Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2014 - 4 StR 553/13

published on 06/03/2014 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2014 - 4 StR 553/13
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR553/13
vom
6. März 2014
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Die Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden ist an eine besondere
Form nicht gebunden; sie kann sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen
werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung
muss sie im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer
mündlichen Anweisung in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten
sein.
BGH, Beschluss vom 6. März 2014 - 4 StR 553/13 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, der Nebenklägerin und der Angeklagten am 6. März 2014 gemäß
§ 346 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts Essen vom 10. September 2013, mit dem die Revision der Nebenklägerin als unzulässig verworfen und ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen wurde, wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 13. August 2013 zulässig ist.
3. Der Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das vorgenannte Urteil ist gegenstandslos.
4. Mit Zustellung dieses Beschlusses wird die Frist zur Begründung der Revision in Lauf gesetzt.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte am 13. August 2013 wegen Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfrei- heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nachdem der Urteilstenor der Nebenklägerin am 21. August 2013 zugestellt worden war, legte sie mit am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenem Schreiben gegen das Urteil Revision ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist. Mit Beschluss vom 10. September 2013 hat das Landgericht die Revision der Nebenklägerin gemäß § 346 Abs. 1 StPO als verspätet und deshalb unzulässig verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Gegen den am 13. September 2013 zugestellten Beschluss hat die Nebenklägerin mit noch am selben Tag beim Landgericht eingegangenem Schreiben eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt.
2
1. Der in zulässiger Weise angebrachte Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 10. September 2013, da das Landgericht die Revision der Nebenklägerin zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.
3
a) Das Landgericht war für eine Entscheidung gemäß § 346 Abs. 1 StPO über die Zulässigkeit des Rechtsmittels wegen des mit der Revisionseinlegung verbundenen Wiedereinsetzungsantrages bereits nicht zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 – 3 StR 461/12 [juris Rn. 2]; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 346 Rn. 16).
4
b) Zudem lagen die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO nicht vor. Vielmehr hat die in der Hauptverhandlung weder anwesende noch vertretene Nebenklägerin mit dem am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenen Schreiben form- und fristgerecht gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt. Denn die hierfür maßgebliche Wochenfrist (§ 341 Abs. 1 Satz 1 StPO) ist erst mit Zustellung des (vollständigen ) Urteils an die Nebenklägerin am 3. September 2013 in Lauf gesetzt worden (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 341 Rn. 19, 20).
5
Dem steht nicht entgegen, dass ihr der Urteilstenor nebst Rechtsmittelbelehrung bereits am 21. August 2013 förmlich zugestellt worden ist (§ 401 Abs. 2 Satz 2 StPO). Diese Zustellung ist unwirksam.
6
Die Wirksamkeit einer förmlichen Zustellung setzt voraus, dass sie auf einer (wirksamen) Zustellungsanordnung des Vorsitzenden beruht, § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1955 – 1 StR 45/55, bei Holtz, MDR 1976, 814; Urteil vom 18. Dezember 1985 – 2 StR 619/85, NStZ 1986, 230 jeweils mwN; Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 420/10, NStZ 2011, 591, 592). Die Anordnung ist zwar nicht an eine besondere Form gebunden und kann folglich sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung muss sie aber im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer mündlichen Anweisung daher jedenfalls in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten sein. Denn die Rechtssicherheit gebietet es, dass von vornherein auch für Dritte erkennbar ist, ob im Zeitpunkt der Zustellung eine dem § 36 Abs. 1 StPO entsprechende Anordnung vorlag. Anderenfalls ließe sich – wenn überhaupt – unter Umständen erst nach längeren Nachforschungen klären, ob der Zustellung eine wirksame Anordnung zugrunde lag, die Rechtsmittelfrist demnach in Laufgesetzt worden ist. Die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit kann aber nicht hingenommen werden (OLG Zweibrücken, MDR 1986, 1047; LG Zweibrücken, NStZ-RR 2013, 49; vgl. LR-StPO/Graalmann-Scheerer, 26. Aufl., § 36 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau, § 36 Rn. 4; KK-StPO/Maul, aaO, § 36 Rn. 2; Pollähne in HK-StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 1; KMR-StPO/ Ziegler, 69. EL (Stand: Okt. 2013), § 36 Rn. 4; vgl. auch Meyer-Goßner, aaO, § 36 Rn. 3: stets schriftlich; aA SSW-StPO/Mosbacher, § 36 Rn. 5, wonach die Dokumentation im Zeitpunkt der Zustellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt).
7
Hieran fehlt es vorliegend. Den Verfahrensakten ist eine den Urteilstenor betreffende Zustellungsanordnung des Vorsitzenden nicht zu entnehmen. Der Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt worden. Dies würde voraussetzen, dass eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigenOrgan – im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden – beabsichtigt war (MüKoZPO/Häublein, 4. Aufl., § 189 Rn. 3; LR-StPO/Graalmann-Scheerer, aaO, § 37 Rn. 95). Ist ein solcher Zustellungswille des zuständigen Organs – wie hier – mangels Zustellungsanordnung nicht feststellbar, so tritt keine Hei- lung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO ein (OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2010 – 1 Ws 398/10, NStZ-RR 2011, 45 [Leitsatz]).
8
c) Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist bedarf es folglich nicht. Dieser ist vielmehr gegenstandslos.
9
2. Nachdem der Nebenklägerin das vollständige Urteil am 3. September 2013 wirksam zugestellt worden ist, wird die Frist zur Begründung der Revision (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) mit Zustellung des Beschlusses nach § 346 Abs. 2 StPO an sie in Lauf gesetzt (BayObLG, bei Bär, DAR 1987, 316; StraFo 1997, 248 f.; LR-StPO/Franke, aaO, § 345 Rn. 11; KK-StPO/Gericke, aaO, § 345 Rn. 3).
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Annotations

