Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 5 StR 287/18

published on 18/07/2018 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2018 - 5 StR 287/18
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 287/18
vom
18. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:180718B5STR287.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. Februar 2018 aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zu den jeweiligen Tatgeschehen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen Sachbeschädigung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
Am 26. Juli 2017 belästigte der Angeklagte in einem Nachtbus der Leipziger Verkehrsbetriebe zwei Frauen. Deswegen verwies ihn der Busfahrer des Busses. Der Angeklagte folgte der Verweisung nicht. Er versetzte dem Busfahrer mehrere Schläge, entwand ihm einen Teleskopschlagstock und schlug ihn damit. Der Busfahrer erlitt unter anderem eine Nasenbeinfraktur, mehrere Hämatome und Prellungen.
4
Am 13. August 2017 schlug der Angeklagte einen auf einer Bank sitzenden syrischen Staatsangehörigen ins Genick und gegen die Brust. Dann würgte er ihn kräftig. Währenddessen sagte er: „Ich scheiße auf jeden Syrer. Ich will dich töten!“, um ihn zu beleidigen und in Angst um Leib und Leben zu verset- zen. Der Geschädigte verfiel in Atemnot und sackte unter Schwindel zu Boden. Möglicherweise wurde er kurzzeitig bewusstlos.
5
Am 18. August 2017 gegen 4:52 Uhr hielt sich der Angeklagte im Gleisbereich der Straßenbahn auf. Als sich der Nachtbus näherte, rannte er darauf zu. Mit beiden Händen schlug er kräftig gegen die Frontscheibe des angehaltenen Busses und verursachte dort mehrere Risse. Es entstand ein Sachschaden von knapp 3.000 €.
6
Der anschließenden Verbringung in den Polizeigewahrsam widersetzte sich der Angeklagte. Er schlug um sich, gestikulierte aggressiv, machte sich abwechselnd steif und zappelte unmittelbar danach, trat um sich, spuckte mehrfach in Richtung zweier Polizeibeamter und stieß Beschimpfungen aus.
7
2. Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte unter einer chronifizierten schizophreniformen Psychose sowie an einem Residuum einer schizophreniformen Psychose leide. Aufgrund dessen sei seine Steuerungsfähigkeit bei allen Taten im Sinne von § 21 StGB sicher vermindert, jedoch nicht nach § 20 StGB aufgehoben gewesen.
8
3. Das Urteil hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand. Gegen die von der Strafkammer vorgenommene Schuldfähigkeitsprüfung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
9
a) Bereits das Vorliegen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ist Zweifeln ausgesetzt. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen hat sich die Ermittlung der Krankheitsgeschichte wegen Verständigungsproblemen schwierig gestaltet (UA S. 19). Jedoch komme es im Zusammenhang mit Wahnbildern und einer dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten zu Aggressivität, wobei aber die Wahnbilder in letzter Zeit zurückgingen (UA S. 3, 19). Einzelheiten hierzu sind den Urteilsgründen indessen genausowenig zu entnehmen wie Anlass und Verlauf von psychiatrischen (Not-)Behandlungen, die im Jahr 2013 durchgeführt worden sind (UA S. 3). Außer einem vielfach äußerst aggressiven Verhalten des Angeklagten sowie „einer emotionalen Minderbeteiligung, dem reduzierten Antrieb sowie dem Fehlen nonverbaler Kommunikation“ wird lediglich ein Vorfall erwähnt, bei dem dieser verlautbart habe, sein Vater sei Präsident aller Araber, er müsse ihn nur anrufen, woraufhin er kommen und ihn abholen werde (UA S. 20).
10
b) Jedenfalls ist aber nicht hinreichend belegt, dass eine etwaige Psychose auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen im Sinne von § 21 StGB eingewirkt hat.
11
Die Feststellungen zu den einzelnen Taten ergeben hierfür keinen Anhaltspunkt. Die Polizeibeamten bekundeten eine jeweils hohe Aggressivität. Soweit ein Polizeibeamter den Angeklagten nach der ersten Tat als „geistig nicht sehr klar“ empfand, führte er dies auf dessen Berauschung zurück (Atem- test: 0,66 mg/l). Auch der psychiatrische Sachverständige kommt zu dem Er- gebnis, dass eine „produktiv-psychotische Symptomatik“ bei den Taten nicht vorgelegen und der auf der Psychose beruhende Wahn „keinen handlungsleitenden Charakter aufgewiesen“ habe (UA S. 20). Unter solchen Vorzeichen genügt es nicht, wenn das Landgericht bei der Erörterung des § 63 StGB lediglich feststellt, die durch den Angeklagten verübten Taten seien in einem krankheitsbedingten psychopathologischen Zustand begangen, der sicher seine Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB erheblich eingeschränkt habe. Es existiert nämlich kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei Diagnose einer schizophrenen Psychose generell oder zumindest längere Zeiträume überdauernd gesichert eine relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit oder gar deren Aufhebung gegeben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39, jeweils mwN).
12
Ferner hätte der Erörterung bedurft, dass der Angeklagte in den Jahren 2015 und 2017 vom Vorwurf 2013 begangener, den hiesigen Taten sehr ähnlicher Aggressionsdelikte (gewaltsamer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte , Beleidigung, Sachbeschädigung) freigesprochen wurde. Auf der Grundlage von Gutachten des auch im gegenständlichen Verfahren hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen hatten die Amtsgerichte Leipzig und Chemnitz jeweils wegen einer „paranoid-halluzinatorischen Symptomatik in Form von akustischen Halluzinationen sowie Wahnerleben“ eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit bzw. der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit ange- nommen oder nicht auszuschließen vermocht. Hingegen sind einer in den Urteilsgründen auszugsweise wiedergegebenen Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Leipzig vom 7. Februar 2017 unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung Erwägungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu entnehmen. Zugrunde lag eine abermals sehr ähnliche Aggressionstat. Der Angeklagte hatte mit einem Mittäter in einem Lokal Gäste belästigt und den Gastwirt nach der Verweisung aus dem Lokal durch einen Schlag mit einem zugeklappten Messer verletzt.
13
4. Da angesichts der früheren Schuldfähigkeitsbeurteilungen nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass ein neues Tatgericht zur Annahme von Schuldunfähigkeit des Angeklagten gelangen könnte, waren neben dem Rechtsfolgenausspruch auch die Schuldsprüche aufzuheben. Die Sache bedarf daher – naheliegend unter Beauftragung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Allerdings sind die Feststellungen zu den jeweiligen Tatgeschehen rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
14
5. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass es angesichts der unbedingt verhängten Freiheitsstrafe der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Erörterung einer Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung nicht bedurft hätte (§ 67b Abs. 1 Satz 2 StGB).
Mutzbauer Sander König
Berger Köhler
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Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.