Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat die jetzt 29-jährige Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen den Maßregelausspruch gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge, wie aus dem Tenor ersichtlich, weitgehend Erfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen hielt sich die Angeklagte am 14. Juni 2004 am Backstand auf dem Bürgersteig vor einem Spar-Markt auf, obwohl ihr drei Monate zuvor ein Hausverbot für diese Filiale einschließlich der Stehtische vor dem Backstand erteilt worden war. Sie bedrängte die dort anwe- senden Kunden, ihr Geld oder Alkohol zu schenken. Da sie wiederholte Aufforderungen , sich zu entfernen, nicht befolgte, wurde schließlich die Polizei eingeschaltet, die sie des Backstands verwies. Gleichwohl kehrte die Angeklagte zurück und setzte ihr störendes Verhalten fort. Sie wurde deshalb wiederholt von einer Mitarbeiterin des Spar-Marktes, der Zeugin K. , aufgefordert , den Backstand zu verlassen. Diesen Aufforderungen kam die Angeklagte jeweils nur kurzfristig nach, um sodann erneut an den Stehtischen zu betteln. Die Zeugin ergriff nunmehr einen Eimer und begoss die Angeklagte mit Wasser. Daraufhin schlug die Angeklagte eine mitgeführte gefüllte Bierflasche gegen den Hinterkopf der Zeugin. Diese erlitt ein Schädelhirntrauma und eine blutende Platzwunde am Hinterkopf; sie war sechs Monate arbeitsunfähig krank.
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- Die Angeklagte war zuvor im Jahre 2003 wegen Vollrauschs und im Januar 2004 unter anderem wegen Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden. Bei der im Januar 2004 abgeurteilten Tat ging es um mehrere Faustschläge, welche die Angeklagte einer Passantin in das Gesicht versetzt hatte. Das Verfahren wegen einer im Januar 2005 begangenen Tat hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die vorliegende Sache vorläufig eingestellt. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte anlässlich einer vorläufigen Festnahme eine Polizeibeamtin in der Weise misshandelte, dass sie mehrfach heftig an deren Haaren zog, bis die Frau zu Boden fiel. In dem anschließenden Handgemenge erlitt die Beamtin Verletzungen im Gesicht, an der Schulter und an den Knien.
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- 2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass die Angeklagte an einer chronischen paranoid -halluzinatorischen Psychose leidet und die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Aufgrund ihres Zustands sei zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss eines weiteren Schubs ihrer seelischen Erkrankung erneut eine aggressive Handlung begehe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
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- 3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 58 ff., § 63 Rdn. 82 ff.).
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- Dass die hier vorliegende Körperverletzung erheblich ist, steht außer Frage, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese etwa zweieinhalb Jahre vor der Aburteilung begangene Tat eine Reaktion auf einen überraschenden und zumindest aus Sicht der Angeklagten unberechtigten Angriff war. Die vor und nach der Anlasstat bis Anfang 2005 begangenen rechtswidrigen Handlungen bewegen sich dagegen eher im unteren bis mittleren Bereich der denkbaren Begehungsformen. Im Rahmen der Prognoseprüfung hätte weiter berücksichtigt werden müssen, dass sich die Angeklagte trotz des seit 2001 andauernden Krankheitsprozesses immer wieder für längere Zeiten beanstandungsfrei gehalten hat. Für die Frage der Prognose ist insoweit auch von Bedeutung, in welchen Rahmenbedingungen die Angeklagte in diesen straf- freien Zeiten lebte. Namentlich im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Gefährlichkeit der Beschuldigten durch andere Maßnahmen vertretbar abgemildert werden kann. Hier wäre die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob in einer anderweitigen Einbindung der Beschwerdeführerin, insbesondere der Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB, eine Chance liegt, die Gefährlichkeit erheblich zu verringern.
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- Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Dabei wird insbesondere auch zu beachten sein, wie sich die Angeklagte in der einstweiligen Unterbringung bisher verhalten hat. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wird er auch prüfen müssen, ob die Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.
(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.
(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.