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt sei, der Ort des letzten Wohnsitzes. Habe die Person einen Wohnsitz im Ausland, sei dagegen § 16 ZPO nicht anwendbar (BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010 - IX ZB 76/09, ZInsO 2010, 348 Rn. 3). Hier hat das Beschwerdegericht die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausgeschlossen. Über einen Wohnsitz im Inland verfügt der Schuldner nicht. Mithin konnte zur Bestimmung der Zuständigkeit § 16 ZPO herangezogen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010 aaO S. 348 f Rn. 4).
- 10
- dd) Der von der Rechtsbeschwerde gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor. Die Rechtsbeschwerde versucht, ihre eigene Würdigung an die Stelle der Würdigung des Beschwerdegerichts zu setzen. Ihrem Vorbringen kann jedoch nicht entnommen werden, dass das Beschwerdegericht bestimmte Umstände nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hat (BVerfGE 86, 133, 145 f; 96, 205, 216 f; BGHZ 154, 288, 300). Es liegt nahe, bei einem Schuldner, der zunächst in seinen eidesstattlichen Versicherungen unterschiedliche Wohnsitze in Frankreich angibt, um dann zu erklären, dass er sich dort tatsächlich gar nicht aufgehalten, sondern ganz woanders in Frankreich gewohnt habe, erhebliche Bedenken bezüglich seiner Angaben zu haben. Wenn das Gericht bei dieser Sachlage aufgrund der weiter ermittelten Umstände zu dem Ergebnis kommt, dass eine Wohnsitzverlegung ins Ausland zum für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung nicht vorgelegen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 13. November 2008 - IX ZB 201/07, ZInsO 2008, 1382, 1383 Rn. 8), ist dagegen nichts zu erinnern.
- 11
- Die weiteren, von der Rechtsbeschwerde gerügten Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze hat der Senat geprüft. Zulassungsrelevante Rechtsverlet- zungen haben sich nicht ergeben. Von einer weiteren Begründung wird nach § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
Pape Grupp
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.03.2009 - 500 IN 207/08 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.08.2009 - 25 T 287/09 -
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Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die keinen Wohnsitz hat, wird durch den Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt.
Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch den Wohnsitz bestimmt.
Der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die keinen Wohnsitz hat, wird durch den Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.