Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juni 2013 - 5 StR 246/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 2. Dezember 2011 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Mit Beschluss vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12 (StV 2012, 582) hat der Senat dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten erneut wegen der genannten Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es acht Monate für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel dringt mit der Sachbeschwerde durch, weswegen es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der damals 61 Jahre alte Angeklagte die seinerzeit 49-jährige Nebenklägerin Ende Dezember 2007 vaginal und im März 2008 anal (Taten 1 und 2). Nach den Vergewaltigungen wohnte die Nebenklägerin weiterhin mit dem Angeklagten zusammen, wobei es jedenfalls vor Tat 2 gelegentlich auch noch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam. Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete sie nach einem Vorfall vom 26. April 2008, bei dem der Angeklagte sie am Hals gepackt und gegen ein Treppengeländer gedrückt hatte (Tat 3). Die Strafanzeige vom 26. April 2008 beschränkte sich auf den Vorwurf der Körperverletzung. Auf Nachfrage der Polizeibeamtin nach sexuellen Übergriffen sagte die Nebenklägerin, dass dies vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen sei. Ähnlich verlief eine Vernehmung im Mai 2008. Details über die sexuellen Gewalthandlungen berichtete sie in einer Vernehmung im August 2008. Gegenstand eines von ihr angestrengten zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahrens war nur die Körperverletzung vom 26. April 2008.
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- 2. Die Beweiswürdigung genügt nicht den in der hier gegebenen Kons- tellation „Aussage gegen Aussage” geltenden strengen Anforderungen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschluss vom 24. Januar 2008 – 5 StR 585/07, NStZ-RR 2008, 254). Sie weist Lücken auf und hält deshalb rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- a) Auch die neu entscheidende Strafkammer befasst sich unzureichend mit der Aussageentstehung und dem Aussageverhalten der Nebenklägerin. Namentlich setzt sich das Landgericht nicht erkennbar mit dem Umstand auseinander, dass die Nebenklägerin nach ihrer auf den Vorwurf der Körperverletzung beschränkten Strafanzeige auf Frage der Polizeibeamtin nach etwaigen sexuellen Übergriffen solche als zwei oder drei Jahre zurückliegend bezeichnete, wohingegen nach ihren späteren Angaben und den hierauf beruhenden Feststellungen die abgeurteilte Tat 1 (vaginale Vergewaltigung ) rund vier Monate und die anale Vergewaltigung (Tat 2) gar erst rund einen Monat vor der Strafanzeige begangen wurde. Die im Urteil nur referier- te Erklärung der Nebenklägerin, dass es auch „in den Jahren 2005 und 2006 dazu gekommen sei” (UA S. 19), findet in den Feststellungenkeine Stütze. Denn danach hat die Nebenklägerin etwa seit 2005 zwar vielfach Ge- schlechtsverkehr „über sich ergehen lassen”, er wurde jedoch vom Angeklag- ten nicht gewaltsam erzwungen. Auch eingedenk der Tatsache, dass es sich bei der Nebenklägerin um eine juristische Laiin handelt, bedürfte es deshalb der Erklärung, weshalb sie – wenn sie sexuelle Übergriffe nicht gänzlich negieren wollte – dann den hierfür angegebenen Tatzeitraum nicht auf die auch nach ihren eigenen Empfindungen schwersten Taten, vor allem den sie außerordentlich traumatisierenden und mit körperlichen Verletzungen verbundenen erzwungenen Analverkehr erstreckte, der kurze Zeit vor der Anzeige erfolgt sein soll. Die insoweit vorgenommenen Wertungen der aussagepsychologischen Sachverständigen, die Nebenklägerin sei von der Frage „über- rascht” worden, die Angaben seien „nicht falsch” und „psychologisch erklärbar” (UA S. 25), sind jedenfalls ohne nähere Erläuterung nicht nachvollzieh- bar.
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- Angesichts der auch ansonsten überaus schwierigen Beweislage kommt diesem Aspekt zentrale Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt zu. Der Rechtsfehler entzieht daher dem Schuldspruch wegen zweimaliger Vergewaltigung die Grundlage.
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- b) Darüber hinaus sieht die Strafkammer kein Falschbelastungsmotiv. Unterstelle man, dass es der Nebenklägerin um einen Auszug des Angeklagten aus der gemeinsamen Wohnung gegangen sei, so hätte sie die Vorwürfe schon bei der Strafanzeige erheben können; ferner sei der Angeklagte schon am 26. April 2008 der Wohnung verwiesen worden (UA S. 21). Abgesehen davon, dass die Nebenklägerin den Vorwurf sexueller Übergriffe – wenngleich pauschal und erst auf Nachfrage – bei der Anzeigeerstattung gerade doch erhoben hatte, lässt das Landgericht mit diesen Darlegungen ein sich nach Sachlage aufdrängendes Rachemotiv außer Acht. Denn nach der Strafanzeige und vor den weiteren Vernehmungen der Nebenklägerin hatte sich ein heftiger Streit zwischen dieser und dem Angeklagten um die gemeinsame Wohnung sowie Einrichtungsgegenstände entsponnen, im Zuge dessen die Nebenklägerin unter sie sehr belastenden Umständen die Wohnung verlor, wohingegen der Angeklagte im Haus verblieb (UA S. 13 f.). Dies hätte das Landgericht bei seiner Widerlegung eines möglichen Falschbezichtigungsmotivs erörtern müssen. Die Beweiswürdigung erweist sich daher auch unter diesem Blickwinkel als lückenhaft.
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- 3. Da auch der Hergang der von der Nebenklägerin bekundeten Körperverletzung im Wesentlichen auf deren Aussage gestützt ist, hebt der Senat den deswegen ergangenen Schuldspruch mit auf. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat – namentlich im Blick auf neuerliche Aussageerweiterungen (UA S. 6) – auf die von der Revision im Rahmen einer Verfahrensrüge vorgetragenen Erwägungen zu möglichen auf autosuggestiven Prozessen beruhenden Verzerrungen und Übertreibungen im Aussageverhalten der Nebenklägerin hin, die auch im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen des § 177 StGB zu bedenken wären.
Annotations
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
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der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
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gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.