Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2013 - I ZR 64/13

published on 17/07/2013 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2013 - I ZR 64/13
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Landgericht Konstanz, 8 O 60/08, 11/02/2011
Oberlandesgericht Karlsruhe, 4 U 63/11, 22/02/2013

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZR 64/13
vom
17. Juli 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Rechtsanwalt, der einem anderen Rechtsanwalt einen Rechtsmittelauftrag
per E-Mail zuleitet, darf nicht allein wegen der Absendung der E-Mail auf deren
ordnungsgemäßen Zugang beim Adressaten vertrauen. Er muss vielmehr organisatorische
Maßnahmen ergreifen, die ihm eine Kontrolle des ordnungsgemäßen
Zugangs ermöglichen.
BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 - I ZR 64/13 - OLG Karlsruhe
LG Konstanz
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler

beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. Februar 2013 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil wird auf ihre Kosten verworfen. Beschwerdewert: 800.000 €

Gründe:


1
I. Die Parteien streiten um Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit dem Parallelimport von Pflanzenschutzmitteln. Das Berufungsgericht hat die in erster Instanz überwiegend erfolgreiche Klage abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.
2
Das Berufungsurteil ist den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in vollständig abgefasster Form am 28. Februar 2013 zugestellt worden. Mit ihrer beim Bundesgerichtshof am 12. April 2013 eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen die unterlassene Zulassung der Revision im Berufungsurteil. Zugleich hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil beantragt.
3
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
4
1. Die Klägerin hat die Nichtzulassungsbeschwerde nicht fristgerecht beim Bundesgerichtshof eingereicht.
5
Gemäß § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist die Beschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Für den Fristbeginn kommt es danach grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Zustellung an. Das Berufungsurteil ist der Klägerin in vollständig abgefasster Form am 28. Februar 2013 zugestellt worden, mithin war die Notfrist von einem Monat bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 12. April 2013 überschritten.
6
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 233 ZPO kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen. Dabei ist der Klägerin das Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
7
a) Die Klägerin hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen , die Fristversäumung habe ihre Ursache in einem technischen Fehler im E-Mail-System des mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beauftragten Rechtsanwalts beim Bundesgerichtshof gehabt. Das technische Versagen des Systems sei weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen. E-Mail- Nachrichten könnten diese Kanzlei über drei unterschiedliche E-Mail-Adressen erreichen. Die eingehenden Nachrichten würden an die eingerichteten Endgeräte (Computer, iPad, Blackberry, I-Phone und häuslichen Laptop) synchron weitergeleitet. Am Abend des 27. März 2013 habe Rechtsanwalt Dr. v. P. festgestellt , dass über eine der drei E-Mail-Adressen keine Nachrichten eingegangen seien. Dieser Fehler sei der zuständigen Wartungsfirma am Morgen des 28. März 2013 mitgeteilt worden, die den Fehler vermeintlich behoben habe. Nachdem am Abend des 28. März 2013 weiterhin keine Nachrichten über die gestörte E-Mail-Adresse eingegangen seien, sei eine erneute Überprüfung veranlasst worden. Um 0.20 Uhr des Folgetages seien die am Vortag eingegangenen Nachrichten zu empfangen gewesen.
8
Wegen der technischen Schwierigkeiten sei die per E-Mail vorgenommene Beauftragung zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 28. März 2013 in der Kanzlei des beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zunächst nicht bemerkt worden. Dem Auftrag zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sei zwar ein Telefonat zwischen dem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt Dr. v. P. und dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. O. am 27. März 2013 vorausgegangen. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte habe in diesem Gespräch jedoch darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich noch nicht endgültig entschieden habe , ob sie gegen das Berufungsurteil mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vorgehen wolle.
9
b) Mit diesem Vorbringen kann die Klägerin ein ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten , die es versäumt haben, den Eingang des Rechtsmittelauftrags bei dem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu kontrollieren, nicht ausräumen.
10
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nur dann, wenn er bei Schriftsätzen, die auf diese Weise übermittelt wurden, anhand des Sendeprotokolls überprüft (oder durch eine zuverlässige Kanzleikraft überprüfen lässt), ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, weil mögliche Fehlerquellen nur so mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2004 - XII ZB 27/03, NJW 2004, 3490, 3491; Beschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07, NJW 2008, 2508 Rn. 11; Beschluss vom 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09, NJW 2010, 3101 Rn. 8).
11
Gleiches hat für die Übersendung einer E-Mail zu gelten, mit der ein beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt beauftragt wird, ein Rechtsmittel einzulegen. Auch insoweit besteht die Gefahr, dass eine E-MailNachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines E-MailProgramms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. OLG Düsseldorf , NJW 2003, 833, 834).
12
bb) Eine diesen Anforderungen genügende Kontrolle in der Kanzlei ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin nicht dargetan. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Weisung zur Kontrolle bestanden hat, ob ein per E-Mail erteilter Rechtsmittelauftrag den Adressaten auch tatsächlich erreicht hat. Wäre eine Kontrolle anhand einer Lesebestätigung der E-Mail erfolgt oder hätte der sachbearbeitende zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte eine solche Kontrolle selbst vorgenommen, hätte noch rechtzeitig vor Ablauf der Einlegungsfrist festgestellt werden können, dass der Auftrag zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde den beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zunächst nicht erreicht hatte. Die E-Mail, die den Rechtsmittelauftrag enthielt, wurde am 28. März 2013 um 10.08 Uhr versandt.
13
Anlass für eine Nachfrage, ob der Rechtsmittelauftrag ordnungsgemäß beim Adressaten eingegangen war, hat vor allem auch deshalb bestanden, weil der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der E-Mail vom 28. März 2013 ausdrücklich um eine Bestätigung der Übernahme des Mandats gebeten hatte. Die ausbleibende Bestätigung hätte den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst recht veranlassen müssen, sich bei Rechtsanwalt Dr. v. P. nach dem erteilten Auftrag zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu erkundigen.
14
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Büscher
Koch Löffler
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 11.02.2011 - 8 O 60/08 KfH -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 22.02.2013 - 4 U 63/11 -
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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)