Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Mai 2004 - IV ZB 29/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluß der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 26. Mai 2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 7. August 2003 und gegen denweiteren Beschluß vom 7. August 2003 werden auf Kosten des Beklagten verworfen.
3. Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 3.898,60 €
Gründe:
I. Das Amtsgericht Hannover hat den Beklagten zur Zahlung von 3.898,60 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Mahnkosten verurteilt. Das Urteil vom 24. Januar 2003 ist seiner Prozeßbevollmächtigten am
21. Februar 2003 zugestellt worden. Die hiergegen mit Schriftsatz vom 17. März 2003 eingelegte Berufung ist am 24. März 2003 beim Landgericht Hannover eingegangen und unter dem Aktenzeichen 13 S 26/03 registriert worden. Mit Verfügung vom 8. Mai 2003 hat die Vorsitzende der 13. Zivilkammer der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten mitgeteilt, daß die gegen das am 21. Februar 2003 zugestellte Urteil eingelegte Berufung erst am 24. März 2003 und damit verspätet eingegangen sei. Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten antwortete darauf mit Schriftsatz vom 15. Mai 2003 unter den Aktenzeichen 13 S 26/03 und 11 S 22/03, die Berufung sei rechtzeitig beim Landgericht Hannover eingegangen. Das ergebe sich daraus, daß sie die Berufungsbegründung in den Osterfeiertagen an das Landgericht gefaxt und sie außerdem persönlich am 22. April 2003 beim Landgericht abgegeben habe. Die Vorsitzende der 13. Zivilkammer hat daraufhin am 22. Mai 2003 die Akten mit der Bitte um Übernahme der Sache an die 11. Zivilkammer geschickt, weil dort die Berufung per Fax vor der bei der 13. Zivilkammer eingegangenen Berufung eingelegt worden sein solle. Unter dem 23. Mai 2003 hat die Vorsitzende der 11. Zivilkammer die Akten an die 13. Zivilkammer zurückgesandt , da bei der 11. Zivilkammer eine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts nicht festgestellt werden konnte. Nachfolgend befindet sich in der Akte ein Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten vom 17. April 2003, beim Landgericht eingegangen am 22. April 2003, der mit "Einlegung der Berufung" überschrieben ist und mit dem (nochmals ) Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und zugleich begründet wurde. Diese Berufung hatte das Aktenzeichen 11 S 22/03 erhalten.
Durch Beschluß vom 26. Mai 2003 verwarf die 13. Zi vilkammer die Berufung als unzulässig, weil das Rechtsmittel gegen das am 21. Februar 2003 zugestellte Urteil erst am "24.2.2003" eingelegt worden sei. Dieser Beschluß ist der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am 10. Juli 2003 zugestellt worden. Am 23. Juli 2003 hat sie gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung beantragt.
Durch Beschluß vom 7. August 2003 hat das Landgeri cht das im Beschluß vom 26. Mai 2003 genannte Datum des Eingangs der Berufung "24.2.2003" auf den "24.3.2003" berichtigt. Durch weiteren Beschluß vom selben Tage hat es den Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist zurückgewiesen. Der Antrag sei verspätet gestellt worden, weil die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten spätestens am 15. Mai 2003 Kenntnis davon gehabt habe, daß die Berufung verspätet eingelegt worden sei.
Der Beklagte hat gegen den die Berufung verwerfend en Beschluß vom 26. Mai 2003 am 11. August 2003 und gegen den die Wiedereinsetzung ablehnenden, am 15. September 2003 zugestellten Beschluß vom 7. August 2003 am 10. Oktober 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt.
II. Die Rechtsbeschwerden sind statthaft (§ 574 Ab s. 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie sind aber nicht zulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die von der Beschwerde geltend gemachten Zulässigkeitsgründe sind nicht gegeben.
1. Nach Ansicht der Beschwerde wirft die Sache die grundsätzliche Frage auf, wie weit die Hinweispflichten des § 139 ZPO reichen. Das Landgericht habe den Beklagten darauf hinweisen müssen, daß seine Prozeßbevollmächtigte den Hinweis der Vorsitzenden vom 8. Mai 2003 auf die verspätete Einlegung der Berufung offenbar mißverstanden habe, weil ihr Schriftsatz vom 15. Mai 2003 nur Angaben zum Zeitpunkt der Rechtzeitigkeit der Berufungsbegründung enthalte. Die Hinweispflicht habe auch deswegen bestanden, weil das Landgericht die Berufung offenbar versehentlich fehlerhaft unter zwei getrennten Aktenzeichen geführt habe. Wäre der Hinweis erfolgt, hätte der Beklagte innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragen und dazu das vortragen können, was im späteren Schriftsatz vom 23. Juli 2003 enthalten sei.
