Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2002 - 4 StR 444/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorgepflicht sowie wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (Einzelstrafen 2 Jahre 9 Monate und 8 Monate Freiheitsstrafe) verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Die Rechtsmittel bleiben im wesentlichen ohne Erfolg.
1. Der Senat stellt das Verfahren wegen der Tat vom 14. Dezember 1999 (Fall III 3. b der Urteilsgründe) gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß der nicht aktiv handelnde Angeklagte damit rechnen mußte, daß der andere in der besonderen Tatsituation (beide Angeklagten besuchten gemeinsam das Kind im Krankenhaus, aus dem es am nächsten Tag in eine Pflegefamilie entlassen werden sollte), das Kind noch einmal mißhandeln würde, und daß er dies noch hätte verhindern können. Eine Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung zur weiteren Aufklärung insoweit erscheint dem Senat aus den Gründen des § 154 Abs. 1 StPO nicht geboten, zumal die Sache im übrigen entscheidungsreif ist.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat nach der Teileinstellung des Verfahrens im übrigen zu den Schuld- und den Einzelstrafaussprüchen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 17. Oktober 2002. Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Juli 2002 – 3 StR 64/02 –, auf die sich die Revision des Angeklagten Carsten W. (RB vom 14. August 2002) beruft, nicht entgegen. Zwar hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht, welcher der beiden Angeklagten das Kind aktiv mißhandelt hat; anders als der Tatrichter in jener Sache hat es sich aber auf-
grund der Gleichartigkeit der Verletzungsmuster die Überzeugung verschafft, daß nur einer von ihnen, und zwar immer derselbe, der auch schon früher die Tochter mißhandelt hatte, tätlich geworden ist, während der andere die Taten geschehen ließ (UA 52, 65, 72, 105). Diese Beweiswürdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Senat hätte allerdings Bedenken, die Rechtsauffassung des Landgerichts zu bestätigen, es sei dem nicht aktiv Handelnden "nicht nur zumutbar, sondern sogar zwingend geboten (gewesen), sich bei der Geburt Gedeons von seinem Ehepartner zu trennen, Gedeon mitzunehmen und ihn so zu schützen" (UA 117). Einer so weit gehenden strafbarkeitsbegründenden Pflicht könnte möglicherweise der durch das Grundgesetz garantierte Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) entgegenstehen. Darauf kommt es letztlich hier aber nicht an, denn zu Recht nimmt das Landgericht an, daß der nicht aktiv Handelnde - zumal vor dem Hintergrund der der einschlägigen Vorverurteilung zugrundeliegenden Vorgeschichte - spätestens, nachdem am Vortag der Tat vier Hämatome im Stirnbereich als sicheres Zeichen einer Mißhandlung deutlich zu Tage getreten waren, das Kind umgehend von dem "Aktivtäter" hätte trennen und es so dessen Einwirkungsmöglichkeit entziehen müssen. Angesichts der besonderen Gefahren, denen das Kind durch den aktiv mißhandelnden Elternteil ausgesetzt war, ist die Annahme einer solchen Handlungspflicht
aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGHSt 41, 113, 117; BGH NStZ 1984, 164).
Tepperwien Maatz Kuckein
Annotations
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.