Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 4 StR 467/14

published on 04/11/2014 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 4 StR 467/14
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR467/14
vom
4. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. November 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 28. Mai 2014 im gesamten Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und ausgesprochen , dass von der Freiheitsstrafe ein Jahr und sechs Monate vorweg zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

II.


3
Jedoch hält der Maßregelausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
1. Nach den Feststellungen konsumierte der mehrfach, u.a. wegen Eigentumsdelikten und Verstößen gegen das BtMG vorbestrafte Angeklagte zunächst zwischen 1990 und 2004 regelmäßig Heroin und Kokain. In diesem Zeitraum absolvierte er mehrere Entgiftungen; es gelang ihm jedoch erst nach einer Drogentherapie im Jahr 2004, den Konsum „harter“ Drogen einzustellen. Nachdem 2011 die lang andauernde Beziehung des Angeklagten zu seiner Lebensgefährtin zerbrochen war, begann er erneut mit dem Konsum von Betäubungsmitteln ; seine tägliche Konsummenge betrug drei bis vier Gramm Cannabis und ein bis vier Gramm Amphetamin. Zuletzt wurde der Angeklagte am 30. Oktober 2012 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
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Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen hat das sachverständig beratene Landgericht ausgeführt, beim Angeklagten bestehe ein Hang, im Übermaß Betäubungsmittel zu sich zu nehmen. Die hier abgeurteilte Tat gehe auf diesen Hang zurück, da sie auch der Beschaffung von Betäubungsmitteln zum Eigen- konsum gedient habe. Bei einer prognostizierten Therapiedauer von „eineinhalb bis zwei Jahren“ und der bereits durch spätere Anrechnung verbüßtenUnter- suchungshaft ergebe sich gemäß § 67 Abs. 2 StGB eine Dauer des Vorwegvollzugs von einem Jahr und sechs Monaten.
6
2. Mit dieser Begründung kann der Maßregelausspruch nicht bestehen bleiben.
7
a) Nach § 64 Satz 2 StGB ergeht die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur, wenn die Voraussetzungen von § 64 Satz 1 StGB erfüllt sind und eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Täter durch die Behandlung zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall in den Hang zu bewahren und vor der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten , die auf seinen Hang zurückgehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 2 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 141). Damit das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird zu prüfen, ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht, bedarf es insoweit der hinreichenden Darlegung konkreter Umstände für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg (BGH aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. September 2008 – 5 StR 378/08; SSW-StGB/Schöch, 2. Aufl., § 64 Rn. 51). Daran fehlt es hier.
8
b) Zwar lassen die – allerdings sehr knappen – Urteilsausführungen noch hinreichend erkennen, dass sich das Landgericht auf der Grundlage der Stel- lungnahme des medizinischen Sachverständigen und mit Blick auf die Vorstrafen vom Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringungsanordnung nach § 64 Satz 1 StGB – einschließlich der Gefahrprognose – überzeugt hat. Zu den Erfolgsaussichten im Sinne von § 64 Satz 2 StGB verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht, auch nicht zu der diesbezüglichen Einschätzung des Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 1 StPO). Insoweit wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige eine Therapiedauer von „eineinhalb bis zwei Jahren“ prognostiziert hat. Dies genügt den Anforderungen an die Darlegung hinreichend konkreter Erfolgsaussichten und deren eigenständige Beurteilung durch die Strafkammer nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte nach den Feststellungen in der Vergangenheit bereits mehrere Entgiftungen und eine mehrmonatige Drogentherapie absolviert hat.

III.


9
Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
Zur Bestimmung der voraussichtlich erforderlichen Therapiedauer und zur Bedeutung der erlittenen Untersuchungshaft bei der Berechnung der Dauer des Vorwegvollzugs verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 1. Oktober 2014.
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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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Annotations

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.