Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2013 - 4 StR 324/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen, wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „unter Beiführung von sonstigen Gegenständen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen ge- eignet und bestimmt sind“, in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Stra- ßenverkehrs, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, eine Fahrerlaubnissperre angeordnet und einen Geldbetrag in Höhe von 8.636,31 € für verfallen erklärt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- 1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich der Fälle I. 1, 3 und 4 der Urteilsgründe einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.
- 3
- 2. Im Fall I. 5 der Urteilsgründe sind die Voraussetzungen der tateinheitlich erfolgten vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 StGB nicht hinreichend belegt.
- 4
- a) Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte am Tattag mit einem Pkw, in dem er etwa 800 Gramm Haschisch und zuvor eingenommene Erlöse aus weiteren BtM-Geschäften in Höhe von 7.000 € mit sich führte, im Bereich der Stadt S. , obwohl er wegen des vorherigen Konsums erheblicher Mengen von Amphetamin und Cannabis nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Bedingt durch die eingenommenen Rauschmittel fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit und benutzte teilweise die Gegenfahrbahn, wodurch er einem mit zwei Beamten besetzten Streifenwagen der Polizei auffiel, der dem Angeklagten nach rechts ausweichen musste, um eine „möglicherweise folgen- schwere“ Kollision mit dessen Pkw zu vermeiden. Der Angeklagte missachtete die Anhaltezeichen der Polizei, um eine Entdeckung seiner Drogengeschäfte zu verhindern, überholte trotz Gegenverkehrs mehrere Fahrzeuge und setzte seine Fahrt mit überhöhter Geschwindigkeit auch noch fort, nachdem sich ein weiterer Streifenwagen in die Verfolgung eingeschaltet hatte. Kurz darauf rammte der Angeklagte mit seinem Pkw ein (weiteres) vor ihm fahrendes Polizeifahrzeug, das mit dem Zeugen H. besetzt war, bei einem Fahrspurwechsel,wobei er einen Fremdschaden in Höhe von 7.500 € verursachte. Anschließend verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug, überfuhr verschiedene Verkehrseinrichtungen und prallte schließlich gegen einen Ampelmast. Durch umherfliegende Teile wurden ein jugendlicher Passant verletzt und weitere Fahrzeuge beschädigt.
- 5
- b) Hinsichtlich der ersten, für eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB in Betracht kommenden Verkehrssituation, in der die beiden Beamten mit ihrem Streifenwagen nach rechts ausweichen mussten, um eine Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten zu vermeiden, ist eine konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer oder für bedeutende Sachwerte nicht hinreichend belegt. Mag diese Verkehrssituation auch für einen sog. „Beinahe-Unfall“ sprechen, so ergeben die Urteilsgründe jedoch nicht, dass die Handlung des Angeklagten über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen konkreten Vorgang zu einer kritischen Situation geführt hat. Ob in dieser Situation der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing, kann der Senat daher nicht beurteilen. Einzelheiten zur Art der konkreten Begegnung beider Fahrzeuge sind nicht festgestellt, die vom Landgericht gebrauchte For- mulierung, das Ausweichen habe dem Zweck gedient, eine „möglicherweise folgenschwere“ Kollision zu vermeiden, erweist sich daher als bloße Bewertung, die einer hinreichenden Tatsachengrundlage gerade entbehrt.
- 6
- Was die nachfolgende Fahrt des Angeklagten im öffentlichen Verkehrsraum der Stadt S. , insbesondere das Rammen des Dienstfahrzeugs des Zeugen H. betrifft, ergeben die Feststellungen nicht, dass, wie es für den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB erforderlich ist, das Fahrverhalten gerade auf einer rauschmittelbedingten Leistungsminderung des Angeklagten beruht (st. Rspr.; vgl. schon BGH, Beschluss vom 30. Juni 1955 – 4 StR 127/55, BGHSt 8, 28, 33). Nach den Urteilsgründen setzte der Angeklagte , nachdem er an dem ersten Streifenwagen vorbeigefahren war, seine Flucht mit überhöhter Geschwindigkeit fort, um sich einer polizeilichen Kontrolle und der dabei befürchteten Aufdeckung seiner Rauschgiftgeschäfte zu entziehen. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass die nachfolgenden Fahrfehler sowie die Kollision mit dem Fahrzeug des Zeugen H. auf das Bemühen des Angeklagten zurückzuführen sind, den verfolgenden Streifenwagen zu entkommen.
- 7
- c) Die Feststellungen des Landgerichts erlauben dem Senat indes insoweit die aus der Beschlussformel ersichtliche Schuldspruchänderung. § 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Angesichts der vor Antritt der Fahrt konsumierten erheblichen Drogenmengen, des festgestellten Zustandes des Angeklagten nach Fahrtende sowie seines ungewöhnlich provozierenden Verhaltens während der Fluchtfahrt ist die Annahme gerechtfertigt, der Angeklagte habe bedingt vorsätzlich im Sinne von § 316 Abs. 1 StGB gehandelt.
- 8
- Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt; das Landgericht hat die Strafe zutreffend dem anzuwendenden Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG entnommen. Der Senat schließt daher aus, dass die Straf- kammer bei tateinheitlicher Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine geringere Strafe verhängt hätte. Auch die für die Sperrfrist maßgebliche voraussichtliche Dauer der Ungeeignetheit wird von der Schuldspruchänderung nicht berührt.
II.
- 9
- Wegen des nur geringfügigen Erfolgs der Revision ist eine Freistellung des Angeklagten von einem Teil der Kosten nicht veranlasst (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 473 Rn. 25 f.).
Bender Quentin
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer im Straßenverkehr
- 1.
ein Fahrzeug führt, obwohl er - a)
infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder - b)
infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder - 2.
grob verkehrswidrig und rücksichtslos - a)
die Vorfahrt nicht beachtet, - b)
falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt, - c)
an Fußgängerüberwegen falsch fährt, - d)
an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt, - e)
an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält, - f)
auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder - g)
haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.
(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
(1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315e) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.
(2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.
(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.