Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Feb. 2014 - 4 StR 522/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat die Angeklagte M. wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraubin Tateinheit mit räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der letztgenannten Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat das Landgericht eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
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- Mit ihren Revisionen beanstanden die Angeklagten jeweils allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
I.
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- Die tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes bzw. wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Strafvorschrift in den Urteilsgründen nicht hinreichend belegt.
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- 1. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
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- Am Tattag, dem 4. Oktober 2011, verschafften sich beide Angeklagte sowie die gesondert verfolgten Zeugen Kr. und Ka. Zugang zur Wohnung des Geschädigten, des Zeugen Z. in Herne. Wahrheitswidrig behauptete die Angeklagte M. zunächst, in der Nacht sei „die Staatsanwaltschaft“ bei ihr gewesen, da er, der Geschädigte, Spionage betrieben habe. Sie forderte ihn zur Herausgabe seiner Ausweise und zur Preisgabe seiner „wahren Identität“auf; der gesondert verfolgte Zeuge Ka. verlieh dieser Forderung Nachdruck, indem er mit seiner Faust in die Rippen des Geschädigten schlug. Die Angeklagte M. nahm sodann den Ausweis und das Mobiltelefon des Geschädigten an sich, ferner sein Portemonnaie mit Krankenversicherungskarte , Führerschein, Fahrzeugschein, EC-Karte und etwas Bargeld sowie seinen Autoschlüssel. Der Geschädigte ließ dies geschehen, weil er aufgrund der Schläge und der Drohungen keine Möglichkeiten zur Abwehr sah. Spätestens jetzt erkannte der Angeklagte K. , dass der Geschädigte mit Gewalt und Drohungen zur Herausgabe von Gegenständen genötigt werden sollte und dass seine, des Angeklagten Anwesenheit und sein Verhalten dazu beitrugen, den Druck auf den Geschädigten aufrechtzuerhalten und im Zusammenspiel mit den anderen Tatbeteiligten die Tat der Angeklagten M. ermöglichten. Nachdem sich der Geschädigte auf Geheiß der Angeklagten M. auf ein Sofa gesetzt hatte, verabreichte sie ihm Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht und gegen das Ohr, zwei Tritte mit dem Knie zwischen die Beine sowie einen Sprühstoß aus einer Haarspray-Dose ins Gesicht und warf ihm vor, er misshandele seine Frau, sperre sie ein und halte sie finanziell kurz. Sie forderte den Geschädigten auf, im Internet einen Kreditantrag bei einer Bank über 5.000 Euro auszufüllen. Der Geschädigte kam der Forderung nach, trennte jedoch unbemerkt die Internet -Verbindung, so dass es zu keinem Vertragsabschluss kam. Unter fortwährender Wiederholung ihrer Vorwürfe durchwühlte die Angeklagte M. die Aktentasche des Geschädigten und forderte ihn auf, die Sachen seiner Frau einzupacken und am nächsten Tag die 5.000 Euro aus dem Bankkredit bei ihr vorbei zu bringen. Sollte er danach nicht jeden Monat 500 Euro an sie zahlen, werde sie mit ihren Begleitern wieder kommen. Anschließend trugen der Angeklagte K. sowie die Zeugen Kr. und Ka. die in Kartons und Taschen gepackten Sachen der Ehefrau des Geschädigten sowie einen Drucker zum Auto des Zeugen Kr. . Ferner nahmen sie den Ausweis, das Portemonnaie , den Autoschlüssel, das Mobiltelefon und die Aktentasche des Geschädigten mit sich. Nach insgesamt etwa zwei Stunden verließen sie die Wohnung des Geschädigten und fuhren in die Wohnung der AngeklagtenM. zurück. Bei einer zwei Tage später durchgeführten polizeilichen Durchsuchung wurden das Mobiltelefon, der Fahrzeugschlüssel, die Fahrzeugpapiere, der Ausweis und die Aktentasche des Geschädigten Z. sowie der Drucker in der Wohnung der Angeklagten M. sichergestellt.
