Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2020 - 5 StR 564/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerinnen am 8. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl, die Angeklagte W. zudem wegen Betruges, jeweils unter Einbeziehung weiterer Urteile zu Einheitsjugendstrafen von zwei Jahren und neun Monaten (O. ) bzw. zwei Jahren und sechs Monaten (W. ) verurteilt. Ihre jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen sind im Umfang der Beschlussformel erfolgreich.
- 2
- 1. Zu der gemeinsam begangenen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass die infolge Alkoholkonsums erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Nebenkläger zusammen mit den beiden Mitangeklagten und einem gesondert Verfolgten nach einem gemeinschaftlichen Zechgelage durch Faustschläge und Tritte – die Angeklagte W. zudem durch Schläge mit einem Besenstiel – misshandelten und ihm hierdurch erhebliche, akut lebensgefährliche Verletzungen zufügten. Aufgrund eines neuen gemeinsamen Tatentschlusses nahmen sie und ein Mitangeklagter dem verletzungsbedingt völlig Wehrlosen sodann einen Bargeldbetrag von 50 Euro aus der Geldbörse, den sie für sich verwendeten.
- 3
- 2. Zu den Schuldsprüchen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Jedoch halten die Rechtsfolgenaussprüche rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Fehlen einer hinreichend konkreten Behandlungsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB nicht hinreichend belegt ist.
- 4
- a) Die sachverständig beratene Jugendkammer hat bei der zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten O. eine Alkoholabhängigkeit, bei der zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten W. einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und mithin bei beiden einen Hang gemäß § 64 StGB bejaht. Sie lässt bei beiden Angeklagten jeweils dahinstehen, ob – wie vom Sachverständigen bejaht und nach den Feststellungen naheliegend – die Tat auf den Hang zurückzuführen ist und infolge des Hangs weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Denn es fehlten jedenfalls die notwendigen Erfolgsaussichten der Unterbringung. Diese Einschätzung stützt die Jugendkammer allein darauf, dass die Angeklagten eine stationäre Entzugstherapie „ausdrücklich und vehement“ ab- lehnten und deshalb auszuschließen sei, „dass die Therapiebereitschaft der Angeklagten in einer entsprechenden Einrichtung noch geweckt werden könne“ (UA S. 58, 61).
- 5
- b) Damit wird die Jugendkammer den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht, die an die Verneinung einer konkreten Erfolgsaussicht zu stellen sind. Zwar kann mangelnde Therapiebereitschaft gegen die Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sprechen. In einem solchen Fall ist es aber geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des angenommenen Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine ernsthafte Therapiewilligkeit für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 – 3 StR 177/17). An der danach notwendigen Gesamtwürdigung aller für die Prüfung der Erfolgsaussicht wesentlichen Umstände fehlt es. Angesichts des Alters der Angeklagten, ihrer von der Jugendkammer festgestellten Einsicht in ihre Alkoholprobleme und – jedenfalls im Fall der Angeklagten O. – auch in die Notwendigkeit professioneller Hilfe sowie Ansätzen positiver Entwicklungen in der Untersuchungshaft hätte die – zudem insoweit ohne Wiedergabe der Beurteilung durch den Sachverständigen erfolgte – Verneinung einer Erfolgsaussicht der Maßregel nach § 64 StGB eingehenderer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 – 3 StR 513/12, NStZ-RR 2013, 241, 242).
- 6
- c) Der Senat hebt deshalb jeweils den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Mit Blick auf § 5 Abs. 3 (i.V.m. § 105 Abs. 1) JGG kann der an sich rechtsfehlerfreie , moderate Strafausspruch ebenfalls keinen Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2017 – 5 StR 111/17 Rn. 3, und vom 4. März 2008 – 3 StR 30/08 Rn. 5).
Mosbacher Köhler
Vorinstanz:
Chemnitz, LG, 14.05.2019 - 433 Js 30540/18 2 KLs
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
- 1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder - 2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.