Die grundsätzlichen Fragen der Hinweis- und Fürsor gepflicht des mit der Sache befaßten Gerichts, bei Rechtsbehelfen einer drohenden Fristversäumnis der Partei entgegenzuwirken, sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2001, 1343; 1995, 3173, 3175 f.; zur entsprechenden Fürsorgepflicht von Behörden NJW 2002, 3692 f.) und des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 18. September 2003 - IX ZB 40/03 - NJW 2004, 71 unter III 4; vom 15. Januar 2001 - II ZB 1/00 - NJW 2001, 1430 unter II 3; vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00 - NJW-RR 2000, 1730 unter II 2; vom 3. September 1998 - IX ZB 46/98 - VersR 1999, 1170 unter 2 a; vom 11. Februar 1998 - VIII ZB 50/97 - NJW 1998, 2291 unter II 2 c; vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - NJW 1998, 908 unter II 2 und öfter) hinreichend geklärt. Danach folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens, daß das Gericht nicht sehenden Auges zu-
lassen darf, daß ein offenbares Versehen einer Partei zur Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist führt. Vielmehr hat es bei ohne weiteres erkennbaren Fehlern im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs darauf hinzuweisen , um der Fristversäumnis entgegenzuwirken. Welche weiteren durch die genannte Rechtsprechung nicht geklärten grundsätzlichen und entscheidungserheblichen Fragen sich hier stellen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
2. Die Beschwerde meint weiter, der Zulässigkeitsg rund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei gegeben. Aufgrund des unterbliebenen Hinweises des Landgerichts sei der Beklagte in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Auch das trifft nicht zu. Zunächst einmal ist der Beklagte durch die Verfügung der Vorsitzenden vom 8. Mai 2003 unmißverständlich auf den verspäteten Eingang der Berufung hingewiesen worden. Dazu hätte seine Prozeßbevollmächtigte, gegebenenfalls nach Akteneinsicht, Stellung nehmen und rechtzeitig Wiedereinsetzung beantragen können. Die Vorsitzende war nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verpflichtet, den Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten vom 15. Mai 2003 nach dem Eingang am 16. Mai 2003, einem Freitag, ohne Rücksicht auf die sonstigen Dienstgeschäfte zum Zweck weiterer rechtlicher Hinweise sofort auf etwaige Mißverständnisse der Rechtsanwältin zu überprüfen. Es war zudem nicht ohne weiteres erkennbar, daß diese die Verfügung vom 8. Mai 2003 mißverstanden hatte. In dem Schriftsatz wird behauptet, die Berufung sei rechtzeitig eingegangen. Dazu passen die Ausführungen zur Einreichung der Berufungsbegründung am 22. April 2003 allerdings nicht. Eine solche lag der
13. Zivilkammer ausweislich der Aktenblattierung am 16. Mai 2003 noch nicht vor. Da im Schriftsatz vom 15. Mai 2003 neben dem Aktenzeichen 13 S 26/03 auch das Aktenzeichen 11 S 22/03 angegeben ist, war es naheliegend, zunächst zu prüfen, ob dieselbe Sache auch bei der 11. Zivilkammer anhängig ist und die Berufung entsprechend der Behauptung im Schriftsatz dort rechtzeitig eingegangen war. So ist auch verfahren worden. Dabei hat sich gezeigt, daß die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten am 22. April 2003 ohne Angabe eines Aktenzeichens nochmals Berufung eingelegt und gleichzeitig begründet hatte, die das Aktenzeichen 11 S 22/03 erhielt. Seit 7. April 2003 war ihr aber bekannt, daß die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts unter dem Aktenzeichen 13 S 26/03 geführt wird. Die Vergabe von zwei Aktenzeichen beruht daher nicht auf einem Fehler des Gerichts, sondern auf mangelnder Übersicht der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten.
Terno Seiffert Wendt Dr. Kessal-Wulf Felsch
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.