Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2011 - 5 StR 126/11

published on 04/05/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2011 - 5 StR 126/11
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 126/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 10. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Urteilsfeststellungen verfolgte der 25-jährige Angeklagte weniger als fünf Monate nach Vollverbüßung einer sechsjährigen Jugendstrafe u.a. wegen dreier Vergewaltigungen und einer sexuellen Nötigung nachts eine ihm unbekannte angetrunkene junge Frau auf deren Heimweg von einem Lokalbesuch, „um sie zum Sex zu animieren“ (UA S. 21/13), nahm sie vor ihrer Haustür – eingestandenermaßen – von hinten in einen Würgegriff, zwang sie in die Ecke des Hinterhofs ihres Wohnhauses und berührte sie dort gegen ihren Willen an ihren entblößten Brüsten. Seiner Einlassung, diese Sexualhandlung mit Einverständnis der Nebenklägerin vorgenommen zu haben, ist die Strafkammer aufgrund der Aussage der Nebenklägerin nicht gefolgt. Sie hat indes den weitergehenden Anklagevorwurf einer anschließenden Vergewaltigung in der Wohnung der Nebenklägerin für widerlegt erachtet , sich vielmehr entsprechend der Einlassung des Angeklagten von dort einverständlich vorgenommenen intensiven Sexualhandlungen überzeugt; insoweit habe die Nebenklägerin „aus Scham darüber, mit einem fremden Mann, der sie zuvor überfallen hat(te), den Geschlechtsverkehr freiwillig ausgeübt zu haben“, Erinnerungslücken vorgetäuscht (UA S. 68).
2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Beschwerdeführer und – ihm insoweit folgend – der Generalbundesanwalt beanstanden zutreffend die Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung zum Schuldspruch wegen sexueller Nötigung. Diese genügt nicht den besonderen Anforderungen, welche die Rechtsprechung für Fälle erhebt, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht und zudem bei einem wesentlichen Teil der Aussage des einzigen Belastungszeugen eine bewusste Falschangabe vorliegt (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256; vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 29; dazu Sander, StV 2000, 45, 46; Brause, NStZ 2007, 505, 510 f.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 447). Die Strafkammer hat der unerlässlichen besonders kritischen Gesamtwürdigung der Aussage der Nebenklägerin schon im Ansatz ihres Urteilsaufbaus nicht genügt, indem sie die Beweiswürdigung zu dem festgestellten, als strafbar erachteten Geschehensablauf weitgehend getrennt vor der tatsächlichen Bewertung des Folgegeschehens abgehandelt und somit dem Problem der festgestellten Falschaussage der Nebenklägerin nicht die gebotene zentrale Aufmerksamkeit gewidmet hat. Angesichts der späteren vorgetäuschten Erinnerungslücken äußert der Generalbundesanwalt zu Recht durchgreifende Bedenken dagegen, in den Angaben der Nebenklägerin zu einer sicheren Erinnerung an das Geschehen auf dem Hinterhof eine tragfähige Stütze für die Richtigkeit ihrer belastenden Aussage zu finden. Allein auf die situative Unstimmigkeit zwischen der eingestandenermaßen anfänglich im Hinterhof verübten Gewalt des Angeklagten gegen die Nebenklägerin und dem von ihm behaupteten Streben nach einverständlichen Sexualhandlungen – was das Landgericht im Ansatz nachvollziehbar als „lebensfremd“ wertet (UA S. 36) – konnte aber vor dem Hintergrund des sicher festgestellten Einverständnisses bei dem anschließenden intensiven Sexualverkehr in der Wohnung der Nebenklägerin eine Überführung des Angeklagten hier nicht gestützt werden.
3
Das gesamte angeklagte Tatgeschehen bedarf – angesichts schon länger andauernder Untersuchungshaft des Angeklagten alsbaldiger – umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, unterläge der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung für sich keinen durchgreifenden Bedenken. Vorsorglich weist der Senat für den Fall gleicher oder ähnlicher tatsächlicher Feststellungen und eines erneuten Schuldspruchs wegen eines allein in der Anfangsphase auf dem Hof verübten Sexualdelikts darauf hin, dass bei der Strafrahmenwahl und Strafzumessung wie bei der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB das außergewöhnliche einverständliche Anschlussgeschehen zugunsten des Angeklagten zu bewerten wäre.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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published on 10/10/2012 00:00

5 StR 316/12 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 10. Oktober 2012 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober 2012, an der teilgenommen haben: Vorsitze
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.