Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 25/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, versuchter Erpressung in zwei Fällen, versuchter Nötigung in drei Fällen, Bedrohung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung und Beleidigung in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- 1. Der Verurteilung liegt eine Serie von Straftaten zugrunde, die der Angeklagte im Zeitraum von Mitte Dezember 2010 bis August 2011 zum Nachteil von vier jungen Frauen beging, zu denen er jeweils über das Internet Kontakt aufgenommen hatte. Zu zwei der Frauen, unter anderem zu der Nebenklägerin, hatte sich daraus eine sexuelle Beziehung entwickelt. Von allen Frauen ließ der Angeklagte sich über das Internet Nacktfotos schicken. Durch die Drohung, diese Fotos im Internet zu veröffentlichen, versuchte er die Frauen zur Übersendung weiterer Nacktfotos und die Nebenklägerin zur Fortsetzung der Beziehung mit ihm zu zwingen. In zwei Fällen versuchte er mit derselben Drohung die Zahlung eines Geldbetrages durchzusetzen. Darüber hinaus bedrohte und beleidigte er die Frauen. Die Nebenklägerin zwang er in einem Fall unter Einsatz körperlicher Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs.
- 3
- 2. Das Landgericht hat auf die Taten des im Zeitpunkt der ersten (Vergewaltigungs -)Tat noch heranwachsenden Angeklagten insgesamt Jugendstrafrecht angewendet und wegen der Schwere der Schuld und schädlicher Neigungen des Angeklagten eine Jugendstrafe verhängt. Sachverständig beraten ist es dabei von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Nach dem vom Landgericht für überzeugend erachte- ten Sachverständigengutachten liege beim Angeklagten zwar eine „Störung der Persönlichkeitsentwicklung“ vor, „die in wechselnder und unterschiedli- cher Ausprägung haltschwache, emotional instabile, narzisstische und sadis- tische Züge trage“. Dieses Störungsbild stelle aufgrund der resultierenden Alltagsbeeinträchtigungen und der sozialen Konsequenzen für den Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit dar. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit ergäben sich gleichwohl nicht. Die den Taten zugrunde liegenden Handlungsabläufe seien „relativ komplex, mehrschrittig, strukturiert und würden planerisches Vorgehen voraussetzen“. Zu bedenken bleibe, „inwieweit sich eine progredienteEinengung auf einen pathologischen Kompensationsversuch für ein von ständiger Dekompensati- on bedrohtes Selbstwertgefühl auf die Tatentstehung ausgewirkt habe“. Dies könne indes nicht ausreichend beurteilt werden, da zum inneren Kräftespiel von Abwehr und Impuls zur Tatausführung zu wenige Erkenntnisse vorlägen. Insgesamt würden die vorhandenen Einsichten noch nicht die Feststellung einer durch die psychische Störung bedingten erheblichen „Störung“ oder gar Aufhebung der Steuerungsfähigkeit erlauben (UA S. 29 f.).
- 4
- 3. Diese Begründung für die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 5
- a) Angesichts der im Urteil geschilderten erheblichen Auffälligkeiten des Angeklagten im Alltags-, Sozial- und Sexualverhalten ist die Bejahung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nachvollziehbar. Dass diese die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten nicht erheblich beeinträchtigt haben soll, ist nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es wird nicht bedacht, dass auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein kann, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluss zu bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104, und vom 20. Februar 2001 – 5 StR 3/01, StraFo 2001, 249).
- 6
- b) Zum anderen lassen die Erwägungen des Landgerichts besorgen, dass es bei der Prüfung der Frage, ob die psychische Störung des Angeklagten zu einer erheblichen Verminderung seiner Schulfähigkeit geführt hat, den Grundsatz „in dubio pro reo“ außer Acht gelassen hat. Bei der Entscheidung über die Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit findet dieser Grundsatz Anwendung, wenn nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335). Entsprechendes hat auch zu gelten, wenn tatsächliche Zweifel daran bestehen, ob und in welchem Maße sich eine angenommene schwere seelische Störung auf die Tatentstehung ausgewirkt hat.
- 7
- 4. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit sicher ausschließen, nicht hingegen, dass der Rechtsfolgenausspruch milder ausgefallen wäre. In Rahmen erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB wird, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverstän- digen, bei dem ersichtlich dringend therapiebedürftigen Angeklagten auch die Frage einer Unterbringung nach § 63 StGB (vgl. auch § 5 Abs. 3 JGG) zu prüfen sein, die freilich nur bei gesicherter Feststellung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit angeordnet werden darf (vgl. zudem gegebenenfalls § 23 Abs. 1, § 10 JGG, § 56c Abs. 3 StGB).
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.
(1) Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch Weisungen erzieherisch beeinflussen. Er kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen. Diese Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Die §§ 10, 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 gelten entsprechend.
(2) Macht der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung oder erbietet er sich zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht der Richter in der Regel von entsprechenden Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn die Erfüllung der Zusagen oder des Anerbietens zu erwarten ist.
(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,
- 1.
Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen, - 2.
bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen, - 3.
eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen, - 4.
Arbeitsleistungen zu erbringen, - 5.
sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen, - 6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, - 7.
sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), - 8.
den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder - 9.
an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen.
(2) Der Richter kann dem Jugendlichen auch mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen.
(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.
(2) Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen,
- 1.
Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen, - 2.
sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden, - 3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, - 4.
bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen oder - 5.
Unterhaltspflichten nachzukommen.
(3) Die Weisung,
- 1.
sich einer Heilbehandlung, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder - 2.
in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen,
(4) Macht der Verurteilte entsprechende Zusagen für seine künftige Lebensführung, so sieht das Gericht in der Regel von Weisungen vorläufig ab, wenn die Einhaltung der Zusagen zu erwarten ist.