Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2020 - 5 StR 628/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 9. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts versuchte die damals 79 Jahre alte Angeklagte, sich und ihren pflegebedürftigen dementen Ehemann durch Schlaftabletten zu vergiften. Die mit der Betreuung überforderte und deshalb aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich verminderte Angeklagte verabreichte ihrem arglosen Mann 20 Tabletten, wobei sie ihn bewusst in der irrigen Annahme ließ, es handele sich um die ihm ärztlich verordneten und vom Pflegedienst bereit gelegten Medikamente , um so auch instinktive Widerstandshandlungen zu unterbinden. Anschließend nahm sie die gleiche Dosis ein und schrieb in der Erwartung, sie würden beide sterben, einen Abschiedsbrief an ihre Kinder. Das Ehepaar überlebte ohne bleibende Schäden; der Geschädigte lebt jetzt in einem Pflegeheim.
- 3
- Zur Widerlegung ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung, ihr Ehemann habe aufgrund eigenen Entschlusses die Tabletten selbst eingenommen, hat sich die Strafkammer ganz wesentlich auf Angaben der Angeklagten gestützt, die sie im Krankenhaus gegenüber einer Polizeibeamtin gemacht hatte („Nee, nee, ich wollte uns beide umbringen.“).
- 4
- Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt angesehen. Der Geschädigte sei zum Tatzeitpunkt in der Lage gewesen, Angehörige und Personen aus seinem Umfeld zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen. Er habe sich keines Angriffs durch die Angeklagte versehen und sei aufgrund seiner Arglosigkeit auch wehrlos gegenüber dem tödlichen Angriff gewesen. Diese Umstände seien der Angeklagten bewusst gewesen und sie habe sie zur Tatbegehung ausgenutzt. Ein Vorgehen in feindlicher Willensrichtung liege vor, weil die Tötung weder dem Willen des Geschädigten entsprochen noch in seinem wohlverstandenen Interesse gelegen habe.
- 5
- 2. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
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- a) Die Verfahrensrügen sind jedenfalls unbegründet (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts). Insbesondere teilt der Senat die Auffassung des 2. Strafsenats, wonach der Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StPO lediglich ein relatives Beweisverwertungsverbot zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 – 2 StR 163/17, NStZ 2018, 671). Die danach gebotene Abwägung führt hier angesichts des hohen Verfolgungs- und Aufklärungsinteresses des Staates bei einem (versuchten) Tötungsdelikt und der Tatsache, dass keine bewusste Umgehung der Belehrungsvorschriften vorlag (fehlerhafter Belehrungsvordruck), auch unter Berücksichtigung der Schwere des Verstoßes im Hinblick auf die Rechtsposition der Angeklagten zur Verwertbarkeit ihrer Angaben.
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- b) Auf der Grundlage der Feststellungen des Schwurgerichts ist die Annahme heimtückischen Handelns und insbesondere einer feindseligen Willensrichtung rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2019 – 5 StR 128/19, NStZ 2019, 719, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Die Beweiswürdigung zur der trotz Defiziten erhaltenen Arg- und darauf beruhenden Wehrlosigkeit des Geschädigten ist weder widersprüchlich noch sonst aus Rechtsgründen zu beanstanden.
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- 3. Allerdings kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Der Generalbundesanwalt hat dazu zutreffend ausgeführt: „Diestrafschärfenden Erwägungen (UA S. 26) verstoßen in ihrer Gesamtheit weitgehend gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Sie reformulieren letztlich das Verbot der Tötung nach § 212 Abs. 1 StGB sowie Unrechtselemente des Mordmerkmals der Heimtücke. Dies betrifft insbesondere den Aspekt, dass die Angeklagte den mutmaßlichen Willen des Geschädigten völlig außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand beschreibt die zum Tatbestand gehörende feindselige Willensrichtung der Ange- klagten (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juni 2019 – 5 StR 128/19) und kann deshalb nicht strafschärfend herangezogen werden.“
- 9
- Der Senat kann – trotz der zweifachen Strafrahmenverschiebung – angesichts weiterer Milderungsgründe nicht ausschließen, dass die Strafe ohne die Berücksichtigung dieser strafschärfenden Erwägungen geringer ausgefallen wäre.
- 10
- 4. Die Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
Mosbacher Köhler
Vorinstanz:
Leipzig, LG, 21.08.2019 - 305 Js 34561/18 1 Ks
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.