Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2018 - 5 StR 54/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg.
- 2
- 1. Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte seit dem Jahr 2002 an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie erkrankt, die zahlreiche stationäre Behandlungen notwendig machte. Im Verlauf seines letzten Krankenhausaufenthaltes , bei dem er neben paranoiden Denkinhalten eine hochan- gespannte, aggressive Grundhaltung zeigte, griff er „aus nichtigem Anlass“ ei- nen Mitpatienten an. Er nahm den Geschädigten in einen festen Würgegriff und ließ sich zunächst weder durch dessen Gegenwehr noch durch das Eingreifen einer herbeigeeilten Krankenschwester von seinem Tun abbringen. Erst als der Geschädigte der Ohnmacht nahe war, ließ der Angeklagte plötzlich von ihm ab.
- 3
- Das sachverständig beratene Landgericht ist zu dem Schluss gekommen , dass der Angeklagte die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit infolge (sicher) aufgehobener Steuerungsfähigkeit beging und hat ihn deshalb von den Anklagevorwürfen freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, da von ihm mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien, durch die die Opfer erheblich geschädigt würden.
- 4
- 2. Der Maßregelausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei begründet.
- 5
- Insoweit folgt es dem Sachverständigen, der diese ganz wesentlich auch darauf gestützt hat, dass der Angeklagte in seinem psychotischen Zustand wiederholt Familienangehörige, aber auch Dritte gewaltsam angegriffen habe, „wie sich aus den beigezogenen Ermittlungsakten ergebe und wie seine Schwester … zudem in der Hauptverhandlung berichtet habe“ (UA S. 51). Die Schwurgerichtskammer hat indes keinerlei Feststellungen zu den aus den „bei- gezogenen Ermittlungsakten“ ersichtlichen Taten getroffen. Im Urteil ist ledig- lich erwähnt, dass im Datensystem der Polizei 16 Einträge wegen verschiedener (auch Körperverletzungs-)Delikte enthalten seien, die jeweiligen Ermitt- lungsverfahren aber wegen Zweifels an der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu keiner strafrechtlichen Konsequenz geführt hätten. Auch zu den vom Sachverständigen erwähnten Angriffen auf Familienangehörige hat sich das Landgericht keine aus dem Urteil ersichtliche eigene Überzeugung gebildet. Die Bekundungen der Schwester des Angeklagten in der Hauptverhandlung sind dem Urteil nur indirekt im Rahmen der Wiedergabe der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen zu entnehmen. Eine unmittelbare Wiedergabe und Bewertung ihrer Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung fehlt. Zudem wird nicht deutlich, inwieweit sie gegebenenfalls eigenes Erleben geschildert hat.
- 6
- 3. Der Senat hält es für nicht fernliegend, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die die Voraussetzungen des § 63 Satz 1 StGB erfüllen. Über die Anordnung der Maßregel ist deshalb erneut zu entscheiden.
- 7
- Mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstat ergeben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 5 StR 432/17). Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, NStZ-RR 2014, 89, und vom 26. Juli 2016 – 3 StR 211/16).
- 8
- 4. Von der Aufhebung nicht betroffen sind die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum Tatgeschehen. Vom neuen Tatgericht gegebenenfalls ergänzend getroffene Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
- 9
- Der Senat weist darauf hin, dass es zur Darstellung der Krankheitsgeschichte des Angeklagten keiner ins Einzelne gehenden Wiedergabe früherer ärztlicher Epikrisen bedarf.
Berger Mosbacher
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.