Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Jan. 2011 - 5 StR 569/10

published on 26/01/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Jan. 2011 - 5 StR 569/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 569/10
(alt: 5 StR 143/10)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Totschlag u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 22. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten zunächst mit Urteil vom 3. Dezember 2009 wegen eines am 19. Dezember 2001 begangenen Totschlags – in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge – unter Einbeziehung einer Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 20. Mai 2009 zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Senat hat mit Beschluss vom 18. Mai 2010 (5 StR 143/10, StraFo 2010, 296) den Schuldspruch auf Beihilfe umgestellt und den Strafausspruch hinsichtlich der Höhe der Jugendstrafe – unter Aufrechterhaltung sämtlicher Feststellungen – aufgehoben.
2
Nunmehr hat das Landgericht – wiederum unter Einbeziehung der genannten Verurteilung – auf eine Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren erkannt. Die Bemessung dieser Strafe enthält durchgreifende Rechtsfehler. Dies begründet die Revision.
3
1. Das Landgericht war zwar durch den zurückverweisenden Senatsbeschluss hier nicht gehindert, das Vorliegen von schädlichen Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG auf neue Feststellungen zu polnischen Vorverurteilungen zu stützen, wozu es im vorangegangenen Urteil an Feststellungen gefehlt hatte. Das Landgericht durfte daher – wie geschehen – auf vier vor der verfahrensgegenständlichen Tat vom 19. Dezember 2001 in Polen begangene Diebstahlstaten abstellen. Indes enthält die Begründung des Landgerichts , warum schädliche Neigungen noch zum Urteilszeitpunkt bestanden haben und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (BGH, Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 mwN), den Angeklagten belastende Wertungsfehler.
4
aa) Das Landgericht entnimmt dem Verhalten des Angeklagten in der seit dem 12. Mai 2009 andauernden Untersuchungshaft keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung seiner bisherigen Lebensauffassung und den Abbau seiner in der Tat vom 19. Dezember 2001 deutlich gewordenen Gewaltbereitschaft (UA S. 11). Diese Wertung wird jedoch durch den im Urteil UA S. 9 referierten Bericht der JVA Wulkow nicht im Mindesten belegt. Die weitere Würdigung des Verhaltens des Angeklagten (UA S. 6), er trete unauffällig in Erscheinung, verhalte sich angemessen, verfolge die ihm erteilten Weisungen diskussionslos und wirke bei auftretenden Problemen mitunter verbal aggressiv und bedrohlich, bildet ebenfalls keine Grundlage für die Annahme einer seit 2001 fortdauernden Gewaltbereitschaft.
5
bb) Soweit das Landgericht zur weiteren Begründung darauf abstellt, der Angeklagte habe in der erneuten Hauptverhandlung nicht zu erkennen gegeben, dass er Reue oder Bedauern in Bezug auf die rechtskräftig festgestellte Tat empfinde (UA S. 11), besorgt der Senat, dass die Jugendkammer eine in fortdauernder Untersuchungshaft bei dem im gesamten Verfahren zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten gar nicht zu erwartende Aufarbeitung der Straftat dem Angeklagten benachteiligend angelastet hat.
6
cc) Der Senat kann eine weitere Gewaltbereitschaft des Angeklagten auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Das Landgericht hat eine Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Słubice vom 16. März 2009 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen einer auf dem Bahnhof von Kostrzyn am 29. März 2008 begangenen Schlägerei und Körperverletzung in diesem Zusammenhang nicht bewertet. Indes ist mangels jeder näheren Darlegung der Tatumstände die Annahme, aus diesen spreche eine auf der Hand liegende und seit 2001 fortdauernde Gewaltbereitschaft, nicht möglich.
7
2. Das Landgericht hat es unterlassen, die infolge des referierten Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 29. Oktober 2009 bewilligte Auslieferung des Angeklagten zur Vollstreckung eines Strafrestes von über acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Słubice vom 16. März 2009 in Polen in seine Erwägungen zur Bewertung eines Gesamtstrafübels einzubeziehen.
8
Hätte es sich hierbei um die Verurteilung eines deutschen Gerichts gehandelt, wäre eine Einbeziehung des Urteils gemäß § 105 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG möglich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 143/10 mwN). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2010 (5 StR 432/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19) näher dargelegt, dass eine vollstreckte ausländische Vorverurteilung, die an innerstaatlichen Maßstäben gemessen gesamtstrafenfähig wäre, im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel zu berücksichtigen ist. Dies gilt wegen gleicher Interessenlage auch bei einer – wie hier – sicher zu vollstreckenden Strafe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und für die hier festzusetzende Jugendstrafe wegen einer Tat eines seit vielen Jahren erwachsenen Heranwachsenden. Das Landgericht hat die Jugendstrafe nämlich mangels kaum noch möglicher Erziehung des Angeklagten nicht – wie es § 18 Abs. 2 JGG an sich gebietet – an der Zeitdauer der erforderlichen erzieherischen Einwirkung ausrichten können, sondern auf Schuldgesichtspunkte abgestellt (UA S. 12). Somit ist auch bei der Bemessung einer Jugendstrafe unter diesen Prämissen Raum zur Berück- sichtigung eines im allgemeinen strafzumessungsrechtlichen Sinne verstandenen Gesamtstrafübels (vgl. BGH aaO).
9
3. Die ergänzenden Feststellungen im angefochtenen Urteil hebt der Senat auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu berufene Tatgericht wird die Strafe aufgrund der im ersten Urteil getroffenen, vom Senat aufrechterhaltenen Feststellungen neu zu bemessen haben. Zulässig sind lediglich solche ergänzenden Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen. Es besteht Anlass zu dem Hinweis, dass auch die Feststellungen zur Person des Angeklagten nicht – wie im angegriffenen Urteil fälschlicherweise geschehen – neu zu treffen sind.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.

(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.