Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2012 - III ZB 47/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerde beträgt 10.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Gewinnzusage auf Zahlung von 10.000 € nebst Zinsen in Anspruch und hat vor dem Landgericht ein klage- stattgebendes Urteil erwirkt. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 23. März 2012 zugestellt worden. Am 29. März 2012 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2012, eingegangen am 4. Juni 2012, hat er hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und seine Berufung begründet.
- 2
- Der Beklagte hat zu seinem Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen, der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe bei Eingang des landgerichtlichen Urteils verfügt, dass sofort Berufung gegen die Entscheidung eingelegt und die Berufungsbegründungsfrist notiert werde. Diese Verfügung sei beim Diktat und auch durch Markierung des Urteils mit einem roten "F" erfolgt. Die seit 15 Jahren für die Eintragung und Überwachung der Fristen zuständige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte O. , die bislang stets gewissenhaft und ohne Beanstandungen gearbeitet habe, habe es dann aber versäumt, die Berufungsbegründungsfrist zu notieren. Zur Glaubhaftmachung hat der Beklagte eidesstattlich versicherte Erklärungen des Rechtsanwalts und der Fachangestellten O. vorgelegt.
- 3
- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, die Versäumung der Rechtsmittelfrist beruhe auf einem dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten. Ausweislich der eidesstattlich versicherten Erklärung der Fachangestellten O. sei die Akte Anfang Mai 2012 zur Fristenkontrolle wieder vorgelegt, hierbei aber nicht überprüft worden, ob die Begründungsfrist notiert worden sei. Wenn der Rechtsanwalt es aber - pflichtwidrig - unterlasse, bei Vorlage der Akte die Notierung der Berufungsbegründungsfrist zu prüfen, so falle ihm ein eigenes Verschulden zur Last. Er dürfe sich nach der Aktenvorlage nicht mehr darauf verlassen , dass ihn sein Personal rechtzeitig an den Fristablauf erinnern werde.
- 4
- Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
- 5
- Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte sowie rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen.
- 6
- 1. Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht schuldlos versäumt worden.
- 7
- a) Es gehört zu den Pflichten des Rechtsanwalts bei der Unterzeichnung der Berufungsschrift, die Notierung der Berufungsbegründungsfrist auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, und zwar unbeschadet der Frage, ob dem Rechtsanwalt die Berufungsschrift zusammen mit der Handakte vorgelegt wird. Überlässt der Rechtsanwalt die Berechnungen und Notierungen von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisung zur Berechnung und Notierung laufender Rechts- mittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf. Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist, so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist (Senat, Beschluss vom 22. September 2011 - III ZB 25/11, BeckRS 2011, 24117 Rn. 8 mwN).
- 8
- b) Nach diesen Maßgaben hat der Beklagte ein (ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes) Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nicht auszuräumen vermocht.
- 9
- aa) Abzustellen ist insoweit zunächst allein auf diejenigen Angaben, die der Beklagte in seinem Wiedereinsetzungsantrag vom 1. Juni 2012 mitgeteilt hat. Denn die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen müssen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich bereits im Wiedereinsetzungsantrag enthalten sein; jedenfalls sind sie innerhalb der für die Wiedereinsetzung geltenden Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2010 - III ZB 63/09, BeckRS 2010, 16574 Rn. 14 mwN). Zulässig ist nur die Ergänzung von fristgerecht gemachten, aber erkennbar unklaren oder unvollständigen Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2010 aaO mwN).
- 10
- bb) In dem Wiedereinsetzungsantrag findet sich keine Angabe dazu, dass und in welcher Weise im Zusammenhang mit der - dem Diktat des sachbearbeitenden Rechtsanwalts nachfolgenden - Unterzeichnung der Berufungsschrift eine eigene Überprüfung der (ebenfalls im Diktat verfügten) Notierung der Berufungsbegründungsfrist geschehen sei. Da diese Frist nicht notiert wor- den sein soll, konnte eine solche Überprüfung tatsächlich auch nicht erfolgt sein. Bereits dies fällt den Prozessbevollmächtigten des Beklagten als eigenes Versäumnis zur Last.
- 11
- Hinzu kommt, worauf das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat, dass sich aus der eidesstattlich versicherten Erklärung der Fachangestellten O. entnehmen lässt, dass eine solche anwaltliche Kontrolle auch nicht im Zusammenhang mit "Wiedervorlagen" zum Zwecke der Fristenprüfung durchgeführt worden ist. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Text der eidesstattlich versicherten Erklärung der Fachangestellten O. ("Im Rahmen der hier stetig durchgeführten Wiedervorlagen … ist die Akte auch Anfang Mai wieder vorgelegt worden.") nicht dahin zu verstehen, dass mit "Wiedervorlage" die Wiedervorlage an Frau O. gemeint ist oder auch nur gemeint sein könnte. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass es um die "Wiedervorlage" an den sachbearbeitenden Rechtsanwalt ging. Die Anweisung zu einer "Wiedervorlage" wird typischerweise in einer Verfügung des Sachbearbeiters getroffen und bezieht sich auf eine Vorlage der Akte an ihn. Dass Frau O. hier selbst in diesem Sinne als Sachbearbeiterin verfügt und somit eine Anweisung etwa gegenüber dritten Kanzleiangestellten getroffen haben könnte, ist weder mitgeteilt worden noch sonst - auch nur im Ansatz - ersichtlich gewesen. Zur Frage der nachfolgenden Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt enthält der (vom sachbearbeitenden Rechtsanwalt eidesstattlich versicherte) Vortrag im Schriftsatz vom 1. Juni 2012 nichts Weiteres. Es bestand sonach keine erkennbare Unklarheit oder Unvollständigkeit, die einen Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO erfordert und mithin neues Vorbringen nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist gestattet hätte.
- 12
- cc) Unbeschadet dessen vermögen die mit der Rechtsbeschwerdebegründung vorgelegten weiteren eidesstattlich versicherten Erklärungen des sachbearbeitenden Rechtsanwalts und der Fachangestellten O. vom 24. August 2012 ein fehlendes Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht in genügender Weise darzulegen.
- 13
- Die eidesstattlich versicherte Erklärung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts vom 24. August 2012 enthält wiederum keine Angaben dazu, dass und in welcher Weise im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Berufungsschrift eine eigene Überprüfung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist geschehen wäre. Sie klärt - in gebotener Zusammenschau mit den Ausführungen in der eidesstattlich versicherten Erklärung der Fachangestellten O. vom 1. Juni 2012 - auch nicht zureichend auf, ob mit "Wiedervorlage" nun die Vorlage der Handakten an den Rechtsanwalt oder an Frau O. oder an beide Personen (im Sinne einer zweifachen - gestuften - "Wiedervorlage") gemeint war. Letzteres gilt auch für die eidesstattlich versicherte Erklärung der Fachangestellten O. vom 24. August 2012.
- 14
- 2. Mangels Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist ist die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen worden.
Tombrink Remmert
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 15.03.2012 - 5 O 814/11 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 05.06.2012 - 12 U 42/12 -
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Annotations
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.