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- 2. Diese Feststellungen belegen die Tatbestandsvoraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes im Sinne von § 239a Abs. 1 StGB weder unter dem Gesichtspunkt des Entführens- oder Bemächtigungstatbestandes (Abs. 1 Halbs. 1) noch unter dem Gesichtspunkt des Ausnutzungstatbestandes (Abs. 1 Halbs. 2).
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- a) In der Variante des Entführens bzw. Sichbemächtigens im Zwei-Personen -Verhältnis ist § 239a Abs. 1 StGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dahin einschränkend auszulegen, dass der Täter durch die Anwendung von Gewalt oder durch Drohungen gegen das Opfer eine stabile Bemächtigungslage schaffen und beabsichtigen muss, diese Lage für sein weiteres Vorgehen auszunutzen. Aus dieser Bemächtigungslage muss sich über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine weiter gehende Drucksituation auf das Opfer ergeben. Der erforderliche funktionale Zusammenhang liegt dann nicht vor, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungsund Nötigungsmittel zusammenfallen (BGH [GS], Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359; Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, BGHR StGB § 239a Sichbemächtigen 9, Tz. 8 mwN).
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- Gemessen daran sind die Voraussetzungen des erpresserischen Menschenraubes bis zur vollendeten Wegnahme von Ausweis, Mobiltelefon, Portemonnaie und Autoschlüssel des Geschädigten im vorliegenden Fall nach den Feststellungen nicht hinreichend dargetan. Durch die bis dahin erfolgte Gewalt- anwendung, ausgeführt von dem anderweitig verfolgten Zeugen Ka. durch Faustschläge in die Rippen des Geschädigten, unter deren Eindruck dieser die Wegnahme der genannten Gegenstände duldete, hatten die Angeklagten zwar eine andauernde physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt. Die Wegnahme erfolgte jedoch bereits im unmittelbaren, engen Zusammenhang mit der dadurch entstandenen Beherrschungssituation, so dass, entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts, eine stabile Bemächtigungslage als Basis einer weiteren Erpressung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt war.
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- b) Auch die Voraussetzungen des Ausnutzungstatbestandes im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 2 StGB sind nicht belegt.
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- Diese Tatvariante liegt vor, wenn sich der Täter nach einer von ihm selbst oder ihm zurechenbar von einem Mittäter geschaffenen Bemächtigungssituation entschließt, diese zu einer Erpressung auszunutzen (SSW-StGB/ Schluckebier, 2. Aufl., § 239a Rn. 14). Da der Tatbestand der Erpressung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den des Raubes mit umfasst, vermag die vom Landgericht in diesem Zusammenhang festgestellte, im weiteren Geschehensverlauf in der Wohnung des Geschädigten erfolgte Wegnahme des Druckers und der Aktentasche eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes grundsätzlich zu begründen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 3 StR 459/07, NStZ-RR 2009, 16, 17 mwN). Jedoch hat das Landgericht diese Tatbestandsalternative nicht in den Blick genommen und keine Feststellungen dazu getroffen, ob gerade die von den Tätern geschaffene Bemächtigungslage den Raub ermöglichte und ob die Angeklagten diese Verknüpfung auch subjektiv herstellten. Es kommt hinzu , dass den Urteilsgründen ein vollendeter Raub nicht entnommen werden kann. Es ist weder festgestellt, in wessen Eigentum der mitgenommene Drucker stand, noch, ob sich die Angeklagten die ihrem Opfer weggenommene Aktentasche und darin befindliche Sachen zueignen wollten oder die Aktentasche nur an sich nahmen, weil sie darin Bargeld oder andere wertvolle Gegenstände vermuteten (zur st. Rspr. vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309 mwN).
II.
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- Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Gegebenenfalls wird der neue Tatrichter das Geschehen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Nötigung zu würdigen haben.
Mutzbauer Bender
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Annotations
(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.