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.

(1) Die Revision muß bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden.

(2) Hat die Verkündung des Urteils nicht in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden, so beginnt für diesen die Frist mit der Zustellung, sofern nicht in den Fällen der §§ 234, 329 Absatz 2, § 387 Absatz 1, § 411 Absatz 2 und § 434 Absatz 1 Satz 1 die Verkündung in Anwesenheit des Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat.

(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginnt mit Ablauf der für die Staatsanwaltschaft laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn das Urteil dem Nebenkläger noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung des Urteils an ihn auch dann, wenn eine Entscheidung über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß noch nicht ergangen ist.

(2) War der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend oder durch einen Anwalt vertreten, so beginnt für ihn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auch dann mit der Verkündung des Urteils, wenn er bei dieser nicht mehr zugegen oder vertreten war; er kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nicht wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung beanspruchen. Ist der Nebenkläger in der Hauptverhandlung überhaupt nicht anwesend oder vertreten gewesen, so beginnt die Frist mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn.

(3) Hat allein der Nebenkläger Berufung eingelegt, so ist diese, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch für ihn ein Rechtsanwalt erschienen ist, unbeschadet der Vorschrift des § 301 sofort zu verwerfen. Der Nebenkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung unter den Voraussetzungen der §§ 44 und 45 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen.

(4) Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

(1) Für das Verfahren bei Zustellungen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

(3) Ist einem Prozessbeteiligten gemäß § 187 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen, so ist das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen. Die Zustellung an die übrigen Prozessbeteiligten erfolgt in diesen Fällen gleichzeitig mit der Zustellung nach Satz 1.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

(1) Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird.

(2) Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

(1) Für das Verfahren bei Zustellungen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(2) Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

(3) Ist einem Prozessbeteiligten gemäß § 187 Absatz 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen, so ist das Urteil zusammen mit der Übersetzung zuzustellen. Die Zustellung an die übrigen Prozessbeteiligten erfolgt in diesen Fällen gleichzeitig mit der Zustellung nach Satz 1.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.